Vanessa E. Munro, Marina Della Giusta (Hg.):
Demanding Sex.
Critical Reflections on the Regulation of Prostitution.
Aldershot: Ashgate 2008.
216 Seiten, ISBN 978-0-7546-7150-3, € 90,00
Abstract: Die kontroverse und komplizierte Verbindung, die Sex und Arbeit in der Prostitution eingehen, wird in diesem Band aus ökonomischer, juridischer, soziologischer und geschlechtertheoretischer Perspektive untersucht. Dabei werden aktuelle Debatten und Gesetzesvorlagen – vor allem aus Großbritannien, Frankreich und Schweden – und jüngste Bestrebungen im Zuge der New-Labour-Politik, Prostitution und Sexarbeit auf restriktive Weise zu regulieren, kritisch reflektiert. Im Mittelpunkt der Beiträge steht der ökonomische Nexus von Angebot und Nachfrage, um den herum sich die Problematik der Prostitution als einer besonderen Form der Arbeit entfaltet. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Bandes ermöglicht es, die ökonomischen Bedingungen und regulativen Praktiken in Bezug auf Sexarbeit jenseits moralischer und ideologischer Debatten zu untersuchen.
Die Frage, ob wir uns Prostitution überhaupt anders denn als eine Form der Ausbeutung vorstellen können, wird aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich beantwortet: Engagierte Feministinnen, für die Prostitution der Gipfel patriarchaler Verhältnisse und eine „organisierte Form von Sklaverei“ ist, stimmen in der Beantwortung dieser Frage mit konservativen Abolitionisten überein, die Prostitution als Verstoß gegen die öffentliche Moral vollständig unterbinden wollen. Selbständig tätige Sexarbeiterinnen, die auf wirtschaftlicher Unabhängigkeit bestehen, werden auf diese Frage selbstverständlich anders reagieren als Frauen, die zum Handel mit Sex gezwungen wurden. Eine Frau, die ihr Geld mit sexuellen Dienstleistungen verdient, wird in der Öffentlichkeit entweder als Opfer oder als Profiteurin wahrgenommen, als eigenständige Unternehmerin, die an der Sexindustrie verdient, oder als ausgebeutete Frau, über deren Körper männliche Sexualphantasien verhandelt werden. Wie bei keinem anderen Beruf spielt in Bereich der Sexarbeit die ideologische Perspektive, die Konditionierung der Konsumenten, aber auch die individuelle Einstellung und Erfahrung der beteiligten Frauen eine entscheidende Rolle.
Der von Vanessa Munro und Marina Della Giusta herausgegebene Band Demanding Sex: Critical Reflections on the Regulation of Prostitution bietet einen umfangreichen und systematischen Einblick in die Antagonismen und das Konfliktpotential, welches die Debatten um Prostitution und die Versuche der politischen Regulierung bergen. Sie reichen von Versuchen der Legalisierung der Sexindustrie, Entkriminalisierung der Sexarbeit, über langfristige Maßnahmen zur Abschaffung der Prostitution, z. B. die Förderung ausstiegswilliger Frauen oder die Kriminalisierung des Kaufes von Sex. In die Probleme der Regulierung und Reglementierung von Prostitution spielen Fragen der Geschlechterdifferenz, staatlicher Protektionismus, Sexualpolitik, Moralvorstellungen und soziale Ungleichheit eine Rolle, dabei oftmals, so die Herausgeberinnen, „fusing and/or clashing with one another in complex, unpredictable and controversial ways.“ (S. 1).
