Was sagen Rezipient/-innen zu Pornografie?

Rezension von Sarah Dellmann

Gaye Suse Kromer:

Obszöne Lust oder etablierte Unterhaltung?

Zur Rezeption pornografischer Filme.

Hamburg: Diplomica Verlag 2008.

232 Seiten, ISBN 978-3-8366-6730-2, € 39,50

Abstract: Die Autorin befragte vier Männer und vier Frauen zu ihrer Pornografienutzung und ihren Rezeptionserfahrungen mit dem pornografischen Film Adrenalin (Italien 2003). Selbst nach Maßstäben einer Qualifikationsarbeit überzeugen die Überblickskapitel zu Rechtsgrundlagen, Definition und Geschichte des pornografischen Films, zur theoretischen und fachlichen Verortung nicht; diese werden später auch nicht auf die Interviews bezogen. Den Hauptteil stellen die Interviews dar. Der Autorin gelingt es nur teilweise – so bei der Entwicklung der Leitfragen –, stringente Kategorien für die Auswertung der qualitativen Interviews zu entwickeln. Die im Anhang des Buches abgedruckten Interviews stellen eine interessante Quelle für die Erforschung der Rezeption pornografischer Filme dar.

„Wie gehen Rezipienten mit dem Faktor Vergnügen, den (historischen) Diskursen und den Geschlechterrollen im pornografischen Film um?“ (S. 51) In einer qualitativen Untersuchung für eine Abschlussarbeit im Fach Medienwissenschaften befragte Kromer vier Männer und vier Frauen zu ihrer Pornografienutzung im Allgemeinen und ihrer Rezeption des pornografischen Filmes Adrenalin (Italien 2003) im Besonderen.

Auf das Eröffnungskapitel, in dem Rechtsgrundlagen, Definitionen, die Geschichte des pornografischen Films und dessen Thematisierung in den Cultural Studies sowie die Positionen der PorNO-Bewegung referiert werden, folgt der Leitfaden für die Interviews. Den Großteil des Buches nehmen die Auswertung der Interviews und die transkribierten Interviews im Anhang ein.

Der Autorin gelingt es nur teilweise, stringente Kategorien für die Auswertung der qualitativen Interviews zu entwickeln und die theoretische Vorarbeit auf diese Auswertung sinnvoll zu beziehen. Zwar entwickelt sie Leitfragen, diese sind jedoch weder theoretisch begründet, noch ergeben sie sich aus den vorhergehenden Ausführungen. Die Interpretation der Interviews nimmt Bezug auf die Leitfragen, aber reflektiert nicht, ob die gewählte Methode ertragreich war.

Aufbau

Die Arbeit beginnt mit einem Überblick über Definitionen der Pornografie und des pornografischen Films. Kromer entscheidet sich für die Definition Werner Faulstichs, demnach der pornografische Film „sexuelle Handlungen explizit detailliert, fiktional wirklich und szenisch narrativ“ (S. 10) darstelle. Im weiteren Verlauf der Untersuchung kommt Kromer auf die eingeführte Unterscheidung von erotischem Film, Softcore- und Hardcore-Pornografie, die beschriebene aktuelle Gesetzeslage oder die Definition Faulstichs nicht mehr zurück. Die Ausführungen zur Geschichte des pornografischen Films, zu Pornografie in anderen Medien und zu Pornografie in der abendländischen Geschichte tragen nichts zur Forschungsfrage bei. Die Definition, der fachliche und historische Kontext und die spätere Wahl der Methode werden dabei nicht aufeinander bezogen. Kromer resümiert mit Faulstich: „Pornografie ist demnach eine Form von Kultur, nicht mehr und nicht weniger. Sie ist eine von vielen Variablen in der (Medien-)Kultur. Diese These eröffnet damit die Möglichkeit einer weniger emotionalen Diskussion.“ (S. 18). Hier differenziert Kromer nicht zwischen Form und Inhalt und erschwert somit, bestimmte Inhalte oder Darstellungsarten zu kritisieren, ohne Pornografie als solche abzulehnen. Dies wäre jedoch für die Einordnung der durchaus differenzierten Positionen der Proband/-innen von Vorteil gewesen.

