Abstract: Wie stellen Bilder Geschlechterverhältnisse dar und her? Bild-Konzepte (Darstellungen und Wahrnehmungen) des Weiblichen haben in kulturellen Praktiken zumeist einen affirmativen Charakter: Sie (re-)inszenieren und stabilisieren vor allem diskursiv geregelte Rollenmuster und Verhaltensnormen. Diese Bild-Konzepte sind dabei durch Gefühlscodes grundiert und verstärkt. Doch zunächst affirmativ konzipierte Bilder von Weiblichkeit können auch – manchmal unfreiwillig – Codes und Blickordnungen enttarnen und Zuschreibungen verunsichern. Am Beispiel der künstlerischen Arbeit Destroy, she said von Monica Bonvicini werden diese Überlegungen aus bildkritischer Perspektive entwickelt und das gängige Bild-Konzept einer ‚sentimentalen Weiblichkeit‘ hinterfragt.
Die Karrierefrau, die böse Mutter, die femme fragile, die Hure und die Heilige: Diese und weit mehr ‚Bilder von Weiblichkeit‘ lassen sich in der Kulturgeschichte und in der Gegenwart als mediale und narrative (Selbst-)Darstellungen von ‚Frau(en)‘ identifizieren (für Bilder von Männlichkeit wäre die Liste wohl ähnlich lang). Diese Bilder erscheinen als zum Klischee erstarrte Bildformeln, als visuelle Wiedergänger, die in irgendeiner Form auf ‚kollektive‘ Wünsche, auf ein Begehren ihrer Zuschauer/-innen rekurrieren oder sie herstellen (vgl. de Lauretis 1997, S. 98 f.). Bilder von Weiblichkeit agieren in einer unendlichen Maskerade der Wünsche und Ideale; sie sind selbst noch in kleinsten Splittern oder Brechungen anwesend, verkörpert beispielsweise in den zu-gerichteten und stilisierten Performances einer Madonna (vgl. Mikich 2008), Angelina Jolie oder Lady Gaga. Die Bildformeln scheinen dabei in diskursiven und medialen Praktiken allzu oft einen affirmativen Charakter zu haben, in dem Sinne, dass sie bestimmte, vor allem diskursiv geregelte Rollenmuster und Verhaltensnormen (re-)inszenieren und damit festschreiben, ohne dass ein Original oder Ursprung dieser Muster zu verorten wäre. Dabei sind diese Bild-Konzepte, so die These dieses Artikels, durch Gefühlscodes zusätzlich affirmiert. Und doch können Bilder von Weiblichkeit, die zunächst als affirmative entworfen sind, auch ihre Intention verfehlen. Sie können in der Maskerade, Übertreibung oder Parodie Rollenbilder und Blickordnungen enttarnen und Zuschreibungen verunsichern.
Im vorliegenden Artikel sollen Gedanken zur Bildformel einer sentimentalen Weiblichkeit entwickelt werden. Dabei begebe ich mich bewusst auf das heikle Terrain der nie ganz greifbaren Wirkungen und Wahrnehmungen, Lesarten, Wünsche und Ideale. Es ist das abstrakte Feld der Mythen im Sinne Roland Barthes’. Dieser hat den Mythos als eine affektive oder symbolische Aussage, eine Botschaft, genauer: als Form oder „Weise des Bedeutens“ innerhalb des gängigen semiotischen Systems charakterisiert (Barthes 1964, S. 85). Bild und Mythos stehen also im Zentrum dieser Überlegungen, die sich nicht empirisch oder soziologisch stützen, sondern bildkritisch und ästhetisch/aisthetisch argumentieren. Wie nehmen wir Bilder von Weiblichkeit wahr, wie bilden wir Weiblichkeit und welche Konsequenzen hat dies für unser Denken und Handeln? Mit ‚Bild‘ ist in diesem Artikel also nicht nur ein Abbild, eine Fotografie oder digitale Aufnahme im Sinne einer mimesis gemeint. Vielmehr geht es um die Erzeugung des scheinbar Gegebenen, Normalen, auch Idealen, um Bild-Inszenierungen – auch Bilder im Kopf, Vorstellungen und Ideologien sowie Bild-Konzepte – von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen. Während Bilddarstellungen und -konzepte von Weiblichkeit (und Männlichkeit) beispielsweise in der Star-, Unterhaltungs-, aber auch Alltagskultur auf Eindeutigkeit abzielen und ein geschlossenes System der Zeichen bilden, inszenieren Kunstwerke diese reflexiv. Ich möchte daher anhand einer Videoarbeit argumentieren, in der die Strukturen des Spiels von Bildinszenierung und Imagination präzise offengelegt sind, um dann einige für das Beispiel relevante Gedanken aus dem theoretischen Rahmen zu Bild und Geschlecht zu entwickeln.
