Kriege, Medien und Geschlechterordnungen

Rezension von Ricarda Drüeke

Martina Thiele, Tanja Thomas, Fabian Virchow (Hg.):

Medien – Krieg – Geschlecht.

Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010.

363 Seiten, ISBN 978-3-531-16730-5, € 34,95

Abstract: Die Autor/-innen des Sammelbandes geben einen Überblick über wichtige Fragestellungen zu Medien, Militär und Krieg sowie Geschlecht auf der Grundlage unterschiedlicher methodischer und theoretischer Zugänge. Ziel der Beiträge ist eine Analyse der Verschränkungen und Interaktionen zwischen diesen Bereichen aus gender- und gesellschaftstheoretischer Sicht. Im Zentrum stehen die Affirmationen und Irritationen sozialer Ordnungen, insbesondere der Geschlechterordnungen, etwa in der medialen Berichterstattung über Soldatinnen und Selbstmordattentäterinnen, in Darstellungen von Frauen und Männern in Kriegsfilmen und in Theaterstücken zur Zeit des Ersten Weltkriegs sowie historische Blicke auf frühe Kriegsberichterstatterinnen. Ergänzt werden diese Auseinandersetzungen durch die Perspektive von Journalistinnen, die aus ihrer eigenen Erfahrung berichten.

Die vielfältigen Zusammenhänge von Medien und Krieg sind seit längerem im Fokus wissenschaftlichen Interesses. Untersucht wurde u. a. die Rolle von Medien im Krieg, aber auch Repräsentationen von Kriegen in den Medien. Durch die Suggestivkraft von Bildern spielen diese eine nicht unerhebliche Rolle, Medien können Kriege in Bildern vermitteln, wie dies bspw. im Kontext des war on terror der Fall war: Millionen von Fernsehzuschauer/-innen erlebten den Einsturz des World Trade Center nahezu live mit.

Medienberichterstattung kann zur Legitimation von Kriegen dienen. Beispiele dafür finden sich beim Kosovo-Krieg, aber auch (wieder aktuell) im Fall Afghanistan, wenn die Times auf dem Titelblatt vom 1. August 2010 schreibt: „What Happens To Afghan Women If We Leave Afghanistan“ und dies mit dem Foto einer von ihrem Mann verstümmelten afghanischen Frau illustriert. Berichterstattung über Kriege muss sich dementsprechend immer wieder aufs Neue mit Stereotypen und Feindbildern, in denen politische, religiöse oder ethnische Differenzen konstruiert werden, auseinandersetzen. Dabei können Bedrohungsbilder, politische Interessen und Kalküle in die mediale Konstruktion von Krieg und Terror einfließen und dazu beitragen, Konflikte und Kriege zu legitimieren oder aber die Öffentlichkeit gegen sie zu mobilisieren.

Neben diesen beiden Formen der Berichterstattung ist aber auch die Rolle des/der Kriegsberichterstatter/in selbst einem ständigen Wandel unterworfen. Waren es ungefilterte Bilder des Vietnamkrieges, die in den USA die Zustimmung für den Krieg verringerten, so wurden im Golfkrieg 1991 fast keine Bilder des Kriegs durch Journalist/-innen verbreitet. Im Irakkrieg 2003 hingegen wurde der Begriff der embedded journalists geprägt, deren Berichterstattung durch das Militär kontrolliert wurde.

Geschlechterrepräsentationen und -ordnungen im Zusammenhang mit Krieg und Medien sind ein bisher vernachlässigtes Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzung, was insofern erstaunlich ist, da Konstruktionen von Männlichkeit wie von Weiblichkeit eine nicht unerhebliche Rolle in Kriegen spielen. So ist beispielsweise die Rolle der Frau in Kriegen einem – nicht linearen – Wandlungsprozess unterworfen. War sie zunächst häufig das Opfer wurde dieses Bild durch die Gefahr einer potentiell gefährlichen Islamistin ergänzt, aber auch durch die Soldatin, die durch die Öffnung des Militärs für Frauen (in Deutschland seit 2001 uneingeschränkt) den Dienst an der Waffe ableisten konnte.

Ausgangspunkt

Mit dem Ziel, diese Lücke in der Forschung zu schließen, haben die Herausgeber/-innen des vorliegenden Bandes, der auf eine Tagung zurückgeht, die im September 2008 in Salzburg stattfand, 18 Beiträge versammelt. Aus soziologischer, kommunikationswissenschaftlicher, kulturwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Perspektive heraus werden die Probleme von und der Zusammenhang zwischen Militär, Medien und Geschlecht thematisiert. „Bilderpolitiken“ und „Narrationen“ werden empirisch analysiert sowie „Artikulationen“ und „Standpunkte“ hinterfragt. Die Aufteilung in diese Kapitel ist rein analytisch, thematisch ließen sich die Beiträge auch mehreren bzw. – wie im Folgenden – anderen Gliederungspunkten zuordnen. Die Autor/-innen des Bandes sind Wissenschaftler/-innen unterschiedlicher Disziplinen, zum Teil auch – für die Thematik durchaus spannend – mit journalistischem Hintergrund.

