Elisabeth Maurer:
Fragile Freundschaften.
Networking und Gender in der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung.
Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2010.
302 Seiten, ISBN: 978-3-593-39179-3, € 29,90
Abstract: In ihrer methodisch vielfältigen und an handlungspraktischen Verweisen reichhaltigen Begleitstudie eines Graduiertenkollegs mit der Ausrichtung „Gender Studies“an einer Schweizer Hochschule legt Elisabeth Maurer offen, welche verschwiegenen und gleichzeitig bewusst gepflegten sozialen Voraussetzungen akademische Karrieren haben. Heimliches Thema dieses Buches ist daneben der höchst komplexe und ineinander verwobene Prozess wissenschaftlicher Reflexion und gleichstellungspraktischer Intervention. Die Autorin sitzt als forschende Gleichstellungsbeauftragte quasi zwischen allen Stühlen und hat gerade aus dieser etwas unbequemen Lage heraus eine gute Beobachtungsposition. Die Studie liefert sowohl für Sozialwissenschaftler/-innen als auch für hochschulpolitische Praktiker/-innen nutzvolles Wissen.
Vorweg sei gesagt: Es braucht eine gewisse Hartnäckigkeit, um sich durch dieses Buch hindurchzukämpfen und bis zu seinem spannenden Kern vorzudringen. Die Dissertation ist über weite Strecken in einer Berichtsform abgefasst, welche an Drittmittelanträge oder -reports erinnert. Das ‚klassisch‘ aufgeteilte Inhaltsverzeichnis (Praxis/Theorie/Forschungsdesign/Empirie/Bilanz) vermittelt den Eindruck, es mit einem übersichtlich gegliederten und gut strukturierten Text zu tun zu haben. Dieser Eindruck bestätigt sich beim Lesen nicht. Es finden sich zu viele komplizierte Details, die nicht notwendig zur Sache gehören und zudem noch verschiedentlich wiederholt werden. Die methodisch und sachlich interessante Essenz der Studie wird so vertextet und verwässert. Das ist schade und wäre vermeidbar gewesen, zum Beispiel durch ein sorgfältiges Lektorat.
Elisabeth Maurer erforschte und begleitete über mehrere Jahre ein Graduiertenkolleg zum Thema „Wissen – Gender – Professionalisierung“ an der Universität Zürich. Als Forscherin und als Gleichstellungsbeauftragte nahm sie eine Doppelposition ein, die, so legen es auch die komplexen Beschreibungen der Autorin nahe, nicht ganz einfach zu balancieren war. Maurer wendet ihre schwierige Lage in ein produktives Konzept: Sie ernennt sich kurzerhand zur „Entrepreneurin“, und ihre Aktivität wird zur Basis einer „integrativen Gleichstellungspraxis“. Sie sitzt als teilnehmende Beobachterin in Kolloquien und anderen Sitzungen, sie interviewt sowohl betreuende Professor/-innen als auch die (vorwiegend weiblichen) Teilnehmenden des Graduiertenkollegs, also Doktorand/-innen und Habilitand/-innen. Ein besonderes methodisches Highlight besteht in einer Netzwerkanalyse der egozentrierten Netzwerke von Kollegiat/-innen. Das Ziel der Studie ist allerdings nicht so ohne weiteres ersichtlich. Es werden im Laufe des Buches mehrere Ziele genannt, einerseits wissenschaftliche Ziele, andererseits die Rückführung in die gleichstellungspolitische Praxis. Letztlich geht es darum, wie Gleichstellungsinstrumente in den Wissenschaftsbetrieb integriert werden können. Maurer dazu: „Das Projekt orientierte sich […] an der Idee, dass die scientific community fähig ist, in Eigeninitiative konkretisierende Maßnahmen zur Förderung von Frau und Mann zu entwickeln und umzusetzen […].“ (S. 28)
Ein erstes Ergebnis der Studie ist, dass sich genau diese Idee nicht verwirklicht findet. In dem von Maurer untersuchten und begleiteten Graduiertenkolleg werden Geschlechterkonstruktionen, auch solche, die die wissenschaftliche Praxis betreffen, ausgiebig theoretisch reflektiert. Die eigene Praxis bleibt jedoch in dieser Hinsicht unhinterfragt. Der Anteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Reproduktion des Geschlechterverhältnisses wird „ausgeblendet“ (S. 255 ff.). Wenn es also um Gleichstellung in der Praxis geht, ist die Wissenschaft nicht mehr zuständig. Man muss hinzufügen, dass sich auch jene Wissenschaftlerinnen nicht mehr zuständig zu fühlen scheinen, die ihre (je fachspezifisch ausgerichtete) Arbeit der Reflexion vergeschlechtlichter Strukturen gewidmet haben. Es zeigt sich, dass Geschlechterwissen und Gleichstellung genau dann dethematisiert werden, sobald sie sich „‚störend‘ auf [die] akademische Laufbahn und Tätigkeit auswirk[en].“ (S. 260) Maurer, als forschende Gleichstellungsbeauftragte zwischen allen Stühlen, gelingt damit der Blick in einen toten Winkel akademischer Praxis. Leider leuchtet sie diesen Winkel nicht hell genug aus, wenn sie nach einer gendered substructure wissenschaftlicher Freundschaften sucht.
