Marlen Bidwell-Steiner, Veronika Zangl (Hg.):
Körperkonstruktionen und Geschlechtermetaphern.
Zum Zusammenhang von Rhetorik und Embodiment.
Innsbruck: StudienVerlag 2009.
272 Seiten, ISBN 978-3-7065-4693-5, € 25,90
Abstract: In den Beiträgen des Sammelbandes wird der Körper gewissermaßen als ‚metaphorisches Schlachtfeld‘, aber auch als Medium der metaphorischen Inszenierung, ja, Stilisierung des Geschlechts angesehen. Die meisten Beiträge thematisieren die Möglichkeiten der De/Konstruktion und der Grenzüberschreitung des Geschlechts auf der Ebene diskursiver Strategien und rhetorischer Denkfiguren; dabei kommt die Dimension der performativen, materiell-physischen Wirkungen auf die reale Geschlechterwirklichkeit leider etwas zu kurz.
Der Sammelband Körperkonstruktionen und Geschlechtermetaphern: Zum Zusammenhang von Rhetorik und Embodiment ist dem komplexen Wechselspiel zwischen diskursiven Konstruktionsweisen und Prozessen der Verkörperung gewidmet, aber auch der Veränderung geschlechtlicher Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Rede, Körper und Geschlecht sind, so zeigen die Beiträge, von denen die meisten sich auf eine Ringvorlesung 2007/08 an der Universität Wien mit dem Titel „Geschlechtermetaphern als Körpermetaphern“ beziehen, in einem beziehungsreichen Geflecht verknüpft.
Die Einführung in das thematische Feld von Marlen Bidwell-Steiner und Veronika Zangl macht deutlich, dass es im vorliegenden Band um metaphorische Bezüge und d. h. vorrangig um sprachlich-bildhafte Zugänge zur (Geschlechter-)Wirklichkeit geht. Metaphern werden – mit Blumenberg – zunächst sehr allgemein als Formen des menschlichen Wirklichkeitsbezugs skizziert. Damit ist der Begriff der Metapher offenbar bewusst weit gefasst. Die Frage, was Metaphern sind und was sie von Theorien und Diskursen sowie von Symbolen, Chiffren und Allegorien unterscheidet, wird rhetorisch zunächst nicht differenziert. Rudolf Schmitt setzt sich in seinem Beitrag am Schluss des Bandes dann näher mit aktuellen Metapherkonzepten auseinander. Er verweist zum einen darauf, dass die kognitive Metaphertheorie das unhintergehbare Muster von Geschlecht(erdifferenzen) völlig vernachlässigt. Zum anderen rekurriert Schmitt auf den Begriff der Schemata. Metaphern ließen sich in dieser Perspektive nicht nur als Schemata mit bildhafter Qualität, sondern auch als geschlechterspezifische Bilder fassen. Diese werden im vorliegenden Band aber nicht nur als rhetorische Figuren, die Wirklichkeit(en) in Vorstellungen und Bilder übertragen, sondern auch als körperhafte Zeichen verstanden, die performativ sind in dem Sinne, dass sie reale Wirkungen haben. Geschlechtermetaphern sind demnach konstitutive Merkmale von Körpern und geschlechtlicher Selbstrepräsentation. Was die Umsetzung dieses Metapherkonzepts betrifft, so sei vorausgeschickt, dass die wenigsten Beiträge dieses Programm auf der Ebene materieller Körper- und Geschlechterpraktiken wirklich einlösen. An einigen exemplarischen Beiträgen soll im Folgenden der metaphorische Zugang zur Geschlechterwirklichkeit präsentiert und bewertet werden.
Ausgehend von grotesken Körperkonzeptionen verdeutlichen Astrid Fellner und Susanne Hamscha die Zerrissenheit des Geschlechts und den Mythos des ganzen Körpers, der die Moderne bestimmt. Nur der metaphorisch zerstückelte Körper, so nehmen sie an, kann die Grenzen der Geschlechterbinarität aufheben. Dagegen wäre einzuwenden, dass die Neuordnung der Geschlechter hier lediglich rhetorisch-literarisch stattfindet. Zudem ist in der (Post-)Moderne gerade der fragmentierte Körper Gegenstand einer geschlechtsspezifischen Wahrnehmung und Markierung sowie der technologisch-medialen Perfektionierung des Geschlechtskörpers.
Der Beitrag von Waltraud Ernst geht dem metaphorischen Zusammenhang von Zivilisation, Erotik/Sexualität und Geschlecht im Aufklärungsdiskurs nach. Waltraud Ernst fragt sich, inwiefern das Erotische zum Sinnbild des Zivilisierten (des zivilisierten Mannes) auf dem Rücken einer quasi als leidenschaftslos konturierten Frau wird, die in dieser Polarität ‚das Wilde‘ repräsentiert, das gezähmt werden muss. Die Naturalisierung und Vergeschlechtlichung von Zivilisation und Wildheit zeige sich insbesondere im Kolonialdiskurs der Anthropologie und Anatomie des – ausgehenden – 18. Jahrhunderts: Am Körper abgelesen werde die Differenz von Zivilisation und Wildnis zum sinnstiftenden, ethnozentrisch eingefärbten Konstruktionsmerkmal von Rasse, Klasse und Geschlecht. Dieser Gedankengang ist zwar interessant, aber nicht ganz neu; umso mehr erstaunt es, dass nicht auf bereits vorliegende Analysen Bezug genommen wird.
