Brigitte Aulenbacher, Angelika Wetterer (Hg.):
Arbeit.
Perspektiven und Diagnosen der Geschlechterforschung.
Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2009.
309 Seiten, ISBN 978-3-89691-225-1, € 29,90
Abstract: Arbeitsgesellschaften und ihre Umbrüche bleiben nur halb verstanden, wenn die Kategorie Geschlecht nicht systematisch mitbedacht wird. Der vorliegende Sammelband bietet aktuelle Einsichten in geschlechtertheoretische Perspektiven auf das Themenfeld Arbeit. Der Blick geht dabei über Erwerbsarbeit hinaus und richtet sich auch auf private Formen der Arbeit und auf das Wechselverhältnis zwischen beiden. Zugleich spiegeln sich in den Beiträgen aktuelle Debatten um die theoretische Bedeutung der Kategorie Geschlecht, die in der Rezension skizziert werden.
Ein wesentlicher Zugang zum Verständnis moderner Gesellschaften bietet der Begriff der Arbeit. In der Frauen- und Geschlechterforschung hat er seit jeher einen zentralen Platz. Brigitte Aulenbacher und Angelika Wetterer haben es sich mit ihrem Sammelband zur Aufgabe gemacht, den ‚state of the art‘ der Frauen- und Geschlechterforschung zur Frage nach der Bedeutung von Arbeit und ihren Umbrüchen auszuloten und ihr analytisches und diagnostisches Potential aufzuzeigen.
Die in dem Band versammelten Aufsätze bieten in mehrerlei Hinsicht einen Überblick: Theoretische Perspektiven stehen ebenso im Fokus wie zeitdiagnostische Einschätzungen gegenwärtiger Umbruchprozesse und Einblicke in die Bandbreite der mit dem Thema Arbeit verbundenen Forschungsfelder. Die für die deutschsprachige Frauen- und Geschlechterforschung wesentlichen theoretischen Zugriffsweisen auf das Themenfeld werden pointiert durch die ersten beiden Beiträge umrissen: einerseits ein gesellschaftstheoretischer Zugang auf Produktions- und Reproduktionsverhältnisse und die konstitutive Verschränkung mit dem Verhältnis der Geschlechter (Regina Becker-Schmidt/Helga Krüger), andererseits ein sozialkonstruktivistischer Blick auf Arbeit, Arbeitsteilung und die Herstellung von Geschlecht (Angelika Wetterer). Beide zusammen liefern damit eine gut informierte Rückschau auf zentrale Debatten der Frauen- und Geschlechterforschung im Spannungsfeld der Frage nach Geschlecht als Struktur- und/oder Prozesskategorie sowie einen Einblick in aktuelle Diskussionen um De-Institutionalisierung bzw. Kontextualisierung von Geschlecht und um intersektionale Verschränkungen.
Damit sind Stichworte genannt, die auch für viele weitere Beiträge des Bandes den theoretischen Rahmen abstecken. Johanna Hofbauer und Ursula Holtgrewe etwa greifen in ihrem Beitrag zum Verhältnis von Organisation und Geschlecht diese Fragestellungen auf und resümieren, dass die Wirkungsweise von Geschlecht zunehmend als mehrdeutig und uneinheitlich zu beschreiben sei. Mit Blick auf Arbeitsorganisationen ließen sich sowohl Hinweise für Persistenz als auch für Wandel ausmachen. Eine empirische Bestätigung dafür bieten auch Edelgard Kutzner, Heike Jacobsen und Monica Goldmann in ihrem Beitrag zu interaktiver Dienstleistungsarbeit. Zwar finden sie dort nach wie vor geschlechtsbezogene Zuschreibungsprozesse. Allerdings würden diese keineswegs zwangsläufig auf eine Verfestigung herkömmlicher Verhältnisse hinauslaufen; ebenso zeigten sich Prozesse des Aufbrechens und der Veränderung.
