Abstract: In diesem Artikel werden unterschiedliche metaphorische Verwendungen des Pornografiebegriffs und deren Implikationen untersucht. Während die Existenz von Pornografie der feministischen Anti-Porno-Bewegung als Erklärung für die anhaltende Diskriminierung von Frauen in westlichen Gesellschaften dient, nutzen rechtskonservative Kräfte den Pornografievorwurf als Rechtfertigung für die Zensur von als deviant empfundenen Identitäten und sexuellen Praktiken.
Im August 2009 wurde in Sambia die Journalistin Chansa Kabwela wegen der Verbreitung pornografischen Materials angeklagt – unter anderem vom Präsidenten des Landes, Rupiah Banda. Kabwela hatte Fotos an Hilfsorganisationen und politische Vertreter/-innen gesandt, die eine gebärende Frau von der Taille abwärts und den blutigen Torso des Säuglings zwischen ihren Beinen zeigen. Aufgrund eines Krankenschwestern-Streiks war diese Frau im Krankenhaus abgewiesen worden und hatte das Kind schließlich auf einer Plastikplane im Parkhaus des Krankenhauses zur Welt gebracht. Später hatte sie medizinische Betreuung erhalten, das Kind war jedoch gestorben. Die Familie der Frau hatte Fotos gemacht und an Kabwela weitergeleitet. Nicht die Bedingungen der Geburt oder der Tod des Säuglings lösten die Entrüstung von einigen Regierungs- und Polizeivertreter/-innen aus, sondern die Tatsache, dass Männer auf den Bildern das weibliche Genital sehen können (vgl. BBC-News 14.11.2009: Surreal Drama of Zambia ‚porn‘ trial, zuletzt gesehen 30.12.2009). Der angeblich pornografische Charakter, die Obszönität der Aufnahme, verändert den Inhalt des Bildes, verschiebt den Schauplatz. Wenn hier kein Tod zu sehen gegeben wird, sondern das weibliche Genital, dann muss weggesehen werden, dann wird das Leid nicht betrachtet, und niemand muss Verantwortung für den Verlust übernehmen.
Nun wäre es allzu leicht, diesen Fall als Beispiel für die ‚Unzivilisiertheit der Anderen‘ abzutun und sich dadurch der eigenen westlichen Zivilisiertheit rückzuversichern. Doch auch in westlichen Gesellschaften dient der Pornografievorwurf als Politikum, als Mittel der Zensur gegenüber ‚devianten‘ Identitäten und Praktiken. Im Spätsommer 2009 wurde Simon Burgess, Lehrer für Photographie am East Surrey College in England, mit Disziplinarmaßnahmen gedroht, weil er einer Studentin die Fotografien von Del LaGrace Volcano für eine Arbeit über sex und gender empfohlen hatte. Del LaGrace thematisiert in seinen Arbeiten unter anderem Hermaphroditismus, queere Sexualität und Geschlechternormen. Die Schulleitung hielt die Arbeiten des queeren Künstlers für pornografisch, anzüglich und unangemessen für Studierende im zweiten Jahr. Burgess hat inzwischen im Einvernehmen mit der Schulleitung seine Stellung aufgegeben. Auch in diesem Fall führte der Vorwurf der Pornografie zu einer Verschiebung des Schauplatzes für die Umsetzung heteronormativer und homophober Politiken.[1]
Wie die Beispiele zeigen, wird der Pornografievorwurf heute oftmals als strategisches Argument zur Absicherung konservativer, patriarchaler und homophober Politiken eingesetzt. Aber auch einer Gruppe von Feminist/-innen dient das Thema Pornografie seit vielen Jahren als wesentlicher Schauplatz für den ‚Geschlechterkampf‘. In den folgenden Ausführungen möchte ich zeigen, dass dies ein verschobener Schauplatz ist, auf dem sich der Vorwurf gegen Pornografie nicht allein auf deren Obszönität bezieht. Denn Pornografie wird von ihren Gegner/-innen nicht als Darstellung einer Phantasie, sondern als performatives Medium verstanden, welches Geschlechterverhältnisse produziere – statt sie abzubilden. Judith Butler hat bereits in Haß spricht in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, ob die Figur einer souveränen Performativität das Gefühl eines Machtverlustes kompensiere (vgl. Butler 2006, S. 118). Es ist meiner Ansicht nach diese Angst vor dem Verlust der Macht und der eigenen Daseinsberechtigung, welche feministische und rechtskonservative Kräfte in ihrem metaphorischen Gebrauch des Pornografiebegriffs verbindet. Diese Verbindung erkannte Lynne Segal schon vor einigen Jahren, als sie schrieb: „And however vigorously we hear it denied, Dworkin’s and McKinnon’s alliance with the moral rights is well documented“ (Segal 1999, S. 29).
