Abstract: Die Diskussionen über das kulturelle und mediale Phänomen ‚Pornografie‘ zeichnen sich oft durch Unkenntnis des Betrachtungsgegenstands und definitorischer Ungenauigkeiten aus. Der vorliegende Text benennt Irrtümer und Vorurteile und liefert einen Beitrag zu einer wissenschaftlich nachvollziehbaren Definitionsgrundlage als Basis für weitere Diskussionen. Die nachfolgenden Überlegungen sind eine Kurzzusammenfassung der Dissertation von Corinna Rückert: Frauenpornographie. Pornographie von Frauen für Frauen. Eine kulturwissenschaftliche Studie. Frankfurt am Main 2000.
Wenn wir über Pornografie reden, meint jeder etwas anderes. Da wird ein Zeitschriftentitel, auf dem eine Frau halbnackt neben einem Auto posiert, als „reinste Pornografie“ beschimpft. Elternverbände beklagen die Ausstrahlung von ‚Pornos‘ im Nachtprogramm des Fernsehens. Oder der Gesetzgeber macht sich Gedanken über den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor der zunehmenden Flut an ‚Porno-Bildern‘ in der Öffentlichkeit.
In der Wissenschaft heißt es zum Beispiel, als Pornografie hätten alle Formen von Darstellungen zu gelten, die in reißerischer Weise Menschen auf ihre sexuellen Handlungen reduzieren. Oder man hält gleich jede Frauen verachtende Darstellung für ‚pornografisch‘.
Bei näherer Betrachtung solcher Aussagen wird schnell deutlich, dass dieser Begriff häufig verwendet wird, um ein moralisches Urteil abzugeben. Pornografie bedeutet dann so soviel wie schmutzig, verächtlich oder obszön.
Tatsache ist zunächst einmal, dass weder die Abbildung einer halbnackten Frau Pornografie ist noch dass im bundesdeutschen Fernsehen Pornos ausgestrahlt werden, weil das nämlich verboten ist und dieses Verbot aufgrund der hohen Strafen auch eingehalten wird. (Eine Ausnahme bildet hier das Bezahlfernsehen, für das die Jugendschutzvorgaben über Zugangscodes gewährleistet werden sollen.) Es stellt sich also erst recht die Frage: Was ist eigentlich Pornografie?
Während in Gesetzgebung und Wissenschaft immer noch der Konsens fehlt über eine neutrale Begriffsbestimmung ohne moralische Wertung, sind sich die Konsument/-innen und Pornograf/-innen schon längst einig über Bedeutung und Funktion von sexuellen Phantasien in der Pornografie.
Besonders anschaulich beschreibt das die australische Autorin Linda Jaivin in ihrem bei Hoffmann und Campe erschienenen Roman Haut und Haar (Hamburg 1997). In einer amüsanten Szene lässt sie eine ihrer Heldinnen die Grundlage und Aufgabe von sexuellen Phantasien erklären. Die Freundinnen Chantal, Helen, Julia und Philippa treffen sich zu einem Abendessen, um über die neuesten amourösen Verwicklungen zu plaudern und sich – natürlich – über Sex zu unterhalten. Im Laufe des Abends berichtet Chantal von ihren Erfahrungen mit einem Escort-Service, bei dem sie sich einen schwarzen Matrosen als Aushilfs-Lover bestellt hatte. Genüsslich erzählt sie ihren Freundinnen davon, wie sie den jungen Mann auf die Knie zwingt.