Zentrale These in diesem Sammelband ist, dass „Kriege und Konflikte sowie die Berichterstattung darüber Gesellschaften und die in ihnen vorherrschenden Geschlechterordnungen verändern und dass sich diese Veränderungen wiederum auf folgende Kriege, mediale Geschlechterrepräsentationen und tatsächliche Geschlechterkonstellationen auswirken“ (S. 9 f.).

Die Beiträge des einleitenden Kapitels „Ausgangspunkte“ sind der Einführung in das Forschungsfeld aus einer feministischen Blickrichtung gewidmet. Die Herausgeber/-innen gehen aus einer theoretischen Perspektive auf die aktuellen und vielschichtigen Dimensionen des Zusammenhangs von Medien, Krieg und Geschlecht ein. Christine Eiflers Beitrag beschäftigt sich mit „Militär und Geschlechterverhältnis zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, im Mittelpunkt stehen Überlegungen, wie sich Professionalität von Soldatinnen gestaltet und wie sich tradierte Geschlechterideologeme verändert haben und verändern.

Historische Exkurse

Eine historische Perspektive nimmt der Beitrag von Eva Krivanec ein, die anhand von Theaterproduktionen aus den Jahren 1914 bis 1918 untersucht, wie Geschlechterordnungen im Krieg verhandelt wurden. Zeitlich ein Jahrhundert zurück geht Rainer Emig, der die vielfältigen, teilweise der traditionellen Geschlechterordnung gegenläufigen – jedoch auch in sich widersprüchlichen – Aktivitäten von Florence Nigthingale während des Krimkrieges (1853–1856) schildert. Im heutigen Sprachgebrauch könne man ihre Strategien als „Public Relations“ bezeichnen, so Emig.

Stereotype von Männlichkeit und Weiblichkeit

Anhand historischer und aktueller Beispiele analysiert Martina Thiele die Repräsentationen von männlichen und weiblichen Akteur/-innen im Militär und wie diese zustande kommen. Insbesondere hinsichtlich der Figur des weiblichen Feindes untersucht sie die stereotypen Zuschreibungen und kommt zu dem Schluss, dass vor einer Dekonstruktion von Stereotypen zunächst deren Wiederbelebung steht. Wiederbelebungen bzw. Verfestigungen werden auch in weiteren Beiträgen zu Stereotypisierungen in einzelnen Filmen aufgezeigt, so in Teresa Schweigers Aufsatz zu den Figurenkonstellationen in Lions led by Lambs. Marcus S. Kleiner untersucht in den Spielfilmen Black Hawk Down, No Man’s Land und Brotherhood die kommunikativen Praktiken der Protagonisten sowie die repräsentierten Männerbilder.

Bilder des ‚Eigenen‘

Die Bilderauswahl in Armeezeitschriften steht im Zentrum der Arbeiten von Susanne A. Friedel und Susanne Kirchhoff. Friedel beschreibt die Darstellungen von Soldatinnen in der israelischen Militärzeitschrift Bamahaneh und ergänzt dies durch narrative Interviews mit Soldatinnen, um so Normierungsverfahren von Körpern im Sinne Judith Butlers zu untersuchen. Wie Soldatinnen nach deren vollständigen Zulassung zur Bundeswehr in der Zeitschrift Y., einem Magazin der Bundeswehr, repräsentiert sind, analysiert Kirchhoff und führt aus, dass Frauen zwar als Soldatinnen abgebildet werden, jedoch bisher eher selten in Kriegseinsätzen und potentiellen Kampfsituationen.

Saskia Stachowitsch untersucht anhand zweier US-amerikanischer Zeitungen (Washington Post und New York Times) die Berichterstattung über Frauen im Militär im Zeitraum von 1990 bis 2005 und analysiert den Zusammenhang zwischen Geschlechterideologie, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Rekrutierungsmaßnahmen.

Bilder des ‚Fremden‘

In den Massenmedien übertrifft die Berichterstattung über das ‚Andere‘, das ‚Fremde‘ die über die ‚eigenen‘ Soldatinnen bei weitem. So erscheint es schlüssig, wenn dies einen weiteren Schwerpunkt des Buches ausmacht. Tanja Maier und Hanno Balz analysieren die Bilder des ‚Fremden‘ in medialen Darstellungen von ‚Krieg und Terror‘ in Spiegel, Fokus und Stern, dabei werden insbesondere Konstruktionen einer kulturalistischen Unterteilung in christlich/islamisch, säkular/fundamental und modern/rückständig deutlich. Die Darstellungen des ‚Fremden‘ und des ‚Eigenen‘ stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Anna Bergmann. Anhand der Berichterstattung über den Afghanistankrieg untersucht sie die Männlichkeitsbilder der deutschen Qualitätspresse im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg. Diese, so Bergmann, korrespondieren dabei mit den im europäischen kulturellen Gedächtnis gespeicherten Männlichkeitsbildern und -idealen.