Es mehren sich die Anzeichen, dass die Geschlechterordnung in „Un-Ordnung“ (S. 172) gerät. Dies bestätigt der Blick in andere Beiträge des Sammelbandes, z. B. zur Strukturierung von Arbeitsmärkten im internationalen Vergleich (Karin Gottschall) oder zur Rolle der Globalisierung beim Thema Arbeit und Geschlecht (Ilse Lenz). Tenor ist auch hier, dass die Herausforderungen heute darin liegen, die mit Geschlecht verbundene komplexe soziale Ungleichheit empirisch zu erfassen und theoretisch einzuordnen. Geschlecht bleibt eine ungleichheitsrelevante Kategorie, aber Formen der Inklusion und Exklusion überlagern sich, sind zunehmend kontextgebunden und mit anderen differenzsetzenden Dimensionen des Sozialen verknüpft. Dass es allerdings Kontexte gibt, in denen Geschlecht noch weitgehend ungebrochen seine Wirkung entfaltet, zeigt beispielhaft der Beitrag von Ulrike Teubner. In ihrem Durchgang durch verschiedene Befunde zum Zusammenhang von Technik, Arbeitsteilung und Geschlecht kommt sie zu dem Ergebnis, dass sowohl symbolisch als auch praktisch nach wie vor klare Differenzsetzungen und Schließungsprozesse entlang der Kategorie Geschlecht organisiert seien.
Im Verständnis der Frauen- und Geschlechterforschung war Arbeit schon immer ein ganzheitlich gefasstes Phänomen jenseits der Verengung auf erwerbsförmig organisierte Arbeit. Insofern zieht sich die Frage nach den Reproduktionsverhältnissen und der privat erbrachten Arbeit in ihrer Verschränktheit mit dem Feld der Erwerbsarbeit als ein weiterer Strang durch die Beiträge des Sammelbandes. Petra Krüger diskutiert verschiedene empirische Befunde zum Verhältnis von Geschlecht und ehrenamtlichem Engagement. Birgit Geissler wiederum befasst sich mit der Logik des Arbeitshandelns im privaten Arbeitsfeld Haushalt und legt die Ambivalenzen dar, die sich ergeben, wenn Haushaltsarbeit nicht als private Arbeit, sondern in Form von bezahlten haushaltsnahen Dienstleistungen erbracht wird. Hier verschränken sich die historisch differenzierten Logiken von privater Arbeit und von Erwerbsarbeit auf neue Weise. Der Zusammenhang von Öffentlichkeit und Privatheit, von Erwerbsarbeit und Partnerschaft bzw. Familie wird in zwei weiteren Beiträgen explizit zum Thema. Aus der Perspektive einer Männer- bzw. Männlichkeitsforschung fragt Sylka Scholz nach der Bedeutung von Erwerbs- und Familienarbeit für Männer. Annette Henninger und Christine Wimbauer wiederum reformulieren den Zusammenhang der beiden Sphären als mehrfach widersprüchliche Konstellation von Arbeit und Liebe. Thematisch verbunden sind beide Beiträge über das Problem der Arbeitsteilung innerhalb heterosexueller Paarbeziehungen vor dem Hintergrund der Veränderungen von Arbeits- und Lebensverhältnissen. Exemplarisch zeigt sich daran zugleich die kontrovers diskutierte Frage, ob und in welcher Weise sich aktuelle empirische Befunde zum Thema eher als Persistenz, nämlich als lediglich rhetorische Modernisierung, verstehen lassen oder ob doch von Ansätzen eines Wandels im Rahmen pragmatischer Modernisierungsprozesse ausgegangen werden kann.
