Anke Kerschgens:
Die widersprüchliche Modernisierung der elterlichen Arbeitsteilung.
Alltagspraxis, Deutungsmuster und Familienkonstellation in Familien mit Kleinkindern.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009.
257 Seiten, ISBN 978-3-531-16368-0, € 34,90
Abstract: Anke Kerschgens untersucht in ihrem Buch die Bestimmungsgründe der Arbeitsteilung bei Elternpaaren mit Kleinkindern und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die unbewussten Gründe für eine den verbalisierten Einstellungen teilweise widersprechende Praxis. Auch wenn viele Befunde und Schlussfolgerungen nicht wirklich neu sind, bietet die Arbeit einen guten Anhaltspunkt für interdisziplinäre Fortentwicklungen von soziologischen Theorien der Arbeitsteilung.
Über die Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern in Paarbeziehungen wurde in den letzten Jahren sehr viel geforscht und geschrieben. Allerdings ist dabei zuletzt kaum noch neues Wissen über dieses auch gesellschaftspolitisch relevante Phänomen hinzugekommen. Vielmehr wurden hauptsächlich bekannte Befunde reproduziert: Obwohl immer mehr Menschen das traditionelle Familienbild ablehnen und die Anzahl ‚neuer Männer‘ stetig anzusteigen scheint, erledigen Frauen nach wie vor deutlich mehr unbezahlte Arbeit in Paarhaushalten als Männer. Zudem wird diese Arbeitsteilung bei den meisten Paaren durch normative und ökonomische Mechanismen stabilisiert und erweist sich im Beziehungsverlauf in aller Regel als weitgehend irreversibel. Kurzum, die vielbeschworene „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ (Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main 1986, S. 169) ist immer noch gesellschaftliche Realität und tiefgreifende Veränderungen sind auf absehbare Zeit wohl nicht in Sicht.
Nicht ansatzweise so häufig erforscht sind indessen die Mechanismen dieser widersprüchlichen Modernisierung des Geschlechterverhältnisses, gleichsam dieser „Illusion der Emanzipation“ (Koppetsch, Cornelia/Burkart, Günter: Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich. Konstanz 1999). Warum gelingt es so wenigen Paaren, die Idee der Gleichheit tatsächlich in die Praxis umzusetzen? Warum praktizieren so viele Paare nach wie vor eine traditionelle Arbeitsteilung, obwohl „modernisierte Deutungsmuster der Familienbeziehungen“ (S. 237) längst in den Köpfen der Akteure angekommen sind? Liegen die Ursachen in situationalen Restriktionen, rationalen Kalkülen oder internalisierten sozialen Normen und daran orientierten Identitätsformationsprozessen?
Dieses Szenario und die sich anschließenden Fragen bilden den Ausgangspunkt für die Studie von Anke Kerschgens über die Alltagspraxis der elterlichen Arbeitsteilung in Familien mit Kleinkindern sowie die Bedingungsfaktoren dieser Arrangements. Kerschgens Ziel ist es, die individuellen, paargemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und Mechanismen zu identifizieren, die dazu führen, dass den bewusst geäußerten Einstellungen zum Teil widersprechende Muster der Arbeitsteilung praktiziert werden. Indem sie aus psychologischer Perspektive vornehmlich auf die individuellen Deutungsmuster und die unbewussten Familienkonstellationen der Paare blickt, beschreibt sie genau die Bedingungsfaktoren, die in soziologischen Analysen nur unzureichend thematisiert werden. Wie Kerschgens theoretisch und empirisch überzeugend zeigt, sind für ein umfassendes Verständnis der Arbeitsteilung gerade diese Entwürfe von zentraler Bedeutung.
Im Rahmen einer empirischen Untersuchung, basierend „auf der Rekonstruktion von zehn gruppenanalytisch orientierten Forschungsgesprächen“ (S. 77) mit Elternpaaren von Kleinkindern (weitgehend offene „Familiengespräche“, S. 84 ff.), arbeitet Kerschgens die wesentlichen Zusammenhänge zwischen Deutungsmustern, Familienkonstellationen und Arbeitsteilung heraus. Sie zeigt, dass die befragten Familien „in Bezug auf die elterliche Arbeitsteilung von einer Modernisierung des Geschlechterverhältnisses erfasst werden“ (S. 236). Ebenso wenig überraschend ist, dass die alten Deutungsmuster der bürgerlichen Familie dadurch nicht abgelöst werden, sondern koexistieren und „nachweisbar in Wechselwirkung zueinander treten“ (S. 237). So haben beispielsweise sowohl das Deutungsmuster des neuen Vaters als auch das des männlichen Ernährers einen Orientierungswert für junge Eltern. Dies ermöglicht in gewisser Weise, so Kerschgens, den Fortbestand alter Deutungsmuster unter neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, was unter anderem dazu führen kann, dass eine „Problematisierung der Arbeitsteilung vermieden […] und in ihrem Konfliktpotential für die (teilmodernisierte) Paarbeziehung entschärft“ (S. 239) wird (ähnliche Überlegungen findet man zum Beispiel in den Arbeiten Jean-Claude Kaufmanns, vor allem in: Schmutzige Wäsche. Ein ungewöhnlicher Blick auf gewöhnliche Paarbeziehungen. Konstanz 2005). Für das Zustandekommen einer bestimmten Praxis der Arbeitsteilung sind darüber hinaus auch die unbewussten familialen Entwürfe von Bedeutung, da sich darin die Vorstellung einer triadischen Balance und die Zuweisung von Autonomie und Bindung zwischen den beiden Partnern auf der einen und den Eltern und den Kindern auf der anderen Seite niederschlagen (vgl. S. 240 ff.).
