Jörg Nowak:
Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft.
Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien.
Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2009.
292 Seiten, ISBN 978-3-89691-767-6, € 29,90
Abstract: Jörg Nowak führt die Erkenntnisse der marxistischen und feministischen Staatstheorie zusammen und entwickelt ein analytisches Begriffsinstrumentarium, womit sich die geschlechterpolitische Ausrichtung der Familienpolitik zwischen 2002 und 2007 analysieren lässt. Er vertritt die These, dass die hegemoniale Einbindung des liberalen Feminismus in die staatliche Politik ein klassenselektives Ernährerregime hervorgebracht hat. Das Buch ist trotz einer eher kursorischen Diskussion der Familienpolitik zu empfehlen.
Die geschlechterpolitische Dimension der Familienpolitik ist spätestens seit dem Umbau der familienpolitischen Leistungen unter der Großen Koalition (2005-2009) Gegenstand feministischer Analysen. Das Gros der Analysen ist in den Bereichen der Politikfeldforschung und der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung verortet. Jörg Nowak grenzt sich in seinem Buch von der herkömmlichen Politikfeldforschung ab und beansprucht, eine staatstheoretisch fundierte Analyse der Familienpolitik zwischen 2002 und 2007 zu leisten. Im Mittelpunkt steht die Fragestellung, „in welcher Weise moderne Staaten in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen einwirken“ (S. 12). Auf der theoretischen Ebene verfolgt Nowak das Ziel, die Erkenntnisse der marxistischen und der feministischen Staatstheorie zusammenzuführen, und bietet eine umfassende und sehr informierte Diskussion der entsprechenden staatstheoretischen Konzepte. Die in dem Theoriekapitel entwickelten Ansätze werden anschließend für die Analyse der deutschen Familienpolitik fruchtbar gemacht – obgleich Nowak einschränkend hinzufügt, dass es sich nicht um eine „erschöpfende“ Analyse handele (S. 19). Nowak illustriert, dass die familien- und geschlechterpolitische Ausrichtung des liberalen Feminismus auf einem – wie er es nennt – klassenselektiven Ernährerregime (S. 245) beruht, wodurch klassenspezifische Diskrepanzen zwischen Frauen vertieft werden. Mit diesem Befund zielt der Autor darauf ab, linken Feministinnen Ansatzpunkte für alternative geschlechterpolitische Interventionen zu bieten – ein Unterfangen, das meines Erachtens nur teilweise gelingt.
Nowak stellt die gesellschaftliche Arbeitsteilung und deren staatliche Steuerung ins Zentrum seines Buches. Ausgehend von der These, dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung durch Klassen- sowie Geschlechterverhältnisse konstituiert ist (S. 16), betrachtet Nowak den inneren Zusammenhang zwischen der kapitalistischen und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (Kapitel 2). Die gesellschaftliche Arbeitsteilung in den Mittelpunkt zu stellen, ist insofern zentral, als es in den politischen Auseinandersetzungen über sozial- oder familienpolitische Reformen stets um die Frage der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation und folglich auch um die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung geht. Nowak knüpft in seinen Ausführungen unmittelbar an feministische Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen kapitalistischer Produktion bzw. Lohnarbeit und nicht entlohnter Reproduktionsarbeit an (z. B. Hausarbeitsdebatte) und versucht diese in ihrem inneren Zusammenhang zu betrachten. Seine Ausführungen sind in gewisser Weise eine Antwort auf Heidi Hartmanns ernüchternde Feststellung Anfang der 1980er Jahre, dass der marxistische Feminismus eine „unglückliche Ehe“ zwischen Marxismus und Feminismus sei.[1] Denn unter Rekurs auf konstruktivistische sowie marxistisch-feministische Ansätze zeigt Nowak, dass Geschlechterverhältnisse nicht auf Klassenverhältnisse reduzierbar sind, sondern Geschlechterhierarchien einer Eigenlogik unterliegen, die alle Ebenen der Gesellschaft durchzieht (S. 67).
In Abgrenzung zur marxistischen Staatsdebatte der 1970er Jahre, in der die Tendenz bestand, „die Rolle des Staates entweder kapitallogisch oder als Resultat des Klassenkampfes“ (S. 75) abzuleiten, zielt Nowak auf eine staatstheoretische Weiterentwicklung, wodurch der ökonomistische Determinismus überwunden werde (Kapitel 3). Dadurch soll eine differenzierte Bewertung der Steuerungsfunktion des Staates im Hinblick auf die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ermöglicht werden. Unter Bezugnahme u. a. auf Antonio Gramsci und Nicos Poulantzas entwickelt der Autor seinen theoretisch-analytischen Zugang: Mit Gramsci verweist der Autor auf ein erweitertes Staatsverständnis, wonach Staat sowohl die politische Gesellschaft als auch die Zivilgesellschaft umfasst. Die Zivilgesellschaft sei das Terrain, auf dem um den Konsens in der Bevölkerung gerungen werde. Dieser Konsens sei die Voraussetzung für die politische Hegemonie der herrschenden Klasse (vgl. S. 78). Mit Poulantzas versteht der Autor den Staat als eine materielle Verdichtung der Kräfteverhältnisse. Das heißt, der Staat ist keine Entität, die außerhalb der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen steht, sondern die Kämpfe sind in die materielle Struktur des Staates eingeschrieben. Nowak rezipiert anschließend sowohl die feministische Wohlfahrtsstaatsdebatte als auch feministische Staatstheorien wie etwa neo-marxistische sowie poststrukturalistische Ansätze. Aus diesen staatstheoretischen Diskussionen extrahiert Nowak Begriffe, die er für die Analyse der Familienpolitik anpasst, so z. B. den Begriff des geschlechterspezifischen Verdichtungsregimes (vgl. S. 189) oder des klassenselektiven Ernährerregimes (vgl. S. 245).
