Eva Rieger:
Leuchtende Liebe, lachender Tod.
Richard Wagners Bild der Frau im Spiegel seiner Musik.
Düsseldorf: Patmos Verlag 2009.
295 Seiten, ISBN 978-3-538-07270-1, € 24,90
Abstract: Eva Rieger lässt den Leser/die Leserin in das Schaffen Wagners eintauchen. Dabei ermöglicht sie nicht nur einen Überblick über Wagners wichtigste Werke und persönliche Beziehungen, sondern führt außerdem vor Augen, wie Geschlecht nicht nur in den Geschichten der Opern, dem Text, (re-)produziert wird, sondern ebenfalls in der Musik(-sprache) Wagners. Rieger zeigt eindrücklich, wie und in welcher Weise Wagner in seinen Opern seine Musiksprache für das Erzeugen von Stimmungen, Charakterzüge und eben auch von Geschlechterrollen nutzt. Dabei wird deutlich, wie bei Wagner biographisch nachweisbare lebensgeschichtliche Erfahrungen mit den Weiblichkeitsbildern, die er in seinen Opern schafft, korrespondieren.
Wenn ich bereits vor der Lektüre von Eva Riegers Buch keine besonders große Richard-Wagner-Bewunderin war, so hat sich mein Zugang zu diesem (zugegeben) bedeutenden deutschen Komponisten nach der Lektüre auch nicht entspannt. Das ist nicht der Autorin geschuldet, die eine wunderbare Arbeit geleistet hat, sondern vielmehr dem Bild, das Rieger von Wagner und seinem Schaffen zeichnet. In 14 Kapiteln beschreibt sie die Handlungsspielräume für Männer und Frauen, die Wagner in seinen Opern eröffnet (vgl. S. 29), und lässt den Leser/die Leserin in die musikalische Welt Wagners eintauchen. Sie zeigt, wie und in welcher Weise Wagner seine Opern und seine Musiksprache nutzt, um Stimmungen, Charakterzüge und eben auch Geschlechterrollen zu (re-)produzieren. Biographisch nachweisbare Erfahrungen Wagners und die Weiblichkeitsbilder, die er in seinen Opern schafft, korrespondieren oft miteinander. In seinem Opernwerk gibt es jedoch auch Frauenfiguren, die auf Brüche im bürgerlichen Weiblichkeitsideal verweisen.
Wagner glorifiziert in seinen Opern den strahlenden männlichen Helden und die liebende, aufopferungsbereite Frau. Auch im Privaten erwartete er diese Haltung von den Damen, die den Weg in sein Herz fanden. Sie sollten ihm Stütze sein, ihn ganz bewundern und ihm das von ihm gewünschte Selbstbild eines Mannes, der Erschaffer und Genie ist, spiegeln. Gestalteten sich seine Beziehungen schwierig oder aussichtslos, versank er in Lethargie und zweifelte an sich und der Welt. Gleichzeitig war er jedoch gerade in solchen Lebensphasen besonders produktiv. Wagners Frauenbild ist, wie Rieger zeigen kann, geprägt von diesem Idealbild der hingebungsvollen Frau, die den geliebten Mann durch ihre Bereitschaft, sich zu opfern, erlösen kann.
Für Wagner gab es eine „ewige Natur“ der Frau (S. 265). Er war von der ‚Natürlichkeit‘ der Geschlechtscharaktere überzeugt. So schien es ihm folgerichtig, Frauen und Männern bestimmte Eigenschaften zuzuordnen. Eine binäre Geschlechterrollenvorstellung durchdringt sein Denken, seine Schriften und seine Musik und prägt so auch sein Opernwerk (vgl. S. 10). In den Opern nutzt er neben der erzählten Geschichte und der Sprache der Libretti vor allem auch seine eigens geschaffene Musiksprache, um die Geschlechtsspezifik der Figuren und die Hierarchie im Verhältnis der Geschlechter darzustellen. Diese Hierarchie hält Wagner aufgrund der ‚natürlichen‘ Unterschiede zwischen den Geschlechtern für vorgegeben. Seine Opern sind durchsetzt vom bürgerlichen Idealbild der Frau, die dem Mann als Gefährtin zur Seite steht und für ihn alles – in den meisten seiner Opern auch ihr Leben – opfert.
Rieger sieht darin nicht unbedingt eine bewusste Intention: „Möglicherweise war Wagner nicht bewusst, dass er damit die Frauen die Hoffnungen der Menschheit schultern lässt – eine Last, die ohne tatkräftige Mithilfe des anderen Geschlechts nicht dauerhaft zu tragen ist“. (S. 269). Sie arbeitet aber in ihrem Buch überzeugend heraus, dass das Erschaffen von absoluten, perfekten, aufopferungsvollen Frauenfiguren in Wagners Opern im Zusammenhang mit seinen (unglücklichen) Liebschaften stand.
Doch Wagner entwirft auch Frauenfiguren, die einen Gegenentwurf zum bürgerlichen Ideal einer aufopfernden Frau darstellen (können). So seien beispielsweise die Walküren aus Wagners Der Ring des Nibelungen eine Gruppe Frauen, die nicht dem Bild einer sich opfernden Frau entsprechen. Sie seien Kämpferinnen, die unabhängig (von Männern) leben. Ob er sie bewusst als Gegenentwurf zum bürgerlichen Frauenideal gestaltet hat, bleibt nach Rieger ungewiss. Wagner lasse jedoch die „Vision einer Frau aufleuchten, die die herkömmliche Geschlechteridentität durchbrechen könnte“ (S. 267).
