Stefanie Freyer, Katrin Horn, Nicole Grochowina (Hg.):
FrauenGestalten Weimar–Jena um 1800.
Ein bio-bibliographisches Lexikon.
Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2009.
453 Seiten, ISBN 978-3-8253-5471-8, € 58,00
Julia Di Bartolo:
Selbstbestimmtes Leben um 1800.
Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar–Jena.
Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2008.
344 Seiten, ISBN 978-3-8253-5302-5. € 54,00
Abstract: Im bio-bibliographischen Lexikon finden sich die Biographien von 43 bürgerlichen und 51 adeligen Frauen, die zwischen 1770 und 1830 in der Residenzstadt Weimar und in der Universitätsstadt Jena gelebt oder gewirkt haben und in die gesellschaftlichen Kreise eingebunden waren. Deutlich werden die Mannigfaltigkeit und Gestaltungskraft weiblicher Tätigkeit in dieser Zeit. Die theoretische Konstruktion der Handlungsräume von Frauen, die von den Herausgeberinnen des äußerst nützlichen Lexikons ebenso wie von der Verfasserin der Monographie über drei Schriftstellerinnen um 1800 bemüht wird, überzeugt nur begrenzt, da das Nachschlagewerk seine neuen Erkenntnisse nicht diesem Konzept, sondern den gründlichen Recherchen in Archiven und nach bereits vorhandener Literatur verdankt, die zweite Untersuchung hingegen insgesamt wenig Neues über ihre Protagonistinnen vorträgt.
Schon lange gilt es nicht mehr als ausgemacht, dass um 1800 der Lebensentwurf von Frauen ausschließlich vom präskriptiven Muster der ‚Hausfrau, Gattin und Mutter‘ geprägt war. Die historische und literaturwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung hat diese Gewissheit durch eine Vielzahl von familien- und geschlechtergeschichtlichen Studien seit mindestens zwei Jahrzehnten in Frage gestellt. Auch die beiden hier anzuzeigenden Werke verstehen sich als Beitrag zur Revision eines Bildes vom weiblichen Lebenslauf um 1800, der nur im häuslichen Raum stattfand. Entstanden sind beide Bücher im Zusammenhang des Sonderforschungsbereichs „Ereignis Weimar–Jena. Kultur um 1800“, in dem unter der Leitung von Siegrid Westphal „Geschlechterbeziehungen und Aufklärung“ erforscht wurden.
Im bio-bibliographischen Lexikon werden vierundneunzig Biographien von Frauen präsentiert, die zwischen 1770 und 1830 in Weimar und Jena gelebt oder sich hier für eine längere Zeit zu Besuch aufgehalten haben. Die Herausgeberinnen sahen ihre Aufgabe darin, die Mannigfaltigkeit weiblicher Tätigkeit und deren soziale Einbindung in die Gesellschaftskreise der Residenzstadt und der Universitätsstadt in dem in Frage stehenden Zeitraum zu dokumentieren. Ausgewählt wurden Frauen, die als Malerinnen, Illustratorinnen, Verlegerinnen, Lehrerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen, Hofdamen, Professorenfrauen, Unternehmerinnen und als Organisatorinnen von Frauenvereinen zur Armen- oder Kinderfürsorge zum kulturellen Leben beitrugen. Naturgemäß konnten nur Frauen aufgenommen werden, die in die Weimarer oder Jenaer Gesellschaft so eingebunden waren, dass sie hinreichend Spuren für die Rekonstruktion ihrer Lebensläufe hinterlassen haben. Vor allem die literarisch oder künstlerisch aktiven unter ihnen sind zumeist aus der Forschung als ‚Frauen der Goethezeit‘ bekannt. Ihre künstlerische Aktivität begann häufig mit der Rezeption von Literatur, wandte sich dann der Übersetzung literarischer Werke ins Deutsche zu und mündete schließlich in eigenständige literarische Produktion. Einige der vorgestellten Frauen publizierten im handschriftlich vervielfältigten Tiefurther Journal (1781–1784) der Herzogin Anna Amalia, andere, wie Ottilie von Goethe und ihr Freundeskreis, gründeten eine eigene Zeitschrift mit dem Titel Chaos. Als Kollektivbiographie gelesen markieren diese Lebensläufe einen zeittypischen Verlauf der weiblichen künstlerischen und literarischen Produktion.