Ich möchte Segals Vorwurf hier aufgreifen und anhand der deutschen Anti-Porno-Bewegung überprüfen. Dabei sollen die nicht immer offensichtlichen und häufig ambivalenten Implikationen feministischer Anti-Porno-Argumentationen sowie ihre Überschneidungen mit rechtskonservativen Politiken deutlich werden, so dass sich aus diesen Erkenntnissen am Ende wiederum notwendige Konsequenzen für zukünftige feministische und queere Pornografiedebatten ableiten lassen. Dazu werde ich zunächst die Grundlagen dieser Bewegung, ihren politischen Kontext und die Annahme, dass Pornografie die Würde von Frauen verletzt und sie zum „ewigen“ Opfer macht, kritisch rekapitulieren. Es soll deutlich werden, wie bereits die Grundideen der Bewegung entlang der heterosexuellen Matrix strukturiert sind. Auch hier dient ‚Pornografie‘ als Metapher für das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern. Abschließend werde ich auf die politischen Dimensionen der deutschen Anti-Porno-Bewegung in den vergangenen Jahren eingehen und gegen eine metaphorische Verwendung des Pornografiebegriffs plädieren, da erst dann die dahinter stehenden Politiken identifiziert werden können.
Zu Beginn der 1960er Jahre verknüpfte die Neue Frauenbewegung die Forderung nach einem Recht auf weibliche Lust und Orgasmen mit jener nach dem Schutz vor ungewollten Schwangerschaften und dem Recht auf Abtreibung (vgl. Ferguson 1984, S. 106). Ende der 1970er Jahre setzte sich jedoch unter einem Großteil der Feminist/-innen die Ansicht durch, dass männliche und weibliche Sexualität grundsätzlich verschieden seien. Der aggressiven, aktiven, männlichen Sexualität wurde eine liebevolle, zarte und vor allem egalitäre weibliche Sexualität entgegengesetzt (vgl. Segal/McIntosh 1992, S. 4). Radikale Feministinnen gingen so weit zu behaupten, dass Elemente von Vergewaltigung inhärente Teile einer jeden heterosexuellen Beziehung seien (vgl. Segal/McIntosh 1992, S. 3 f.). Erst die Erkenntnis des grundlegend repressiven Charakters von heterosexuellen Geschlechtsakten führte in den frühen 1980er Jahren zu einer Betonung von Gefahren und Gewalt in heterosexuellen Institutionen wie der Pornografie. War die Kritik an Pornografie in den ersten Jahren der Neuen Frauenbewegung ein Teilaspekt der breiteren Diskussion um Marginalisierung und Benachteiligung von Frauen, so rückte sie mit der Gründung von Organisationen wie Women against Violence and Pornography in the Media und Women against Pornography in das Zentrum feministischer Diskussionen (vgl. Rubin 1993, S. 18) und wurde in den 1980er Jahren zum bestfinanzierten und öffentlichkeitswirksamsten Aspekt feministischer Politiken (vgl. Segal 1999, S. 28). Inspiriert von der amerikanischen Bewegung und ihren Vorreiterinnen Andrea Dworkin und Catherine McKinnon verklagte Alice Schwarzer 1978 gemeinsam mit neun anderen Frauen das Magazin Stern aufgrund sexistischer Titelbilder. 1988 folgte die Initiative für eine Gesetzesänderung, die es Frauen ermöglicht hätte, zivilrechtliche Klage zu erheben und damit Urheber/-innen und Verkäufer/-innen von pornografischem Material zu belangen. Zur gleichen Zeit wurde eine solche rechtliche Regelung in Kanada unter anderem von Dworkin und McKinnon durchgesetzt, und wie viele befürchtet hatten, war es vor allem schwule und lesbische Pornografie, die auf dieser Grundlage verboten wurde (vgl. Williams 1995, S. 17 ff.). 2007 folgte dann die dritte und bisher letzte PorNo-Kampagne der EMMA, diesmal mit dem Slogan „Pornographie ist Gewalt“.