Als rotes Tuch dient ihr der Slogan „Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung ist die Praxis“. Der dieser Aussage zugrundeliegende Behaviourismus wird von ihr diskussionslos zurückgewiesen – und damit zugleich die komplexere Frage nach dem Verhältnis zwischen Fiktion und Realität, nach Entsprechungen zwischen realen Machtverhältnissen und in einer Gesellschaft existierenden Phantasien gar nicht erst gestellt. Die Reduktion feministischer Auseinandersetzungen um Pornografie auf die PorNO-Kampagne ließe sich vielleicht begründen, wenn es Kromer nur darum ginge, die Proband/-innen zu befragen, ob sie diesen Slogan kennen. Verspricht man jedoch, eine Debatte zu referieren, so wäre ein Hinweis auf die Gegenargumente angebracht.

Der Verweis auf Crossover-Filme, d. h. Filme, die sexuell explizite Szenen enthalten, ansonsten aber den Konventionen anderer Genres folgen, dient ihr als Beleg für die Einordnung des pornografischen Films in die Populärkultur, was wiederum als Begründung für die Einordnung der Arbeit in die Cultural Studies dient – möglicherweise sollte dies helfen, Filme als Untersuchungsgegenstand zu begründen; der eigentliche Untersuchungsgegenstand sind jedoch die Interviews, d. h. die Rezeption des Filmes, nicht der Film selbst.

Die Interviews

Im qualitativen Teil möchte Kromer überprüfen, ob und an welchen Punkten die Proband/-innen Vergnügen an dem ausgewählten Film Adrenalin finden. „Die ausgeführten Praktiken sind die für einen heterosexuellen Zuschauerkreis üblichen: analer/vaginaler Geschlechtsverkehr, Fellatio und Cunnilingus, Gruppen- und Paarsex. […] Obwohl der Film verhältnismäßig viel Dialog aufweist […] und der Film somit auf ein weibliches Publikum setzt, enthält Adrenalin alle Ingredienzien, die besonders für männliche Konsumenten einen Anreiz zum Kauf bzw. Leih bieten soll: teure Autos, bereitwillige Frauen, nicht domestiziertes ‚machohaftes‘ Verhalten.“ (S. 61 f.).

Methodisch wählt Kromer dafür das „fokussierte Interview“, da es „weniger um die Entwicklung bzw. Generierung einer Hypothese geht, […] sondern vielmehr um die Falsifizierung/Verifikation einer Hypothese bzw. Überprüfung einer Fragestellung – wie im vorliegenden Fall“ (S. 54). Genau das macht Kromer jedoch nicht: Die eingangs erwähnte Forschungsfrage kann schon logisch nicht falsifiziert werden – und führt zu Thesenbildung: Im Fazit schließt Kromer, dass Pornografie dem „evasivem Vergnügen“ der Rezipient/-innen diene, die PorNO-Debatte so gut wie unbekannt sei und Geschlechterrollen als zu stereotyp wahrgenommen werden (vgl. S. 144–148).