Eine neue Form der gesellschaftlichen Teilhabe von Frauen ging 1813 vom Orden der Hoffnung aus, einem der frühen Patriotischen Frauenvereine, die in ganz Deutschland als Folge der napoleonischen Kriege entstanden sind (vgl. Dirk Alexander Reder: Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813–1830). Köln: Sh-Verlag 1998). Fürsorge für durch Krieg und Hunger betroffene Menschen war auch der Motor für die Gründung der Gesellschaft der Freunde in der Noth, aus der ab 1813 das Falksche Institut hervorging, in dem – zunächst im Haushalt von Caroline und Johannes Falk, später in einer eigenen Einrichtung – verwaiste und verwahrloste Kinder aufgenommen wurden. Auch Caroline Falk und die Tochter Rosalie Falk konnten einen großen Teil der pädagogischen Aufgaben nur übernehmen, weil die Familie über vielfältige Beziehungen in bürgerliche und adelige Gesellschaftskreise der Residenzstadt verfügte. Neben zahlreichen Privaterzieherinnen, Gouvernanten und Lehrerinnen, die in Weimar oder Jena ihren Lebensunterhalt verdienten, finden sich auch zwei Unternehmerinnen, von denen sich Caroline Bertuch durch die Herausgabe des berühmten Journals des Luxus und der Moden und durch die Errichtung einer Seidenblumenfabrik als frühe Protagonistin in der Konsumgüterproduktion für Frauen von Frauen eine Namen gemacht hat.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit der Einzelbeiträge steht die Frage, welche Bedeutung die äußerst ausdifferenzierte Weimarer und Jenaer Geselligkeit der Zeit zwischen 1770 und 1830 für die Lebensläufe von Frauen hatte. Es wird ersichtlich, dass aus dem bürgerlichen Universitätsmilieu Jenas weniger Frauen Spuren hinterlassen haben und dass von den vorgestellten Frauen mehr als die Hälfte den Status einer Adeligen innehatte, wenn auch nicht alle von Geburt an. An diesen Zahlen lässt sich die überragende Bedeutung des Hofes in Weimar ablesen. Gerade für die Lebensläufe von weiblichen Angehörigen des Adels, auch des niederen Adels, gilt, dass sie weniger durch die Norm der ehelichen häuslichen Erfüllung in Mutterschaft und Haushalt, sondern mehr durch die Verpflichtungen, die der Stand mit sich brachte, geprägt waren. Die inneradelige Hierarchie brachte allerdings große Differenzen der Gestaltungsmöglichkeiten für das Leben der Frauen mit sich. Diese, wie viele weitere Erkenntnisse, die aus dem von den einzelnen Autorinnen der Frauenporträts gesichteten biblio-biographischen Material gezogen werden können, bestätigen, dass auch in Weimar und Jena das für alle, die literarisch und künstlerisch tätig sein wollten und wollen, gültige Gesetz herrschte, nach dem der Transfer von sozialem Kapital, vulgo geselliger Austausch und gesellschaftliche Beziehungen, von zentraler Bedeutung für die literarische Produktion und ihre Verbreitung ist. Und wie überall in Europa bot sich auch in Weimar und Jena für Frauen aus Adel und Bürgertum die Möglichkeit der aktiven Lebensgestaltung jenseits von Ehe und Familie in ganz unterschiedlichen pädagogischen Berufen, die von der Gouvernante bei Hofe bis zur Lehrerin in einer Zeichenschule reichten. Ähnliches gilt für das Engagement in der Bedürftigen- und Kinderfürsorge.
Eindrucksvoll ist die hohe Zahl geschiedener bzw. getrennt lebender oder wieder verheirateter Frauen aus Adel und Bürgertum unter den Frauen, die Spuren hinterlassen haben. Diese erschöpft sich nicht nur in prominenten Skandalfällen wie den Scheidungen und Wiederverheiratungen von Sophie Mereau oder Amalia von Einsiedeln und zeigt einmal mehr, wie gefährdet die normativen Vorgaben für die Geschlechterbeziehungen des Zeitalters um 1800 im Vergleich zum späteren 19. Jahrhundert noch waren und wie häufig Frauen damals ein auch in dieser Hinsicht selbstbestimmtes Leben wählten.
