Jacqueline Broad, Karen Green:
A History of Women’s Political Thought in Europe, 1400–1700.
Cambridge: Cambridge University Press 2009.
333 Seiten, ISBN 9780521888172, $ 99,00
Abstract: Im vorliegenden Sammelband werden überwiegend bekannte Autorinnen der Frühen Neuzeit – wie Christine de Pizan, Marie de Gournay oder Mary Astell – aus einem neuen Blickwinkel, dem der politischen Ideengeschichte, präsentiert. Die europäische Perspektivierung, die der Buchtitel suggeriert, fehlt indes, denn es handelt sich fast ausschließlich um englische und französische Autorinnen. Auch die Frage, welche Vorzüge eine frauen- gegenüber einer geschlechtergeschichtlichen Blickrichtung hat, wird nur unbefriedigend beantwortet. Das Buch erscheint insofern bestenfalls als eine erste Einführung in ein weiterhin dringend zu bearbeitendes Feld.
Während Anlässe, Gegenstände und Akteurinnen ‚weiblichen Schreibens‘ in der Frühen Neuzeit schon seit Jahrzehnten ein wichtiger Gegenstand feministischer literaturhistorischer Forschung sind, machen sich Politologinnen und politische Philosophinnen erst in den letzten Jahren auf, eine Geschichte des weiblichen politischen Denkens zu erschließen und nachzuzeichnen. Der vorliegende Band, verfasst von zwei australischen Autorinnen, ist insofern durchaus als eine Pionierleistung zu betrachten.
Studiert man allerdings das Inhaltsverzeichnis, dann fällt auf, dass sich die Autorinnenauswahl recht glatt in einen bereits gut etablierten Kanon ‚großer Frauen‘ der Frühen Neuzeit einfügt, wie ihn die feministische Forschung in den letzten dreißig Jahren sukzessive etablierte: Der Bogen reicht von Christine de Pizan über einige „Women of the Italian Renaissance“ – Isotta Nogarola, Cassandra Fedele und Laura Cereta – sowie die Renaissance-Fürstinnen Anne de Beaujeu, Marguerite de Navarre und Elizabeth I. von England bis zu Marie le Jars de Gournay, Madeleine de Scudéry, Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, und schließlich ihrer Landsmännin Mary Astell. Etwas weniger bekannt sind die Namen und Damen, die sich in den Kapiteln 6 und 10 („Women of the English civil war era“ und „Women of the Glorious Revolution“) sowie im Kapitel 11 („Women of late seventeenth-century France“) finden, aber Unbekannte sind auch diese nicht: etwa Prinzessin Elisabeth von Böhmen (1618–1680), die Korrespondenzpartnerin von Descartes und Tochter des sog. ‚Winterkönigs‘, des Pfalzgrafen Friedrich V., gewesen war, oder die Comtesse de La Fayette, Marie Madeleine Pioche de la Vergne (1634–1693), sowie Françoise d’Aubigné, spätere Madame de Maintenon (1653–1711), die morganatische Ehefrau Ludwigs XIV.
Da sich die fachlichen Kompetenzen der beiden Autorinnen klar auf die politische Ideen- und Geschlechtergeschichte Frankreichs und Englands in der Frühen Neuzeit beschränken, machen Autorinnen und Akteurinnen aus diesen beiden Ländern auch den bei weitem überwiegenden Teil der Darstellung aus – was die Verfasserinnen einleitend direkt ansprechen, ohne indes deutlich machen zu können, welche systematischen Ausgrenzungen und konzeptionelle Schieflagen diese Einseitigkeit bewirkt. Die Begründung ihrer Auswahl ist zunächst und vor allem pragmatisch: Es bedarf eines gewissen schriftlichen Nachlasses, damit eine Frau überhaupt in den Kreis der ‚women writers‘ aufgenommen werden konnte; dass sie sich explizit als ‚political thinker‘ dargestellt hat, erscheint den Verfasserinnen hingegen weniger essentiell. Hier liegt vieles im Blick der Betrachterin.
Der Reiz der Zusammenstellung liegt insofern weniger im Neuentdecken bislang völlig unbekannter Personen weiblichen Geschlechts und ihrer Werke, sondern vielmehr in dem bislang eher ungewohnten Interpretationsrahmen der politischen Ideengeschichte. Dieser ist, ähnlich wie die Philosophiegeschichte generell, bislang weitestgehend geschlechtsneutral; weit weniger als in der Literaturgeschichte konnte hier bislang durch die feministische Rekonstruktions- und Anerkennungsarbeit Terrain gewonnen werden, zumal das Feld des Politischen selbst bis heute als vorwiegend männlich markiert wahrgenommen und betrachtet wird, so dass sich hier gleichsam eine doppelte Marginalisierung von Frauen beobachten lässt, denen die beiden Autorinnen mit ihrer Initiative entgegenwirken wollen.
