Ein zweifelhafter Sexualitäts- und Pornographie-Diskurs

Rezension von Julia Jäckel

Angela Frischauf:

Sexualität und Pornographie im Frauenbild der Gegenwartsliteratur.

Hamburg: Diplomica Verlag 2009.

146 Seiten, ISBN 978-3-8366-7720-2 , € 38,00

Abstract: Angela Frischauf untersucht das Frauenbild in der Literatur im Umgang mit ,Sexualität‘ und ,Pornographie‘ und zieht als Primärtexte Romane von Elfriede Jelinek, Marlene Streeruwitz und Christa Nebenführ heran. In ihrer Abschlussarbeit in den Literaturwissenschaften gelingt es der Autorin jedoch nicht, die komplexen Themen differenziert und kritisch zu behandeln. Entstanden ist eine zweifelhafte Untersuchung über ,Pornographie‘ und ,Sexualität‘, die das eigentliche Thema aus dem Auge verliert und auf einem sprachlich prätentiösen Niveau verharrt.

Angela Frischauf befasst sich in ihrer Diplomarbeit in Germanistik, die 2009 an der Universität Wien abgegeben wurde, mit dem Genre der Pornographie und dabei insbesondere mit dem Frauenbild und dem Umgang mit Sexualität und Pornographie in der Gegenwartsliteratur. Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert, wovon sich die ersten vier mit dem Begriff der Pornographie, mit theoretischen Ansätzen, mit Pornographie in Literatur und Film und mit Frauenpornographie auseinandersetzen. Dann erst folgt eine Beschäftigung mit den Romanen Lust von Elfriede Jelinek, Verführungen von Marlene Streeruwitz und Blutsbrüderinnen von Christa Nebenführ. Die Hinführungen nehmen sehr viel Raum ein, während das eigentliche Thema knapp ausfällt.

In der Einleitung behandelt die Absolventin den Begriff der Pornographie in Abgrenzung zur Erotik. Bereits hier nimmt Angela Frischauf Zuflucht zu Zitaten, um die Unterscheidung ,Erotik‘ und ,Pornographie‘ nachzuvollziehen, ohne ihre eigene Argumentation auszuführen. Den Begriff des ,Erotischen‘ definiert sie als eine Romantisierung des Geschlechtlichen, wobei „die Penetration nicht so direkt geschildert“ wird (S. 8), während das ,Pornographische‘ einen „direkten“ Effekt auf den Körper habe und zugleich abwertend konnotiert sei.

Weite Bögen und langer Atem

Anschließend versucht die Autorin die historischen Veränderungen im Umgang mit Pornographie zu skizzieren. In einem großzügigen Bogen wagt sie es, eine Geschichte der Pornographie von der Frühzeit über die Antike bis zur Pornographie im 18. und 19. Jahrhundert zu erzählen sowie daran anschließend diese im 20. und 21. Jahrhundert darzustellen. Da wird das Kamasutra und das Tantra rasch für „Pornographie in anderen Kulturen“ (S. 12) angeführt und ‚Schundheftchen‘ und ,Google‘ zur Beweisführung der Pornographie in der heutigen Zeit.

Diese Erläuterungen bleiben verkürzt und zusammenhanglos und erschließen sich auch nicht für den Sinnkontext der Abschlussarbeit. Zudem lesen sich diese Beschreibungen als vehemente Beweisführung für die Kontinuität der Pornographie als ,kulturelles Gut‘, ohne dass auf vorhandene kulturelle und politische Differenzen der Bilderproduktion eingegangen würde. Dazu passt auch Angela Frischaufs Idee des „Trotzdem ein Vorwort“ (S. 5), das sie ihrer Arbeit voranstellt. Hier bezeichnet sie ihre eigene Genderposition als schwierige Herausforderung für ihr Vorhaben, über eine ,männerdominierte‘ Pornographie zu schreiben, und schließt mit einem klaren Plädoyer, dass dieser als einer „Gattung wie jede[r] andere[n] auch“ und mit „Beachtung und Akzeptanz“ (S. 5) zu begegnen sei. Das kann man als wissenschaftlichen Eifer einer Absolventin lesen, die noch nicht mit den semantischen Feinheiten eines Wissenschaftsbetriebs konfrontiert war. Auch mag man neugierig werden, wie sie dieses Plädoyer in den folgenden Kapiteln zu begründen sucht, doch da diesem keine Auseinandersetzung, stattdessen eine verkürzte Geschichte der Pornographie folgt, kann man dieser Aussage nur mit Befremden folgen.

