Immer in Bewegung bleiben!

Rezension von Zuzanna Aleksandra Jakubowski

Alexandra Ganser:

Roads of Her Own.

Gendered Space and Mobility in American Women’s Road Narratives, 1970–2000.

Amsterdam u. a.: Rodopi 2009.

339 Seiten, ISBN 978-90-430-2552-3, € 68,00

Abstract: Am Beispiel von road novels aus der amerikanischen Literatur seit 1970 zeigt Alexandra Ganser, dass der männlich markierte Mythos der ‚Freiheit der Straße‘ von Schriftstellerinnen aufgegriffen und von den Texten mal mehr, mal weniger stark subvertiert wird. Die Autorin setzt sich intensiv mit aktuellen theoretischen Diskursen über Raum und Mobilität auseinander und erweitert die gender-kritische Perspektive mithilfe des analytischen Konzepts der Transdifferenz.

Die Straße ist ein männlicher Raum. Frauen, die sich darauf herumtreiben, haben sich entweder verlaufen oder sind vom Pfad der Tugend abgekommen. Die Straße steht für Öffentlichkeit, Mobilität und Männlichkeit. Ihr gegenüber steht das Zuhause, der private, weibliche Raum, der aber im Angesicht häuslicher Gewalt nur scheinbar Sicherheit und Geborgenheit bieten kann. Auch das Genre der road novel ist unübersehbar geschlechtlich markiert: Angefangen mit Jack Kerouacs Bibel der Beatgeneration On the Road (1957) bis hin zu Cormac McCarthys Vater-Sohn-Endzeitszenario The Road (2006), ist die Straße – uramerikanischer Mythos und Symbol für Freiheit – in der Literatur wie im Film und der Populärmusik ein männlich dominierter Raum. Daher auch sind weibliche Exemplare des road-Genres, von Frauen verfasst und mit weiblichen Protagonistinnen versehen, nicht nur ein Ausnahme, sondern immer auch als eine Korrektur zur männlich-dominanten Folie zu begreifen.

Diskursive Straßen

Alexandra Ganser untersucht in ihrer englischsprachigen Monographie Roads of Her Own: Gendered Space and Mobility in American Women’s Road Narratives, erschienen in der Reihe „Spatial Practices: An Interdisciplinary Series in Cultural History, Geography and Literature“ des Rodopi Verlags, die hegemoniale Konstruktion geschlechtsspezifischer Räume in der Literatur seit 1970 am Beispiel des Motivs der Straße, der amerikanischen road. Mobilität entwirft sie dabei anhand einer großen Auswahl amerikanischer Romane aus den Jahren 1970 bis 2000 als eine dem essentialistischen Geschlechterkonzept potentiell widerständige Handlung. In ihrem überaus fundierten Forschungsüberblick bezieht sich Ganser auf die Arbeiten von Henri Lefebvre, Edward Soja, Doreen Massey, Tim Cresswell sowie von Gilles Deleuze und Félix Guattari und setzt sich produktiv mit den darin vertretenen Raumkonzepten auseinander. Entstanden ist die Studie als Dissertation am von der DFG geförderten Graduiertenkolleg „Cultural Hermeneutics: Reflections on Difference and Transdifference“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Roads of Her Own – eine Anspielung auf Virginia Woolfs grundlegenden feministischen Essay A Room of One’s Own (1929) – ist im Rahmen des spatial turn anzusiedeln, einer Forschungsrichtung in den Kultur- und Sozialwissenschaften, die sich mit Räumen als diskursiven Praktiken beschäftigt. Räume werden darin nicht länger als geometrisch vermessbare, euklidische Behälter verstanden, sondern als Ergebnis vielschichtiger und häufig inkonsistenter kultureller und sozialer Handlungen. Für die Geschlechterforschung bietet die Beschäftigung mit Räumen ein fruchtbares Arbeitsfeld, lassen sich diese doch als Träger von Machtgefügen verstehen.

