Eine profunde und vielstimmige Analyse: Zur Regulierung von Prostitution in Deutschland

Rezension von Ulrike Lembke

Barbara Kavemann, Heike Rabe (Hg.):

Das Prostitutionsgesetz.

Aktuelle Forschungsergebnisse, Umsetzung und Weiterentwicklung.

Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2009.

314 Seiten, ISBN 978-3-86649-211-0, € 29,90

Abstract: Der von Barbara Kavemann und Heike Rabe herausgegebene Sammelband zum Prostitutionsgesetz zeichnet sich dadurch aus, dass die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird und insbesondere auch jene zu Wort kommen, die in der medialen Debatte oft keine Stimme haben: Prostituierte in sehr unterschiedlichen Lebens- und Arbeitssituationen ebenso wie Bordellbetreiber/-innen, Praktiker/-innen aus der Sozialen Arbeit ebenso wie aus Verwaltung und Justiz. Dadurch gelingt es, ein differenziertes und realistisches Bild von Prostitution und ihrer Regulierung in Deutschland zu zeichnen sowie aktuelle Hilfs- und Handlungsbedarfe überzeugend aufzuzeigen, aber auch wegweisende Modelle aus der Praxis vorzustellen.

Das Prostitutionsgesetz im Praxistest und in kritischer Reflexion

Mit dem Erlass des Prostitutionsgesetzes, welches zum 1. Januar 2002 in Kraft trat, verfolgte der deutsche Gesetzgeber auf den ersten Blick simple Ziele: die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Prostitution, insbesondere die soziale Absicherung der dort Tätigen, und die Erleichterung des Ausstiegs aus der Prostitution. Barbara Kavemann und Heike Rabe haben einen Sammelband herausgegeben und mitgestaltet, in dem aus verschiedenen Perspektiven kritisch überprüft wird, ob und wie sich die Realität der Prostitutionsausübung in Deutschland mit Blick auf diese Zielsetzungen verändert hat. Die Herausgeberinnen konnten Beiträge und Autor/-innen aus diversen Bereichen gewinnen: Rechts-, Politik- und Sozialwissenschaften sind ebenso vertreten wie Praxiserfahrungen aus der Sozialen Arbeit und der Tätigkeit in der Prostitution, empirische Erhebungen stehen neben rechtsvergleichenden Untersuchungen und theoretischen Reflexionen. Ihr Anliegen, eine breite gesellschaftliche Debatte über die unterschiedlichen Bewertungen von Prostitution und das Prostitutionsgesetz anzustoßen, verfolgen die Herausgeberinnen damit in beeindruckender, Erfolg versprechender Weise.

Konkurrierende Regelungsmodelle

Bei näherem Hinsehen erweisen sich die Ziele des deutschen Gesetzgebers bei Erlass des Prostitutionsgesetzes weder als simpel noch als selbstverständlich. Das Prostitutionsgesetz markiert einen Paradigmenwechsel vom Schutz vor der Prostitution hin zum Schutz in der Prostitution. Die Einschätzungen der damit verbundenen moralischen, kulturellen und rechtlichen Implikationen gehen weit auseinander. Der Sammelband widmet der viel diskutierten Frage, ob Prostitution nun in Deutschland ein Beruf wie jeder andere sei, keine eigene Abhandlung (vgl. Kavemann, S. 89), sondern geht entsprechend seiner Zielsetzung konsequent von der Motivation des Gesetzgebers aus.

Von diesem Ausgangspunkt her gerät die Auseinandersetzung mit anderen, insbesondere abolitionistischen Regelungsmodellen allerdings sehr kurz. Dem schwedischen Modell (Bestrafung von Freiern, vgl. S. 23) hauptsächlich den Vorteil der Eindeutigkeit (vgl. Kavemann, S. 28) zuzugestehen, unterschlägt eine differenzierte Debatte über den möglichen Einfluss der Prostitution auf das hierarchische Geschlechterverhältnis sowie ihre gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen. Auch kann die Darstellung der Regelungsmodelle in Großbritannien (O’Connell Davidson) und Frankreich (Stefanie Tränkle) den Eindruck entstehen lassen, dass jeder abolitionistische Ansatz nur einer repressiven Migrations- oder Sicherheitspolitik in die Hände spiele.

Es ist jedoch keineswegs so, dass der Sammelband kritiklos die Prostitution als vorzugswürdige Erwerbsmöglichkeit feiern würde, im Gegenteil. Die Darstellung von Tätigkeiten in der Prostitution ist sehr differenziert (vgl. z. B. Winter, S. 221 ff.) und bemüht, gerade auch die Perspektiven von Betroffenen zu integrieren, die in den Massenmedien keine Stimme haben (vgl. Kavemann, S. 88 f.). Ferner werden mögliche Nachteile der vom deutschen und anderen Gesetzgebern favorisierten ‚liberalen‘ Modelle nicht verschwiegen (bsw. Kavemann, S. 17 ff.). Schließlich wird die sog. Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen nicht auf typisch männliches, sozialschädliches oder strafwürdiges Verhalten reduziert, sondern die hochinteressante Frage gestellt, wie und von wem diese Nachfrage eigentlich generiert und gesteuert wird (vgl. Grenz, S. 203 ff.).