Persönliche Verbindungen, kollegiale Freundschaften und informelle Netzwerke sind unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern laut Elisabeth Maurer tabuisiert, implizit und nichtsdestoweniger das, was gerne als karriererelevant bezeichnet wird. Das den persönlichen wissenschaftlichen Freundschaften auferlegte Tabu rühre daraus, dass die begehrten und privilegierten wissenschaftlichen Positionen über Leistung legitimiert werden, soziale Bedingungen würden deshalb ausgeblendet, so die Autorin. Andererseits zeigt ihre Studie, ohne dies allzu deutlich herauszuarbeiten, dass das aufgespürte Tabu vielleicht keines im üblichen Sinne ist: Es wird über die eigenen Freundschaften und Vernetzungen im Wissenschaftsfeld schlicht deshalb nicht als ‚Karrierefaktor‘ gesprochen, weil sie Teil eines Forscher/-innenlebens sind. Zur Initiation, zur Entwicklung eines wissenschaftlichen Selbst und im Arbeitsalltag etablierter Professor/-innen gehören solche vertrauten Beziehungen schlicht und einfach dazu. Ihre Allgegenwärtigkeit bleibt daher vermutlich so lange unreflektiert und damit im Dunkeln, wie die Beteiligten darin aufgehen. Finden junge Aspiranten hingegen keinen oder nur begrenzt Einlass in sogenannte Netzwerke, wird deren Bedeutung für das eigene Fortkommen notgedrungen vordergründig wahrgenommen. Und networking wird dann als gezielte Karrierestrategie genutzt und empfohlen. Problematisch beim networking als Strategie bleibt allerdings, und darauf weisen Maurers Interviewpartner/-innen implizit hin, dass sie Strategien bleiben. Wer zu ihnen Zuflucht nehmen muss, ist immer schon ein potentieller Outsider. Insidern hingegen scheinen die relevanten Kontakte einfach zuzufallen. Diese sind vielleicht manches Mal zur richtigen Zeit ‚da‘ gewesen und werden im Rückblick als glückhafte Verbindungen gesehen, ohne dass man bewusst darauf hingewirkt hätte, sie als solche nutzen zu können. Der Unterschied zwischen wissenschaftlichem Nachwuchs, dem die wissenschaftlichen Freundschaften schlafwandlerisch ‚gelingen‘, und solchem, der sie sich mühsam aufbauen muss, ist ein nahezu unüberbrückbarer. Darüber hinaus sind die tatsächlich bitter nötigen asymmetrischen Vertrauensbeziehungen fester und weniger störungsanfällig, damit auch weniger risikoreich als die strategisch hergestellten.
Machtverhältnisse im wissenschaftlichen Feld sind damit nicht aus rohen Brettern gezimmert. Sie sind Ergebnis eines langen historischen Prozesses, in dem sich Praxisformen ausgebildet haben, die ausschließend wirken, ohne diese Wirkung leichtfertig als solche offenbar werden zu lassen. Und sie sind in solch einem Maße „latent“, wie Maurer schreibt, dass sie von den Beteiligten (also der in-group) nicht mehr als sie selbst privilegierende Machtverhältnisse, sondern praktisch als selbstverständlich und mit keiner besonderen Wichtigkeit ausgestattet wahrgenommen werden. Daraus rührt auch das von der Autorin mehrfach als verrätseltes Orakel durch das Buch transportierte Zitat „Man muss es merken“ (S. 211) – wer es nicht merkt, hat es eben nicht verstanden, und wer es nicht verstanden hat, ist draußen. Hier wäre die Frage zu stellen: Wer merkt es eigentlich? Und wer merkt es nicht? Wer kann innerhalb wissenschaftlicher Communities mit einer bestimmten „Aufmerksamkeitsstruktur“ als „interessante Person“ wahrgenommen werden und wer nicht? (S. 208) Sind Frauen von vornherein benachteiligt in diesem Spiel? Dieser Frage stellt sich Elisabeth Maurer, indem sie versucht, im Konzept der ‚persönlichen wissenschaftlichen Freundschaften‘ eine gendered substructure aufzuspüren – die sich allerdings nicht ohne Not ergibt, muss man feststellen. Der Begriff der ‚Aufmerksamkeitsstruktur‘ einer scientific community, eingebracht durch eine interviewte Person, wird durch die Autorin nicht auf seine tiefere Bedeutung hin untersucht. Weist er doch darauf hin, dass nach etwas gesucht wird, was an etwas bereits Bestehendes anknüpft bzw. sich anknüpfen lässt. Die Aufmerksamkeit der Akteur/-innen wird also geweckt nicht durch etwas Unbekanntes, sondern durch bekannte Schemata. Welche sind das? Und weshalb sind sie vergeschlechtlicht? Weshalb ist die Aufmerksamkeitsstruktur gleichzeitig eine gendered substructure? Dass Frauen es schwerer haben, Aufmerksamkeit und Anerkennung für ihre Leistungen zu gewinnen, steht bereits in vielen anderen Untersuchungen. Nur weshalb das so ist, weshalb das wissenschaftliche Feld Frauen weniger wahrnimmt, diese Frage bleibt ungelöst.