Auch die Kehrseite der Arbeitsgesellschaft ist Thema zweier Beiträge. Clarissa Rudolph moniert, dass Arbeitslosigkeit nicht in gleicher Weise im Fokus der Frauen- und Geschlechterforschung stehe wie Arbeit. Dabei sei gerade Arbeitslosigkeit in vielfältiger Weise mit tradierten geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Bewältigungsformen verbunden. Für eine emanzipatorische Perspektive müsse dagegen Erwerbsarbeit in ihrem Verhältnis zu unbezahlter Familienarbeit gedacht werden, um von hier aus Arbeitslosigkeit neu und geschlechtersensibel in den Blick nehmen zu können. Demgegenüber unternimmt Susanne Völker den Versuch, verschiedene Stränge der Diskussion um Prekarisierung einander gegenüberzustellen und nach geschlechtersoziologischen Leerstellen, aber auch Einsichten zu untersuchen. Ziel ihres Beitrags ist es, die Potentiale der Prekarisierungsforschung für die Analyse gegenwärtiger Veränderungsprozesse auszuloten und mit Fragen der Geschlechterforschung zu verbinden.
Ein solch zeitdiagnostischer Blick auf die Umbrüche der Arbeitsgesellschaft liegt auch anderen Beiträgen zugrunde. Brigitte Aulenbacher und Birgit Riegraf etwa fragen nach Zusammenhängen zwischen veränderten Regulierungsweisen im Übergang zum Postfordismus und Formen komplexer sozialer Ungleichheit. Analytisch bringen sie dabei gesellschaftstheoretische Zugänge mit einer intersektionalen Perspektive zusammen. Dabei kommen sie zu dem Schluss, dass neue wie alte Formen kapitalistischer Ökonomie die eigenen reproduktiven Voraussetzungen ausblenden würden und notwendig mit Ungleichheitsrelationen – als Konsequenz aus der nachträglichen Vermittlung getrennter gesellschaftlicher Sphären – verknüpft seien, auch wenn diese Vermittlungen historisch variieren würden. Hildegard Maria Nickel befasst sich in ihrem Beitrag ebenfalls mit zentralen Veränderungsprozessen im Übergang zur nachfordistischen Arbeitsgesellschaft. Im Anschluss an die Diskussion um Entgrenzung von Arbeitswelt und privater Lebensführung führt auch sie die mit den Umbruchprozessen einhergehende Gleichzeitigkeit von Auflösung und Verfestigung der mit Geschlecht verbundenen Ungleichheitsstrukturen vor, problematisiert die Reproduktionsvergessenheit der Erwerbssphäre und sucht nach Möglichkeiten einer bei den Reproduktionsinteressen ansetzenden (betrieblichen) Arbeits- und Geschlechterpolitik. Hier sieht sie begrenzt vorhandene Optionen, die gerade vor dem Hintergrund zunehmender Pluralisierung und Individualisierung reproduktiver Interessenlagen eigensinnig und im Sinne einer offensiven Repolitisierung der Geschlechterfrage genutzt werden sollten.
Zusammengenommen bietet der Sammelband nicht nur eine Vielfalt an geschlechtersensiblen Einblicken in unterschiedliche Forschungsfelder rund um das Thema Arbeit. Er trägt zugleich auch zur Debatte um die theoretische und empirische Bedeutung der Kategorie Geschlecht bei. Damit verbundene Differenzsetzungen und Ungleichheitsstrukturen werden keineswegs obsolet, aber in ihren Wirkungsweisen uneindeutiger, kontextabhängiger und sind komplexer mit anderen Kategorien verwoben. Dies fordert umso mehr dazu auf, analytische Instrumente zu schärfen und der paradoxen Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel empirisch auf der Spur zu bleiben. Mit Blick auf das Themenfeld Arbeit führt der Sammelband genau das vor. Ihm ist zu wünschen, dass er über die Frauen- und Geschlechterforschung hinaus auch in der arbeits-, organisations- und industriesoziologischen Forschung breit rezipiert wird.
URN urn:nbn:de:0114-qn103242
Dipl.-Soz. Karsten Kassner
Universität Basel
Zentrum Gender Studies, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
E-Mail: karsten.kassner@unibas.ch
Dieser Text steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Hinweise zur Nutzung dieses Textes finden Sie unter http://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/creativecommons.