Paula Villa, Barbara Thiessen (Hg.):
Mütter – Väter: Diskurse, Medien, Praxen.
Forum Frauen- und Geschlechterforschung. Band 24.
Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2009.
341 Seiten, ISBN 978-3-89691-224-4, € 34,90
Abstract: Die vielseitigen Beiträge des Sammelbandes lassen deutlich werden, dass die Bilder von Geschlechterrollen und Elternschaft sowie die medialen Angebote hierzu und die Alltagspraxis von Frauen und Männern sich gegenseitig beeinflussen, aber keinesfalls deckungsgleich sind. Im Gegenteil, die mannigfaltigen Widersprüche treten umso deutlicher hervor, je mehr die gesellschaftlichen und individuellen Anforderungen auseinanderklaffen, die sich aus den unterschiedlichen Konstruktionen von Elternschaft ergeben. Zwar haben sich die Geschlechterrollen verändert, so dass die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten gewachsen sind, ein struktureller gesellschaftlicher Wandel aber hat sich noch nicht vollzogen.
Mütter bilden ebenso wie Väter keine homogene Gruppe. Die Begriffe bezeichnen lediglich gesellschaftliche Konstruktionen, die kontinuierlich ausgehandelt werden. Die Rahmenbedingungen und der individuelle Spielraum ändern sich fortwährend. Auch greifen die Medien heute die Vielfalt von Elternschaft und die Pluralisierung von Lebensformen stärker auf als früher. Wie Menschen ihre Elternschaft leben, wie sie diese und die gesellschaftlichen Kontexte reflektieren, wie Akteurinnen und Akteure in den Medien unterschiedliche alltägliche Praxen von Mutter- und Vaterschaft vereinfachen und was dabei aus dem Blick gerät, das wird im vorliegenden Sammelband untersucht.
Die Herausgeberinnen Paula-Irene Villa und Barbara Thiessen haben dem Buch eine Einleitung vorangestellt und führen darüber hinaus auch in dessen vier Kapitel jeweils kurz ein. Dabei fassen sie die einzelnen Beiträge zusammen, die ursprünglich für eine internationale Konferenz, die im Oktober 2007 in Hannover stattfand, erarbeitet und dort vorgetragen worden sind. Das erlaubt es den Leserinnen und Lesern, sich schnell einen Überblick über die zentralen Inhalte zu verschaffen. Hier soll nur exemplarisch auf einige Artikel und ihre zentralen Ergebnisse hingewiesen werden; aber wer den Band zur Hand nimmt, sollte sich keine der Analysen entgehen lassen.
Das erste Kapitel trägt den Titel „Erzählen und Zugreifen: Geschlechterpolitiken“ und enthält für den Band grundlegende gesellschaftspolitische Überlegungen. Raewyn Connell zeigt in ihrem Beitrag „The neoliberal parent“, wie der Neoliberalismus die Vorstellungen von Geschlechterrollen und -beziehungen verändert hat. So habe die gesellschaftliche Umgestaltung im Zeichen des freien Marktes die hegemoniale männliche Position in der Familie vielerorts in Frage gestellt, etwa durch die gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen und ihren erweiterten Zugang zu unterschiedlichen Berufen. Die gesellschaftliche Hierarchie zwischen den Geschlechtern sei dabei jedoch nicht aufgehoben worden, wie etwa das Fehlen von Frauen in den Führungsetagen belege. Die Macht des Ökonomischen beeinflusse auch die sozialen Muster von Mutter- und Vaterschaft. Diese unterscheiden sich, je nachdem zu welcher sozialen Klasse die Eltern gehören und wo auf der Welt sie leben, wie Connell anhand eines Verweises auf Chile verdeutlicht. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch der Beitrag von Ulrike Popp, die paradoxe Familienleitbilder in Alltagsdiskursen in Österreich analysiert und den Nachweis dafür liefert, wie sehr Geschlechternormen unbewusst wirken.
Gleich mehrere Autorinnen beschäftigen sich mit der medialen Debatte um Eva Herman, die längst zum Kanon der von der Geschlechterforschung untersuchten Diskurse zählt: Heike Kahlert arbeitet die Widersprüchlichkeiten in Hermans Das Eva-Prinzip (2006) und in anderen Sachpublikationen von Angehörigen der kulturellen Elite heraus, in denen der Bevölkerungsrückgang in den meisten Ländern Europas mit den sich wandelnden Geschlechterrollen in einen Zusammenhang gestellt und als Bedrohung inszeniert werde, ohne dass dessen tatsächliche Komplexität auf der Basis wissenschaftlicher Erklärungsmodelle offengelegt werde. Kahlert entlarvt, wie die Autorinnen und Autoren jeweils biologistische Argumentationen und damit unvereinbare konstruktivistische Erkenntnisse vermischen, um daraus ihre politischen Forderungen abzuleiten.
