Widersprüchlichkeiten der Handlungsmacht im Sexbusiness

Rezension von Susanne Hofmann

Sheila Jeffreys:

The Industrial Vagina.

The Political Economy of the Global Sex Trade.

London: Routledge 2008.

264 Seiten, ISBN 978-0-415-41233-9, € 18,99

Abstract: Sheila Jeffreys analysiert die Prozesse, die zu einer Industrialisierung und Globalisierung von Prostitution im späten 20. und 21. Jahrhundert geführt haben. Hauptverantwortlich für die gegenwärtige Diskursverschiebung um Prostitution ist für Jeffreys zum einen die sexuelle Revolution der 1970er Jahre und zum anderen die massive Finanzierung von Unterstützer/-innen der Sexarbeiterinnen zur HIV-Prävention in den 1980ern. Jeffreys legt wie in früheren Arbeiten ihre radikal-feministische Position dar und fordert eine Abschaffung der Prostitution. In ihrer Abrechnung mit dem liberalen feministischen Diskurs, für den eine Unterstützung von Sexarbeiterinnen prioritär ist, ignoriert sie die Widersprüchlichkeiten und Komplexitäten der gelebten Realitäten. An vielen Stellen ihres Buches bekräftigt Jeffreys stereotypische Männlichkeitsvorstellungen, was durch einen Blick über den Tellerrand des ihr vertrauten wissenschaftlichen Bezugsrahmens hätte vermieden werden können.

Sheila Jeffreys will in ihrem Buch The Industrial Vagina demonstrieren, wie Prostitution als Geschäft globalisiert wurde. Sie kritisiert, dass das Sexbusiness an vielen Orten ein profitabler Marktsektor werden konnte, der legalisiert und entkriminalisiert worden ist. Nach Jeffreys Ansicht erleben wir in Zeiten der Globalisierung einen Boom in adult entertainment und Pornographie. In ihrem Buch analysiert sie die Prozesse, die zu einer Industrialisierung und Globalisierung von Prostitution im späten 20. und 21. Jahrhundert geführt haben. Jeffreys’ Monographie bezieht sich ausschließlich auf weibliche Prostitution und ignoriert somit männliche und transgender Sexarbeiter/-innen.

Industrialisierung der Prostitution

Jeffreys kritisiert, dass feministische Diskurse seit den 1980er Jahren Prostitution zunehmend weniger als eine Kommerzialisierung der Unterdrückung von Frauen (im Sinne der Sichtweise der ersten und zweiten Frauenbewegung) analysieren, sondern mehr und mehr als einen respektablen Marktsektor akzeptieren, in welchem Frauen zu erfolgreichen Unternehmerinnen werden können. Die Handlungsmacht von Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, und die Möglichkeit von rationalen und frei getroffenen Entscheidungen zur Prostitution, werden in der gegenwärtigen feministischen Literatur stärker hervorgehoben.

Jeffreys lehnt die Verwendung von Termini wie ‚Handlungsmacht‘, ‚Unternehmertum‘ und ‚rationale Entscheidung‘ im Bezug auf Prostitution ab, und bezeichnet dies als „neoliberale Sprache“ (S. 15), die in den 1980er Jahren von denjenigen NGOs eingeführt worden sei, welche – mit Regierungsgeldern finanziert – Sexarbeiterinnen und ihre Kunden über HIV und Kondomverwendung aufklärten. Seither sei diese „neoliberale Sprache“ auch in die feministischen Diskurse eingedrungen und dominiere dort das diskursive Feld (vgl. S. 15). Die „Sexarbeitslobby“, wie Jeffreys Sexarbeiterinnen und ihre Unterstützer/-innen aus aktivistischen und universitären Zusammenhängen nennt, sei durch die massive finanzielle Unterstützung, die sie erhalten habe, immer mächtiger geworden (vgl. S. 8). Die ‚Sexarbeitsposition‘ habe infolgedessen Einfluss auf die internationale Gesundheitspolitik gewonnen; Sexarbeiterinnen seien zu Expertinnen geworden, deren Aussagen und Beurteilungen sei Autorität zuerkannt worden.