Bemerkenswert ist, dass diese Anti-Porno-Kampagnen Pornografie nicht unter dem Aspekt der Obszönität – als einer Verletzung der Moral –, sondern unter dem der Verletzung der Menschenwürde bewerten. So richtet sich der Gesetzesentwurf von 1988 gegen die „entmenschlichende Darstellung von Menschen weiblichen Geschlechts“ (Schwarzer 2007a, S. 84), das heißt, die abstrakte Verletzung einer herrschenden moralischen Vorstellung in der Gesellschaft wird als entscheidendes Kriterium durch die konkrete Verletzung der Integrität eines Subjekts ersetzt. Vermeintlich ermöglicht die Betonung der subjektiven Integrität ein Entkommen aus der Verwicklung mit gesellschaftlichen Normierungsprozessen, welche die Vorstellungen von Moral strukturieren. Doch es wird übersehen, dass auch die Definition dessen, was als menschlich und damit als verletzbar gilt, durch Normen bestimmt ist und nicht jedes Individuum einbezieht und deshalb auch nicht unhinterfragt als universales Recht behauptet werden kann. Für das Verständnis von Pornografie bedeutet dies, dass sie nicht einfach als eine Form der Darstellung des Geschlechtsaktes zur Stimulierung der Zuschauer/-innen gilt, sondern ihr eine eindeutige, performative Wirkung unterstellt wird: Pornografie ist Produkt männlicher Macht und weiblicher Ohnmacht und (re-)produziert beides zugleich.
Eine solche Machtverteilung ist in dieser Lesart nicht im biologischen Geschlecht, sondern in den aufgezwungenen Geschlechterrollen angelegt. An Simone de Beauvoirs „man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es“ (de Beauvoir 2005, S. 334) anknüpfend, sieht Alice Schwarzer in der kulturellen Prägung von Geschlecht eine männliche Macht am Werk, welche den biologischen Unterschied zwischen den Geschlechtern als Rechtfertigung für die Unterdrückung heranzieht. Zwar hält sie bereits 1974 fest, dass auch Männer in ihren Geschlechterrollen gefangen seien und damit Opfer des heterosexuellen Geschlechtersystems, Frauen jedoch seien „noch die Opfer der Opfer“ (Schwarzer 1992a, S. 180). Wenn sie dann schreibt: „Doch auch unter den Frauen sind noch längst nicht alle gegen Pornografie. Das ist schon befremdlicher. Denn sie gehören zur Kategorie der Opfer. Ob sie wollen oder nicht“ (Schwarzer 1992b, S. 46), so wird die Überblendung von heterosexuellem Geschlechtersystem und Pornografie offensichtlich.
