Sattelzeit der hegemonialen Männlichkeit im Spiegel der Darstellung von Napoleons Ägyptenfeldzug

Rezension von Wolfgang Schmale

Melanie Ulz:

Auf dem Schlachtfeld des Empire.

Männlichkeitskonzepte in der Bildproduktion zu Napoleons Ägyptenfeldzug.

Marburg: Jonas Verlag 2008.

223 Seiten, ISBN 978-3-89445-396-1, € 30,00

Abstract: Der Ägyptenfeldzug Napoleons am Ende des 18. Jahrhunderts wurde im Nachhinein bildpublizistisch extensiv aufgearbeitet. Diese Publizistik wird von Melanie Ulz unter dem Gesichtspunkt dargestellter und sich wandelnder Männlichkeitskonzepte untersucht. Zentral entfaltet sich in den Visualisierungen der später so genannte „Orientalismus“. Dem europäischen/französischen Mann und Krieger wird der orientalische Mann als multivalentes und kulturell unterlegenes Wesen gegenübergestellt. Bei aller Subtilität der Kunst handelt es sich im Kern um die Gegenüberstellung von Stereotypen. Ulz kann in ihrer Studie überzeugend den sexuierten Subtext des Orientalismus nachweisen.

Kolonialismus und männlicher Blick

Seit der sogenannten Entdeckung Amerikas an der Schwelle zum 16. Jahrhundert lässt sich im Zuge der Transformation der Entdeckung in eine Eroberung eine Sexuierung des Blicks des Eroberers feststellen. Die Eroberung wird als Eroberung einer Frau durch einen Mann visualisiert oder erzählt. Zumeist geschieht dies implizit und metaphorisch, aber doch deutlich genug. Der Besitz des Landes, der Kolonie, wird mit dem Besitz einer Frau durch einen Mann parallelisiert.

Dahinter sind unschwer recht simple Geschlechterkonzepte zu erkennen, die in der Frühen Neuzeit Gültigkeit beanspruchten. Der sexuierte Blick auf eine Kolonie hatte lange Bestand und ließ sich in die veränderten Geschlechterkonzepte der Anthropologie der Aufklärung einordnen. Hinzu trat eine weitere, auf die Antike zurückreichende Tradition: Je weniger über nur dem Namen nach bekannte Völker, zumeist im Norden und Nordosten, gewusst wurde, desto sexuierter waren die Beschreibungen, desto mehr wurde diesen Menschen sexuelle Abartigkeit angedichtet usw.

Diese hiermit schematisch vereinfachten Wahrnehmungs- und Darstellungsstereotypen des/der ‚Anderen‘ waren (und sind) ausgesprochen zählebig. Im Grundsatz nimmt es also nicht wunder, wenn sie in den bildlichen Darstellungen zu Napoleons Ägyptenfeldzug eine zentrale Rolle spielen. Gleichwohl sind sie oft subtil und differenziert eingesetzt und außerdem mit den damals aktuellen Männlichkeitskonzepten verwoben. Festzuhalten ist, dass sich das alles in den Bildern von Ägypten wiederfindet, dass mit dem in der vorliegenden Studie behandelten Bildmaterial eine Quelle gegeben ist, die für die Untersuchung der Konzeptualisierung und Visualisierung von hegemonialer Männlichkeit sehr gut geeignet ist und die aufgrund ihrer quantitativen Komponente und ihres öffentlichen Widerhalls Bedeutung beanspruchen kann.

Ägyptenfeldzug und Männlichkeit: Quellen

Der Ägyptenfeldzug Napoleons von 1798/99 – Napoleon kehrte nach Frankreich zurück, weil er für die Inszenierung eines Staatsstreichs dringend benötigt wurde; der Feldzug endete erst 1801 – scheiterte militärisch gesehen, obwohl die französische Öffentlichkeit nie in die Lage kam, dieses Scheitern zu bemerken. Napoleon traf in Frankreich zeitgleich mit einer durch den weiteren Kriegsverlauf an sich überholten Siegesnachricht vom Ägyptenfeldzug ein, verlor also den Nimbus des Siegers nicht. Außerdem war das Unternehmen von Anfang an auch als gewaltige kultur- und naturwissenschaftliche Expedition geplant und in der Öffentlichkeit verkauft worden – und hier lässt sich Erfolg nicht bestreiten. Die publizistische und politisch-propagandistische Vermarktung begann nach 1800 und hielt im Grunde mehrere Jahrzehnte an. Die Kolonisierung Ägyptens – ein schon älterer Traum in Frankreich – gelang intellektuell, wie Ulz detailliert herausarbeitet.