Die einzelnen Beiträge dieses verdienstvollen Sammelwerkes sind übersichtlich organisiert: Vorangestellt ist eine Zusammenschau der unterschiedlichen Funktionen und Tätigkeiten der dargestellten Person und ihrer Aufenthaltsdauer in Weimar und Jena. Der Biographie mit einem Abriss des Lebenslaufs und der Verbindungen in die gesellschaftlichen Kreise folgt eine Bibliographie, die Angaben zu Werken und Quellen der porträtierten Frauen enthält; durch ausgewählte Sekundärliteratur gibt sie einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Damit haben die Autorinnen und Herausgeberinnen ein äußerst nützliches Hilfsmittel für alle bereitgestellt, die kulturgeschichtliche Fragen in der Zeit um 1800 bearbeiten.
Selbstbestimmtes Leben ist auch der Titel der im gleichen Forschungszusammenhang entstandenen Dissertation von Julia Di Bartolo. Ausgewählt wurden die Schriftstellerinnen Sophie Mereau und Johanna Schopenhauer sowie die nicht nur literarisch, sondern auch malerisch dilettierende Henriette von Egloffstein. Deren Lebensläufe werden auf der Basis ihrer Selbstzeugnisse dargestellt. Als Interpretationsrahmen wählt Di Bartolo das Konzept von Handlungsspielräumen, die diesen Frauen zur Verfügung gestanden haben. Unter Bezug auf historische, literaturgeschichtliche, pädagogische und psychologische Theorieangebote, allerdings ohne expliziten Rückgriff auf die Soziologe, zu deren ureigensten Gegenständen Handlungsspielräume in sozialen Zusammenhängen gehören, wird das Konzept der Handlungsspielräume als Interaktion zwischen individuellem Vermögen und sozialen Strukturen entwickelt. Im Hauptteil der Arbeit bedeutet dies, dass die Lebensläufe der drei sehr bekannten Vertreterinnen der deutschen Kulturgeschichte unter den Gesichtspunkten Bildungsvoraussetzungen, wirtschaftliche und soziale Beziehungen, ehelicher und sozialer Status sowie Bedingungen des Universitäts- bzw. Residenz- und Hofmilieus rekonstruiert werden.
Die Autorin will mit ihrer Studie die These belegen, dass die Handlungsspielräume von Frauen um 1800 weniger vom Geschlecht als von individuellen Fähigkeiten, Erwartungen und Intentionen in ihren Wechselwirkungen mit Normen, Werten und Lebensbedingungen abhängig gewesen seien. „Deutlich wurde allerdings auch, dass die Art und Weise der Teilhabe nicht von sozialen Beziehungen allein abhing, sondern immer auch von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Faktoren bestimmt waren.“ (S. 265) Ergebnisse wie diese bieten jedoch wenig neue Einsichten in das Leben der untersuchten Protagonistinnen oder in die allgemeinen Lebensverhältnisse von Frauen um 1800. Schade, wenn die kulturgeschichtliche Wende in den Geisteswissenschaften letztlich nur zur Umformulierung bekannter Erzählungen führt. Fehler im Literaturverzeichnis, die etwa den Herausgeber zum Verfasser einer Studie machen, sind eine lässliche Sünde. Dass die Arbeit von Mechthilde Vahsen (Die Politisierung des weiblichen Subjekts. Deutsche Romanautorinnen und die Französische Revolution 1790–1820. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2000) in einer Dissertation über Sophie Mereau nicht berücksichtigt wird, ist ärgerlich und wirft indirekt noch einmal die Frage auf, wie relevant die Erkenntnisse sind, die über den Zugriff ‚Handlungsspielräume‘ von Personen für die Kulturgeschichte gewonnen werden können.
URN urn:nbn:de:0114-qn111217
Juliane Jacobi
Universität Potsdam
Professorin für Historische Pädagogik, Historische Sozialisationsforschung
Homepage: http://www.uni-potsdam.de/histopaedsozialisation/jacobi.html
E-Mail: jacobi@uni-potsdam.de
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