Auch wenn Schwarzer jeden Biologismus ablehnt, so ist ihre Argumentation dennoch deterministisch, da es aus der kulturellen Geschlechterzuschreibung kein „Entkommen“ gibt (vgl. Schwarzer 1992a, S. 193) und die Kohärenz zwischen biologischem Geschlecht und kulturell geprägter Geschlechtsidentität nicht gebrochen wird. Geschlecht wirkt dabei als universale Unterdrückungskategorie, wenn Schwarzer schreibt: „Nichts, nicht Rassen- oder Klassenzugehörigkeit, markiert uns so wie unsere Geschlechtszugehörigkeit“ (Schwarzer 1992a, S. 193). Historisch unterschiedliche Konstruktionsweisen von Geschlecht werden dabei ebenso ausgeblendet wie andere identitätskonstituierende Modalitäten. Der Preis ist die Reduktion von Menschen auf ihr Geschlecht und dessen Organisation entlang binärer Geschlechterkategorien und damit die Reproduktion der heterosexuellen Matrix. Die Verteilung der Macht zwischen den Geschlechtern bestimmt der heterosexuelle Geschlechtsakt; so ist für Andrea Dworkin die „sexuelle Macht der Männer die Grundsubstanz der Kultur“ (Dworkin 1987, S. 33). Und bei Alice Schwarzer heißt es noch deutlicher: „Ganz offen geht es bei den diktierten sexuellen Normen um die Unterwerfung der Frau und die Machtausübung des Mannes“ (Schwarzer 1992a, S. 195). Es wird demnach nicht nur eine Kohärenz zwischen sex und gender imaginiert, diese steht darüber hinaus im deterministischen Wechselverhältnis mit dem Begehren und der sexuellen Praxis. In diesem Machtverständnis ist keinerlei Flexibilität der Positionen denkbar. Machtstrukturen sind nicht im foucaultschen Sinne produktiv, komplex und dezentriert, sondern einseitig von oben nach unten gerichtet. Dieses Machtverständnis mag dabei dem politischen und gesellschaftlichen Kontext der 1980er Jahre geschuldet sein.
Vor allem der Westen war in den 1980er Jahren zunehmend von einer neoliberalen Wirtschaftsordnung und damit auch von wachsender sozialer Ungerechtigkeit geprägt, die meist zu Lasten von Frauen und Kindern ging. Hinzu kam, dass wesentliche Errungenschaften der Frauenbewegung, insbesondere das Recht auf Abtreibung, teilweise rückgängig gemacht wurden. In dieser Situation nutzte die Anti-Pornografie-Bewegung den Verweis auf die Existenz von Pornografie als Erklärung für die trotz feministischer Bemühungen anhaltende Unterdrückung von Frauen und fand damit in der Öffentlichkeit und bei Konservativen starken Anklang. Mit der zentralen Botschaft, dass Pornografie Gewalt sei, wurden die wesentlichen Streitpunkte der Neuen Frauenbewegung, Geschlecht, Sexualität und Gewalt gegen Frauen, aufgegriffen. Gleichzeitig wurden all jene Erklärungsmöglichkeiten für die ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern (finanzielle Abhängigkeit, sozialer Status, geschlechtsbedingte Arbeitsverteilung und ethnische Zugehörigkeit) wenn überhaupt als ‚Nebenwidersprüche‘ wahrgenommen. Lynne Segal beschreibt diese historische Situation folgendermaßen:
„‚Pornography‘ […] became a metaphor for women’s defeat. Isolating sexuality and men’s violence from other issues of women’s poverty, social inequality and domestic overload was not only a defensive tactic for women, but one in perfect harmony with the rising tide of conservative backlash against radical politics more generally. The right has always liked to demonize sexuality, and have us see it as the source of all our ills. This ensured that they would move swiftly into an alliance with the anti-pornography feminism.“ (Segal 1999, S. 28 f.)
Von der Vielfalt der kulturellen Bedeutungen und den zahlreichen Diskursen um Geschlecht bleibt ausschließlich der Diskurs um Sexualität übrig. Andere vom Feminismus und der Linken thematisierte Unterdrückungsmechanismen wie geschlechtsbedingte Arbeitsteilung, die Privatisierung von Hausarbeit, die alleinige Verantwortung von Frauen hinsichtlich der Reproduktion sowie das breite Feld sozialer, politischer und auch religiöser Normen werden ausgeblendet (vgl. Brown 1997, S. 379; Rubin 1993, S. 34 f.). Diese Privilegierung von Sexualität gebenüber anderen Bereichen, etwa dem Bereich Rassismus, wurde schon früh innerhalb der Neuen Frauenbewegung vor allem von Seiten afroamerikanischer Feminist/-innen kritisiert. Sie wiesen nachdrücklich darauf hin, dass sie sich von einer solchen Form feministischer Agitation nicht repräsentiert fühlten und sie letztendlich an ihrer Lebenswirklichkeit vorbeigehe (vgl. Segal 1999, S. 22 f.).