Prostitution als Thema der Gefahrenabwehr

Auch die nun eröffnete Möglichkeit, Prostitution als (besondere) Form der Erwerbstätigkeit wahrzunehmen, ändert nichts daran, dass alle Regelungsmodelle immer wieder auf den Topos von Gefahr und Schutz rekurrieren. Die Gefahr kann von den Prostituierten ausgehen, die daher vor sich selbst zu schützen seien (vgl. S. 47) oder vor denen die Gesellschaft geschützt werden müsste (vgl. Stefanie Tränkle, S. 68). Schutzgut kann dabei die Menschenwürde (früherer deutscher Paternalismus) oder die Geschlechtergerechtigkeit (Schweden) ebenso sein wie die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Frankreich) oder auch die öffentliche Gesundheit – wobei der Mythos, dass Prostituierte in besonderem Maße Geschlechtskrankheiten verbreiten würden, längst widerlegt ist (vgl. S. 254) und der Wandel im deutschen Gesundheitsrecht zu freiwilligen Kontrollen und aufsuchender Sozialarbeit von den Akteur/-innen durchweg positiv bewertet wird (so auch Weppert, S. 253 f.).

Die Gefahr für die in der Prostitution tätigen Personen kann aber auch von anderen ausgehen. In der medialen Debatte fehlt es oft an einer differenzierten Darstellung von Prostitution, die nicht nur die Extreme von Menschenhandel und Zwangsprostitution einerseits und den Tätigkeitsfeldern selbstständiger, gut verdienender Sexarbeiter/-innen andererseits beleuchtet (auch völkerrechtliche Diskurse tun sich schwer, Arbeits- und Menschenrechtsschutz im Bereich der Prostitution zusammenzudenken, vgl. dazu Uhl), sondern vielfältige Realitäten dazwischen in den Blick nimmt. Die große Stärke des vorliegenden Sammelbandes ist es, dass er sich genau diesen Graubereichen widmet, welche die Lebensrealität der Mehrheit der Prostituierten prägen dürften. Auf die Problematik von Zwangsprostitution und Menschenhandel wird insoweit eingegangen, als die Strafbarkeit der Inanspruchnahme von Zwangsprostitution diskutiert wird (Renzikowski) und aus Sicht staatsanwaltschaftlicher Praxis der Behauptung widersprochen wird, das Prostitutionsgesetz erschwere die Verfolgung von Menschenhandel (Holznagel). Im Übrigen wird klar dargestellt, dass Prostitution immer eine gefährliche Tätigkeit sei: Prostituierte leiden überdurchschnittlich unter Gewalterfahrungen und gesundheitlichen Problemen und sind sehr häufig von unzumutbaren Arbeitsbedingungen und Ausbeutung betroffen (vgl. Brückner/Oppenheimer).

Angesichts dessen drängt sich durchaus die Frage auf, wie es überhaupt um die Freiwilligkeit der Entscheidung zur Prostitution bestellt ist. Ohne die Problematik der Zwangsprostitution im Mindesten zu verharmlosen, gelingt es Julia O’Connell Davidson, die Dichotomie von Sexsklaverei und Sexarbeit zu einem Kontinuum abgestufter Entscheidungsmöglichkeiten zu erweitern und dabei auch beunruhigende Fragen zur grundsätzlichen Abgrenzbarkeit von Sklaverei und Lohnarbeit aufzuwerfen (vgl. S. 47 ff.).

Umsetzungshindernisse und ungenutzte Potentiale

Einigkeit besteht bei den Autor/-innen wie auch bei den von ihnen zitierten Akteur/-innen, dass die Ziele des Prostitutionsgesetzes nicht erreicht wurden. Dieses Scheitern ist allerdings kein Schicksal, sondern hauptsächlich auf mangelnden politischen Willen zurückzuführen (vgl. Kavemann/Rabe, S. 306 ff.). Das Prostitutionsgesetz ist ein Regelungstorso geblieben, notwendige Veränderungen oder Anpassungen anderer Rechtsbereiche blieben aus, wie von den Autor/-innen an konkreten Beispielen aufgezeigt wird (z. B. bei Rabe, S. 117 ff.). Diese Lückenhaftigkeit dürfte auch ein Grund dafür sein, dass die Verwaltung weitgehend losgelöst vom Gesetzgeber nach ihrem eigenen, aus Medien und Praxis generierten Wissen agiert. Ihre weder durch Föderalismus noch durch kommunale Selbstverwaltung zu rechtfertigende Praxis der Willkür hätte gerne ausführlicher thematisiert dürfen, der Beitrag von Rebecca Pates und Daniel Schmidt reißt Fragestellungen auf Grund seiner knappen Darstellung nur an.