Mit ‚fremden Frauen‘, nämlich mit Selbstmordattentäterinnen, und mit deren medialen Repräsentationen beschäftigen sich Tanja Thomas und Fabian Virchow. Die Bilder von Selbstmordattentäterinnen stehen im Zusammenhang des Wandels der Deutungen einer Kopftuch tragenden/islamischen Frau von einer rückständigen zu einer potentiell gefährlichen Person. Auch wenn Selbstmordattentäterinnen als das bedrohliche ‚Andere‘ wahrgenommen werden, sind, so die Autor/-innen, die Irritationen der gesellschaftlichen (Geschlechter-)Ordnung, die durch diese Überschreitung möglich wäre, nur punktuell. Denn zumeist werde den Frauen in der Berichterstattung der Subjektstatus abgesprochen.

Journalistische Interventionen

Die Kriegsberichterstattung ist mit Polarisierung, mit Stereotypen und Feindbildern konfrontiert, in denen politische, religiöse und ethnische Orientierungen und Konstruktionen sichtbar werden. Journalist/-innen, die über Kriege berichten, befinden sich mitten in diesem spannungsgeladenen Feld. Auf diese Punkte geht Sybille Hamann ein, die in Bezug auf Themen journalistischer Berichterstattung fragt, ob Frauen nicht „anders“, aber „Anderes“ schreiben. Eine unterschiedliche Themensetzung zeigt sich bspw. bei der Berichterstattung über den Schleier, wo zumeist Frauen bestimmte Kategorien (wie ‚rückständig‘, ‚vormodern‘) zugeordnet werden, ohne dass allerdings mit ihnen gesprochen worden ist. Pragmatisch schließt Hamann, dass es wichtig ist, wenn Frauen Anderes wahrnehmen und schreiben, um solche Deutungen zu umgehen. Doch es geht nicht nur darum, „Anderes“ zu schreiben, denn, so Gudrun Harrer im nächsten Beitrag, nicht nur das Geschlecht ist entscheidend für den Zugang zu und die Aufbereitung von Informationen, sondern auch in wessen Auftrag jemand in einer Krisenregion unterwegs sei. Ihre eigene Erfahrungen, als Journalistin und Diplomatin, fließen in diesen Beitrag mit ein.

Aus wissenschaftlicher Sicht beleuchten Margreth Lünenborg und Annika Bach den Wandel des Berufsbildes von Kriegs- und Krisenreporter/-innen. Deutlich wird, wie sehr sich das Berufsbild gewandelt hat und welche vielfältigen Positionen Kriegsberichterstatter/-innen einnehmen. Weitgehend unbekannte Journalistinnengeschichte arbeiten Elisabeth Klaus und Ulla Wischermann am Beispiel von vier Publizistinnen (Bertha von Suttner, Helene Stöcker, Gertrud Bäumer und Alice Schalek), die im Ersten Weltkrieg geschrieben haben, auf und präsentieren damit frühe Positionen bzw. Positionierungen von Journalistinnen. Die Autorinnen zeigen unterschiedliche Standpunkte, aber auch Wandlungsprozesse im Verhältnis Militarismus/Antimilitarismus und Antifeminismus/Feminismus auf.

Fazit

Der Sammelband führt Beiträge verschiedener methodischer und theoretischer Zugänge in kritisch-feministischer Perspektive zusammen und enthält viele unterschiedliche Aspekte des Zusammenhangs von Medien und Krieg und der darin verwobenen Geschlechterrepräsentationen und Geschlechterordnungen. Die Beiträge bieten wichtige Denkanstöße durch das Benennen von Widersprüchen, Verknüpfungen und Auswirkungen im Zusammenhang mit Medien, Krieg und Geschlecht. Die Stärken des Bandes liegen in der Zusammenschau unterschiedlicher theoretischer Perspektiven und empirischer Zugänge und in der Ergänzung durch die Sicht erfahrener Journalistinnen.

Es wird deutlich, dass in der Berichterstattung über Kriege oder in medialen Repräsentationen von Kriegen laufend Geschlechterdifferenzen konstruiert werden. Da in den Beiträgen ganz unterschiedliche Thematiken und zeitliche Entwicklungen betrachtet werden, lassen sich zwar in der historischen Entwicklung Veränderungen feststellen, doch sind diese weder linear noch immer progressiv. Weitere Forschungen sollten also weiterhin die Beschreibung und gleichzeitige Dekonstruktion von stereotypen Bildern im Blick haben sowie – und dies wird in einigen Beiträgen schon angedeutet – die Verschränkungen der Konstruktion von Geschlechterdifferenzen mit der Konstruktion von kulturellen, religiösen oder ethnischen Differenzen.

URN urn:nbn:de:0114-qn113082

Mag. Ricarda Drüeke

Universtität Salzburg

wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Kommunikationswissenschaft

Homepage: http://www.uni-salzburg.at/kowi/drueeke

E-Mail: ricarda.drueeke@sbg.ac.at

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