Catherine Deneuve steht wie gelähmt vor einer rissigen Fläche, Brigitte Mira im Türrahmen, und Jeanne Moreau presst sich mit verzweifelter Miene an die Wand hinter ihr. Diese und weitere ‚ideale Starkörper‘ und Heldinnen aus Autorenfilmen der 1950er bis 1970er Jahre von Roman Polanski, Rainer Werner Fassbinder, Jean-Luc Godard und Roberto Rossellini erscheinen in den Bildern einer Videoarbeit der italienischen und in Deutschland lebenden Künstlerin Monica Bonvicini. Die Videoarbeit Destroy, she said (1998) zeigt eine Montage berühmter Filmszenen. Diese sind neu gegliedert und haben durch Wiederholungen und Loops ihre Sukzessivität und Handlung eingebüßt. Bonvicini hat sie rekontextualisiert in einer kreis- oder spiralenförmigen Komposition der nicht enden wollenden Bilder von schönen Heldinnen, die rauchen, starren, nachdenken, aber nie sprechen, sondern maskenartige, gleichsam „enthüllende und verbergende“ Gesichter bleiben (Schulz 2009, S. 53). Die bewegten Bilder werden in einer schrägen Anordnung zweier Leinwände, also in einer Doppelprojektion, vorgeführt – so angeordnet in der Ausstellung „Female Trouble. Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen“, die 2008 in der Pinakothek der Moderne in München gezeigt wurde. Kabel und Sägespäne vor rotem Hintergrund runden die Ausstellungsszenerie ab und kennzeichnen das Arrangement als unabgeschlossen, als scheinbar unfertiges Material. Soundfragmente, die an das Klicken und Klingen von (Spiel-)Uhren erinnern, begleiten die visuellen Momente. Die Arbeit präsentiert auf diese Weise einen nicht abreißenden, akustisch flankierten Fluss von Frauenbildern. Sie inszeniert allerdings nur einen bestimmten (Bild-)Typus, der im Gegensatz zur femme fatale oder Karrierefrau weit weniger bewusst wahrgenommen wird, obwohl er omnipräsent und ideologisch hochgradig prekär ist: der Typus der schweigend-passiven, leidenden Figur, die in ihrem Schmerz zum schönen Blickobjekt wird.
Die Wahrnehmung und Wirkung dieses Typus ist, so die These, die einer genussvoll-sentimentalen Teilhabe am Leid der Figur (vgl. Kappelhoff 2004, S. 20), über die unterschwellig ideologische und gesellschaftliche Fragen verhandelt werden. Diese Partizipation der Zuschauer/-innen und die affektive Wirkung sorgen so zusätzlich für eine Festschreibung, sozusagen für eine emotionale Grundierung einer Affirmation des Frauenbilds. Wie ist dieses Bild-Konzept von Weiblichkeit zu bestimmen? Wann ist es affirmativ, wann potentiell subversiv wirksam?
Es ist ein Effekt der Videoarbeit, dass die gezeigten (Film-)Momente, die von Bonvicini wie bildhafte objets trouvées der Filmgeschichte ausgestellt werden, von den Betrachter/-innen mit einer Handlung oder Narration zusammengedacht und belebt werden: In der eigenen oder kollektiven Erinnerung sucht man nach dem passenden Film, der passenden Storyline aus einem unbegrenzten persönlichen wie kollektiven Fundus der Erinnerungen, Imaginationen und Vor-Bilder. Unwillkürlich ergänzt man die Geschichte einer unglücklichen Liebesbeziehung. Romantische Liebe, die Niklas Luhmann in seiner Schrift Liebe als Passion als Phänomen der Moderne charakterisiert hat, scheint in all diesen Filmmomenten durchgespielt zu werden – aber in ihrer Inversion als verlorene Liebe. Es wird eine Krisensituation des passiven Erduldens, des Wartens dar- und ausgestellt.