Durch die multiperspektivische Ausrichtung des Buches und mehr noch durch den sachlichen Fokus auf Prostitution als ökonomisches Phänomen, das sich durch den Nexus von Angebot und Nachfrage darstellen lässt, gelingt es sowohl den Herausgeberinnen bei der Konzeption des Bandes als auch den einzelnen Beiträger/-innen, den Widersprüchen zu entkommen, die die gegenwärtigen Positionen zum Thema Prostitution häufig beinhalten. Aus soziologischer (Sanders und Campbell; Scuolar und O’Neill; Munro und Della Giusta), anthropologischer (Day), juridischer (FitzGerald), ökonomischer (Della Giusta; Collins und Judge; Munro), moralphilosophischer (Archard) und geschlechtertheoretischer Perspektive (Allwood; Coy) wird nach Möglichkeiten und Wegen gesucht, auf die regulativen Maßnahmen des Staates und die dahinter stehenden ideologischen Muster zu reagieren. Ob Frauen, die Geld mit Sex verdienen, als ausgebeutete ‚Prostituierte‘ betrachtet werden oder als ‚Arbeiterinnen‘, die ihren Sex verkaufen wie eine Ware: Der Handel mit Sex und dem weiblichen Körper, so die Ausgangsüberlegung der Herausgeberinnen, ist grundsätzlich nach dem kapitalistischen Modell von Angebot und Nachfrage strukturiert. Das Ergebnis ist eine überraschend unvoreingenommene Ausrichtung, die Widersprüche und Aporien nebeneinander bestehen lässt und auf diese Weise zu einer Thematisierung der Prostitution einlädt, die sowohl der moralischen Stigmatisierung als auch einseitigen Opfer- und Tätermustern widersteht.
Fast alle Beiträge nehmen kritisch zu einer abolitionistischen Perspektive Stellung, die, ausgehend von der Annahme, Prostitution untergrabe die Würde und den sozialen Status von Frauen, auf die Abschaffung der Prostitution, auf Maßnahmen, den Prostituierten den Ausstieg zu erleichtern, oder auf Kriminalisierung der Klienten zielt. Abolitionismus geht fast immer mit einer negativen Einstellung zum Thema Immigration einher und festigt den Opferstatus der betreffenden Frauen eher, als dass ihre Position gesellschaftlich und politisch bestärkt werden würde. Das anti-abolitionistische Modell versteht Prostituierte als Arbeiterinnen, deren Recht auf Selbstbestimmung gewahrt werden muss und die vor Ausbeutung zu schützen sind. Entsprechend wird in den einzelnen Beiträgen des Bandes versucht, die Vorteile, Frauen als eigenständige Verkäuferinnen von Sex zu promovieren, gegen die Risiken und Nachteile abzuwägen (wie Veräußerung der eigenen Sexualität, die Schaffung von illegalen Bereichen, in denen Ausbeutung stattfindet, und den Verlust von Möglichkeiten, den Frauen zum Ausstieg aus der Prostitution zu verhelfen). Das Ergebnis ist eine umfangreiche, vorsichtig ausbalancierte Auseinandersetzung mit soziologischen, psychoanalytischen und anthropologischen Faktoren, die im Zusammenhang mit Prostitution eine Rolle spielen.
Ein großer Teil der Beiträge (Scuolar und Neill; Phoenix; Day; FitzGerald; Sanders und Campbell) konzentriert sich auf die regulativen Praktiken in Großbritannien seit den 1990er Jahren, die im Zeichen einer regressiven Wende der New-Labour-Bewegung stehen. So untersuchen etwa Jane Scuolar und Maggie O’Neill jüngere Bemühungen, das System von Angebot und Nachfrage, nach dem sich Prostitution ausrichtet, gesetzlich zu unterbinden. Diese Bemühungen stehen in einer problematischen Nähe zu staatlicher Steuerung und Bevormundung, denn, wie Scuolar und Neill betonen, „only those who responsibly exit, who fit dominant forms of citizenship and resume normal lifestyles and relationships are socially included, leaving those outside increasingly marginalized“ (S. 13). Reintegrierungsmaßnahmen, Restriktionen und Kriminalisierung der (meistens männlichen) Kunden dienen nur vorgeblich dem Schutz der betreffenden Frauen. Solche Eingriffe und Unterbindungen von Angebot und Nachfrage, so warnen die Autorinnen, verstärken Marginalisierung und Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen und gehen von einer eindeutigen Opferrolle der Frauen und der Notwendigkeit aus, diese in die bürgerliche Gesellschaft zu reintegrieren. Dahinter steht häufig die Auffassung, dass Prostitution ein Sinnbild sexueller Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und eine Form von sexueller Sklaverei sei. Dabei wird häufig nicht zwischen Prostitution und Frauenhandel unterschieden, und auch die Frage, ob Frauen Sexarbeit frei wählen, wird irrelevant, wenn Prostitution grundsätzlich kriminalisiert wird. Die Verbindung, die Sexualität und Ökonomie in der Prostitution eingehen, wird nicht zuletzt in der fragwürdigen Unterteilung zwischen einer ‚guten‘ Sexualität, verstanden als legitimes, privates Begehren, und einer ‚schlechten‘ Sexualität, verstanden als ökonomische Transaktion, reflektiert. Als Weg aus dem diskursiven Dilemma der Prostitutionsdebatten schlagen Scuolar und Neill eine „Politik der Inklusion“ vor, die auf Rechten, Anerkennung und Neuverteilung basiert („rights, recognition, redistribution“, S. 23) und die sich zunächst in einer kritischen Revision der Rhetorik und der Bilder des hegemonialen Diskurses manifestiert, durch die der Opferstatus sich prostituierender Frauen immer wieder neu fortgeschrieben wird. Ohne konkrete Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen belegen sie diese Strategien mit dem etwas unscharfen Begriff „de-‚Othering‘“ (S. 25).