Jeffreys unterscheidet Pornographie nicht von Prostitution, sondern verwendet die beiden Begriffe synonym. Dies unterstützt eine unglückliche Verkennung von Ermächtigungsprozessen, die innerhalb der Pornoindustrie in den vergangenen Dekaden stattgefunden haben. Sie lamentiert stattdessen, dass die sexuelle Revolution der 1970er Jahre zu einer Normalisierung der Pornoindustrie beigetragen habe, indem sie ‚Prostitution‘ als Medium der Grenzüberschreitung und Befreiung von überkommener bürgerlicher Sozialmoral erklärte (vgl. S. 63). Für Jeffreys ist die Pornoindustrie Hauptgewinnerin dieser revolutionären Diskursverschiebung (vgl. S. 65). Im darauf folgenden Jahrzehnt sei Pornographie im Westen zum kulturellen Mainstream geworden (vgl. S. 64).

Jeffreys weist darauf hin, dass sich traditionelle Formen der Prostitution aufgrund des Zusammenspiels von sich wandelnden gesellschaftlichen Diskursen und neuen wirtschaftlichen Bedingungen veränderten. Ebenso wie andere Geschäftsbereiche operiere die Sexindustrie nun global und habe Dienstleistungen in ärmere Länder, in denen die Löhne geringer sind, ausgelagert (vgl. S. 50). Es existiere ein transnationaler Markt für sexuelle Dienstleistungen, und sowohl Anbieterinnen als auch Käufer bewegten sich, angereizt von Reiseangeboten multipler Billigfluglinien, über nationale Grenzen hinweg.

Darüber hinaus hätten neue Technologien, wie VHS und später das Internet, zu einer vermehrten Nutzung von Pornographie geführt. Im Klima des „laissez-faire Freier-Markt-Individualismus“ (S. 65) der 1980er und 1990er Jahre sei eine immens profitable Industrie toleriert, legalisiert, in manchen Fällen von Regierungen reguliert worden und habe sich zum signifikanten Bestandteil von nationalen Ökonomien entwickelt (vgl. S. 130).

Verlust der radikal-feministischen Position

Jeffreys’ Monographie ist gekennzeichnet von Wehmut über den Verlust einer radikal-feministischen Position in der Debatte um Prostitution/Sexarbeit. Der Respektgewinn, den die Sexindustrie in den vergangenen Jahren erfahren habe, verdecke die sexuelle Ausbeutung von Frauen und den physischen und psychologischen Schaden, den sie dadurch erleben.

Die Verfügbarkeit von sexuellen Dienstleistungen sei für Männer eine Kompensation für den Statusverlust, den sie als Folge der Gleichstellung von Frauen im ‚Westen‘ erlitten hätten (vgl. S. 6). Hierbei ist kritisch anzumerken, dass Jeffreys Emanzipationsprozesse von Frauen im Europäischen und US-amerikanischen Raum verortet, den globalen Süden davon ausschließt und somit auf eine Rückschrittlichkeit festschreibt. Die Unterdrückung von Frauen sei nun ausgelagert worden in die Länder des globalen Südens. In The Industrial Vagina bekräftigt Jeffreys ihre radikal-feministische Position, die sie auch in früheren Texten dargelegt hat. Sie bekämpft die argumentative Unterscheidung zwischen erzwungener und freier Prostitution, weil dies gewisse Formen der Prostitution legitimiere. Diese Distinktion betrachtet sie als „die notwendige Fiktion, die der Normalisierung der Industrie zugrunde liegt“ (S.9).