Fallstricke

Als symbolische Praktiken können diskursive Räume daher als Affirmation dieser ideologischen Konstruktionen, aber auch als Aufzeigen von Alternativen gelesen werden. Ganser demonstriert überzeugend, dass die soziale Konstruktion von Geschlecht in literarischen Texten aufgezeigt, hinterfragt und in vielen Fällen auch aufgebrochen werden kann. Dennoch erliegt die Autorin nicht der Versuchung, jeder einzelnen road novel die Subversion patriarchaler Geschlechterverhältnisse anzudichten. Im Gegenteil, äußerst differenziert begegnet sie den Fallstricken des Genres, wie zum Beispiel romantischen Handlungssträngen, die in der Affirmation heterosexueller Liebe enden, auch wenn der Roman diese zeitweilig in Frage stellt (Doris Betts: Heading West, 1981), oder ethnischen Romantisierungen z. B. der indianischen Ureinwohner Nordamerikas (Barbara Kingsolver: The Bean Trees, 1988). Auch mit der Sekundärliteratur setzt sich Ganser betont kritisch auseinander. So diskutiert die Autorin eingehend das zum akademischen Trend gewordene, auf die Arbeiten von Deleuze und Guattari zurückgehende Konzept des nomadism. Sie kritisiert die idealisierende Haltung vornehmlich westlicher Wissenschaftler, die ökonomische Zwänge und streng regulierte Wanderungsabläufe zugunsten einer Romantisierung des Nomaden/der Nomadin als subversivem Freigeist übersehen. Um sich von dieser Haltung abzusetzen, führt Ganser den Neologismus para-nomadism ein.

Im ersten Teil ihrer Textanalyse setzt sich die Autorin mit dem Quest-Motiv auseinander, welches eine zielgerichtete Reise zum Thema hat. Im zweiten Teil widmet sie sich mit dem Nomadischen, dem ‚Zuhause unterwegs‘, und im abschließenden Kapitel wird das Pikaro-Motiv aus der Perspektive einer genderspezifischen Raumaneignung beleuchtet, denn alle drei Motive sind traditionell männlich konnotiert. So bewegt sich die Analyse entlang einer Achse steigender Wanderlust: Beginnend mit Texten, in denen ein Ankommen in besseren (utopischen) Umständen zum Anlass der Reise wird (z. B. Hilma Wolitzer: Hearts, 1980), über Texte, deren Protagonistinnen in der Reise selbst einen Raum für sich finden (z. B. Diane Glancy: The Voice That Was in Travel, 1999), bis hin zu Texten, die das Erratische des Pikaro-Romans in ihre formelle Erzählweise übersetzen (Erika Lopez: Flaming Iguanas, 1997).

Transdifferenz

Im Zentrum ihres kritischen Apparates steht dabei der Begriff der Transdifferenz, der im Graduiertenkolleg „Cultural Hermeneutics“ entwickelt und systematisch angewandt wurde: „In confrontational situations in which multiple differences collide, the conceptual borderlines of categories of social difference start to oscillate and become unstable, but are not necessarily unhinged“ (S. 27). Kulturelle Differenzen und ihre Kollisionen werden mit Hilfe des konzeptuellen Begriffs zwar in Bewegung gebracht, aber nicht verleugnet. Dies erlaubt der Autorin, eine gender-kritische Perspektive einzunehmen, diese aber auch um weitere Marker sozialer und kultureller Differenz zu erweitern, wie Ethnie, Alter und religiöse Zugehörigkeit. Die Straße als fiktionaler Ort wird zum sozialen Ort des Verhandelns kultureller Identitäten auf erzählerischer Ebene.

Fazit

Die Arbeit ist in sich kohärent und schlüssig und bietet eine kritische Weiterentwicklung existierender Ansätze sowohl aus der Geschlechter- als auch aus der Raumforschung. Besonders zugute zu halten ist Alexandra Ganser, dass sie sich nicht scheut, sich mit Texten auseinanderzusetzen, die aufgrund ihrer vergleichsweise geringen ,Literazität‘ oder Rezeption bisher wenig kritische Aufmerksamkeit erhalten haben. Aufgrund seiner gründlichen Aufarbeitung bisheriger Forschung und seiner klaren Strukturierung ist das Buch sowohl Anfängerinnen als auch erfahrenen Wissenschaftlerinnen in diesen Arbeitsfeldern zu empfehlen.

URN urn:nbn:de:0114-qn112164

Zuzanna Aleksandra Jakubowski

Freie Universität Berlin

Doktorandin an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien

E-Mail: zuzanna.jakubowski@fu-berlin.de

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