Die Anthropologin Sophie Day untersucht in einem informativen Aufsatz die britische Regulierungspolitik seit den 1950er Jahren, in denen der so genannte Wolfenden Report aus dem Jahr 1957 ambivalente Richtlinien statuierte, die Prostitution als ein ‚öffentliches Ärgernis‘ restriktiv behandelte, während Homosexualität als private Angelegenheit angesehen und erstaunlicherweise toleriert wurde. Day kritisiert die strikte Unterteilung, die sich im britischen Diskurs zwischen öffentlichem und privatem Bereich auftut und Sexarbeiterinnen, aber auch Aktivistinnen legal unsichtbar und mundtot zu machen versucht: Prostitution wird toleriert, solange sie stigmatisiert bleibt und hinter verschlossenen Türen stattfindet, und sie wird bekämpft, sobald sie öffentlich sichtbar ist.
Die Beiträge von Vanessa Munro und Sharron FitzGerald weiten diese Debatte auf einen internationalen Kontext aus und konzentrieren sich auf den Begriff der Ausbeutung im Hinblick auf Sexhandel, Sexarbeit und andere Arbeit, der in Bezug auf Migrant/-innen auf unterschiedliche Weise verwendet wird. Munro kritisiert den Mangel an theoretischer Klarheit im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen Sexarbeit und gewöhnlichen Formen von Arbeit, wodurch eine Reihe wichtiger Fragen unbeantwortet bleibe (vgl. S. 90). Munro fordert eine genauere Untersuchung des Begriffs der Ausbeutung und seiner Implikationen in Bezug auf Arbeit und Sexarbeit auf einer globalen Ebene. Dabei lässt sie die Frage offen, ob Sexarbeit als besondere Form der Arbeit anders zu behandeln sei als gewöhnliche Arbeit, oder ob sich strukturelle Ähnlichkeiten finden lassen. FitzGerald analysiert die Reaktionsweisen, mit der die Gesetzgeber auf nationaler und internationaler Ebene auf ‚ungeregelte‘ Migration antworten: Prostitution wird häufig als ein der illegalen Migration inhärentes Problem behandelt, anstatt nach den sozialen und kulturellen Bedingungen zu fragen, die Armut und Ungleichheit konstituieren. Die politischen Maßnahmen zur Regulierung der Sexarbeit illegaler Migrantinnen weist eine deutliche Tendenz auf, die individuelle Entscheidung derjenigen Frauen zu missachten, die Prostitution als Mittel wählen, um sich im Westen bessere Lebensbedingungen zu erarbeiten. Den betreffenden Frauen wird stattdessen eine passive und depersonalisierte Rolle zugewiesen, so dass über ihre individuelle Situation hinweg Politik gemacht werden kann.
