Aurica Nutt:
Gott, Geschlecht und Leiden.
Die feministische Theologie Elisabeth A. Johnsons im Vergleich mit den Theologien David Tracys und Mary Dalys.
Hamburg u.a.: LIT Verlag 2010.
256 Seiten, ISBN 978-3-643-10312-3, 24,90 €
Abstract: Das theologische Nachdenken über die Rede von Gott angesichts der Leidensgeschichte der Welt erfährt durch das Eintragen der Geschlechterperspektive eine Neuausrichtung, die die Vorstellungen des klassischen Theismus durchbricht. Es gilt, angesichts der nicht abschließend zu beantwortenden Theodizeefrage zu einem angemessenen Sprechen von Gott zurückzufinden. Zur Revision des Gottesbildes haben die feministischen Theologien Entscheidendes beigetragen. Anhand dreier theologischer Gotteskonzeptionen, die im deutschsprachigen Raum bisher vergleichsweise wenig rezipiert wurden, wird der Zusammenhang von „Gott, Geschlecht und Leiden“ vergleichend erörtert. Die Untersuchung mündet und bündelt sich im besonderen Bild des „weinenden Gottes“.
Aurica Nutt analysiert das Verhältnis von Gott, Geschlecht und Leiden im Werk von David Tracy, Mary Daly und Elisabeth A. Johnson, um daraus Perspektiven für eine veränderte Rede von Gott zu gewinnen. Angesichts der Krise des Glaubens an einen theistischen Gott wurde in den 1960er Jahren die Notwendigkeit erkannt, überlieferte Glaubenssätze zu reformulieren. Zeitgleich konnten sich mit dem Beginn des Theologiestudiums von Frauen eigene Formen der Gotteslehre entwickeln. Mit der exemplarischen Analyse des Ertrags der feministischen Kritik an einseitig ‚männlichen‘ Gottesbildern ist aber nur der erste Pfeiler der Untersuchung benannt. Den zweiten Pfeiler bildet die Frage, wie angesichts des Leidens in der Welt, insbesondere ‚nach Auschwitz‘, überhaupt von Gott zu reden ist. Da die Diskurse um die Leidensthematik und die Geschlechterperspektive weitgehend getrennt voneinander verlaufen, stellt ihre Verbindung das erkenntnisleitende Interesse dar.
Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel: In den ersten drei Kapitel werden die fokussierten theologischen Ansätze anhand eines einheitlichen Schemas vorgestellt: Zuerst erfolgt eine biographische Einführung, als zweites eine Erläuterung der jeweiligen theologischen Hermeneutik und schließlich drittens die Darstellung der Gottesrede. Im vierten Kapitel unternimmt die Autorin einen Vergleich der Positionen und führt die Ergebnisse zusammen. Der Entwurf Johnsons wird dabei in den Mittelpunkt gestellt und durch die Gegenüberstellung zu den anderen beiden Konzeptionen klarer konturiert.
Die Theologie David Tracys ist wesentlich durch sein Nachdenken über die Möglichkeiten theologischer Hermeneutik unter den Bedingungen der Postmoderne geprägt. Seine Gottesrede kann in zwei Bereiche unterteilt werden: „zum einen in eine Kritik sowohl an zeitgenössischen Spekulationen zum ‚Wesen Gottes‘ in Gestalt von Theismus, aber auch von Prozesstheologie und Panentheismus und zum anderen Tracys eigene Interpretationen ‚klassischer‘ theologischer Inhalte: die Aussage ‚Gott ist Liebe‘, Christologie, Trinitätslehre und die Vorstellung Gottes als verborgen und unbegreiflich.“(S. 57) Während Tracy durchaus die feministische Kritik hermeneutisch einbezieht, findet die Kategorie Geschlecht kaum Eingang in seine Konzeption Gottes, die er insbesondere mit Bezug auf die negative wie narrative Theologie entwirft. Seine Antwortversuche auf die Frage nach dem Warum der Leiden beanspruchen keine absolute Gültigkeit, sondern verweisen in christologischer Orientierung auf den Primat der Praxis.
Die Kritik männlicher Gottesbilder und patriarchaler Religionen der Philosophin Mary Daly stellt bis heute einen zentralen Referenzpunkt feministischer Theologien dar. Daly lehnt das theistische Gottesbild aufgrund seiner unlösbaren Verbundenheit mit dem männlichen Geschlecht ab. Sie setzt der Abwertung von Frauen seitens der herrschenden Theologie die „Macht der Benennung“ (naming) entgegen (S. 84). Die Benennung soll die Unterdrückung von Frauen nicht nur aufzeigen, sondern zugleich eine Sprache schaffen, die der Subjektwerdung von Frauen dient. Leiden definiert sie als Leiden an der Gewalt des Patriarchats, ihre Zielbestimmung ist die Befreiung, die maßgeblich auf sprachlicher Ebene erreicht werden kann. Den Ansatz kennzeichnet eine dichotome Ordnung, in der einerseits der christliche Gott zusammen mit dem Patriarchat verabschiedet wird, andererseits eine apersonale Transzendenz (Be-ing) der „Leben-liebende[n] Welt der Frauenbefreiung“ (S. 95) zugewiesen wird. Auch erwägt Daly immer wieder das personale Konzept der „Göttin“, Kritik und Konstruktion fallen bei ihr zusammen.