Zur Auswertung der Rezeption wählt Kromer die Termini Stuart Halls: „favorisierte Lesart“, „ausgehandelte Lesart“ und „oppositionelle Lesart“, bezieht sich in der Rekonstruktion jedoch nur auf zwei Werke der Sekundärliteratur (Andreas Hepp: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden 2004; Andreas Hepp, Rainer Winter [Hg.]: Kultur – Medien – Macht. Cultural Studies und Medienanalyse. 3. Aufl. Wiesbaden 2006). Die Ausführungen zu Stuart Halls Encoding/Decoding-Modell sind unmotiviert, weil die Klärung des Kommunikationsschemas für die Interviews irrelevant ist und die im Modell thematisierten Einflüsse der Rezipient/-innenseite über die Kategorie des Vergnügens auf die Produktionssphäre in der Arbeit keine Anwendung finden. Stuart Hall skizziert in diesem Modell die Wechselwirkungen von Produzent/-innen und Reproduzent/-innen in medial vermittelten Kommunikationsprozessen. Mit der These, dass Vergnügen, Wahl und Aneignung der Rezipient/-innen auf die Produktion kultureller Produkte zurückwirken, lieferte Hall eine komplexere Beschreibung des Kommunikationsprozesses als das bis dahin gängige Produktions-Distributions-Konsumptions-Modell, indem Rezipient/-innen als passiv und machtlos charakterisiert werden.

Kromer befragt die Proband/-innen nach ihrer Einschätzung zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Pornografie. Hier findet sie heraus, dass der Pornografiekonsum unabhängig von Kindheitserfahrungen stattfindet und für vier der Proband/-innen schambehaftet ist. Des Weiteren fragt Kromer nach der Bedeutung, die die Proband/-innen den dargestellten Geschlechterrollen beimessen. Geschlechterübergreifend wünschen sich sechs der Proband/-innen in Pornos „Sex, den alle genießen“ (S. 121). Kromer resümiert: „Die Gender-Positionierung von Adrenalin erkannten alle Probanden, wobei sie überwiegend abgelehnt wird mit der Begründung, die Darstellung von untergebenen Frauen und bestimmenden Männern sei nicht mehr zeitgemäß.“ (S. 146)

Fazit

Kann man in einer Qualifizierungsarbeit darüber hinwegsehen, dass Theorien und Analysekategorien nur referiert, nicht aber eigenständig weiterentwickelt werden, so muss sich die Autorin dennoch fragen lassen, wie sie die überheblich anmutenden Interpretationen des Interview-Materials begründet. Da vermutet sie, dass Pornografie einer Probandin „vielleicht auch als Hilfe, um zu einer neuen, gefestigteren Position als Frau zu finden“, (S. 70) dienen könne. Einem anderen Probanden attestiert sie eine „unsichere Gender-Indentität“ (S. 134), nachdem dieser sich positiv darauf bezieht, dass Männer nicht immer nur aktiv und Frauen nicht immer nur devot sein müssen. Zu diesen Interpretationen kann nur gelangen, wer sich dazu versteigt, die positive Bezugnahme auf das stereotype Verhalten im Film als Hinweis auf eine stabile Geschlechtsidentität zu nehmen.

Eine weitere Probandin, die regelmäßig Pornografie nutzt, brach die Sichtung nach der Hälfte des Films verärgert ab und kommentierte: „Man kann doch nicht mit seinem Chef ins Bett gehen und dann so tun, als ob nichts gewesen wäre“ (S. 77), was für Kromer der Beleg dafür ist, der Probandin die Trennung zwischen Realität und Fiktion abzusprechen und ihr ebenfalls eine nicht gefestigte Gender-Identität zu attestieren (vgl. S. 77 f.).

Die im Anhang des Buches abgedruckten Interviews sind eine interessante Quelle; hier reflektieren die Proband/-innen ihre eigenen Haltungen zu Pornografie und ihren Rezeptionserfahrungen. Dem Anspruch, eine „Ergänzung der wenigen wissenschaftlich fundierten Analysen zur Rezipientenforschung und Pornografie“ (Klapptext) zu liefern, wird die Arbeit jedoch nicht gerecht.

Die Publikation wirft kein gutes Licht auf das Lektorat des Verlages; Satz und Gestaltung der Fußnoten sind nicht einheitlich, der Schriftgrad sehr klein gewählt, so dass das Lesen mühsam ist. Auch hätte die Arbeit durch Kürzung sicherlich an Lesbarkeit und Stringenz gewonnen.

URN urn:nbn:de:0114-qn111095

Sarah Dellmann

Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

E-Mail: kaegifret@web.de

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