Auch in aktuellen Debatten zur Pornografisierung des medialen Mainstreams wird die Bedeutung von anderen Diskursen – etwa dem Klassendiskurs – für die Repräsentationen weiblicher Sexualität hervorgehoben. Am Beispiel der TV-Serie Sex and the City zeigt Feona Attwood, wie die Repräsentation aktiver weiblicher Sexualität in klarer Abgrenzung zu bestimmten Vorstellungen von Klasse und Ethnie erfolgt (vgl. Attwood 2006, S. 84 f.). Den Opferstatus der Frau ausschließlich auf Sexualität zurückzuführen, ermöglicht jedoch, den Status des idealen Opfers trotz zunehmender Gleichberechtigung in anderen Lebensbereichen aufrechtzuerhalten. Der Kriminologe Nils Christie beschreibt diesen Mechanismus folgendermaßen:
„The ideal victim is in a subordinated, weak position. If females opted for a status as ideal victims, they would have to accept a lasting subordination. Not so total that they were not listened to, but sufficient to enlist sympathy for the weak. With equality, they get reduced claims to the status of being a good classical victim.“ (Christie 1986, S. 27 f.)
Während Frauen in anderen Lebensbereichen zunehmende Gleichberechtigung erlangen mögen, garantiert die essentielle Vorstellung von einer aggressiven männlichen Sexualität, welche die weibliche unterdrückt, das Aufrechterhalten des Opferstatus. Ist dies möglicherweise die Rechtfertigungsstrategie eines Feminismus, der angesichts der Erweiterung weiblicher Lebensentwürfe und komplexer und widersprüchlicher Machtverhältnisse seine Legitimität in Frage gestellt sieht?
Von Seiten der feministischen Pornografiegegner/-innen wird eine solche Kritik an ihren Positionen als liberale Naivität, die Pornografie ausnahmslos gutheißt, missverstanden. Doch gilt es vielmehr zu fragen, ob ein solch einseitiges Machtverständnis ausreicht, um zu verstehen, wie und warum gegenwärtige pornografische Codes in die Alltagskultur eingehen und als Zeichen weiblicher Emanzipation verstanden werden – beispielsweise Playboybunnys auf Einkaufstaschen und String Tangas für Zehnjährige (vgl. McRobbie 2007). Werbung, Frauenzeitschriften, TV-Serien etc. postulieren heute kaum noch weibliche Machtlosigkeit, sondern ‚aktive Weiblichkeit‘ und damit die angebliche Einlösung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Der Frau als Konsumentin wird Wahlfreiheit und Handlungsmacht suggeriert, so dass das Kaufen und Tragen von Highheels und Wonderbras als Zeichen weiblicher Macht und Unabhängigkeit von Männern empfunden wird. Zugleich dient die Handlungsmacht nicht dazu, ein weibliches Begehren zum Ausdruck zu bringen, sondern wird allein daran bemessen, wie begehrenswert Frauen für andere sind (vgl. Gill 2008, S. 37). In diesem neoliberalen und postfeministischen Verständnis eignen sich Frauen pornografische Codes selbstbewusst an, weil sie wissen, dass sie daraus gesellschaftliche Macht ziehen können. Und hier zeigt sich ein Dilemma für gegenwärtige kritische feministische Positionen: Sie erscheinen im neoliberalen Diskurs obsolet. Die Dominanz medialer Repräsentationen von Weiblichkeit als Sexgöttin oder Pornostar wird nicht als Ergebnis gesellschaftlicher und kultureller Diskurse gesehen, sondern als das individueller Entscheidungen. Das heißt, eine feministische Kritik an diesen Repräsentationen wird zur Selbstkritik, als Angriff von Frauen gegen Frauen gewertet und ist nicht mehr Teil der politischen Sphäre. So wie in neoliberalen, postfeministischen Diskursen strukturelle Diskriminierungen ausgeblendet und das Scheitern zu einer individuellen Verfehlung erklärt wird, separieren auch feministische Pornografiegegner/-innen Geschlechterverhältnisse von politischen Diskursen.