Originell ist aus meiner Sicht der Beitrag von Bettina Matthes, die das ‚Hymen‘ der Frau als Phantasma weiblicher Unberührtheit und zugleich als Projektionsfläche autonomer Männlichkeit betrachtet, „die es dem männlichen Subjekt erlaubt, die Tatsache seines Geboren-Seins und mithin seiner Sterblichkeit auszublenden“ (S. 60). Zugleich offenbare sich darin die phantasmatische Qualität eines weiblichen Ideals, in das die Frau immer wieder ‚eingerahmt‘ werde und in dem sich der männliche Blick (auf die Frau) spiegele.
Kateřina Kolářová macht deutlich, wie Metaphern körperlicher Differenz/Behinderung und Metaphern des Geschlechts – in diesem Fall des weiblichen Körpers – ineinander fließen. Metaphern der Behinderung wirken, so Kolářová, als Markierungen einer körperlichen Differenz, die nicht nur auf normative Körperkonzepte verweisen, sondern sich als prothetische und performative Instrumente der Verkörperung erweisen, die sich in der Beziehung des Subjekts zum eigenen Körper, seiner Gestalt und seiner – lästigen – Präsenz niederschlagen. Hier würden Geschlechterzuschreibungen wirksam: Der verfallende, paralysierte und immer weniger leistungsfähige Körper verändere die männliche Selbstwahrnehmung und Geschlechtsidentität; er sei feminin.
Karin Sardadvar zeigt, dass sich nicht nur die Medizin bei der Beschreibung körperlicher Fortpflanzung einer technologischen Metaphorik bedient, sondern dass sich diese auch in Formen der alltäglichen Selbstwahrnehmung – vor allem von Frauen – niederschlägt. Rudolf Schmitt geht es um die Rekonstruktion sprachlicher Deutungsmuster von Geschlechterpraktiken; er untersucht die Selbstinszenierung des männlichen Geschlechts im Alkoholkonsum. Die von Sardadvar gestellte Frage, ob neue Reproduktionstechnologien, insofern sie sich zunehmend auf beide Geschlechter beziehen, Geschlechterunterschiede aufweichen (können), erscheint mir ebenso bedenkenswert wie die Relativierung der geschlechterspezifischen Befunde von Schmitt, der zu bedenken gibt, ob die Zuordnung von Metaphern zu Geschlechtern nicht dazu beiträgt, Geschlechterwirklichkeiten zu verdoppeln.
Obgleich auch in dem Beitrag von Karin Harrasser, in dem politische Körpermetaphern und „die Koppelung von Körperbildern mit Vorstellungen des Kollektiven“ (S. 201) betrachtet werden, durchaus kein neues Forschungsfeld ‚Körperkonstruktionen und politische Metaphern‘ aufgemacht wird, erscheint mir die Analyse in der spezifischen historischen Perspektivierung interessant. Der Beitrag zeigt, dass und wie insbesondere der prothetische, soldatische Körper des Ersten Weltkriegs eine herausragende Stellung als Metapher des Sozialen und als imaginärer Garant sozialer Vergemeinschaftung einnimmt. Politische Körpermetaphern sind demnach nicht nur Medien der Selbstrepräsentation, der sozialen Steuerung und der Abgrenzung zu anderen Kollektiven, sie haben auch Anteil an sozialen Vergesellschaftungsprozessen. Der Beitrag zeigt zudem, dass der Rückgriff auf die Metapher des „sozialen Körpers“ – „also die Modellierung des Sozialen in Analogie zum menschlichen Körper –“ (S. 203) genau dann erfolgt, wenn das Kollektiv vom Zerfall bedroht ist.
Trotz aller Einschränkungen: Alles in allem vereinigt der Band einige sehr gelungene Beiträge. Ob allerdings der Anspruch, es gehe den Beiträgen „nicht in erster Linie um diskursive Strategien“, sondern um „verkörperte Metaphern und deren materielle und physische Auswirkungen“ (S. 19) hinreichend realisiert wird, ist die Frage. Die meisten Beiträge bewegen sich eher auf der Ebene der Re/Konstruktion rhetorischer Denkschemata und metaphorisch verfasster Formen der Selbstrepräsentation als auf der materieller Körper- und Geschlechterpraktiken; diese kommen eindeutig zu kurz. Der Körper erscheint lediglich als „metaphorisches Schlachtfeld“ (S. 34), der Buchtitel lässt jedoch mehr erwarten.
URN urn:nbn:de:0114-qn113044
Prof. Dr. Hannelore Bublitz
Universität Paderborn
seit 1995 Professorin für Allgemeine Soziologie, Sozialwissenschaften und Sozialphilosophie; Sprecherin des Graduiertenkollegs „Automatismen“
E-Mail: bublitz@mail.upb.de
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