Das Motiv der sich aufopfernden Figur hat zahlreiche Gesichter: Ob als antike Heldin (man denke an Antigone), ob im christlichen Martyrium, ob im politischen Diskurs (so im Mythos um die Bürger von Calais) oder in der narrativen Einbettung einer Mutter-Kind-Geschichte – stets ist das Leid des Opfers gerechtfertigt, steht im Dienst oder Sinn einer sozialen, religiösen oder politischen Ordnung. In der Konstellation der zitierten Filme in Destroy, she said aber zeigt sich zunächst keine solche Motivation; es scheint ein rein persönlicher Schmerz zu sein. Es wird an eine andere Tradition erinnert: die des sentimentalen Kitsch- oder Frauenfilms. Ob Autoren- oder Unterhaltungskino, die Szenen in Destroy, she said sind eindeutig Material aus Frauenfilmen und verwenden ein melodramatisch-sentimentales und damit zunächst nicht ideologisch aufgeladenes Formenrepertoire. Oder doch? Die feministische Filmforschung seit den 1970er Jahren hat gezeigt, dass die stereotype Darstellung von Frauen (als die auf alles andere verzichtende Hausfrau und Mutter) sowie die ästhetische Repräsentation von privatem Schmerz durchaus ideologisch zu verstehen sind. Oftmals sind die Frauen als gesellschaftlich sprachlose Hüterinnen der privaten Sphäre in Szene gesetzt; in den banalen Problemen der jeweiligen Protagonistin scheint keine politische Bedeutung zu liegen. Doch manifestiert sich diese gerade in der Struktur der mise en scène, die auch heute in ästhetischen Inszenierungen noch gängig verwendet wird, man denke an die Telenovela oder das Fernsehmelodram: eine Zu-Richtung des weiblichen Körpers in einer bedeutenden Pose und in einem bedeutsamen Umraum, der hochgradig ideologisch gedacht werden muss. Räume, Dinge, Materialien, Gegenstände als visuelles Setting für den (geschlechtlichen) Körper, seine Geste, seine Mimik sowie das framing, die Perspektive und Montage, geben ein diskursiv bestimmtes, passives Frauenbild wieder. Dieses prägt in seiner weiten Verbreitung und Wiederholung durch das Format des Hollywood-Films, der Serie usw. ‚kollektive‘ Vorstellungen und Symbolisierungen (vgl. Elsaesser 1987, S. 62).
Die Symbolisierung wirkt umso stärker, wenn die Heldin schön und schmerzvoll-affektiv in Szene gesetzt ist, weil sie ihre Bedürfnisse gesellschaftlicher Schranken wegen nicht ausleben darf (im Motiv des Verzichts liegt seinerseits subversives Potential). So spielt beispielsweise eine (verbotene) Liebesbeziehung mit einem nicht standesgemäßen Mann in All That Heaven Allows von Douglas Sirk aus dem Jahr 1955 und auch in Todd Haynes’ Melodram-Remake Far From Heaven aus dem Jahr 2002 eine nur scheinbar rein romantische Rolle; hier werden unterschwellig soziale Probleme wie Rassismus und sexuelle Unterdrückung verhandelt. Diese Unterschwelligkeit (als Wahrnehmungseffekt) ist nur dadurch möglich, dass der Dialog in diesen Genres fast vollständig zurückgedrängt ist. Über die Bildlichkeit ist eine Körperlichkeit des passiv-sentimentalen Erduldens ‚kom-poniert‘. Laura Mulvey hat in ihrer grundlegenden Schrift Visual Pleasure and Narrative Cinema im Jahr 1975 dargelegt, dass filmische Betrachtung stets eine Dimension des Voyeurismus birgt: eine Dimension des phallischen Eindringens der/s Kamera(-blicks) in einen passiven Bildraum. Dieses Argument ist ein bekanntes und muss hier nicht ausgeführt werden. Vielmehr kann hier in einer aktuellen Perspektive gefragt werden: Wie lässt sich diese abstrakte Konstellation von Bild und Ideologie genauer bestimmen? Hierfür möchte ich auf die aktuelle Bildforschung zurückgreifen.