Im zweiten Kapitel geht die Autorin auf verschiedene theoretische Ansätze und den feministischen Diskurs der Pornographie ein. In Anlehnung an Werner Faulstichs Definition der Pornographie „als spezifische Darstellung sexueller Handlungen in Wort, Bild oder Ton“ (S. 23) diskutiert sie die Spiegelungstheorie, den Anti-Porno-Feminismus, den Pro-Sex-Feminismus sowie Positionen liberaler Feminist/-innen. Erst nach einem Abriss über die Darstellung von Sexualität und Pornographie in der neueren Literatur und im Film widmet sich Frischauf der Analyse der gewählten Primärtexte.

Wirres Thesenspiel und viel Nacherzählung

Im Hinblick auf den Roman Lust von Elfriede Jelinek geht die Autorin vor allem der Frage nach, ob dieser als ein ,Anti-Porno‘ gelesen werden kann. Ihren Blick sowohl auf Sprache wie Inhalt richtend, argumentiert sie anhand zahlreicher Beispiele, dass Jelinek hier an die ,Anti-Pornographie‘-Debatte anschließt, ohne dass Lust ein eindeutig ,pornographischer‘ oder ,anti-pornographischer‘ Roman wäre. Die Auseinandersetzung wirkt konfus, es gibt keine Gliederungspunkte, und die Argumentationen werden mit narrativen Elementen aus Jelineks Leben angereichert. Obgleich Frischauf hier wesentliche, spannende Punkte aufdeckt, etwa wenn sie die nicht sprechende Position Gertis benennt und Fragen nach dem begehrenden Subjekt Frau stellt, bleiben ihre Ausführungen doch verkürzt und unübersichtlich.

Verführungen von Marlene Streeruwitz beschreibt Frischauf als einen ,erotischen‘ Roman. Dass sie sich hier für den Begriff des ,Erotischen‘ entscheidet, macht stutzig, da sie darunter eine ,Romantisierung des Geschlechtlichen‘ versteht, die „mit Techniken der Verhüllung und Anspielung“ (S. 8) arbeitet. Ihr Anspruch aber war, ,Sexualität‘ und ,Pornographie‘ in der Gegenwartsliteratur zu untersuchen. Auch hier geht es in der Untersuchung eher um die Einstellung von Streeruwitz selbst, um ihre Position in Hinblick auf ,Pornographie‘, als um die Frage nach dem Frauenbild. Im Vergleich zu Jelineks Lust arbeitet Frischauf heraus, dass die Protagonistin hier eine eigene Sexualität hat, diese aber nicht in der herrschenden Gesellschaftsordnung ausleben kann. Auch diese Analyse hätte von Gliederungspunkten profitiert. Die Besprechung bleibt zudem konfus, etwa wenn sie Helenes Bedürfnis nach Sex mit der Frage konterkariert, ob es hier nicht eher um die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Zuneigung geht. Eine Behauptung, die differenziert zu hinterfragen wäre: Schließlich würde sich dann auch diese Protagonistin als nicht-sexuelles Subjekt lesen. Zudem böte sich hier eine dekonstruktive Lesart an, die weibliche und männliche ,Anlagen‘ kontrastiert.

Christa Nebenführs Blutsbrüderinnen ist das aktuellste literarische Werk, das die Autorin zur Untersuchung des Frauenbilds heranzieht. Auch hier verstrickt sie sich in Widersprüchlichkeiten. Das Werk stelle im Vergleich zu den vorangegangenen Werken die Frauen weniger als Objekte dar, gleichzeitig stellt sie aber fest, dass es keine Ausbruchsversuche aus der Objektrolle gebe. Seltsamerweise macht Angela Frischauf diese nicht vorhandenen Ausbrüche an dem Grad der Emanzipation ihrer Protagonistinnen fest, wenn diese das Entdecken ihrer Sexualität genießen und „so selbst teilweise die Männer nur aus[nutzen]“ (S. 101). Unklar bleibt, was Frischauf hier unter ,Emanzipation‘ versteht, und es drängt sich der Gedanke auf, dass sie davon ausgeht, dass männliche und weibliche Rollen in der symbolischen Ordnung der Sexualität ganz einfach ausgetauscht werden können. Nur durch diese Sichtweise kann sie dann die Opferperspektive umdrehen und das männliche Pedant als Opfer offenbaren: eine sehr oberflächliches Thesenspiel, das sich nicht nachvollziehen lässt. Blutsbrüderinnen ist zudem das einzige Romanbeispiel, das auch homosexuelle Sexualität als Spielart denkbar macht. Allerdings wird diese Homosexualität vor allem als Zutritt in eine erwachsene, ,normierte‘ Heterosexualität und nicht als wirkliche Alternative gehandelt.