Dennoch trifft Maurer mit ihren Ergebissen zur Karriererelevanz wissenschaftlicher Freundschaften den Nagel auf den Kopf. Allerdings entsteht angesichts der Bedeutung informeller Netzwerke auch eine gewisse Ratlosigkeit: Freundschaften sind inspirierend, emotional und ergeben sich aus Sympathie. Diese Sympathie schließt sowohl die wissenschaftliche Leistung als auch die ganze Person einer Akteurin mit ein, ja, beides ist untrennbar verwoben in einer Beziehung, deren Qualität auch über die Qualität wissenschaftlicher Arbeit mit bestimmt. Das heißt auch, dass Wissenschaft nicht mehr funktionieren würde, wenn diese fruchtbaren Beziehungen unterbunden würden. Sie strategisch herzustellen wiederum hat nicht die gleiche Kraft. Diesen fragilen und unendlich bedingungsreichen sozialen Gebilden mit Strategien beizukommen, gleicht der Nutzung einer Axt, um eine Schweizer Taschenuhr zu reparieren. Damit steht auch gleichstellungspolitische Arbeit in der Wissenschaft vor einem Dilemma: Gleichstellungsarbeit ist immer strategisch ausgerichtet und greift damit nur auf der formalen Ebene. Hierauf weist Maurer hin, wenn sie feststellt, dass Wissenschaftspolitik und damit auch Gleichstellungspolitik als wissenschaftsfremd wahrgenommen werden (S. 253).
Aber Maurers Arbeit macht noch etwas anderes deutlich, auch wenn dies nicht von der Autorin expliziert wird: Das Herunterspielen der sozialen Ebene wissenschaftlicher Arbeit trägt dazu bei, die wissenschaftliche Praxis und ihre implizite soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und zu legitimieren. Diese Ordnung ist aber nicht nur eine, die unerwünschte Teilnehmer/-innen draußen hält, sondern die auch erwünschte Privilegien und Praxen aufrechterhält. Sie stützt und legitimiert ihrerseits die relative gesellschaftliche Autonomie des wissenschaftlichen Feldes, die sich auch in einer (und sei es gefühlten) Freiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußert, ihre Themen, Schwerpunkte, Arbeitsweisen und eben auch ihre Arbeitskolleg/-innen bis zu einem gewissen Grade selbst zu wählen. Diese Privilegien der Hochschulangehörigen sind in den letzten Jahren zunehmend gefährdet durch das, was Maurer new managerialism nennt. Dieser ist durchaus als wissenschaftsfremd zu bezeichnen, genau genommen nämlich überträgt er Regeln und Prioritäten des ökonomischen Feldes auf Wissenschaftsorganisationen, die bislang einer eigenen Logik folgten.
Kommt nun Gleichstellung auf den Freiersfüßen einer ökonomischen Logik daher, so ist dies ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schneidet es gut, weil es mit den Mitteln des herrschenden Diskurses geschärft wird, andererseits verletzt es aber auch das Ideal emanzipatorisch-partizipativer Traditionen, auf die sich sowohl Gleichstellung als auch die Universität (zumindest theoretisch) berufen. Die forschende Gleichstellungsbeauftragte als „Entrepreneurin“ schlägt sich hier eher dem Management zu: „Bei der zunehmenden Konkurrenz zwischen den Hochschulen ist es empfehlenswert, Gleichstellung bereits heute als Wettbewerbsvorteil einzukalkulieren. […] Somit steht die Frage im Raum: Wie können Entscheidungsträgerinnen und -träger dazu gebracht werden, die genderpolicy aktiv und mit entschiedenem Commitment in die neuen Governancesteuerungen zu integrieren?“ (S. 268) Es ist durchaus möglich, dass Ansätze von Gleichstellung als top-down-Governancestrategie zu dem gewünschten Erfolg, nämlich zu einer Erhöhung des Frauenanteils an Hochschulen führen. Die Frage, die im Raum steht, ist vermutlich schon bald, ob wir – Frauen oder Männer – in solchen top-down-Hochschulen noch gerne arbeiten möchten.
URN urn:nbn:de:0114-qn121099
Dr. Sandra Beaufaÿs
Universität Hamburg
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Soziologie
E-Mail: sandra.beaufays@uni-hamburg.de
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