Brünnhilde, eine der Walküren, Tochter des Wotan und Geliebte Siegfrieds, entwickele sich jedoch im Laufe der Opernhandlung zu einer ‚richtigen‘, aufopfernden Frau. So zeige sich auch in Der Ring des Nibelungen die Notwendigkeit, einer Frau den ‚richtigen‘ Platz zuzuweisen: „Die Frau sollte die geistige Größe des Mannes erkennen und bewundern, damit dieser das, was wir sein können und sollen erreicht: die höchste Stufe der menschlichen Entwicklung.“ (S. 187) Gleichzeitig schlummere in dieser Figur jedoch ein Potential, mit dessen Hilfe die Geschlechterrollenbilder durchbrochen werden könnten, wenn es in Wagner-Inszenierungen in der Funktion einer Brechung genutzt würde.
Für Wagner war Musik eine eigene Sprache. Er selbst gab der Musik(sprache) sogar eine größere Bedeutung als dem Text: „Erst durch die Musik [wird meine dichterische Absicht] deutlich, das habe ich nun wieder ersehen: ich kann jetzt das musiklose Gedicht gar nicht mehr ansehen.“ (Richard Wagner, zit. nach Rieger, S. 15)
Wagner war der Ansicht, dass Musik all das ausdrücken kann, was der Sprache nicht möglich ist. Sein Ziel war es, Musik und Sprache zu verschmelzen. Diese Idee setzte er in seiner eigenen Musiksprache um. Der Charakter einer Person wird hierbei durch die Zuordnung entsprechender Rhythmen und Melodien ausgestaltet. Seine Musiksprache war eine Innovation, die gleichzeitig Neues schuf und an Traditionen anknüpfte.
Wagner nutzte Tonart, Rhythmus, Tempo, Harmonik, Intervalle und den Ausdruck der Singstimme, um seine Operncharaktere zu beschreiben und ihnen Eigenschaften zuzuordnen. So werden unterschiedlichen Intervallen bestimmte musikalische Affekte zugeschrieben. Kleine Terzen werden zum Beispiel immer mit einer Molltendenz verbunden und haben damit oft einen unbehaglichen oder elegischen Effekt. Auch mit Hilfe des Rhythmus können Gefühle wie Ernst oder Schwermut, aber auch Lust beschrieben werden. Bei der Instrumentation werden Streichinstrumenten meist zärtliche oder melancholische Affekte zugeordnet. Das Horn vertont meist eine Situation, in der die Jagd eine Rolle spielt. Blechbläser stehen oft für Selbstbewusstsein oder eine privilegierte Stellung. Auch durch die Harmonik können bestimmte Stimmungen und Spannungen erzeugt werden.
Ein wichtiger Bestandteil der wagnerschen Musiksprache sind die Motive, die er den einzelnen Personen, aber auch bestimmten Handlungen, Stimmungen, Bewegungen oder Situationen zuordnet. Wie er sie miteinander verquickt, ist laut Rieger einzigartig (vgl. S. 22). Wagner (re-)produziere in seiner motivischen Musiksprache Rollenbilder und Hierarchien im Geschlechterverhältnis. Die Frau werde bei Wagner immer wieder mit Tod, Sterben und Leiden in Verbindung gebracht, zum Beispiel durch abwärts gerichtete Motive.
Rieger hat in ihrem Buch geschickt die Darstellung von Opernkomposition, die Untersuchung der wagnerschen Musiksprache und die der biographischen Entwicklung des Komponisten miteinander verknüpft. Ihre luzide Analyse der Musiksprache Wagners ist eine überzeugende Grundlage für den Nachweis, wie Geschlecht nicht nur in der Handlung der Opern, sondern auch in der Musik immer wieder (re-)produziert wird. Rieger zeigt überzeugend, wie den Frauen- und Männergestalten durch die Musik Eigenschaften und Positionen zugedacht werden.
Einziger kleiner Wermutstropfen an der hervorragenden Arbeit Riegers war für mich das Fehlen einer geschlechter- und gesellschaftstheoretischen Einbettung. Hier hätten zum Beispiel die Geschlechtscharaktere, die Wagners Haltung und sein Werk prägten, und ihre Einbettung in die bürgerliche Gesellschaft der wagnerschen Zeit intensiver herausgearbeitet werden können.
Doch schmälert dies nicht den Wert von Riegers Arbeit, nach deren Lektüre sich ein differenziertes Bild von Wagners Leben und Schaffen, aber vor allem von seiner Musiksprache eröffnet. Rieger selbst betont zu Recht, dass es nicht Inhalt ihrer Arbeit sei, einmal mehr die Frauenfeindlichkeit von Wagners Haltung herauszustellen. Ihr Ziel sei es zu zeigen, wie das hierarchisierte Geschlechterverhältnis in den künstlerischen Prozess eingebunden ist und mit Hilfe der Musiksprache Wagners immer wieder seinen Niederschlag in den Opern findet.
URN urn:nbn:de:0114-qn113095
Gesa Krüger
Hessisches Sozialministerium
Diplomierte Sozialwissenschaftlerin, Zertifizierte Kulturmanagerin, Tätig als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Hessischen Sozialministerium
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