In der Einleitung zu ihrem aktuellen Buch Die Antwort weist Alice Schwarzer eine ursprüngliche Verbindung von Feminismus und linker politischer Tradition zurück: „die Gleichberechtigung der Geschlechter ist schon lange keine Frage von rechts oder links mehr, ja, sie war es in Wahrheit nie“ (Schwarzer 2007b, S. 10). Dem widerspricht, dass die Neue Frauenbewegung aus sich links verortenden sozialen Protestbewegungen entstand (Notz 2006; Hochgeschurz 1995; Segal 1999). An anderer Stelle schränkt Schwarzer ein: „Sicher, das feministische Prinzip ist auch weiterhin links einzuordnen, soweit ‚links‘ für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit steht“ (Schwarzer 2007b, S. 17). In Zeiten, in denen rechtskonservative Regierungen wie die der USA mit breiter internationaler Unterstützung einen Krieg mit der Verteidigung der Menschenrechte legitimieren, erscheint diese Auffassung von politisch linken und rechten Positionen verkürzt. Schwarzer schreibt weiter:
„die Linke hatte seit Auftauchen der Frauenbewegung den – nie eingelösten – Anspruch, selber eine geschlechtergerechte Politik zu machen. Das war schon Ende des 19. Jahrhunderts so. Die so genannte ‚Frauenfrage‘ sei nur ein ‚Nebenwiderspruch‘ hieß es auch hundert Jahre später wieder, und werde im Zuge des ‚Hauptwiderspruchs‘, der Klassenfrage, automatisch gelöst. Die Konservativen jedoch haben gar nicht erst behauptet, die Emanzipation stünde auf ihrer Agenda. Sie hatten es von daher auch nicht nötig, Interessengegensätze zu verschleiern.“ (Schwarzer 2007b, S. 17 f.)
Problematisch an dieser Position ist, dass Schwarzer übersieht, wie gegenwärtig westliche neoliberale rechtskonservative Politiken Emanzipation auf ihre Agenda setzen und als Rechtfertigung für Maßnahmen gegenüber Minderheiten und nicht-westlichen Kulturen ins Feld führen. Ein Beispiel hierfür ist der Angriff der USA auf Afghanistan, welcher nachträglich von der Bush-Regierung mit der Befreiung der Frauen in Afghanistan begründet wurde. Hier funktioniert der Feminismus, so Judith Butler, als Trope, um die Überheblichkeit und die Unangreifbarkeit der Ersten Welt wiederherzustellen (vgl. Butler 2005, S. 59). Ähnlich verhält es sich mit dem Video Coming to the Netherlands der niederländischen Einwanderungsbehörde. Hier müssen Migrant/-innen, die in die Niederlande einwandern wollen, Bilder von sich küssenden männlichen Paaren und Frauen mit bloßen Brüsten betrachten. Bürger/-innen der EU, Personen, die mehr als 45.000 Euro im Jahr verdienen, sowie Bürger/-innen der USA, Australiens, Neuseelands, Kanadas, Japans und der Schweiz sind von diesem Test ausgenommen. Begründet wird diese Praxis mit der Liberalität westlicher Demokratien, in denen Homosexualität und weibliche Nacktheit – in Abgrenzung zur Verschleierung der muslimischen Frau – angeblich als Norm gelten (vgl. Wenk 2008, S. 32). Zugleich dient die angebliche vollständige Emanzipation der westlichen Frau gegenüber der vom politischen Islam „unterdrückten“ Frau (Schwarzer 2007b, S. 9) der Bekundung und Rückversicherung einer vermeintlichen Toleranz westlicher Staaten hinsichtlich Geschlecht und Sexualität, um sich gegenüber einem repressiven Anderen abzugrenzen. Demgegenüber steht die Ermordung von 16 Transsexuellen in sechs europäischen Ländern und 13 in den USA zwischen 2008 und 2009. Auch wies das Bundeskriminalamt jüngst auf wachsende Zahlen homophober Gewalt in Deutschland und Europa hin (vgl. Beikler/Kurzlechner 2008).[2]
Auch in Schwarzers Schriften lässt sich beobachten, wie je nach Kontext kulturelle Unterschiede instrumentalisiert werden, um ein emanzipiertes, westliches, bürgerliches, weibliches Subjekt behaupten zu können. So schreibt sie 2007: „Zwar sind Frauen sexuell gleichberechtigter als je zuvor in der Geschichte […], gleichzeitig aber haben Pornographie und Prostitution, vor allem die mit der ‚Billigware‘ aus Osteuropa plus Sextourismus, epidemische Ausmaße angenommen“ (Schwarzer 2007b, S. 9).