‚Frau als Bild‘ (Eiblmayr 1993): Damit greife ich ein Thema auf, das die feministische Theorie und Kunst – man denke vor allem an Marina Abramović, VALIE EXPORT oder Ulrike Rosenbach – in langer Tradition, spätestens aber seit den 1960er und 1970er Jahren interessiert hat: das Spannungsverhältnis von Sprache, Bild, Körper und Gesellschaft. Wie stellen Bilder den weiblichen Körper her? Welche diskursiven und ideologischen Zuschreibungen, welche apparativ-mediale Herstellung des Weiblichen bedingt beispielsweise das gängige Verständnis von Frau als das ‚Andere‘? Heute, im Zuge des iconic turn in den Geisteswissenschaften, stellen sich diese Bilderfragen erneut. In den aktuellen Schriften, beispielweise der Kunstgeschichte, Soziologie und Philosophie, wird darüber geforscht, wie Bilder kommunizieren und ‚Sinn erzeugen‘ (Boehm 2007, S. 34). Es werden Fragen des Verhältnisses von Bild und Sprache, von Bild und Ideologie, Fragen der Inter- und Transkulturalität des Bildes sowie Blick- und Diskursordnungen bearbeitet. Dort, vor allem in den englischsprachigen Visual Culture Studies – die verstärkt auch Fragen der Geschlechterforschung einbeziehen –, wird davon ausgegangen, dass Sehen mehr ist als ein passives Aufzeichnen und subjektives Verarbeiten von Informationen. Sehen sei als eine „sozial und kulturell eingeübte Praxis“ (Bachmann-Medick 2006, S. 346) zu verstehen, denn das „Sehen und seine Wirkungen sind immer untrennbar von den Möglichkeiten eines betrachtenden Subjekts, das zugleich das historische Produkt und der Schauplatz bestimmter Praktiken, Techniken, Institutionen und Verfahren der Subjektivierung ist“ (Berger 1996, S. 16). Mit diesen Worten hebt John Berger hervor, dass Seh- und Wahrnehmungsprozesse in Relation zu Historizität zu beurteilen seien. Dies aber versuchen die stereotypen Bildformeln des Weiblichen und Männlichen auszuhebeln. Gerade in sentimentalen Darstellungen, die um affektive Teilnahme bemüht sind, wird die historische Bedingtheit des Darstellens und Sehens ausgeblendet.
Diesen Mechanismus zeigt Monica Bonvicinis Arbeit eindrücklich, indem sie auf andere, teils weniger kritische Weiblichkeitsbilder, auf ein gängiges Bildmuster rekurriert: Die (wiederholte) Darstellung stereotyper Leidsituationen suggerieren etwas Zeitloses, ja Überzeitliches, Ewiges – als würde das Bild eine Essenz zeigen: die zu großem emotionalen Leid fähige Frau. Das klischierte und hochgradig kritisch zu betrachtende Bildzeichen scheint ein Bedürfnis nach etwas Bleibendem, nach einer zeitlosen Moral(-Ordnung) zu spiegeln – ein Diskurs, der sich mit der Moderne, besonders der Romantik, etabliert hat. Diese ‚Unsterblichkeit des Gefühls‘ wird oftmals in einem ästhetisierten Frauenbild repräsentiert. Damit wird der Moment ‚naturalisiert‘, d. h. im Sinne Roland Barthes’ in etwas Mythisches transformiert, das seine eigene Gemachtheit und kulturelle Bedingtheit verschleiert. Der Mechanismus der Naturalisierung ist seit vielen Jahren eine problematische und zentrale Frage der Geschlechterforschung, die sich bezüglich des scheinbar gegebenen biologischen und des diskursiven sozialen Geschlechts stellt. ‚Naturalisierung‘ suggeriert nämlich einen natürlichen, a-historischen Körper als vor-kulturelle Substanz, in den das soziale Geschlecht ‚eingeschrieben‘ wird. Mithilfe von Michel Foucaults Analysen der Macht und des Begehrens haben Judith Butler und andere aber gezeigt, dass sowohl die eine als auch die andere Geschlechtsidentität fiktiv und konstruiert ist (Butler 1991, S. 22 ff.) und keinesfalls eine vor-kulturelle Gegebenheit. Mit dem emotional fundierten Mythos der sentimentalen Weiblichkeit verhält es sich ähnlich – auch diese Wunschkörper sind hochgradig konstruiert, auch wenn sie sich als Gegebenheit maskieren –, und es ist kompliziert, die Mechanismen der Naturalisierung zu unterlaufen, da die diskursiven Festschreibungen bestimmten (angeeigneten) Wünschen und Idealen entgegenkommen.
