Christiane Eckstein:
Geschlechtergerechte Familienpolitik.
Wahlfreiheit als Leitbild für die Arbeitsteilung in der Familie.
Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2009.
248 Seiten, ISBN 978-3-17-021037-0, € 36,80
Abstract: Christiane Eckstein stellt bei ihrer Analyse der Familienpolitik die Frage nach der Wahlfreiheit für Mann und Frau in Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Mittelpunkt. Anders als in vergleichbaren Studien fundiert sie das Konzept der Wahlfreiheit mit Prinzipien der christlichen Sozialethik. Nach der sozialethischen Methode „Sehen – Urteilen – Handeln“ entwickelt Eckstein auf der Grundlage der Kritik aktueller familienpolitischer Methoden Optionen für die Schaffung umfassender Wahlfreiheit.
Die Autorin verfolgt in der 2008 als Dissertation an der Universität der Bundeswehr in München angenommenen Arbeit die Absicht, die fehlende Wahlfreiheit von Frauen und Männern bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufzudecken und Optionen bzw. Leitlinien für eine zukünftige geschlechter- sowie generationengerechte Familienpolitik zu entwickeln. Die Studie wurde aus dem Blick der christlichen Sozialethik geschrieben, ergänzt durch die Genderperspektive (vgl. S. 14). Dazu fragt Eckstein zunächst kritisch, ob unter den gegebenen Umständen tatsächlich frei zwischen verschiedenen Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, gewählt werden kann. Sie analysiert die familienpolitischen Maßnahmen in Deutschland und problematisiert die Möglichkeit von Wahlfreiheit im Spannungfeld von Geschlechter-und Generationengerechtigkeit vor dem Hintergrund sozialethischer Prinzipien. Den großen Rahmen des Werkes gibt die sozialethische Methode „Sehen – Urteilen – Handeln“ vor. Diese Methode beschreibt einen ethischen Dreischritt: Sehen bildet dabei die Basis des Handelns und bezeichnet das bewusste Wahrnehmen und Analysieren der Lebensumstände sowie auch der persönlichen Verantwortung und Möglichkeiten. Der zweite Schritt umfasst die Beurteilung nach Maßstäben der christlichen Soziallehre und führt in letzter Konsequenz zum dritten Schritt: zu politischem Handeln und konkreten Maßnahmen aktiver Problemlösung. Ziel dieser Methode ist es, Entscheidungen zu treffen, die explizit im Einklang mit der christlichen Soziallehre stehen.
Mit ihrem Werk liegt die Autorin im Trend, denn die Familienpolitik steht schon seit einigen Jahren verstärkt im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Von den anderen Arbeiten will sich Eckstein abheben, doch kann sie nicht für sich beanspruchen, sich allein dem Thema Wahlfreiheit zugewandt zu haben: Genannt sei in diesem Zusammenhang nur der 2010 von Diana Auth, Eva Buchholz und Stefanie Janczyk herausgegebene Sammelband Selektive Emanzipation. Analysen zur Gleichstellungs- und Familienpolitik (Opladen u.a. 2010). Durch die Berücksichtigung der christlichen Sozialethik, aber auch durch das Anliegen, die Betreuung von Kindern im Mittelpunkt zu haben und zugleich die Betreuung von älteren Generationen in die Überlegungen einzubeziehen, unterscheidet sich Ecksteins Ansatz von dem Großteil bisheriger Untersuchungen. Allerdings kommt sie in ihrem Werk nicht über gelegentliche Hinweise auf die nicht ausreichende Einbeziehung dieses Aspekts in der Familienpolitik hinaus.
Eckstein verweist auf die unterschiedlichen materiellen Bedingungen von Männern und Frauen, die einen freien Umgang mit der Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einschränken. Nach wie vor würden die berufliche Benachteiligung von Frauen und die daraus erwachsenden Nachteile bei Gehaltsfragen, der Rentenversorgung oder im Falle einer Scheidung nicht genügend berücksichtigt.
Eckstein betont zwar gelegentlich, dass nicht allein die Familienpolitik Verantwortung trage und Familienpolitik letztlich eine Querschnittsaufgabe darstelle, sie klammert aber andere gesellschaftliche Akteure und Netzwerke von Anfang an aus ihrer Untersuchung aus. Damit weist auch ihr Band jenen Mangel auf, der für die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf kennzeichnend ist: die Einschränkung des Untersuchungsgegenstands auf die konkreten familienpolitischen Maßnahmen und die fehlende Beschäftigung mit anderen in dieser Hinsicht ebenfalls einflussreichen Akteuren. Zu welch neuen Ergebnissen in der Diskussion diese erweiterte Perspektive führen kann, zeigt exemplarisch das als Lehrbuch konzipierte Werk von Irene Gerlach: Familienpolitik. (2. erw. und überarb. Aufl. Wiesbaden 2010).
Was dieses Werk von anderen Arbeiten zur Familienpolitik unterscheidet, ist vor allem die explizite sozialethische Perspektive. Die auf theologisch-anthropologischen Überlegungen basierenden sozialethischen Prinzipien Personalität, Solidarität und Subsidiarität stellen für Eckstein die grundlegende Orientierung für Überlegungen zur Familienpolitik dar.