Das umfangreiche dritte Kapitel widmet sich Elisabeth A. Johnson, die 1992 mit She Who Is. The Mystery of God in Feminist Discourse einen wegweisenden Entwurf feministischer Gotteslehre vorgelegt hat. Johnsons Neuansatz ist primär befreiungstheologisch, ohne in seiner Bezugnahme auf die „Erfahrungen von Frauen“ (S. 117) die Einsichten der Dekonstruktion zu übergehen, aber auch revidierend: Nach feministischer Kritik der etablierten Lehre erteilt sie dieser keine Absage, sondern konstruiert in parteilicher Bezugnahme auf Bibel und Tradition sowie durch die Wiederaufnahme vergessener Bilder geschlechtergerechte Neuformulierungen. Johnson, die die Relativität jeder Redeweise von Gott unterstreicht, versteht Gott in der Tradition apophatischer Theologie, die Eigenschaftsaussagen von Gott verneint, als Geheimnis. Ihre Rekonstruktion der Trinität nimmt bei der Figur der biblischen Weisheit (sophia) ihren Ausgang. Ihre Suche nach weiblichen Gottessymbolen führt sie zur biblischen Erzählung von Mose und dem brennenden Dornbusch, in der Mose der Name Gottes als „Ich bin Ich-bin“ eröffnet wird, den Johnson mit „She who is“ überträgt. Johnson distanziert sich von einem leidensunfähigen Herrschergott und beschreibt Gott als einen mitleidenden, anwesenden, einwohnenden Gott („She who dwells within“, S. 166). Nicht nur die spezifischen Leidenserfahrungen von Frauen, sondern auch die leidende Schöpfung als Ganze ist Ort der Anwesenheit Gottes.
Im vierten Kapitel erfolgt eine vergleichende Bewertung der Ansätze. Nutt konturiert die gemeinsamen Ausgangspunkte wie auch die divergierenden Wahrnehmungsweisen und Folgerungen bezüglich der Themen Leid und Geschlecht. Wichtig ist hier die Feststellung, dass die jüngere Geschlechtertheorie in keine der drei Konzeptionen bzw. Gottesbilder Eingang findet. In Bezug auf Johnson fragt die Autorin, ob das Problem des Leidens die klassische Systematik, der deren Theologie stärker als die anderen beiden verhaftet bleibt, nicht weit grundlegender relativieren müsse.
In ihrer eigenen Weiterentwicklung insbesondere des letzten Ansatzes skizziert Aurica Nutt das Bild „Gott weint“ (She who cries), um das Geflecht von „Beziehungshaftigkeit, Mitleid und weiblichem Geschlecht in der Gottesrede“ (S. 203) zu verdichten. Das Bild des weinenden Gottes besitze eine Fremdheit, die für das christliche Sprechen von Gott notwendig sei, um den Herausforderungen von Shoah und Feminismus begegnen zu können. „Gott weint“ stelle einen Heterotopos theologischer Sprache dar, der die Mitleidsfähigkeit und Verletzbarkeit Gottes aufzeige, ohne Gott ohnmächtig oder passiv denken zu müssen.
Die Arbeit ist aufgrund der Originalität der Thematik in höchstem Maße zu würdigen. Allein der Versuch, die Fragen nach Leiden und Geschlecht in der Gotteslehre näher zusammenzurücken, stellt eine Fortschreibung theologischer Reflexion jenseits ausgetretener Pfade dar. Ohnehin sind genderbezogene systematisch-theologische Forschungen innerhalb der katholisch-theologischen Landschaft rar. Die besondere Leistung dieser Dissertation liegt weiter im Einbringen der drei theologischen Konzeptionen in die deutschsprachige Debatte. Die Verfasserin liefert eine gut strukturierte, sorgfältige Darstellung, die durch viele direkte Zitate nah an die Sichtweisen der drei Theolog/-innen heranführt. Einen besonders eindrucksvollen Schlusspunkt bildet das im Anhang dokumentierte Gespräch der Verfasserin mit Elisabeth Johnson über die vorgestellte Thematik, das nicht zuletzt als Generationengespräch zweier katholischer Theologinnen von sehr besonderem Wert ist.
Trotz der überzeugenden Erörterung der exzeptionellen Positionen und ihrer Kritiken erscheinen allerdings die eingangs formulierten Fragen zum Teil sehr lose gereiht. Angesichts der sehr gut präsentierten Materialfülle fällt die Analyse am Ende leider recht knapp aus, und die vorgenommene Weiterentwicklung des Ansatzes von Johnson bleibt allzu vorsichtig formuliert. Der pionierartigen Leistung Nutts ist daher eine breite Rezeption zu wünschen, die die unzähligen Anstöße und die markierten Desiderata aufzunehmen weiß.
URN urn:nbn:de:0114-qn112327
Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick
Freie Universität Berlin
Juniorprofessorin (Schwerpunkt Interreligiöser Dialog/Christlich-muslimische Beziehungen), Seminar für Katholische Theologie
Homepage: http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/kaththeo/magistri/profs/Anja_Middelbeck-Varwick/index
E-Mail: middelbe@zedat.fu-berlin.de
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