In gesellschaftlichen Diskursordnungen ist also nicht nur die Sprache, sondern sind gerade auch Bilder in ihrer (scheinbaren) Evidenz und Affektivität zunehmend machtvolle Agenten und Gelenkstellen. Bereits in Walter Benjamins Konnex von Fotografie und Ware, Guy Debords La société du spectacle (1967) und Jean Baudrillards Simulationstheorem werden Bilder in kritischer Weise als manipulierende Komplizen eines sich selbst reproduzierenden (post-)demokratischen Systems bestimmt. Diese Blick- und Machtordnungen betreffen auch die Zuschreibungen von Geschlechtsidentitäten und des Begehrens (vgl. Foucault 1992, S. 98, 101, 103 und 125). Dies möchte ich im Folgenden mit der Theorie des Bildschirms und der ‚Pose‘ (als Körperbild), die ja zentraler Faktor der Ästhetik in Bonvicinis Arbeit ist, zeigen.
Der Prozess einer sich in Gang haltenden, immer wieder sich selbst darstellenden ‚Maschine des Sehens‘ ist als allgemeiner, ideologischer und die Welt konstituierender Bildschirm charakterisiert worden (vgl. Foucault 1976, S. 249; Silverman 1997, S. 41 f.; Rancière 2005, S. 7 f.). In diesem Bildschirm oder der Konfiguration der machtvollen Blicke – im Sinne einer ‚Objektivierung‘, ja ‚Fetischisierung‘ des Angeblickten, oder hier konkret: einer blick-basierten Festschreibung des Mythos – müssen sich zwangsläufig einzelne Körper und Subjekte immer wieder neu ausrichten, werden ausgerichtet, können sich vor Blicken schützen oder sind ihnen ausgeliefert. Die Pose als vorweggenommene Bildwerdung, beispielsweise für eine Fotografie, beschreibt dabei einen Schutz, eine mehr oder minder selbstgewählte Positionierung im Feld des Sichtbaren.
Pose, posa, die Pause oder das se poser bezeichnet ein Innehalten, das Einnehmen einer gewissen Körperhaltung für eine gewisse Dauer als Anpassung an die Umgebung und an den Blick des/der Anderen. Man denke in diesem Zusammenhang des Sich-Ausrichtens in einem (Macht-)Umfeld aber auch an den vieldiskutierten Begriff der Maskerade, der „das kulturelle Moment des Darstellens“ ins Spiel bringt (Bettinger/Fink 1995, S. 8), oder auch an das Konzept der Mimikry als Täuschung, den Jacques Lacan in seinen Vier Grundbegriffen der Psychoanalyse entwickelt hat. Besonders aber im Zwischenmoment der Pose aus Bild und Körper, in dem man sich grundsätzlich dem potentiell gewaltsamen Blick der Anderen dar-stellt, zeigen sich zusätzlich zur Botschaft der Haltung und Mimik auch (An-)Zeichen des Sozialen, des Geschlechts, des Alters, der ethnischen Herkunft, des moralischen, gesellschaftlichen und affektiven Status. Die Kulturforscher Norbert Elias, Richard Sennett und andere haben diese Grade des ‚sozialen Schauspiels‘ in historischen Perspektiven analysiert: wie man sich selbst inszeniert, gesehen wird und wie sich daraus soziale Ordnungen und Hierarchien entwickeln, beispielsweise im Übergang von einer höfischen zu einer bürgerlichen Kultur. In den Zeichen, Symbolen und Codes werden schließlich auch Gebote und Verbote, Rollenbilder und Verhaltensnormen entlang einer ‚heterosexuellen Matrix‘ (Judith Butler) etabliert. Diese Codes werden hier, im Falle der beschriebenen Bilder von Weiblichkeit, aus einem sentimental-romantischen Repertoire der leidenden/leidenschaftlichen Frau generiert. Somit überlagern sich in der Pose ein Zeige- und ein Leseakt (Bildinszenierung und -wahrnehmung); Bild und Mythos fließen untrennbar ineinander – so auch in den moralisch und affektiv codierten Momenten des Posierens in einem diskursiven Feld des Sichtbaren, wie sie Bonvicini ausstellt.