Die Analysen bleiben weitgehend Nacherzählungen, in denen zwar immer wieder interessante Thesen skizziert werden, die jedoch nicht weiter ausgeführt werden und dadurch zusammenhanglos wirken. Diese knappen Argumentationslinien ziehen sich durch die ganze Arbeit. Hinzu gesellt sich der Eindruck, dass Frischauf im Laufe ihrer Arbeit die Einstellungen der Protagonistinnen in Bezug auf Sexualität und Pornographie mit denen ihrer Schöpferinnen gleichsetzt, da sie die Autorinnen immer wieder in Bezug zu einem pornographischen oder anti-pornographischen Diskurs zu setzen versucht. Hier schließt eine weitere zentrale Schwierigkeit an: Nur dadurch, dass Frischauf Pornographie mit Sexualität gleichsetzt, kann sie im Folgenden die Romane von Jelinek, Streeruwitz und Nebenführ diskutieren. Gleichzeitig kann sie dadurch keine kritische Differenzierung zwischen Sexualität und Pornographie vornehmen.

Wenig Bezüge und semantischer Leichtsinn

Außerdem ist zu bemängeln, dass wichtige Bezugspunkte fehlen, wie die Arbeit von Marion Hertz zur PornoGRAPHIE, Ausarbeitungen von Judith Butler in Bezug auf Pornographie und Hate Speech sowie eine diskursive Rahmung durch Michel Foucault, um über den Sex als Diskursivierung in der Gesellschaft zu ,sprechen‘. Einer vom Umfang her beschränkten Abschlussarbeit mag man durchaus nachsehen, dass sie nicht die gesamte Literatur abbilden kann.

Besonders auffallend ist Frischaufs normierender Sprachdiskurs. Ihre Semantik schließt ungewollt an den obszön-vulgären Diskurs der Pornographie an, ohne dass sie ihre Position durch Anführungsstriche erkennbar und reflektierbar macht. Dieser Mangel einer reflektierten Ebene zeigt sich auch in den wiederkehrenden biologistischen Denkmustern, die zwischen den Zeilen zu finden sind: Etwa wenn sie die ,Ventiltheorie‘, die „sich auf den allgemein stärkeren Trieb des Mannes“ (S. 32) bezieht, als Ersatz für männliche ,Triebe‘ und als Argument für Pornographie anführt oder wenn sie behauptet, dass Männer „den deutlich anstrengenderen Job“ (S. 63) während eines Pornodrehs haben, weil die Lust ,echt‘ sein müsse. Zudem ist der Duktus von einem unbewussten Wertehorizont durchzogen, der die Lektüre zusätzlich erschwert. Besonders heikel bleibt die Lektüre jedoch, wenn im Laufe des Lesens klar wird, dass die Autorin eine Arbeit über ,Pornographie‘ und ,Sexualität‘ vorgelegt hat, die das eigentliche Thema, das ,Frauenbild‘, letztlich aus dem Auge verliert. Hierzu hätten meiner Meinung nach Bezüge zu weiteren literarischen Figuren und Gendertheorien hilfreich sein können.

Dieses Buch steht beispielhaft für den Versuch einiger Verlage, auch Werke von Nachwuchswissenschaftlerinnen zu vermarkten. Eine längst überfällige Entscheidung, bleiben doch zahlreiche lesenswerte und informative Abschlussarbeiten der Öffentlichkeit vorbehalten. Hier jedoch ist die Veröffentlichung nicht mehr nachzuvollziehen. Inhaltlich bleibt die Diplomarbeit eine erschreckend oberflächliche Arbeit, die nur kurzsichtige Bezüge zu einer Geschichte der Pornografie entwickelt und darüber das Eigentliche aus den Augen verliert. Eine missglückte Auseinandersetzung, die nicht alleine der Autorin anzulasten ist, sondern auf ein dahinterliegendes Betreuungsdefizit verweist. Auch das Layout des Diplomica Verlags scheint einer ökonomischen Zielsetzung gewichen zu sein: Ein einheitliches Schriftbild sollte genauso selbstverständlich sein (nicht unbedingt Times New Roman in den Fußnoten und Arial im Fließtext) wie eine lese- und leser/-innenfreundliche Gliederung.

URN urn:nbn:de:0114-qn112292

Julia Jäckel

Ludwig-Maximilians-Universität München

Lehrbeauftragte am Institut für Soziologie

E-Mail: post@juliajaeckel.de

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