Der Fokus der Darstellung liegt dabei klar auf den Konzepten, Ideen und Argumenten und weniger auf den historischen Ereigniszusammenhängen und politischen Aktivitäten, die den Zeitraum zwischen 1400 und 1700 maßgeblich prägten. Hauptsächlich drei Aspekte sind den beiden Autorinnen besonders wichtig, wie sie in ihrer Einleitung hervorheben: Zum einen stellen sie fest, dass alle hier vertretenen Autorinnen sich ihres geschlechtsbedingten Außenseiterstatus bewusst waren – sie machten wohl deshalb in ihren Werken auch ausdrücklich Frauen als historische Akteure sichtbar. Zweitens lässt sich, beginnend mit der Renaissance, eine deutliche Kontinuität im Denken dieser Autorinnen feststellen; diese zeigt sich vor allem im Denken über politische Tugenden, über die religiöse Begründung politischer Autorität einerseits, der Ehe andererseits und schließlich über die jeweiligen Tugenden von Männern und Frauen. Des Weiteren, so betonen die Verfasserinnen, waren viele der Autorinnen sich durchaus der Tatsache bewusst, dass sie in einer ‚weiblichen Traditionslinie‘ standen; nicht wenige präsentierten sich gar als Teil einer weiblichen intellektuellen Tradition einer „female ‚republic of letters‘“, die u. a. auch biblische und religiös autorisierte Frauen, wie etwa die heilige Katharina, ohne weiteres mit einschloss (S. IX/X).
Allerdings schreiben wir nicht mehr das Jahr 1990, als die Frauengeschichte in all ihren Schattierungen auf dem Höhepunkt ihrer Legitimität und Produktivität war – und man kann und muss sich fragen, welche Bedeutung ein solcher Zugang zur Geschichte des politischen Denkens heute hat. Auch die beiden Autorinnen sind sich dieser Problematik bewusst. In ihrer Einleitung kommen sie deshalb auch knapp auf die ‚gender‘-Frage zu sprechen, die sie allerdings eher herunterspielen, wenn sie betonen, dass auch die meisten traditionellen Geschichten politischen Denkens sich ausschließlich auf ein Geschlecht, nämlich männliche Autoren konzentrieren (S. 2) – ein Argument, das allerdings differenzierter geschlechtergeschichtlicher Kritik nicht standhält. Produktiver und akzeptabler erscheint eine zweite Erläuterung der Verfasserinnen: Die Schriften und Ideen von Autorinnen sollten aufgrund ihrer kulturellen und sozialen Randstellung in diesem Feld zunächst mit anderen Autorinnen und deren Ideen verglichen werden; der systematische Vergleich mit männlichen Autoren, die ja immer auch als nahezu unangreifbare Autoritäten galten und z. T. bis heute gelten, sollte erst in einem zweiten Schritt geschehen.
Das schön gestaltete und auf teurem Papier gedruckte Buch, das sich vor allem als eine Einführung in dieses bislang noch wenig beackerte Feld versteht, lässt allerdings gerade hierbei etliche Fragen offen. So erscheint die Kapitelzusammenstellung, die im Wesentlichen ein Hin- und Herschwenken zwischen französischem und englischem Kontext in chronologischer Abfolge darstellt, nicht sehr glücklich. Es werden dadurch nämlich nationale Zusammenhänge ohne Not auseinandergerissen – wohl um einen ‚europäischen Kontext‘ zu suggerieren, der aber auf diese Weise, nämlich in der Addition zweier nationalgeschichtlicher Traditionslinien, nicht greifbar wird. Hierfür hätte es in der Tat einer eher systematischen Vorgehensweise bedurft, die sich dann ohne weiteres an den ‚großen Linien‘ der politischen Theoriegeschichte hätte orientieren können, ihr aber auch eigene, neue hätte hinzufügen dürfen: Neben der Begründung von Staatsräson und Absolutismus, neben Macchiavellismus und Anti-Macchiavellismus, Naturrechtsdebatte und Vertragstheorie usw. wären hierzu auch die ‚querelle des femmes‘ und die dort angelegte Frühgeschichte der Gleichheitsidee in Europa zu zählen, deren Geschlechtergeschichte ja noch längst nicht geschrieben ist.
URN urn:nbn:de:0114-qn111208
Prof. Dr. Claudia Opitz-Belakhal
Universität Basel
Historisches Seminar
E-Mail: opitz-belakhal@t-online.de
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