Kritisch analysiert die Autorin die sozialethischen Wahlfreiheitskonzepte auf die Frage, inwiefern Aspekte der Geschlechter- und Generationengerechtigkeit darin aufgenommen werden können und welche Rolle den drei Sozialprinzipien dabei jeweils zugeschrieben wird. Sie macht deutlich, welch unterschiedliche Vorstellungen von Wahlfreiheit sich auch in den sozialethischen Konzepten verbergen. Während die einen Vertreter/-innen Wahlfreiheit primär aus Institutionenperspektive definieren und eine finanzielle Aufwertung der Familienarbeit fordern, tritt die andere Richtung aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit für die Wahlfreiheit ein und fordert neben der finanziellen und/oder gesellschaftlichen Anerkennung der Familienarbeit auch die Umverteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern. Indem sie diese unterschiedlichen Perspektiven diskutiert, gelingt es der Autorin überzeugend, die fehlende Wahlfreiheit mit Blick auf sozialethische Grundsätze als ungerecht darzulegen und die Realisierung von Wahlfreiheit gerade auch als Verwirklichung sozialethischer Prinzipien einzufordern.
Als zentrale Stragie zur Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit bzw. echter Wahlfreiheit entwickelt die Autorin ein Modell, das Anerkennung und Umverteilung der Familienarbeit kombiniert. Die Anerkennung solle dabei der gesellschaftlichen Bedeutung und dem Wert der Familienarbeit Rechnung tragen, das Postulat der Umverteilung langfristig die geschlechterspezifische Arbeitsteilung, traditionelle Geschlechterrollen und die gender-codierte kulturelle Ordnung auflösen. Alleinige Anerkennung der Familienarbeit, so folgert Eckstein, ist nur begrenzt geeignet, um echte Wahlfreiheit zwischen den Geschlechtern zu schaffen, da sie nicht die Auflösung der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung forciere. Familienpolitische Anreize der Umverteilung aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen, sieht Eckstein durchaus als ethisch legitimiert an, weil bisherige Maßnahmen noch immer die traditionelle Arbeitsteilung förderten und damit keine wirkliche Wahlfreiheit ermöglichten. Auch im Hinblick auf Generationengerechtigkeit sieht Eckstein die Schaffung von Anreizen als gerechtfertigt an, denn ohne Wahlfreiheit lasse sich auch keine Generationengerechtigkeit in Familie und Gesellschaft verwirklichen (vgl. S. 186).
Neue Vorschläge für eine geschlechter- und generationengerechte Familienpolitik werden von der Autorin nicht ausgearbeitet, sondern schon vorhandene Ideen bzw. konkrete Maßnahmen wie das Elterngeld, die institutionelle Kindertagesbetreuung und das Ehegattensplitting aufgegriffen und mit sozialethischen Prinzipien als Basis im Hinblick auf die Realisierung von wirklicher Wahlfreiheit für Mann und Frau weiterentwickelt, wobei das Kindeswohl bei ihren Überlegungen ein zusätzliches Kriterium darstellt. So argumentiert Eckstein für eine Abkehr von der geplanten Einführung des Betreuungsgelds 2013 und und für eine Erhöhung der Partnermonate in der Elternzeit von nur zwei auf vier oder gar sechs, um Motivationen für Väter zu schaffen, sich an der Betreuungsarbeit zu beteiligen. Den finanziellen Aspekt sieht sie durch die Gelder, die aufgrund der Nichteinführung des Betreuungsgeldes frei würden, abgedeckt. Wesentliche Folgen hätte die Verlängerung der Partnermonate auch in der Arbeitswelt, denn wenn auch Männer ihre Erwerbstätigkeit zwecks Familienarbeit unterbrechen würden, dann wäre bei der Einstellung einer Person das Geschlecht weniger entscheidend (vgl. S. 145). Schließlich spricht sich Eckstein für eine Abkehr vom Ehegattensplitting aus, das anstelle von positiven Anreizen negative zur Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit setze. Die Degradierung des zusätzlichen Einkommens von (in der Regel) Ehefrauen als „Zusatzverdienst“ wirke sich hinderlich auf die Schaffung von Wahlfreiheit aus. Deshalb plädiert die Autorin für die Individualbesteuerung mit übertragbarem Basisfreibetrag und damit für die Gleichbehandlung beider Gehälter.
Die Autorin zeigt überzeugend, dass das Leitbild der wirklichen Wahlfreiheit als handlungsleitende familienpolitische Konzeption eine grundlegende Relevanz für die Verwirklichung einer geschlechter- und generationengerechten Gesellschaft zukommt. Es gelingt ihr die Bereiche Familie, Arbeit und Geschlecht über die Thematik der Wahlfreiheit zu vernetzen und die sozialethischen Perspektive um den wesentlichen Aspekt der Genderperspektive zu ergänzen. Auch wenn ihre Vorgehensweise stellenweise etwas langatmig wird und nicht ganz klar ist, welche Gründe die Autorin zur Auswahl der vorgestellten Konzepte bewogen haben, kann Eckstein durch ihr Anliegen, ganzheitlich zu argumentieren, überzeugen.Überzeugen können vor allem auch die abschließenden Überlegungen zu weiteren familienpolitischen Maßnahmen.
URN urn:nbn:de:0114-qn112145
Dorothee Kathrin Rempfer
Fernuniversität Hagen
Institut für Geschichte
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