Bei der Beschäftigung mit queeren Lebensformen taucht immer wieder die Frage danach auf, wie „queere Räume“ zu beschreiben sein könnten und was sie ausmacht. Eine weitere Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, wäre über eine begriffliche Spurensuche.
Queer ist in subkulturellen, politischen Kontexten eine Selbstbezeichnung von Menschen, die ihre Identität und ihre Lebensformen jenseits heteronormativer und Zweigeschlechtlichkeit privilegierender Muster verorten. Dabei ist queer darauf angelegt, keine neue Identität zu schaffen, sondern Identitätskonzepte insgesamt zu hinterfragen – da diese immer den Ausschluss derer beinhalten, die nicht in ihr jeweils enges Korsett passen. So ist queer als Anti-Identität zu verstehen, die höchstens strategisch identitätspolitisch verwendet wird. In akademischen Diskursen spiegelt sich diese Debatte nicht immer differenziert wider: Häufig wird queer einfach als neues Modewort gebraucht, das lesbisch und (vor allem) schwul meint – und wird damit zur Identitätskategorie. Selten wird es im oben erläuterten, umfassenden Sinn gebraucht, was sowohl Subjektpositionen wie die von Intersexuellen und Transgender sowie z. B. Lebensentwürfe, die sich jenseits der Paarnorm verorten, beinhalten würde. Zudem wird oft kaum reflektiert, dass queer nicht ausschließlich Menschen aus der weißen Mittelschicht meint. Damit werden intersektionale Verknüpfungen verschiedener Formen sozialer Ungleichheit, die ein antiidentitäres Konzept von queer durchaus erfassen kann, unsichtbar gemacht.
Raum ist in sozial- und raumwissenschaftlicher Perspektive vor allem nicht als Behälter zu denken, sondern als durch und durch soziales Gebilde, eine Anordnung von Gegenständen und Menschen. Raum wird produziert im Rahmen der sozialen Praktiken der Akteur_innen. Dies geschieht im jeweiligen sozio-historischen Kontext, wobei viele Aspekte Einfluss auf die jeweilige Raumproduktion haben. Soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die örtlichen Gegebenheiten, in die die Räume eingebettet werden, die Normen, die für die jeweiligen Räume ausgehandelt werden etc. Damit ist Raumproduktion nie abgeschlossen, sondern als sozialer Prozess zu verstehen. Die Verbindung der beiden Konzepte queer und Raum lässt vermuten, dass queere Räume immer dann verschwinden, wenn versucht wird, sie festzuschreiben. Wie kann dann überhaupt irgendetwas über sie gesagt werden? (Wie) Können sie überhaupt produziert werden?
Eine Möglichkeit, queere Räume zu erkunden, wird in diesem Bildessay mittels Bildassoziationen versucht. Die Bilderserie spiegelt die Schwierigkeiten wider, zu definieren, was ein queerer Raum ist und was ihn ausmacht. Die vorgeschlagenen Antworten auf die Frage sind so unterschiedlich wie die Akteur_innen, die sie formulieren, und die theoretischen Perspektiven, aus denen sie sprechen. Ich möchte mit diesem Essay zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Es enthält einige Versuche, queere Räume einzukreisen, reflektiert Zwischenergebnisse, die ich zum Teil wieder verworfen habe, und viele offene Fragen. Bilder bieten sich dazu an, den Raum für Assoziationen zu öffnen und ermöglichen neue Zugänge. Zugleich ist die Auswahl der Bilder beschränkt (und subjektiv) und lenkt den Blick in eine ganz bestimmte Richtung. So ist dies ein künstlerischer und persönlicher, nur hintergründig wissenschaftlicher Versuch, sich dem Thema zu nähern.
Die Fotos sind teilweise im Rahmen der Forschung zu meiner Dissertation Andere Räume entstanden, in der ich soziale Praktiken der Raumproduktion von Drag Kings und Transgender untersucht habe. Es handelt sich um eine ethnographische Studie, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven den Eigenheiten subkultureller Räume von Drag Kings und Transgender und deren Verbindungen zu anderen gesellschaftlichen Szenen widmet. Die Studie wird 2010 publiziert. Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Frage nach queeren Räumen findet sich auch in: Nina Schuster (2008), „Queere Räume? Strategien queerer Raumaneignung und ambivalente Politiken der Sichtbarkeit“. In Judith Coffey u. a. (Hg.): queer leben – queer labeln? (Wissenschafts-)kritische Kopfmassagen. Freiburg: fwpf, S. 128–144.
URN urn:nbn:de:0114-qn103330
Nina Schuster
TU Dortmund
Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät Raumplanung der TU Dortmund, Fachgebiet Stadt- und Regionalsoziologie
E-Mail: nina.schuster@tu-dortmund.de
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