Robyn Longhurst:
Maternities.
Gender, Bodies and Space.
London: Routledge 2008.
208 Seiten, ISBN 978-0-415-36046-3, € 96,99
Abstract: Der Band Maternities ergänzt die humangeographischen Auseinandersetzungen mit den Wechselbeziehungen zwischen Körpern und Räumen durch die Betrachtung des Aspekts der Mutterschaft. Die Aufsatzsammlung schließt theoretisch-konzeptionell wie methodisch an die „feminist poststructuralist theory that holds on firmly to materiality“ an. Entsprechend ist das Erkenntnisinteresse der einzelnen Beiträge auf die Schnittstelle von Materialität und Diskursivität gerichtet sowie auf die Durchkreuzung weiterer mit dem Thema Mutterschaft verbundener Dualismen (z.B. die Entgegensetzung von privaten Haus- und institutionalisierten Hospitalgeburten). Die Stärken des Buches liegen in der De-Naturalisierung von Mütterlichkeit und den vermeintlich dazugehörigen Körperlichkeiten; leider wird dies nur andeutungsweise um die Frage nach der Konstitution von Räumlichkeit(en) erweitert.
Innerhalb der englischsprachigen Humangeographie stellen die Arbeiten der Neuseeländerin Robyn Longhurst eine unverzichtbare Grundlage für die Auseinandersetzung mit den Wechselbeziehungen zwischen Körpern und Räumen dar.[1] Der Band Maternities schließt daran nur konsequent an, indem er zum einen mit dem Thema ‚Mutterschaften‘ einen in der Geographie bislang nicht beachteten Aspekt der Körperlichkeit behandelt und zum anderen den Spatial Turn für die Maternities-Forschung fruchtbar macht.
Während das Thema der Co-Konstitution von Körpern und Räumen seit ca. einer Dekade in den raumbezogenen Sozialwissenschaften sowie in der feministischen Diskussion durchaus Konjunktur hat, ist Longhursts Auseinandersetzung mit schwangeren, gebärenden und stillenden Körpern insofern singulär, als sie sich sowohl auf die räumlichen Dimensionen als auch theoretisch-konzeptionell wie methodisch im Sinne einer „feminist poststructuralist theory that holds on firmly to materiality“ (S. 15) auf die Schnittstelle von Materialität und Diskursivität konzentriert. Darüber hinaus postuliert die Autorin die Durchkreuzung weiterer hartnäckiger Entgegensetzungen im Kontext der Körper-Geist-Dualismen. So durchzieht die autobiographische Auskunft aus dem Vorwort “I became a mother and an academic at the same time […]. I have never been able to (or ever really wanted to) separate these two major spheres of my life – motherhood and the academy“ (S. xi)” als zentraler Leitgedanke das gesamte Buch; jedoch nicht als Fortführung im Sinne einer persönlichen Narration, sondern im Hinblick auf die enge Verwobenheit von Privatheit und Öffentlichkeit und das Anliegen, Dualismen durch die Beschäftigung mit Gender, Bodies and Space zu überwinden.
Wie die Autorin eingangs betont, ist das Buch eine Aufsatzsammlung zum Thema Maternities, die weder den Zweck eines einführenden Überblicks noch eines in sich geschlossenen Werkes mit durchgehender Dramaturgie von Anfang bis Ende verfolgt. Dies bedeutet einerseits, dass zwei der Kapitel bereits vorher einmal veröffentlich worden sind und, wie auch alle anderen Kapitel, für sich alleine stehen (bzw. gelesen werden) können, und andererseits, auch besser jedes für sich gelesen werden sollte, da sonst die Wiederholungen zur Methode u.ä. nicht nur den Lesefluss, sondern auch die Leselust beeinträchtigen.[2] Longhurst vereint acht Einzelaufsätze zum Thema Mutterschaften, die durch Einleitung und Schlussfolgerung gerahmt sind: Insbesondere in der Einleitung widmet sie sich der Frage, inwiefern Mütterlichkeit – und deren (geschlechtsspezifische) Verkörperungen – durch soziokulturelle und räumliche Prozesse beeinflusst werden und diese Prozesse zugleich beeinflussen.