„‚Moment mal.‘ Helen war plötzlich hellhörig geworden. ‚Soll das heißen, du hast einen Schwarzen zum Sklaven degradiert? Gütiger Himmel, Chantal, findest du das nicht ein bisschen rassistisch? Ich meine, denk nur an die geschichtliche Bedeutung und die ideologischen Auswirkungen […] Ich glaube, ich würde sowas nie übers Herz bringen.‘
‚Vergiss nicht, Helen, hier geht es um die Inszenierung einer Phantasie. Mit seiner Zustimmung. Nicht ums wirkliche Leben, meine Gute. Manchmal hätte ich zwar nichts gegen ein Gefolge von spärlich bekleideten Sklaven und Sklavinnen jeglicher Hautfarbe einzuwenden, aber wenn sich mir tatsächlich jemand zu Füßen werfen und mich anflehen würde, mir dienen zu dürfen, würde ich wahrscheinlich vor Peinlichkeit sterben.‘“ (S. 189–191)
Und genau darum geht es tatsächlich in der Pornografie: Sexuelle Phantasien werden inszeniert, die zu äußern den meisten Menschen im wirklichen Leben peinlich wäre. Wenn wir Pornografie als eine mediale Scheinwelt unbegrenzter sexueller Möglichkeiten begreifen, dann können wir ihre Inhalte von der Wirklichkeit abgekoppelt betrachten – Inhalte, die nicht zeigen, wie es ist oder sein sollte, sondern wie es in einer utopischen Welt der Wollust sein könnte.
Vielen Leserinnen und Lesern mag diese Definition des Pornographischen ohne Weiteres einleuchten, weil es ihrem eigenen Verständnis entspricht oder weil es sie erleichtert, Pornografie als eine eher harmlose kulturelle Erscheinung zu betrachten. Doch es wird auch andere Stimmen geben, die jetzt empört aufschreien: „Verrat an der Emanzipation!“ oder „Pornografie ist die Theorie und Vergewaltigung die Praxis!“. Viele solcher Vorurteile über die Inhalte, Auswirkungen oder Rahmenbedingungen von Pornografie stammen aus der Zeit der amerikanischen und deutschen Anti-Porno-Debatte. Dabei fällt auf, dass Pornografie häufig mit realer Sexualität oder Gewalt gleichgesetzt wird.
Wenn sexuelle Phantasien bis ins kleinste Detail (geöffnete Schamlippen, erigierte Penisse usw.) in Büchern, Fotos, Filmen, Comics et cetera dargestellt werden, dann ist das Pornografie. Hierbei werden die Phantasien also in einem Medium inszeniert, sie sind technisch gestaltet oder künstlerisch aufgearbeitet und drehen sich genauso wie die sexuellen Phantasien des Einzelnen um eine Utopie, eine Gegenrealität, in der alles erlaubt ist. Dass es sich bei der Pornografie um eine Scheinwelt handelt und nicht um die Dokumentation menschlicher Sexualität, ist fast allen Porno-Konsumenten bewusst, wie der Psychologe Henner Ertel in einer groß angelegten Langzeitstudie herausgefunden hat (Ertel, Henner: Konsum und Wirkung von Erotika und Pornografie. München 1990, bes. S. 478). Besonders interessant ist dabei ein weiteres Ergebnis dieser Studie. Die Wirkung und Anziehungskraft von Pornografie entwickelt sich nur dann, wenn die Konsumenten das Dargestellte tatsächlich als Inszenierung einer Gegenrealität wahrnehmen. Die Vorstellung, Pornos würden das zeigen, was in unseren Schlafzimmern tatsächlich passiert, ist also falsch. Pornos zeigen im Gegenteil genau das, was im wirklichen Leben nicht passiert, weil wir es nicht können und nicht wollen. (Das Gleiche gilt für die Porno-Clips, die von Privatpersonen über Pornoseiten wie „porntube“ oder „youporn“ ins Internet gestellt werden. Auch diese sind keine [heimlichen] Dokumentationen von Sexualität, sondern medial inszenierte Sexphantasien, die für die Kamera und die Internetpräsentation hergestellt werden.)
