Editorial zu querelles-net 11(1)

Ulla Bock, Valeria Raupach, Anita Runge, Marco Tullney

Liebe Leserinnen und Leser,

zumindest in den Medien haben die Themen Prostitution und Pornografie derzeit Konjunktur. Aus feministischen und geschlechterforschenden Perspektiven verlaufen die Diskussionen vielfach nach bekannten Mustern. Während nach wie vor viele Feministinnen Prostitution und Pornografie strikt ablehnen und als Kumulation von Sexismus und Gewalt ansehen, gibt es auch andere Stimmen, die einen differenzierteren Blick einfordern. Zentral ist die Frage nach der Unterdrückung von Frauen – verbunden mit dem komplizierten Umgang mit Frauen, die in diesen Feldern agieren. Doch auch Fragen nach Moral, nach der Legitimität käuflicher Sexualität spielen eine Rolle – und bringen Feministinnen teilweise in (dann wiederum kritisierte) Nähe zu konserativ-religiösen Akteuren. Wir widmen uns in dieser querelles-net-Ausgabe den Themen Prostitution und Pornografie, um zu schauen, welche Erkenntnisse aktuelle Bücher in der Geschlechterforschung liefern, und um Diskussionen anzuregen, die sich jenseits von Verdammung und Glorifizierung hinausgehen.

In Diskussionen zum Thema Prostitution geht es vielfach um die Wirkung und Wirksamkeit des Prostitutionsgesetzes. Neben der Frage, ob das Gesetz die Lage von Prostituierten tatsächlich verbessert habe, dominieren Auseinandersetzungen um die prinzipielle Möglichkeit von Freiwilligkeit in der Prostitution und um den Zusammenhang mit Menschenhandel und ‚illegaler‘ Einreise. Mit durchaus rassistischem Unterton werden in vielen Diskussionsbeiträgen Prostituierten jegliche Selbstbestimmung abgesprochen, ihre Opferrolle festgeschrieben und allen Gesetzen zum Trotz Prostitution als quasi-kriminelle Tätigkeit gebrandmarkt.

Sechs Rezensionen des Schwerpunkts widmen sich aktuellen Büchern zum Thema Prostitution. Ulrike Lembke rezensiert einen aktuellen Überblicksband zum Umsetzungsstand des Prostitutionsgesetzes in Deutschland. Ähnliche Fragestellungen werden aus der Perspektive der Organisierbarkeit von Sexarbeiter/-innen in der Rezension von Wiebke Dierkes angesprochen. Der Rolle von Prostitution als besonderer Form der Arbeit widmet sich der von Nicola Behrmann rezensierte Band, während Mathilde Darley einen Titel bespricht, der Prostitution als deviantes Handeln im städtischen Raum interpretiert. Julian Herbert Köck wendet sich in seiner Rezension der Frage nach der Existenz antiker Tempelprostitution zu, und Susanne Hofmann beschäftigt sich mit einem radikal-kritischen Buch zur Globalisierung der Sexarbeit.

Aktuelle Pornografiedebatten, die seit Monaten auch in Massenmedien geführt werden, thematisieren v. a. zwei Fragestellungen. Es gab vielfältige Diskussionen um die Möglichkeiten und Grenzen feministischer, ‚anderer‘, queerer, nicht-diskriminierender Pornografie. Vor allem das (mittlerweile vierte) „Pornfilmfestival“ Ende Oktober 2009 und die Verleihung des 1. Feministischen Porno-Filmpreises ebenfalls im Oktober führten zu umfangreicher Berichterstattung im Feuilleton.

Mehr noch als die (Un-)Möglichkeit nicht-frauenverachtender Pornografie interessiert das Feuilleton die Verwahrlosung der Jugend, inzwischen mannigfach als ‚Generation Porno‘ bezeichnet. Die stets, überall und für alle verfügbare Pornografie im Internet (vgl. etwa ein aktuelles Titelbild des Berliner Magazins zitty) wird dabei bisweilen als Katalysator für eine Entwicklung hin zu einer verrohten, emotionslosen und sexualisierten Jugend ausgemacht. Romane junger Autorinnen, die pseudo-authentisch in drastischen Worten über Sexualität schreiben, verkaufen sich gut und begeistern manche Kritiker/-innen; der aktuelle UniSPIEGEL brachte etwa „pornografische“ Romane von Studentinnen als Titelgeschichte. In den Rezensionen dieser Ausgabe hat diese medial aufgeheizte Debatte um jugendlichen Pornografiekonsum, die vielfach verknüpft ist mit stigmatisierenden städtischen Verwahrlosungs- und Unterschichtsdebatten, noch keinen Niederschlag gefunden – allerdings werden die populären Debatten sicherlich mit etwas Verzögerung auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen werden.

Vier Rezensionen des Schwerpunktes behandeln Neuerscheinungen zur Pornografie. Florian Cramer untersucht den Katalog zur Wiener Ausstellung „The Porn Identity“ und diskutiert an diesem Beispiel das Verhältnis von Pornografie und Kunst. Der pornografische Film und seine Rezeption stehen im Mittelpunkt zweier Arbeiten, die von Sarah Dellmann und Lea Wohl rezensiert werden. Digitale Pornografie insbesondere im Internet schließlich ist das Thema der Rezension von Claudia Münzing.

Im Forum veröffentlichen wir zwei Beiträge zur feministischen Diskussion über Pornografie und zur Verwendung des Begriffs Pornografie. Caroline Schubarth kritisiert die instrumentalisierende Verwendung des Pornografiebegriffs als Metapher. Corinna Rückert weist die Gleichsetzung von Pornografie, Sexualität und Gewalt zurück und thematisiert Funktion und Wirkung von Pornografie.

Im Kern kommen viele feministische Diskussionen um Pornografie und Prostitution auf zwei zentrale Fragen zurück: Ist autonomes Handeln, sind Selbstbestimmung und Freiwilligkeit im Umfeld von Sexualität und Geld möglich – oder werden sie durch gesellschaftliche Zwangsverhältnisse verhindert? Und falls freiwillige Entscheidungen möglich sind – sind sie erlaubt oder verfolgen Prostituierte und Pornodarstellerinnen und -macherinnen eine hedonistische neoliberale Agenda und setzen ihr illegitimes eigenes Wohl gegen eine an sich nötige kollektive Absage an Pornografie und Prostitution? Warum in diesen Themenfeldern der individuelle Verstoß gegen die kollektiv ersehnten guten Sitten allerdings mit so viel mehr Vehemenz diskreditiert wird als in vielen anderen Bereichen, wird in aller Regel nicht erklärt. Vielleicht können die Rezensionen und Beiträge dieser Ausgabe dazu weitere Anregungen liefern.

Wie immer freuen wir uns über Rezensionsangebote und möchten Sie deshalb nachdrücklich auf unsere Vorschlagliste hinweisen: http://www.querelles-net.de/index.php/qn/pages/view/vorschlaege

Ihre Redaktion querelles-net

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