Jeffreys macht in ihrer detaillierten Analyse des derzeit dominanten Diskurses über Sexarbeit darauf aufmerksam, wie stark neoliberale Vorstellungen in ihm wirksam werden, und dies auch und insbesondere dort, wo er von einer Mehrheit von Feministinnen in und außerhalb der Universitäten getragen wird. Die Betrachtung von Sexarbeit als legitimer Form der Arbeit, welche Frauen Handlungsfähigkeit erlaubt und Chancen zu Selbstrealisation und Empowerment bietet, fuße auf einer liberalen Idee vom Individuum, welches über Entscheidungsfreiheit verfügt und rationale Entscheidungen trifft.

Die Vorstellungen von Wahlfreiheit, Handlungsmacht und freiem Unternehmertum entstammen in der Tat einer liberalen Denktradition. Allerdings übersieht Jeffreys, dass dieser liberale Diskurs derzeit vor allem von den Sexarbeiterinnen, welche die Möglichkeit hatten, sich in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, verfochten wird. Warum Sexarbeiterinnen selbst dazu tendieren, liberale Vorstellungen zu vertreten, wäre eine Frage, welche die Debatte eventuell mit neuen Erkenntnissen bereichern würde. Doch die Stimmen von Sexarbeiterinnen selbst sind in Jeffreys’ Monographie kaum repräsentiert.

In Jeffreys’ Analyse von Sexarbeit wird die Komplexität der Verstrickungen von Macht und Handlungsfähigkeit in der neoliberalen Ära zugunsten einfacher Erklärungsmuster ignoriert: Die Handlungsmacht von Sexarbeiterinnen ist in komplexer Weise verschränkt mit der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen. Jeffreys führt die Existenz der Sexindustrie einzig auf das „männliche Recht auf Sex“ (S. 27) zurück und ignoriert die Perspektive von Sexarbeiterinnen, welche dieses patriarchalische Privileg zu ihrem eigenen Gewinn umlenken. Die traditionelle radikal-feministische Forderung nach Abschaffung des männlichen Privilegs der Verfügbarkeit von sexuellen Dienstleistungen macht wenig Sinn aus der Perspektive von Sexarbeiterinnen, deren Lebensgrundlage auf dem Verkauf dieser Dienstleistungen aufbaut. Sexarbeit ist eine Ressource, die sich Frauen, welche wenig attraktive Optionen der Erwerbstätigkeit zur Verfügung haben, aneignen. Daher halten Frauen daran fest und kämpfen mit Eifer um die Entkriminalisierung ihrer Industrie.

Jeffreys’ Position steht der von organisierten Sexarbeiterinnen diametral gegenüber. In ihrer Analyse der globalen Sexindustrie taucht ein Gewinn auf Seiten der Sexarbeiterinnen nicht auf. In The Industrial Vagina sind Frauen nur als Opfer von globalen kriminellen Netzwerken und Nationalstaaten, die als Zuhälter fungieren, präsent. Die Strategien und Zugewinne der Sexarbeiterinnen werden dabei unsichtbar gemacht.

Stattdessen wäre eine Unterscheidung der Zugewinne auf materieller Ebene einerseits und auf symbolischer Ebene andererseits sinnvoll gewesen: Die Handlungsmacht von Sexarbeiterinnen erlaubt ihnen, materielle Gewinne zu machen, welche vielen Frauen ermöglicht, sich eine Basis für ein besseres Leben zu schaffen. Männliche Dominanz und das damit verbundene Privileg auf die Verfügbarkeit und Objektivierung weiblicher Körper wird allerdings durch diese Arbeit nicht erschüttert.