Die Strategien der medialen Inszenierung von Eva Hermans Thesen und die Folgen für den Diskurs um Elternschaft zeichnen Elisabeth Klaus und Martina Thiele nach. Ihr Fazit: Indem konservative Publizistinnen und Publizisten ihre Auffassungen in verschiedenen Medien verbreiten und so tun, „als sprächen sie nur das aus, was ‚die schweigende Mehrheit‘ denkt“ (S. 87), „erweitern sie […] das Spektrum des öffentlich Sagbaren zu fundamentalistischen Positionen“ (ebd.). Positionen, die auf komplexen gendertheoretischen Annahmen und/oder gesellschaftskritischen feministischen Analysen beruhen, erreichen die Öffentlichkeit sehr viel weniger, kritisieren die Autorinnen. Sie lassen offen, woran das liegen könnte und wie das zu ändern wäre – das wäre sicherlich einen weiteren Artikel wert.
Im zweiten Kapitel „Handeln und Verhandeln: Elternschaften“ weist Karin Flaake in ihrem Beitrag nach, dass die ‚neuen Väter‘ Geschlechterbilder sowohl beeinflussen als auch von ihnen beeinflusst sind und dass diese Konstellation viel individuelle und paarbezogene Reflexionsarbeit erforderlich macht, um die Konflikte mit gesellschaftlichen Strukturen aufzufangen. Dasselbe gilt für gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen und ihre Kinder, wie Doreen Kruppa deutlich macht: Gleichberechtigte Arbeitsteilung müsse ausgehandelt werden, und die Tendenz zur Rollenübernahme gemäß der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern sei groß. Die heteronormativen Vorgaben würden die Familien belasten, sie gegenüber heterosexuellen Eltern und deren Kindern abwerten und sich so einmal mehr als Dimension gesellschaftlicher Hierarchisierung erweisen. In heterosexuellen Beziehungen dagegen gehe die Erweiterung der Rollen vor allem mit dem Verlust von Sicherheit einher, die durch die scheinbare Naturgegebenheit der traditionellen Rollen von Mutterschaft und Vaterschaft gewährleistet gewesen sei. Dies stelle eine Herausforderung für ein Elternpaar dar, etwa wenn der Mann sich für die Inanspruchnahme der Elternzeit am Arbeitsplatz rechtfertigen müsse und dies auch für ihn eine Bedrohung der Karrieremöglichkeiten bedeute – eine Erfahrung, die für die Frau weniger überraschend sein dürfte.
Die Beiträge in den beiden letzten Kapiteln „Suchen, Besetzen, Verschwinden: Väter“ und „Verewigen, Verflüssigen, Simulieren: Mütter“ belegen, dass zwar ein zunehmendes Aufbrechen der Rollenbilder zu beobachten ist, dies für die Praxis aber nur bedingt Folgen hat. Mehr Möglichkeiten zu erobern, bleibt weitgehend ein individuelles Projekt und ist dementsprechend gebunden an die sozialen Kategorien race und class. Einzelne Vorreiterinnen haben die Gleichstellung bereits vorangebracht, das macht Hoffnung – und auch einzelne Vorreiter haben ihren Beitrag geleistet und finden Nachahmer.
Das Buch ist eingängig geschrieben und unbedingt lesenswert. Es ist den darin versammelten Erkenntnissen zu wünschen, dass sie den akademischen Elfenbeinturm verlassen und den gesellschaftlichen Mainstream über andere Medien erreichen, um dort ihre politische Wirkung zu entfalten: Einschränkende gesellschaftliche Strukturen müssen aufgebrochen werden mit dem Ziel, eine freie Wahl zwischen vielen Lebensmodellen zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung dieses Ziels – ein nicht nur feministisches und gesellschaftskritisches, sondern humanistisches Projekt.
URN urn:nbn:de:0114-qn112033
Dr. Margret Karsch
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
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E-Mail: karsch@berlin-institut.org
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