Nach Nowak entsteht ein politisches Verdichtungsregime „aus der Wechselwirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit den politischen Institutionen und den darin handelnden Akteuren; die Verdichtung in Staatsapparaten besteht darin, dass aus gesellschaftlichen und politischen Konflikten bindende Entscheidungen hervorgehen“ (S. 189). Entsprechend umfasst das geschlechterpolitische Verdichtungsregime staatliche Strategien, die eine bestimmte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung befördern bzw. reproduzieren. Mit dem Begriff des klassenselektiven Ernährerregimes deutet Nowak darauf hin, dass keine Abkehr vom männlichen Familienernährermodell zu erkennen ist. Die familienpolitischen Reformen unter Ulla Schmidt und Ursula von der Leyen würden eine Modifizierung des Ernährerregimes lediglich klassenselektiv ermöglichen. Nowak kritisiert, dass durch die neuen familienpolitischen Regelungen (u. a. Freibeträge für Kinderbetreuung und Elterngeld) „Besserverdienende gegenüber ärmeren Familien stärker unterstützt werden“ (S. 235). Er erklärt diese Ausrichtung vor allem damit, dass sich eine liberal-feministische Fraktion in staatlichen Institutionen etablieren konnte und hegemonial in die neoliberale Politik eingebunden wurde (vgl. S. 217).
Dem Autor ist in seinem Befund, dass die Durchsetzung des liberalen Feminismus eine materielle Benachteiligung z. B. von gering qualifizierten oder migrantischen Frauen mit sich gezogen hat, zwar zuzustimmen (vgl. S. 240). Allerdings bleibt unklar, wie er zu diesem Ergebnis gelangt. Die Ankündigung „[a]m Beispiel der deutschen Familienpolitik […] die Interessenkoalitionen der liberalen Feministinnen mit anderen dominanten Akteuren und die klassenspezifische Selektivität der von dieser Koalition durchgesetzten Maßnahmen [zu bestimmen]“ (S. 192), würde eine empirische Analyse erwarten lassen. Diese bleibt jedoch aus, was bedauerlicherweise eine oberflächliche Diskussion der familienpolitischen Reformen zur Folge hat. So wird beispielsweise immerzu konstatiert, dass der liberale Feminismus sich durchgesetzt hat, ohne jedoch nachzuzeichnen, unter welchen Umständen es dazu kommen konnte. Es wird also nicht untersucht, welche Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Frauenbewegung um die Familienpolitik stattgefunden haben und wie die Kräfteverhältnisse in dem Politikfeld genau beschaffen sind. Dabei würde sich der im Theoriekapitel entwickelte Ansatz besonders gut eignen, dies genauer in den Blick zu nehmen. Entsprechend wären beispielsweise die Widerstände innerhalb der Union gegen die familienpolitischen Reformen von Ursula von der Leyen stärker ins Zentrum gerückt. Zwar erwähnt Nowak diese Widerstände, aber er geht nicht weiter darauf ein, welche Rolle diesen im Reformprozess zukommt beziehungsweise wie und für welchen Preis sich Ursula von der Leyen durchsetzen konnte. Letzten Endes bleibt das Kapitalinteresse, Frauen als günstige Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren, der zentrale Erklärungsfaktor für die Reformen.
Trotz der analytischen Leerstellen ist das Buch von Jörg Nowak zu empfehlen – bietet es doch einen guten Überblick über marxistische und feministische Staatstheorien. Zudem stellen seine Empfehlungen für den linken Feminismus einen guten Ausgangspunkt für eine inhaltliche Diskussion über die Richtung einer linken feministischen Politik dar. Eine empirische Analyse, die letztlich auch eine politisch-strategische Diskussion ermöglicht, steht allerdings noch aus.
[1]: Hartmann, Heidi: The Unhappy Marriage of Marxism and Feminism: Towards a more Progressive Union. In: Sargent, Lydia (Hg.): Women and Revolution. The Unhappy Marriage of Marxism and Feminism. London 1981, S. 1–42.
URN urn:nbn:de:0114-qn112123
Dr. Gülay Çağlar
Humboldt-Universität zu Berlin
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet „Gender und Globalisierung“ an der Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät
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