Das Unbehagen in der postfeministischen Kultur

Rezension von Stefan Schoppengerd

Angela McRobbie:

Top Girls.

Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes.

Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010.

240 Seiten, ISBN 978-3-531-16272-0, € 24,95

Abstract: Die Kultursoziologin Angela McRobbie untersucht (pop-)kulturelle und politische Erscheinungsformen des gegenwärtigen Genderregimes und konstatiert einen komplexen, spezifisch postfeministischen Backlash – ein antifeministischer Gegenschlag, der gerade dadurch funktioniert, dass Elemente des Feminismus in politische und kulturelle Diskurse aufgenommen werden. Das Buch zeichnet sich durch vielfältige gesellschafts- und subjekttheoretische Bezüge aus, die zwar nicht in Gänze ausbuchstabiert und zusammengeführt werden, die aber die genannte Kernthese überzeugend untermauern.

Kulturwissenschaftliche Zeitdiagnose

„Etwas Unerwartetes ist eingetreten […]: Elemente des Feminismus wurden aufgegriffen und spürbar in das politische Leben und in eine Reihe gesellschaftlicher Institutionen integriert.“ (S. 17) Was als Teilerfolg oder als kleine Schritte in die richtige Richtung interpretiert werden könnte, will die britische cultural studies-Vertreterin Angela McRobbie dagegen anders verstanden wissen: als eine neue, komplexere Variante von Antifeminismus, der das Entstehen einer neuen Frauenbewegung präventiv verhindern soll. Zur perfiden Funktionsweise dieser Art von Reaktion gehört es, dass Feminismus nicht offen angegriffen wird, sondern dass – so eine häufig wiederkehrende Formulierung – „dem Feminismus Rechnung getragen wird“. Feminismus ist demnach omnipräsent, aber nicht als lebendige, attraktive Bewegung, sondern als ‚untoter‘ Wiedergänger aus vergangener Zeit, als ein zu verscheuchendes Gespenst.

Kleider in Anführungszeichen

Diese Kernthese untermauert McRobbie mit mehreren Schlaglichtern auf Phänomene einer „postfeministischen Populärkultur“. Untersucht werden Filme (Bridget Jones, Die Waffen der Frauen), Modefotografie, Fernsehserien (Sex and the City, Allie Mc Beal) und -formate wie sogenannte Make-over-Shows, in denen junge Frauen unter Aufsicht von Moderation und Publikum ihr Körperbild und ihren Kleidungsstil ‚verbessern‘. In all diesen Bereichen kommt ein ähnliches undoing des Feminismus zum Tragen: Was früher als Zwang kritisiert wurde, wird jetzt betont freiwillig getan. Ein Beispiel: Wenn akzentuierte Weiblichkeit bzw. Mädchenhaftigkeit zu den aktuellen Anforderungen des Mode- und Schönheitssystems gehört, dann als unbeschwert-nostalgische Reminiszenz und scheinbar nicht ernstzunehmend: „Die Kleider werden jetzt in Anführungszeichen getragen.“ (S. 101) Über derartige Zurschaustellungen des Nicht-mehr-nötig-Habens von feministischer Politik konturiert sich das postfeministische Genderregime, das für McRobbie ein Synonym für einen komplexen antifeministischen Backlash ist.

Dieser herrschaftskritische Blick auf wechselnde Ausschnitte von Alltagskultur sowie die Verbindung von wissenschaftlicher Analyse mit politischer Intervention machen das Buch zu einer spannenden Lektüre. Es hält aber auch Enttäuschungen bereit. Der Band geht offensichtlich zurück auf eine Sammlung von ursprünglich eigenständigen Aufsätzen und Essays; statt dass diese einfach als solche ausgewiesen wären, suggeriert die Benennung der einzelnen Teile als „Kapitel“ und die Rahmung durch eine Einleitung und ein Fazit eine Stringenz des Argumentationsaufbaus, die so nicht gegeben ist. Das macht sich insbesondere in der unsystematischen Vielfalt der theoretischen Bezüge bemerkbar. Warum z. B. taucht in der Kritik der Make-over-Shows der Begriff der „Luminositäten“ (Gilles Deleuze) nicht mehr auf, der zwei Aufsätze zuvor als Schlüsselkonzept für die widersprüchliche theatralische Inszenierung von Weiblichkeit im (metaphorischen) Scheinwerferlicht eingeführt wurde? (Stattdessen präsentiert McRobbie hier eine für sich genommen sehr anregende Relektüre von Bourdieus „feinen Unterschieden“ und den Begriffen von Klassenhabitus und symbolischer Gewalt). Derlei eher beliebig scheinende Wechsel des Bezugsrahmens ereignen sich häufiger – zuletzt im als „Fazit“ betitelten letzten Text, in dem relativ unvermittelt die Arbeiten einiger Kolleginnen (Sylvia Walby, Rosi Braidotti, Gayatri C. Spivak) einer kritischen Würdigung unterzogen werden, Bezüge zu den vorangehenden Abschnitten jedoch eher lieblos eingestreut sind. So bleibt offen, wie sich die Vielzahl der aufgerufenen Begriffe und Denkbewegungen zueinander verhalten – lassen sich die psychoanalytisch argumentierenden Arbeiten von Lacan und Butler ohne weiteres mit den marxistisch bzw. gramscianisch geprägten cultural studies und diese wiederum mit Konzepten von Deleuze und Foucault zu einem Gesamtbild integrieren?