Zentrale Visualisierungen von ‚Land, Leuten und Kultur‘ sowie französischen Heldentaten in Ägypten enthält die 23-bändige Description de l’Égypte, 1809–1813 auf Veranlassung Napoleons gedruckt; sie enthält Skizzen und Berichte des Feldzugteilnehmers Dominique-Vivant Denon, einer zentralen Figur der Kulturpolitik und des Kulturmanagements der Napoleonzeit, sowie zahlreiche Gemälde – Auftrags- oder Wettbewerbsarbeiten –, die als zentral erachtete Schlachten, Orte und andere Ereignisse zum Gegenstand hatten („Das Gefecht bei Nazareth“; „Die Pestkranken von Jaffa“; „Die Schlacht von Aboukir“; „Die Revolte von Kairo“).

Zu diesen Gemälden gehören zahlreiche Skizzen, vorbereitende Arbeiten und Diskurse, grafische Reproduktionen für die Verbreitung, öffentliche manchmal konfliktuelle Diskussionen, spätere und andauernde Rezeptionen. Es kann festgehalten werden, dass die Quellen aufgrund dieser Kriterien von Ulz treffend ausgewählt wurden und repräsentative Aussagen zulassen.

Als Subtext laufen konzeptuelle Verschiebungen und Konflikte zwischen akademisch-kanonisierter Malerei und devianten Entwürfen mit, die die Autorin, eine Kunsthistorikerin, begleitend entlarvt.

„Männlichkeitskonzepte in der Bildproduktion zu Napoleons Ägyptenfeldzug“

Es ist nicht erforderlich, weiter auf dem Umstand zu insistieren, dass die Männlichkeitskonzepte, die von der Aufklärung bis zu Napoleon in Frankreich entwickelt und modifiziert wurden, in diesem Quellenkorpus ihren Niederschlag fanden. Alles andere wäre sehr erstaunlich gewesen. Gleichwohl ist es nicht unnütz, wenn die Autorin dies im Detail genau nachweist. Am besten lässt sich dies alles mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit beschreiben, auch wenn Ulz sich nicht genauer mit diesem Konzept und seiner Passfähigkeit für die von ihr betrachtete Epoche auseinandersetzt.

Was sie zeigen kann, sind die überaus deutlichen Spuren des sogenannten Orientalismus, wobei zum Teil sehr alte Stereotypen zum Einsatz kommen: Effeminierung des „Orientalen“, mehr: dessen grundlegende Sexuierung, insoweit auf eine grundlegende Disposition zur Homosexualität und zu erotischen Beziehungen mit Tieren abgehoben wird. Die physiognomischen Ansätze der Aufklärungsanthropologie, aus der physischen Erscheinung auf charakterliche, vermeintlich von der Natur bedingte Eigenschaften zu schließen, schlagen voll durch. Klischees wie Beherrschtheit des Europäers/Franzosen versus Ausdifferenzierung des Typus des „Orientalen“ schlagen, wie Ulz zeigen kann, ebenfalls massiv durch. Die Eindeutigkeit des europäischen Mannes werde durch die Vieldeutigkeit des „Orientalen“ kontrastiert, der dadurch zum Unterlegenen werde.

Ausgiebig befasst sich die Autorin mit der Frage, inwieweit in den Bildern nicht nur homosoziale Beziehungen – die sind durch den Kontext Krieg und Wissenschaft, zwei im Sinne der hegemonialen Männlichkeit ‚genuin männliche‘ Betätigungsfelder, praktisch vorgegeben –, sondern auch homoerotische bzw. homosexuelle Themen eine Rolle spielen. In den Bildern wird fallweise die griechische Knabenliebe zitiert und eventuell sexuell-kulturelle Transgressionen zwischen europäischen/französischen Kriegern und „orientalischen“/mameluckischen Kriegern suggeriert. Das Problem hierbei dürfte allerdings sein, dass in den Männlichkeitskonzepten der Aufklärung sowie der napoleonischen Epoche die männliche Sexualität und insbesondere der Akt der Penetration einen streng reglementierten Ort zugewiesen bekamen. Die insgesamt für den Männercharakter als kennzeichnend angesehene Befähigung zur Selbstbeherrschung, Disziplin, Konzentration der Kraft etc., die in den untersuchten Bildern so deutlich mit der Multivalenz des „Orientalen“ kontrastiert, bezog sich auch auf seine Sexualität. Manche Interpretationen der Autorin erscheinen nicht völlig überzeugend, weil sie sich zu wenig mit den Auffassungen über männliche Sexualität in dieser Epoche auseinandersetzt.

Deshalb ist der Rezensent auch skeptisch, ob das ausführlich besprochene Frontispiz zu der Description de l’Égypte, das zentralperspektivisch ganz Ägypten in Gestalt der wesentlichen vom Expeditionskorps besuchten Kulturstätten längs des Nils zeigt, als Metaphorik der Penetration lesbar ist.

URN urn:nbn:de:0114-qn113031

Prof. Dr. Wolfgang Schmale

Universität Wien

ord. Universitätsprofessor am Institut für Geschichte

E-Mail: wolfgang.schmale@univie.ac.at

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