Im Kontext dieser Betrachtung von Bildinszenierungen und -wahrnehmungen, von Blick und Mythos ist in der Geschlechterforschung der vergangenen Jahre verstärkt über die Frage der being-looked-at-ness (John Berger) des weiblichen Körpers diskutiert worden – besonders in Bezug auf die Figur des Stars oder die Pornographie. Welchen Status hat der weibliche Körper in einer allumfassenden, visuellen Konstellation des Bildschirms inne? Ist er das prädestinierte, passive Blickobjekt? Unter anderen hat beispielsweise Craig Owens in seinem Artikel „Posieren“ bezüglich dieser Frage eine Verschränkung von ‚ideologisch-panoptischer Maschine‘ und dem weiblichen Körper als sich visuell-anbietendem, ja pornographischem Körper herausgearbeitet (vgl. Owens 2003, S. 94 ff.). Bei Bonvicini geht es aber um etwas anderes: um die (erfahrbare) Darstellung der Ambivalenz von Blicken, Räumen und das Sich-Ausrichten in diesem visuellen und metaphorischen Raum der Macht. Wie bearbeitet sie die Frage des Sich-Ausrichtens in einem Raum der Macht?
Bonvincini addiert in ihrer Videoarbeit verschiedene Blickachsen, Räume und Posen. Damit verschiebt sie die Perspektive immer wieder, schafft in gewisser Weise eine/n ‚dritte/n‘, außerhalb der Perspektive stehende/n Betrachter/-in innerhalb der zunächst binären Blick- und Machtordnung. Die Pose und die Anordnung in Räumen werden als performative, sich wiederholende Akte enttarnt und die Mechanismen des Sich-Positionierens erfahrbar. Während also in der bisherigen Argumentation vorwiegend die Rede von einem affirmativen Mythos und dem Gelingen eines Frauenbilds die Rede war, so ist in Bonvicinis ‚Bilderspiel‘ eine Irritation vorhanden: In der Reihung und Ironisierung des Posierens wird offenbar, dass Festschreibungen ein Effekt sind, ein aktives Konstruieren und kein Entzifferungsprozess eines ‚natürlich‘ Gegebenen. Die Figur der leidenschaftlich liebenden, sich aufopfernden Frau ist eine affektive Seh- und Begehrensgewohnheit. Die Inszenierung von Körperbildern der Mira und Deneuve in immer wieder gleichen, in gewisser Weise patriarchal-architekturalen Räumen und voyeuristischen Perspektiven (vgl. Sand 2008, S. 177), die die Frauen in sich wiederholenden Posen und Gesten gefangen halten, wird grotesk, die Schönheit des sentimentalen Moments verbraucht und schal – so wird die emotionale Grundierung des Frauenbilds zerstört. Der Titel der installativen Videoarbeit Destroy, she said, nach einem Roman von Marguerite Duras, verweist dabei auf das bewusste Zerstören, ein Brechen der Sehgewohnheiten und vor allem auch auf Verschiebung, auf Pluralität der Zuschreibung. Im kommentierenden „she said“ wird dabei die reflexive, weiblich-selbstbestimmte Komponente des Zerstörens betont – auch wenn die Vergangenheitsform des Verbs ein gewisses Moment der Skepsis und Vergeblichkeit suggeriert.
Die (Macht-)Situation des Blicks ist zwar als eine grundsätzliche, subjektbildende zu charakterisieren, in dem Sinne, dass wir selbst im Moment des (ersten bewussten) Blicks in den Spiegel eigene Körpergrenzen und Selbstbilder produzieren, die wie die Folgebilder von der Sprache immer wieder als geschlechtlich-diskursive geordnet werden. Diese libidinöse Macht der Blicke und Bildzeichen kann aber durch bildliche Mittel selbst parodiert und verunsichert werden: Scheinbar affirmative Bilder können Blickformationen und mythische Festschreibungen unterlaufen.
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