(K)eine scheiternde Innovation

Rezension von Gesine Fuchs

Anne Hampele Ulrich:

Der unabhängige Frauenverband.

Ein frauenpolitisches Experiment im deutschen Vereinigungsprozeß.

Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag 2000.

328 Seiten, ISBN 3–931703–48–7, DM 29,80

Abstract: Anne Hampele Ulrich legt mit ihrer Dissertation über den Unabhängigen Frauenverband die Analyse der Organisationslaufbahn eines neuen kollektiven Akteurs vor, der sich im Spannungsfeld von raschem politischem und institutionellem Wandel und internen organisatorischen und identitätsbezogen Prozessen zu strukturieren versucht. Die politisch-organisatorischen Handlungsdilemmata, etwa zwischen dem Anspruch eines Dachverbands und schneller Ausdifferenzierung der frauenpolitischen Szene werden durch den genauen, engagierten Blick der Autorin gut herausgearbeitet. Die Konzentration auf die Organisationsentwicklung droht jedoch den Blick auf die ebenfalls dokumentierten politischen Mobilisierungserfolge zu verstellen.

Dankenswerterweise hat Anne Hampele Ulrich ihre Dissertation über den ostdeutschen Unabhängigen Frauenverband (UFV) einige Zeit nach ihrem Abschluss allgemein zugänglich publiziert und aktualisiert. Die Arbeit ist eine der wenigen Untersuchungen über die politische Organisierung von Frauenanliegen in der DDR bzw. in Ostdeutschland während der Transformation. Anne Hampele hat mittels „qualitativer Begleitforschung“, also langjähriger teilnehmender Beobachtung, Interviews und Quellenstudium die „organisationspolitische Laufbahn“ des UFV analysiert. Diese reicht von der Existenz einer öffentlich-politisch anerkannten Kraft der Wende im Kontext der BürgerInnenbewegung über eine „Politische Vereinigung“ zu einem kleinen, existenzgefährdeten eingetragenen Verein, der sich schließlich im Sommer 1998 aufgelöst hat. So untersucht sie nicht nur die Mobilisierungswelle vom Winter 1989/90, sondern fragt auch nach den „Strukturierungsversuchen eines neuen kollektiven Akteurs“, der sich unter den Bedingungen raschen politischen und institutionellen Wandels programmatisch und strategisch zu behaupten sucht. Die Wechselbeziehung zwischen radikaler politischer und kultureller Veränderung und internen organisatorischen und identitätsbezogenen Prozessen und Entscheidungen entscheide über Erfolg und Misserfolg bei der Etablierung als politischer Akteur. Die im Zuge der Untersuchung belegte These lautet, dass das vage und fluide Selbstverständnis des Unabhängigen Frauenverbandes Quelle ständiger Struktur- und Handlungsdilemmata war.

Politische Ansprüche

Der UFV trat als ein politischer Zusammenschluss an, der die Interessen aller Frauen organisieren und gleichzeitig Dachverband und Netzwerk für Frauen-Initiativen sein wollte; dies war eine Innovation. Er überschätzte jedoch die Organisierbarkeit von Fraueninteressen. Nach einer Phase der Mobilisierung, der gut ergriffenen Gelegenheit der Teilnahme am Zentralen Runden Tisch und der Konstitution als Politische Vereinigung im Februar 1990 (um – ohne Mandatsgewinn – an den Volkskammerwahlen vom März teilzunehmen) schlossen sich die politischen Gelegenheitsstrukturen wieder und der UFV wurde zunehmend politisch marginalisiert. Dem Anspruch, alle Frauen über weltanschauliche, soziale und religiöse Grenzen hinweg politisch vertreten zu wollen, stand die schnelle Diversifizierung der frauenpolitischen Szene in Initiativen, Projekte und Gleichstellungsstellen gegenüber. Der UFV wollte alle diese Gruppen vernetzen, war dazu aber weder organisatorisch in der Lage noch wurde er dazu gebraucht. Die rätedemokratische Struktur, die gewählt wurde, war aus der DDR-Erfahrung verständlich, jedoch angesichts der selbstgewählten politischen Aufgaben eine Überforderung. Der UFV verstand Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe. Trotz des politischen Anspruchs entschied er sich 1991 gegen eine Partei- und für eine Vereinsgründung. Eine vergleichbare westdeutsche Organisation als Anknüpfungspunkt fand der UFV im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Zusammenschlüssen nicht vor. Er war konfrontiert mit einer Vielzahl unterschiedlicher Strömungen. Häufig wurde die geringe Betonung der Geschlechterdifferenz durch den UFV kritisiert. Zudem kam es auch zu Ost-Neugründungen traditioneller Frauenverbände, deren unglücklicher Verlauf den Anschein von Arroganz und Missachtung des UFV erweckte. Und schließlich wirkte die vereinzelte parlamentarische Präsenz von UFV-Mitfrauen sowie Erfolge in punkto Mobilisierung und Agenda-Setting bei Themen wie Arbeitsmarktpolitik, §218 und FrauenStreikTag kaum positiv auf das Engagement im UFV zurück.