Wie auch der niederländische Test externalisiert Schwarzer Mechanismen von Unterdrückung und Ungleichberechtigung auf ein kulturell Anderes, um so die angebliche Zivilisiertheit der westlichen Staaten zu behaupten. Der/die Andere wird zum konstitutiven Außen und garantiert zugleich seinen/ihren Ausschluss. Feministische Errungenschaften, so zeigen diese Beispiele, werden gegenwärtig für eine Politik dienstbar gemacht, welche den westlichen Staaten eine souveräne Position gegenüber dem Rest der Welt, vor allem den arabischen Staaten verschaffen soll. Wenn Alice Schwarzer schreibt: „Und wenn Rechte gegen Pornographie sind, so sollte das das Problem der Pornographen sein und nicht das der Feministinnen“ (Schwarzer 1986), dann verkennt sie die weitreichende und zwiespältige Wirkung ihrer Politik.
Wie aber sähe eine alternative Pornografiediskussion aus? Sie bestünde mit Sicherheit in einer Vervielfältigung der zu artikulierenden Positionen, die durchaus Widersprüche bergen und damit alle Beteiligten vor Herausforderungen stellen. Dabei gilt es, sich den Ambivalenzen auszusetzen und sowohl vereindeutigenden Positionen, die in der Pornografie ein Herrschaftsinstrument des Patriarchats sehen, als auch jenen, die Pornografie als Möglichkeit für ein neues weibliches Selbstbewusstsein begreifen, kritisch zu begegnen. Wir sollten skeptisch gegenüber metaphorischen Verwendungen von Pornografie sein. Dies zeigen insbesondere die eingangs beschriebenen Beispiele. Wenn, wie in Sambia geschehen, aus dem Verlust eines Kindes mittels eines Pornografievergleichs ein Akt der Lust gemacht wird, dann müssen wir fragen, warum dies geschieht, und diesen Vergleich möglicherweise zurückweisen. Judith Butler bemerkte, meiner Ansicht nach sehr treffend, zu dem Vorwurf, dass die Folterbilder von Abu Ghraib pornografisch seien: „Das Problem hier scheint nicht mehr in dem zu liegen, was die Bilder zeigen – nämlich Folter, Vergewaltigung, Erniedrigung und Mord –, sondern in der angeblichen Pornographie der Bilder selbst, wobei Pornographie definiert wird als Lust am Anblick menschlicher Erniedrigung, an der Erotisierung menschlicher Erniedrigung“ (Butler 2008, S. 221 f.). Das Verständnis von Pornografie als Lust an der Gewalt wurde so auch von Alice Schwarzer in der PorNo-Kampagne 2007 artikuliert. Butler weist in ihren Überlegungen unmittelbar auf das grundsätzlich ethische Problem eines solchen Verständnisses hin: „Diese Definition der Pornographie entfernt die spezifische Brutalität der fotografischen Aufnahmen“ (ebd.). Und dies ist es, was auch im Fall der Journalistin Chansa Kabwela geschehen ist: Die Bedingungen, die zu dem Foto geführt haben, und dessen Folgen werden durch den Vorwurf der Pornografie entfernt. Ein verantwortungsvoller Feminismus sollte darauf bedacht sein, diesen Mechanismen nicht noch zuzuarbeiten, indem er die Definition, Verwendung und Implikationen von Pornografie unendlich ausdehnt.
[1]: Zum Fall von Simon Burgess siehe z. B. http://it-it.facebook.com/note.php?note_id=326741440524 (zuletzt gesehen 30.12.2009).
[2]: Zu den Morden an Transsexuellen vgl. auch http://www.tgeu.org/tdor2009deutsch (zuletzt gesehen 30.12.2009).
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Caroline Schubarth
Universität der Künste Berlin
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Verbale Kommunikation an der Universität der Künste Berlin
E-Mail: casch@udk-berlin.de
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