In einer ganzen Reihe von Beiträgen wird das Problem der Regulierung von sexuellen Dienstleistungen durch eine Analyse der Partizipation der Klienten entwickelt; hier wird vor allem das schwedische Modell in der Vordergrund gerückt, nach dem nicht der Verkauf, sondern die Bezahlung sexueller Dienstleistungen kriminalisiert wird. Während sich Marina Della Guista auf die ökonomischen und politischen Implikationen und Konsequenzen einer restriktive Regulierung der Prostitution konzentriert, untersuchen die Ökonomen Alan Collins und Guy Judge das Verhältnis zwischen Klienten und Prostituierten im Zusammenhang mit staatlichen Eingriffen im Zuge der New-Labour-Politik, in denen die soziale Kontrolle verschärft wird. Collins und Judge zufolge kann Prostitution nur mit Einschränkungen in den ökonomischen Nexus von Angebot und Nachfrage überführt werden, weil das Phänomen Prostitution unterschiedliche Märkte (Straßenprostitution, Bordelle und Nachtklubs, Internet, Eskortdienste etc.) mit unterschiedlichen Stigmatisierungen umfasst. Das Maß der Aktivität und Bereitschaft der Konsumenten steht dabei in unmittelbarem Verhältnis zu ‚Kosten‘ wie Reputationsverlust, persönlichem Risiko, finanziellen und gesetzlichen Konsequenzen.
Aus moralphilosophischer Perspektive untersucht auch David Archard das Verhältnis von Klienten und Sexarbeiterinnen und überlegt, inwiefern es moralisch zu rechtfertigen ist (vgl. S. 160), eine Person zugunsten einer anderen Person zu kontrollieren. Dabei betont Archard den Umstand, dass Männer, die sexuelle Dienste von Frauen in Anspruch nehmen, meistens nicht wissen, ob mit diesen Frauen Menschenhandel betrieben wird oder nicht. Rosie Campbell und Teela Sanders gehen der Frage „Why hate men who pay for sex?“ aus ökonomischer und juridischer Perspektive nach, und zwar im Hinblick auf sich verschärfende Maßnahmen zur Regulierung und Bekämpfung der Prostitution seit den 1990er Jahren in Großbritannien, die die Nachfrage durch „naming and shaming“ der involvierten männlichen Klienten zu unterbinden versuchten und sogenannte „kerb crawler rehabilitation programmes“ einführten.
Einen Kontrapunkt zu diesen anti-abolitionistischen Analysen bildet Madeleine Coy, die im abschließenden Aufsatz des Bandes eindringlich vor einer diskursiven Normalisierung der Sexarbeit im Zuge einer zunehmend kommodifizierten Auffassung von Sexualität in der modernen Gesellschaft warnt. Ebenso wie die vorangegangen Aufsätze fußt auch Coys Argumentation vornehmlich auf persönlichen Narrativen, doch anders als ihre Vorgänger/-innen kommt sie zu dem Schluss, dass gerade die Normalisierung der Prostitution die Degradation und Entpersonalisierung der betreffenden Frauen fördere. Coys Beitrag betont den Aspekt der Gewalt gegenüber Frauen und stellt eine notwendige Ergänzung zu der Kritik am abolitionistischen Modell dar, den die übrigen Beiträge fast durchgehend (berechtigterweise) üben. Die Tatsache, dass sich sämtliche Aufsätze durchaus nicht gegenseitig widerlegen, sondern eher unterschiedliche und unversöhnliche Aspekte in der Debatte um Prostitution reflektieren, unterstreicht die Vielfalt der Perspektiven zum Thema Prostitution. Der Band, so darf vermutet werden, wird eine wichtige Referenz in der Auseinandersetzung mit dem Thema Sexarbeit darstellen. Dafür birgt nicht nur die Qualität der einzelnen Artikel, sondern auch ein jeweils umfangreiches Literaturverzeichnis im Anhang. Demanding Sex lädt ein zu einer differenzierten und informierten Auseinandersetzung, und es bleibt zu wünschen, dass sich gerade im Anschluss daran weitergehende theoretische Überlegungen eröffnen, welche dem Antagonismus von Sex, Handel und Arbeit nachgehen. Denn in der so genannten ‚Prostitution‘ vermischen sich nicht nur soziale Probleme wie Armut und Ausbeutung mit dem Begehren nach Sex in (vornehmlich männlichen) Sexualphantasien. Die Frage der Prostitution bleibt immer auch eine Frage der Perspektive: In der Prostitution als einer Form von Arbeit, die dem kapitalistischen Verhältnis von Angebot und Nachfrage unterworfen ist, müssen immer wieder der einzelne Fall und die besonderen Umstände berücksichtigt werden, in denen sich die Verteilung von Opfer- und Täterrollen durchaus unterschiedlich manifestieren kann.
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