Sexualität ist eine gemeinsame, von allen Beteiligten gewünschte Handlung, zum Beispiel um sich zu befriedigen, sich fortzupflanzen oder um Nähe zu spüren. Zwingt eine Person dagegen eine andere zu einer sexuellen Handlung, so handelt es sich hierbei nicht um eine der vielen Spielarten der Sexualität, sondern um seelische und/oder körperliche Gewalt. Diese Unterscheidung ist wichtig: Wer sexuelle Gewalt im Rahmen von Sexualität diskutiert, verharmlost sie damit, weil sich das Hauptaugenmerk auf das Sexuelle richtet. Erst diese Unterscheidung weist Vergewaltigung als Gewaltverbrechen aus. Es ist gerade erst ein paar Jahre her, dass man Vergewaltigung in der Ehe noch als Kavaliersdelikt einstufte, bevor sie der Gesetzgeber endlich zur Straftat erklärte und damit den Gewaltaspekt in den Vordergrund rückte.
Auf die gleiche Weise sollte man auch zwischen Gewalt und Pornografie genau unterscheiden. Pornodarsteller spielen eine Rolle und inszenieren dabei eine sexuelle Phantasie. Dominanz- und Unterwerfungsphantasien werden ‚gespielt‘ und sind damit genauso wenig real wie die Darstellung einer Vergewaltigung in einem Spielfilm. Wer die inszenierten Handlungen in Pornofilmen als sexuelle Gewalt bezeichnet, verharmlost tatsächliche Akte von sexueller Gewalt. Diese Schlussfolgerung führt zur nächsten, sehr wichtigen Feststellung.
Zu einem der wichtigsten Argumente gegen Pornografie gehört der Vorwurf, Pornografie habe die sexuelle Unterdrückung von Frauen zum Inhalt und diene als Anschauungsmaterial und Aufruf zu sexueller Gewalt. Als Beweis dafür führt man Bildmaterialien an, die Frauen in unterwürfigen Posen zeigen, in denen sie zu Sexualobjekten degradiert werden. Diese Argumentation ist unsinnig, weil Pornografie eben keine Sexualität dokumentiert, sondern sexuelle Phantasien darstellt, die z. B. auch von Dominanz und Unterwerfung handeln können. Dabei werden aber die Darstellerinnen und Darsteller nicht realer Gewalt ausgesetzt, sondern sie inszenieren diese Szenen. Und im Gegensatz zu den Behauptungen vieler Porno-Gegner/-innen werden die Darstellerinnen auch nicht mit Gewalt zu ihren Handlungen gezwungen. Dieses Argument zeugt von der Unkenntnis des Pornografie-Marktes, der sowohl legal ist als auch transparent für Kontrollen, und der den gleichen staatlichen und marktwirtschaftlichen Regeln unterliegt wie jede andere Produktions- und Vertriebsform auch.
Wie problematisch die Gleichsetzung von Pornografie, Sexualität und Gewalt ist, zeigt sich besonders in den irreführenden Diskussionen über die Auswirkungen des Pornografiekonsums – eine Frage, mit der sich schon viele Sexualforscher/-innen auseinandergesetzt haben. Kann Pornokonsum sexuelle Gewalthandlungen verursachen?
Ähnlich wie bei der Diskussion über den Zusammenhang von Jugendgewalt und Killerspielen geht die Wissenschaft davon aus, dass Medienkonsum in einzelnen Fällen Gewalthandlungen auslösen kann – jedoch nur in solchen Fällen, in denen die Sozialisation eines Menschen bereits gestört ist. Die Ursachen für das nicht-sozialkonforme Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen sind jedoch so vielfältig und so tief in der gesamten Entwicklung eines Menschen verwurzelt, dass Medienkonsum als alleinige Erklärung nicht ausreicht.
Damit soll keineswegs für die uneingeschränkte Freigabe pornografischer oder Gewalt verherrlichender Inhalte plädiert werden. Es soll aber den Blick dafür weiten, dass die große Mehrheit der Medienkonsumenten eine gelungene Sozialisation durchlaufen hat und deshalb auch mit den Medieninhalten umgehen kann. Zu dieser Medienkompetenz gehört, sich über den Unterschied zwischen Realität und Phantasie im Klaren zu sein – eine Fähigkeit, die eben auch normal sozialisierte Pornokonsumenten und -konsumentinnen besitzen.