Dilemmata und Erfolge

In der Untersuchung findet sich nach der Einleitung ein Kapitel über die Vorstrukturierungen für frauenpolitisches Engagement in der Wendezeit und darauf folgend mehrere Kapitel zur Organisationsentwicklung und einer Analyse der Handlungsfelder des UFV. Die Autorin arbeitet historisch die Vorstrukturierungen gut heraus: ein neues Bewusstsein der Widersprüche zwischen Individualisierung, Alltagskonflikten und paternalistischer Frauenpolitik in den 80er Jahren sowie die entstehenden DDR-Teilöffentlichkeiten (kirchliche Frauengruppen, politisch-oppositionelle Frauengruppen, lesbische Selbstorganisation, interne Diskurse von Frauenforscherinnen). Damit wird die Mobilisierung Ende 1989 erst verständlich gemacht. Bei der weiteren Lektüre der Arbeit drängt sich jedoch die Frage auf, ob – paradoxerweise – die Perspektive der Organisationslaufbahn die richtige ist, um die Bedeutung des Verbandes zu würdigen. In dieser Sichtweise ist nämlich viel von Überforderung, struktureller Unzulänglichkeit und Unfähigkeit des UFV zu berichten, so dass die in der Untersuchung ebenfalls niedergelegten unbestreitbaren politischen Erfolge des UFV ein wenig untergehen: So ist aus Ostblock-Perspektive allein die Tatsache, dass sich 1989/90 ein Unabhängiger Frauenverband mit feministischen Vorzeichen bildet, bemerkenswert – und erklärungsbedürftig. War dafür wesentlich die Nähe zur BRD verantwortlich oder welche Faktoren kommen noch in Frage? Die schnelle Diversifizierung von Gruppen mit unterschiedlichen Ansätzen ist aus der Sicht von Transformation und demokratischer Konsolidierung ein „normaler“, begrüßenswerter Vorgang. Der UFV trug wesentlich dazu bei, Frauenthemen auf die Vereinigungs-Agenda zu bringen, sei es am Runden Tisch, in Parlamenten oder durch die Tatsache, dass ein großer Teil des Personals der neuen Gleichstellungsstellen UFV-Mitfrauen waren. Die Mobilisierung gegen die striktere Neuregelung des § 218 sowie zum FrauenStreikTag 1994 nach isländischem und schweizerischem Vorbild wurde in Ostdeutschland wesentlich vom Verband mitgetragen. Durch überregionale Kongresse etwa zur Arbeitsmarktpolitik hielt er deren geschlechtsspezifische Wirkungen, aber auch sich selbst als Vereinigung in der öffentlichen Wahrnehmung präsent. Was schlecht für die Organisation ist, kann positiv für die politische Thematisierung ihrer Anliegen sein.

Unverzichtbare Grundlage

Insgesamt ist das Buch eher schwierig zu lesen, weil der Stil häufig kompliziert und die Gliederung nicht ganz einsichtig ist. Beispielsweise fehlt ein Kurzüberblick über die Organisationsentwicklung der Verbandes, der es erlauben würde, den Details von Programmdiskussionen und politischer Arbeit gelassen zu folgen. Eine kaum differenzierte Typographie erschwert das Lesen ebenfalls. Das ist allerdings eine Tatsache, die leider sehr häufig bei wissenschaftlichen Publikationen anzutreffen ist.

Die Untersuchung arbeitet die Handlungsdilemmata des Unabhängigen Frauenverbandes gut heraus. Das gelingt deshalb, weil die Autorin durch ihre qualitativen Methoden den Gegenstand durchdringt, genau und engagiert hingeschaut hat und sowohl mit einer Binnen- als auch mit einer Außenperspektive aufwarten kann. Leser/-innen und Forscher/-innen, die sich mit frauenpolitischer Organisierung in Transformationsgesellschaften beschäftigen, kommen an der von Anne Hampele geschaffenen Grundlage nicht vorbei.

URN urn:nbn:de:0114-qn023032

Dipl.-Pol. Gesine Fuchs

Universität Hannover, Institut für Politische Wissenschaft

E-Mail: gesine.fuchs@ipw.uni-hannover.de

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