Diese eher abstrakten Interpretationen werden illustriert durch vier idealtypische Fälle, die Kerschgens aus ihrem Datenmaterial extrahiert hat und die das empirische Spektrum der in ihrer Stichprobe vorkommenden Lebensentwürfe hinreichend gut abbilden: Der „Entwurf mit traditionell-hierarchischer Arbeitsteilung“ (S. 89 ff.) entspricht einem patriarchalen Familienmodell klassisch-bürgerlicher Prägung, der „Entwurf mit egalitärer und familienzentrierter Arbeitsteilung“ (S. 116 ff.) skizziert ein Modell im Sinne moderner Partnerschaftlichkeit. Der Entwurf einer „berufszentrierte[n] Arbeitsteilung auf traditioneller Basis“ (S. 145 ff.) dürfte am ehesten dem Modell der weiblichen Doppelbelastung entsprechen, da hier eine hohe Berufsorientierung beider Partner mit einer einseitig-traditionellen Aufgabenteilung im Haushaltsbereich einhergeht. Der vierte Fall der „Integrationsbewegungen auf Basis traditionell elterlicher Arbeitsteilung“ (S. 181 ff.) umfasst Paare, deren Beziehungen durch ein eher diffuses Verhältnis von „Hierarchie, Egalität und Berufszentrierung“ (S. 232) gekennzeichnet sind.
Auf Grundlage dieser vier Fälle hat Anke Kerschgens eine sauber durchgeführte und gut dokumentierte fallrekonstruktive Untersuchung über die „verschiedenen bewussten und nicht bewussten oder unbewussten“ (S. 244) Bestimmungsgründe der Arbeitsteilung vorgelegt. Die Lebens- und Deutungszusammenhänge der Paare wurden stringent herausgearbeitet und detailreich begründet. Leider fehlen am Ende pointierte und womöglich auch provokante Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Konsequenzen für die (soziologische) Theoriebildung sowie mögliche offene Fragen.
Neben sicherlich vielen interessanten und wichtigen Ansätzen zum Weiterdenken hinsichtlich der Stichprobenziehung, des verwendeten Arbeitsteilungsbegriffs, dessen Reichweite und Verallgemeinerbarkeit, der Variation der Befunde entlang sozialstruktureller Ungleichheitsmerkmale (vor allem der Bildung), eines möglichen Zusammenhangs der unbewussten Dimensionen mit quantitativ operationalisierbaren Konstrukten oder der Generalisierbarkeit der Befunde erscheint aus Sicht der (quantitativ orientierten) soziologischen Forschung an dieser Stelle der folgende Aspekt am bemerkenswertesten:
Im Zuge der Entwicklung ihrer Fragestellung deutet Kerschgens an, dass soziologische Analysen „eine entscheidende Forschungslücke“ (S. 11) im Hinblick auf den Einfluss von unbewussten Faktoren auf die elterliche Arbeitsteilung aufweisen. Offen bleibt jedoch die Frage, inwieweit die kritisierte soziologische Forschung von den Ergebnissen dieser Studie profitieren könnte, gleichsam wie die in Kerschgens Studie entdeckten Zusammenhänge und Mechanismen systematisch in die soziologische Theorie integriert werden könnten.
Ein Ansatzpunkt ließe sich beispielsweise in der neueren Längsschnittforschung zur Dynamik der Arbeitsteilung in Paarbeziehungen finden. Diese arbeitet derzeit vornehmlich auf Basis von Rational-Choice-Modellen, die auf Annahmen über die Sinnhaftigkeit von Handlungen im Hinblick auf das Erreichen bestimmter Ziele in gegebenen Situationen basieren. Diese Annahmen und Sinnunterstellungen könnten mit den empirischen Befunden über die unbewussten Einflüsse auf das Handeln und deren mögliche Veränderungen über die Zeit konfrontiert und damit zumindest einer Art Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Darüber hinaus könnten die empirischen Daten zur Weiterentwicklung des Framing-Ansatzes herangezogen werden. Mögliche Ansatzpunkte hierfür wären die individuellen und paargemeinschaftlichen Rationalisierungen und Rechtfertigungen der elterlichen Arbeitsteilung, die im Sinne handlungsrelevanter Situationsdefinitionen verstanden werden könnten. Oder es könnte die Bedeutung von Identitätsformationsprozessen, die ja ebenfalls weitgehend unbewusst ablaufen, für die Herausbildung und den Fortbestand von Arbeitsteilungsmustern besser eingeschätzt werden.
Eines von vielen Zielen der zukünftigen Arbeitsteilungsforschung muss es demnach sein, das Potential interdisziplinärer Forschung praktisch aufzugreifen und nicht nur aus den perspektivischen Defiziten einer Disziplin (in Kerschgens Fall der Soziologie) die Fragestellungen einer anderen Disziplin (in Kerschgens Fall der Psychologie) zu rechtfertigen, sondern vielmehr die theoretischen Schlussfolgerungen aus Studien anderer Disziplinen systematisch in die Theoriebildung der originären Perspektive zu integrieren. Studien wie die von Anke Kerschgens liefern dafür fruchtbares empirisches Material und theoretische Anknüpfungspunkte.
URN urn:nbn:de:0114-qn112047
Dr. Florian Schulz
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg
E-Mail: florian.schulz@iab.de
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