In einem Interview mit tv diskurs im Januar 2001 fasste der bekannte Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt diese Erkenntnisse noch einmal zusammen:
„Die Vorstellung, dass sich in der Phantasie nur das abspielt, was wir eigentlich wollen, ist sicher falsch. Im Großen und Ganzen sind die Menschen mit ihrem – gemessen an den Sexmärchen der Medien – oft ja bescheidenen und in ihrem alltäglichen Stress ja auch begrenzten Sexualleben durchaus zufrieden. Daneben besteht die andere, die Phantasiewelt, doch die Vorstellung von der Phantasie in die Realität überwechseln zu wollen, ist sehr naiv. Das will eigentlich niemand. Das Schöne an der Phantasiewelt ist ja gerade, dass es eine Welt ohne Kosten und Folgen ist. Man kann sie genießen, doch man muss nicht alles so machen – Sexualität kann ja durchaus auch etwas Anstrengendes sein. So gibt es die Welt des Alltags und die symbolische Welt. In die kann man einsteigen, aus der kann man aussteigen, wann man will. Selbstverständlich dienen Erotik- oder Pornofilme auch zur Animation sexueller Handlungen, manche Paare werden durch die Programme zappen und sich inspirieren lassen, und natürlich werden die Filme auch als Masturbationsvorlage genutzt. Aber die meisten dieser Stimuli sind heute nicht mehr handlungsgebunden. Sie bleiben in der Phantasie.“ (tv diskurs, Berlin Januar 2001, S. 52)
Auf der Basis dieser Argumentationen fällt es schwer, die ganze Aufregung über das Thema Pornografie nachzuvollziehen. Aufgrund unserer Gesetzgebung kann niemand dazu gezwungen werden, sich mit pornografischen Inhalten auseinandersetzen zu müssen. Und diejenigen, die gern Pornografie konsumieren, können in der Regel damit umgehen.
Bei den immer wiederkehrenden Diskussionen über Gewalt und Pornografie oder Pornokonsum von Jugendlichen sind Medien und Politiker schnell dabei, weitergehende Verbote oder eine Verschärfung des Jugendschutzes zu fordern, anstatt sich erst einmal um die Einhaltung der bereits bestehenden umfangreichen Schutzmaßnahmen zu bemühen. Dieser eifernde Aktionismus soll jedoch nur darüber hinwegtäuschen, dass wir über ganz andere gesellschaftliche Erscheinungen reden müssten, die sich nicht mal eben mit einem härteren Gesetz oder einem schlichten Verbot regeln lassen. Es geht um die vielfältigen Ursachen für das Fehlschlagen von Sozialisationen, es geht um Elternverantwortung und die möglichen Ausmaße staatlicher Fürsorge. Es geht um die Frage, wie wir unsere Kinder zu verantwortungsvollen Menschen heranreifen lassen können, die später als Erwachsene zu kompetenten Teilnehmer/-innen unserer Gesellschaft werden.
Pornografie ist dabei eine Randerscheinung, die den Menschen seit Beginn seiner Kultur begleitet hat – und die offensichtlich bisher nicht zum Untergang unserer Gattung führen konnte.
URN urn:nbn:de:0114-qn111282
Corinna Rückert
freiberuflich
promovierte Kulturwissenschaftlerin, arbeitet als wissenschaftliche Beraterin und veröffentlicht regelmäßig Bücher, u.a. Mopsgeschichten. Anekdoten aus dem Leben einer Mopsbegleiterin, Sachbücher und erotische Literatur wie Lustschreie und Kammern der Begierde
E-Mail: c.rueckert@hamburg.de
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