Der vorliegende Sammelband bleibt aber nicht bei einer Kritik an der unzureichenden Umsetzung stehen, sondern verweist auf rechtspolitische Desiderate sowie rechtspraktische Spielräume und stellt gelungene Modelle aus der Sozialen Arbeit vor. Die Leser/-innen werden dadurch angeregt zu überprüfen, inwieweit sie selbst in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen zu verbesserten Bedingungen beitragen können, was ein großes Verdienst des Buches darstellt. Alle diese Potentiale zu beschreiben, würde den Rahmen der Besprechung sprengen, es sei daher den Leser/-innen überlassen, sie selbst zu entdecken. Die Konzepte aus der Sozialen Arbeit bieten praktische Handlungsanleitungen, daneben besteht viel rechtspolitischer Handlungsbedarf (wobei das Arbeitsrecht, obwohl häufig genannt, leider etwas kurz kommt), und die Leser/-innen werden grundsätzlich befähigt, ihre Positionen in der Debatte um die Regulierung von Prostitution zu reflektieren.

Ausstieg aus der Prostitution, aber wohin?

Der Gesetzgeber wollte zwar die Arbeitsbedingungen in der Prostitution verbessern, zugleich wollte er aber auch den Ausstieg aus der Prostitution erleichtern. Dieses Ziel trägt dem Umstand Rechnung, dass die weit überwiegende Zahl der Prostituierten ihre Tätigkeit als zeitlich begrenzte und nur vorübergehende Verdienstmöglichkeit betrachtet (vgl. Kavemann, S. 169). Allerdings sind die Gründe, sich für eine Tätigkeit in der Prostitution zu entscheiden, oft auch die Gründe, die einen Ausstieg verhindern oder erschweren. Dass trotz der verschlechterten Bedingungen in der Prostitution auch das Ziel eines erleichterten Ausstiegs verfehlt wurde, ist zudem rechtlichen und tatsächlichen Veränderungen geschuldet, von denen alle potentiell Erwerbstätigen betroffen sind. Die derzeitigen Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt und die Problematik der neuen Regelungen im Zweiten Sozialgesetzbuch (Hartz IV) dürften allgemein bekannt sein. Sie sind auch ein wesentliches Hindernis beim Ausstieg aus der Prostitution (vgl. Kavemann, S. 179 ff.).

Auch wenn Prostitution kein Beruf wie jeder andere ist, stellt sich damit die Frage nach den Bedingungen von Berufswahlfreiheit als Teil persönlicher Autonomie. Joseph Raz hält „an adequate range of options“ (Joseph Raz: The Morality of Freedom. Oxford: Oxford University Press 1986, S. 418) für eine unverzichtbare Voraussetzung von Autonomie. Die Entscheidung, in der Prostitution tätig zu sein und zu bleiben, kann auf Grund der rechtlichen und ökonomischen Verhältnisse für drogenabhängige Personen, illegalisierte Migrant/-innen und Menschen ohne Zugang zu existenzsichernden Beschäftigungsverhältnissen ohne ernsthafte Alternative sein (vgl. O’Connell Davidson, S. 59 ff.) – die Erleichterung des Ausstiegs aus der Prostitution ist ohne eine Veränderung der Verhältnisse daher kaum zu erreichen, auch wenn es vereinzelt gelingende Modelle beruflicher Integration gibt (vorgestellt von Eickel, S. 287 ff.).

Fazit

Das zentrale – auf den ersten Blick deprimierende – Ergebnis des vorliegenden Sammelbandes ist, dass die Umsetzung des Prostitutionsgesetzes bislang gescheitert ist. Die Gründe dafür werden differenziert benannt, aber auch mögliche Weiterentwicklungen und Alternativen aufgezeigt. Herausragend ist der Ansatz des Buches, die unterschiedlichen Realitäten der Akteur/-innen angemessen einzubeziehen, ohne auf politische und wissenschaftliche Reflexionen zu verzichten. Dadurch kann ein vielfältiges Spektrum an Leser/-innen mit fundierten Informationen versorgt und, wie von den Herausgeberinnen gewünscht, eine breite gesellschaftliche Debatte initiiert werden.

URN urn:nbn:de:0114-qn111020

Jun.-Prof. Dr. Ulrike Lembke

Universität Hamburg

Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Fakultät für Rechtswissenschaft

Homepage: http://www.feministisches-studienbuch.de

E-Mail: ulrike.lembke@uni-hamburg.de

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