Im Beharren auf Abschaffung der Prostitution übersieht Jeffreys, dass Frauen sich die Objektivierung ihrer Körper angeeignet und für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert haben. Jeffreys’ einseitige Perspektive auf Sexarbeit kommt zustande, weil sie die ökonomischen Zwänge von Frauen nicht mit einbezieht. Eine Zunahme der Sexarbeit im Zeitalter der Globalisierung hängt für sie einzig mit einer ansteigenden Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zusammen (vgl. S. 175). Sie ignoriert dabei, dass immer mehr Frauen in die globale Sexindustrie hinein streben, da Globalisierungsprozesse keine attraktiven Erwerbsmöglichkeiten für Frauen geschaffen haben. Jeffreys verschweigt zudem, dass die Normalisierung der Sexindustrie und damit die Wegentwicklung von einem kriminellen Milieu an vielen Orten dazu geführt hat, dass diese Industrie sicherer und gleichberechtigter geworden ist.

Was bleibt als Strategie?

Als Handlungsimperativ schlägt Jeffreys vor, eine neue legislative Konvention auf internationaler Ebene zu erarbeiten, welche den Kauf von sexuellen Dienstleistungen bestraft und den Verkauf davon entkriminalisiert (vgl. S. 201). Sie ist überzeugt, dass eine Kriminalisierung der Nachfrage die Prostitution beenden wird, da „die Bestrafung einen normativen Effekt hat, welcher Männern das selbst gegebene Recht, Frauen zu kaufen, verwehrt“ (S. 203). Jeffreys ist damit eine Befürworterin des viel diskutierten „Schwedischen Modells“, welches von Sexarbeiterinnen dafür kritisiert worden ist, dass es Prostitution in den Untergrund und ins Ausland dränge. Darüber hinaus bringt Jeffreys’ Ansatz zur Niederschlagung der globalen Sexindustrie nicht viel Neues: Ausstiegsprogramme für Sexarbeiterinnen bei Garantie von materieller Unterstützung, Fortbildungsprogramme und Hilfe bei der Suche nach Erwerbstätigkeit. Zusätzlich sollen Erziehungsmaßnahmen für Jungs und Freier der Nachfrage von sexuellen Dienstleistungen entgegenwirken.

Neoliberale Ambivalenzen

Jeffreys’ Beitrag merzt die Komplexitäten und Widersprüche aus, in denen sich sowohl Sexarbeiterinnen als auch diejenigen Wissenschaftler/-innen, die versuchen, deren gelebte Realitäten zu interpretieren, befinden. Es wäre konstruktiver gewesen, die Ambivalenzen, in welche globale neoliberale Politik die Subjekte hineinbringt, zu veranschaulichen und zu diskutieren. Der Versuch, sie auszuradieren, muss scheitern.

Jeffreys hat kaum wissenschafts-politische feministische Verbündete mehr, was sichtbar wird in der Repetition einiger weniger Referenzen von radikal-feministischen Autorinnen und in der massiven Selbstzitierung. Jeffreys demonstriert zwar, dass sie die Bandbreite der empirischen Arbeiten zu Sexarbeit aus liberal-feministischer Perspektive gelesen hat, allerdings diskreditiert sie dieselben ausnahmslos. Stattdessen stützt sie ihre Argumentation auf journalistische Materialien und Quellen von internationalen Organisationen wie der UN oder ILO. Dass sie es vermeidet, auf die Erzählungen von Sexarbeiterinnen und damit auf die Diversität und Widersprüchlichkeit der gelebten Erfahrung einzugehen, führt zu einer Schieflage in ihrer Analyse.

Ihre Darstellung von Männern, die sexuelle Dienstleistungen erwerben, reproduziert darüber hinaus das Bild des hypersexuellen, gewalttätigen Mannes, womit Jeffreys traditionelle Männlichkeit essentialisiert. Ein Blick in die existierende Literatur über Freier hätte eine differenziertere und weniger monolithische Darstellung ermöglicht.

URN urn:nbn:de:0114-qn111070

Susanne Hofmann

Universität von Manchester

Doktorandin in Lateinamerikastudien an der Universität von Manchester in Großbritannien; Forschung zum Thema Migration und Sexarbeit an der Grenze zwischen Mexiko und den USA

E-Mail: susanne.hofmann@postgrad.manchester.ac.uk

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