Der erste Aufsatz macht direkt im Untertitel („‚Coming Out‘ as Pregnant at Work“) deutlich, mit welchen Schwierigkeiten Frauen konfrontiert sind, wenn sie sich am Arbeitsplatz gegenüber Chef und Kolleg/-innen als schwanger ‚outen‘: Der Arbeitsplatz wird damit zu einem ‚Angstraum‘, an dem familiäre und berufliche Verbindlichkeiten plötzlich in Konkurrenz zueinander stehen und an dem leicht das Gefühl vermittelt wird, weder als (werdende) Mutter noch als Arbeitskraft wirklich ernst genommen werden zu können. Zudem beobachtet Longhurst im Anschluss an McDowells Arbeiten[3] zu geschlechtsspezifischen Identitäten in der Finanzwirtschaft, dass in stark professionalisierten Arbeitsbereichen, in denen sich junge Frauen aus Reputationszwecken möglichst männlich geben, junge schwangere Frauen unabwendbar als ‚weiblich‘ und damit ‚automatisch‘ als weniger seriös eingeordnet werden. Darüber hinaus haben viele Schwangere, gerade in Führungspositionen, mit dem Image des unternehmerischen Selbst zu kämpfen, für das sowohl in der Eigen- als auch in Fremdwahrnehmung Gewichtszunahme als Ausdruck mangelnder Selbstkontrolle und Trägheit interpretiert wird. Dem gegenüber stehen allerdings von Frauen dominierte Arbeitsbereiche wie Kindergärten oder Grundschulen, in denen Longhursts Interviewpartnerinnen durch ihre Schwangerschaft eine besondere Form der Bestätigung erfahren, so dass die Art des Arbeitsplatzes die jeweilige Performanz von „doing gender“ und „doing pregnant“ nachhaltig beeinflusst.
Leider wird in Longhursts Darstellung die Dimension des Räumlichen auf die Art des Arbeitsplatzes reduziert. Dadurch wird zwar deutlich, wie sich Diskurse um geschlechtsspezifische Arbeits(platz)identitäten in der Wahrnehmung und Materialität des Körpers manifestieren – allerdings ohne die geschlechtsspezifische Trennung in ‚fiskale versus soziale‘ Arbeitsräume grundlegend zu dekonstruieren.
Mit dieser durch die Art des Arbeitsplatzes beeinflussten Performanz beschäftigt sich das anschließende Kapitel noch ausführlicher: Die Überschrift „(Ad)dressing Pregnant Bodies“ spricht bereits durch ihre Mehrdeutigkeit an, inwiefern Schwangere durch die Art ihrer Kleidung ihre Subjektivität kontext- und damit immer auch raumspezifisch inszenieren. Zunächst geht es dabei allerdings um die Veränderung der Garderobe „from smock tops to crop tops“ (S. 43) – von verhüllender zu enthüllender Kleidung – in den letzten 60 Jahren, die sich (im deutschsprachigen Kontext) auch als Zeit des Wandels von der „Umstandskleidung“ hin zur „Schwangerschaftsmode“ bezeichnen lässt. Stark beeinflusst durch die medialen Körperinszenierungen von Prominenten hat sich dabei insbesondere seit den 1990er Jahren der schwangere Frauenkörper zum Modeaccessoire entwickelt, das bewusst zur Schau gestellt – und oftmals nur noch am Arbeitsplatz möglichst lange verhüllt wird.
In drei der folgenden Kapitel werden so genannte „bad mothers“ in den Mittelpunkt gestellt: zum ersten behinderte Frauen, denen in der Fremdwahrnehmung nur selten (Lust an) Sex oder gar Gebärfähigkeit zugesprochen wird (Kapitel 4). Zum zweiten der Fall der Neuseeländerin Nikki, die ihr (Sexual-)Leben während der Schwangerschaft sowie die Geburt ihres Kindes für einen Pornofilm aufnehmen ließ und deswegen in den Medien als ‚unmoralische Mutter‘ angeprangert wurde (Kapitel 5). Anhand dieses Beispieles arbeitet Longhurst heraus, dass sich zwar die (Re-)Präsentation des schwangeren Körpers radikal verändert, nämlich erotisiert und ‚ver-öffentlicht‘ habe (wie im Fall der medialen Inszenierung), nicht aber die Geburt als solche, die weiterhin als private und vor allem asexuelle Angelegenheit gelte: „Nikki is a ‚hot mama‘ but she is a ‚mama‘ who is ‚too hot‘ for most“ (S. 79). Im achten Kapitel geht es zum dritten um Schwangere, die sich demgegenüber primär in der Eigenwahrnehmung als „bad mothers“ definieren: um alleinerziehende Mütter, die von Sozialhilfe leben, um minderjährige Mütter sowie um lesbische Mütter. All diesen Frauen wird über ihre Mutterschaft ein Mangel zugeschrieben (den sie häufig verinnerlichen), der Mangel an männlicher Bezugsperson, an Reife sowie an sozioökonomischer Stabilität. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen der Autorin zur Theoretisierung dieses ‚Mangels‘ (vgl. S. 118 ff.) sowie zu Widerstandsstrategien, z.B. in Form von „bad mothers clubs“ im Internet, die das Wechselverhältnis von Fremd- und Eigenwahrnehmungen theoretisch wie empirisch anschaulich werden lassen.