Desartikulation des Feminismus

Hinsichtlich dieser theoretischen Perspektivwechsel lässt McRobbie sich freilich auch wohlwollender lesen: So gibt sie zahlreiche Anregungen zum Weiterdenken. Lässt man den Anspruch fallen, von ihr ein ausbuchstabiertes kohärentes Theoriemodell präsentiert zu bekommen, stellt sich ihr Buch als gewinnbringender Versuch dar, unterschiedliche Blickwinkel auf die Machtverhältnisse der Gegenwart einzunehmen und diese in mehreren Sprachen zu vermitteln. Die gedankliche Klammer um diese einzelnen Argumentationsbausteine bildet das Postulat einer „Komplexifizierung des Backlash“. Eine Variante, diesen Vorgang zu fassen, ist der Begriff der „Politik der Desartikulation“: Eine zeitgemäße radikaldemokratisch-feministische Politik würde demnach darin bestehen, die Verknüpfung zu anderen, verwandten Kämpfen zu suchen und so eine pluralistische linke Bewegung zu entwickeln, in der es keine privilegierten Subjektpositionen gibt. Postfeministische Desartikulation dagegen ziele darauf, solche Solidarisierungspotentiale mittels Aktivierung von Klassen- und Kulturunterschieden präventiv zu zerschlagen: „Differenzen zwischen Frauen […] werden von den neuen Geschlechterdiskursen so stark betont und auch aktiv hergestellt, dass es für diejenigen, die eigentlich ähnliche politische und gesellschaftliche Ziele verfolgen, zunehmend schwierig wird, gemeinsam für ihre Anliegen zu kämpfen.“ (S. 85) An einem solchen Projekt der Desartikulation sind McRobbie zufolge nicht nur die bereits erwähnten Produktionen des populären Kulturbetriebs beteiligt, sondern auch wichtige Strömungen zeitgenössischer Sozialwissenschaft. Explizit genannt werden Anthony Giddens und Ulrich Beck, in deren Modernisierungstheorie der Wandel der Geschlechterverhältnisse als ein unaufhaltsamer, sich selbst tragender Prozess präsentiert werde, ohne dass die Notwendigkeit kämpferischer feministischer Politik in Vergangenheit und Gegenwart zur Sprache komme.

Herrschaftskritische Sensibilität

Unentschieden wirkt McRobbie hinsichtlich der Frage, inwiefern die von ihr facettenreich analysierte postfeministische Konstellation als ein intentional ins Werk gesetztes politisches Projekt gesehen werden sollte, das einer Aktualisierung feministischer Kritik gezielt entgegentritt. Zwar antizipiert sie einleitend den Einwand, ihre Ausführungen könnten den „Eindruck einer Verschwörungstheorie“ erwecken (S. 17), und verzichtet erklärtermaßen auf „die Vorstellung einer zentralen Machtinstitution“ (ebd.). Dennoch wählt sie Formulierungen, die die Existenz eines solchen Zentrums nahelegen – etwa wenn sie von den Kräften, „die eine (Re-)Aktivierung der politischen Energie des Feminismus verhindern wollen“ (S. 19), spricht, ohne dass sie Subjekte dieses Prozesses benennt. Die große Stärke ihres Buches besteht demgegenüber in der Sensibilität für herrschaftsstabilisierende Dimensionen gesellschaftlicher Veränderungen, die oberflächlich betrachtet als emanzipatorischer Fortschritt erscheinen mögen.

URN urn:nbn:de:0114-qn113114

Stefan Schoppengerd

Philipps-Universität Marburg

Interdisziplinäres Promotionskolleg „Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Organisation und Demokratie“

E-Mail: schoppes@staff.uni-marburg.de

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