In den Kapiteln 6 und 7 wird die vorangegangene Thematisierung der Trennung in private und öffentliche Räume aufgegriffen, zunächst die der Geburt als Privatangelegenheit. Im Unterschied zur Beschreibung der medialen Kritik an Nikki bzw. der Erotisierung und Pornografisierung ihrer öffentlichen Geburt verdeutlicht Longhurst hier zum einen, dass Geburten in den letzten hundert Jahren durch die Verlagerung in Krankenhäuser viel öffentlicher (und institutionalisierter) geworden sind, und zum anderen, dass die Rückkehr zur privaten Hausgeburt als Form des Widerstands gegen westliche Medizintechnologien und -hegemonien verstanden werden kann (z.B. als feministischer, aber auch als postkolonialer Widerstand von Māori-Frauen).
Diese Umkehr der Bedeutungszuschreibungen an öffentliche und private Räume wird auch bei der Frage nach „(Im)proper Spaces of Lactation“ (Kapitel 7) thematisiert. Hier geht es jedoch weniger um die die ‚angemessenen Räume zum Stillen‘ als um die (Un)Angemessenheit des Stillens von bzw. für einzelne Wesen, so das Stillen von Hundebabys oder fünfjährigen Kindern sowie das Stillen von und durch Männer(n). All diese Beispiele werden als queer breastfeeding zusammengefasst, das eng an Privatheit gebunden ist, während das ‚normale‘ mütterliche Stillen von Babys in der Öffentlichkeit zunehmend Akzeptanz erfährt. Inwiefern diese Akzeptanz auch zur Normierung dessen führt, wer stillen/gestillt werden darf, wird zwar von Longhurst kurz als soziokulturelle Formation dekonstruiert, allerdings bleibt dieser Aspekt der Normierung gerade im Hinblick auf die materielle wie diskursive Co-Konstitution von Körpern und Räumen unterthematisiert.
Das letzte der eigenständigen Kapitel (Kapitel 9) nimmt einmal mehr das Internet als Forschungsgegenstand für die Beschäftigung mit der Konstruktion von Mutterschaften in den Blick. Im Unterschied zum vorangegangenen Kapitel geht es nun um positive Identitätskonstruktionen, die über Diskussions-Foren sowie Onlineshopping-Seiten hergestellt werden. Dabei bleibt jedoch die Komplexität der körperlichen, vor allem aber der räumlichen Schnittstellen von Materialität und Diskursivität – von physischen Körpern und von Räumen sowie der jeweiligen Physis zugeschriebenen Bedeutungen – nahezu unberücksichtigt. Diese Kritik bezieht sich auf weite Teile des Bandes, d.h. die Wirkmächtigkeit hegemonialer Bedeutungszuschreibungen auf Räume sowie die Effekte von materialisierten Raumstrukturen auf Körpernormen und -formen lassen sich als Leser/-in jenseits der aufgeführten empirischen Beispielnarrationen nur vage erahnen. Die Stärken des Buches liegen gleichwohl in der (überzeugenden und in der Anthropogeographie längst nicht selbstverständlichen) De-essentialisierung und De-Naturalisierung von Mütterlichkeit und der vermeintlich dazugehörigen Körperlichkeit(en). Eine systematische Erweiterung der Ergebnisse der Aufsätze um den Themenkomplex Räumlichkeit(en) wäre hier anstelle der vorliegenden Zusammenfassung sicherlich überzeugender und für eine breitere Leser/-innenschaft ansprechender gewesen.
[1]: Vgl. Longhurst, Robyn (1995): The body and geography. In: Gender, Place and Culture 2, H.1, S. 97–105; Longhurst, Robyn (1997): (Dis-)Embodied geographies. In: Progress in Human Geography 21, H. 4, S. 486–501; Longhurst, Robyn (2001): Bodies: Exploring Fluid Boundaries. London: Routledge.
[2]: Longhurst, Robyn (2005): (Ad)dressing Pregnant Bodies: Clothing, Fashion, Subjectivities and Spatialities. Originally published in: Gender, Place and Culture 12, H. 4, S. 433–446. Longhurst, Robyn (2006): A Pornography of Birth: Crossing Moral Boundaries. Originally published in: ACME 5, H. 2, S. 209–229.
[3]: Vgl. McDowell, Linda (1997): Capital Culture. Gender at Work in the City. Oxford: Blackwell.
URN urn:nbn:de:0114-qn112231
Dr. Anke Strüver
Universität Kassel
z.Zt. Vertretungsprofessorin für Humangeographie, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
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E-Mail: struever@uni-kassel.de
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