Christine Bauhardt, Gülay Çağlar (Hg.):
Gender and Economics.
Feministische Kritik der politischen Ökonomie.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010.
308 Seiten, ISBN 978-3-531-16485-4, € 34,95
Abstract: Wie wird Ökonomie aus feministischer Perspektive neu gedacht? Den vielfältigen Antworten auf diese Frage wird in den Beiträgen des Sammelbandes nachgegangen. Gegliedert ist der Band in die drei wesentlichen Themenbereiche aktueller Forschung der Feministischen Ökonomie: Care-Ökonomie, interdisziplinäre Kritiken der zentralen ökonomischen Konzepte und alternative, wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen. Das Buch stellt ein Orientierungswerk durch die vielschichtigen Arbeiten und Ansätze dar, wobei die einzelnen Autorinnen sich keineswegs nur damit zufriedengeben, Mainstream-Ökonomie zu kritisieren; sie setzen vielmehr Maßstäbe, vor allem für die Weiterarbeit innerhalb der Feministischen Ökonomie.
Während andere Disziplinen der Sozialwissenschaften von feministischer Wissenschaft herausgefordert und in unterschiedlichem Ausmaß transformiert wurden, entwickelte sich die Feministische Ökonomie in einem deutlich langsameren Tempo und bildete sich erst in den frühen 1990er Jahren als eigenes Forschungsgebiet heraus. Mittlerweile gibt es jedoch in der ökonomischen Disziplin eine große Auswahl an pluralistischen feministischen Forschungen.
Feministische Ökonominnen kommen aus verschiedenen ökonomischen Schulen und aus unterschiedlichen feministischen Richtungen. Sie denken Ökonomie neu – von verschiedenen Blickwinkeln aus, auf Basis unterschiedlicher ökonomischer Theorien, methodologischer und epistemologischer Ansätze. Folglich gibt es nicht die eine Feministische Ökonomie, nicht einen einzigen gemeinsamen Ansatz oder eine allgemein gültige Definition. Nichtsdestotrotz ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt feministischer Ökonominnen, die Situation von Frauen in der Ökonomie und die ökonomische Situation von Frauen verbessern zu wollen. Sie untersuchen daher, wie Ökonomie die Geschlechterverhältnisse beeinflusst und wie Geschlechterverhältnisse die Ökonomie beeinflussen, um anschließend Ökonomie so zu konstruieren, dass sie die tatsächlichen Lebensrealitäten von Frauen und Männern umfasst.
Der Sammelband Gender and Economics soll als „Orientierungswerk“ (S. 15) durch die vielschichtigen Arbeiten und Ansätze feministischer Ökonomie führen. Der Begriff ‚politische Ökonomie‘, der zwar im Untertitel und in der Einleitung, im Laufe des Buches jedoch kaum bzw. nicht mehr zu finden ist, wirft die Frage auf, was er bezeichnet. Denn heute wird der Begriff ‚politische Ökonomie‘ entweder zumeist synonym mit dem Begriff ‚Ökonomie‘ verwendet oder um ein Teilgebiet der Ökonomie oder ein breiteres Ökonomie-Verständnis zu beschreiben. Er erlebte im späten 20. Jahrhundert vor allem im anglo-amerikanischen Raum ein Revival, als Ökonomen/-innen zunehmend unzufrieden mit den Restriktionen der Mainstream-Ökonomie waren und auf die Wichtigkeit von Institutionen, Politik, Kultur, Macht, Klasse oder Ethnie für die Produktion und Verteilung von Gütern in einer Gesellschaft verwiesen. Zudem kritisierten sie, dass sich Ökonomie als wertfreie und objektive Wissenschaft versteht, die weder historisch, politisch oder kulturell eingebunden ist.
Dennoch gibt es kein allgemein gültiges Begriffsverständnis – auch nicht für feministische politische Ökonomieansätze oder für eine feministische Kritik der politischen Ökonomie. So unterstreichen Ellen Mutari und Heather Boushey: „Feminist political economy is in many ways an act of synthesis – the creative combustion of insights drawn from diverse intellectual standpoints in the hopes of generating new illumination. As feminist political economists take inspiration from so many sources, their work reflects a range of interests, principles, and methodologies“ (Ellen Mutari/Heather Boushey (Hg.): Gender and Political Economy: Incorporating Diversity Into Theory and Policy. New York: M.E. Sharpe 1997, S. 4). Daher – und im Zuge der Lektüre des Sammelbandes – stellt sich die Frage, ob es einen Unterschied zwischen Feministischer Ökonomie und feministischer Kritik der politischen Ökonomie gibt. Oder sind alle feministischen Ökonominnen auch feministische politische Ökonominnen, weil sie die historische, kulturelle, politische, geschlechts- und klassenspezifische, ethnische etc. Einbettung der Ökonomie seit jeher bearbeiten?
Die Herausgeberinnen möchten einen Überblick über den vielschichtigen „Stand feministischer Ökonomiekritik“ (S. 8) geben, der Sammelband ist hierfür in drei Themenbereiche gegliedert: Reproduktion und Care-Ökonomie, inter- bzw. transdisziplinäre Kritiken und Sichtweisen auf zentrale Konzepte und Begriffe der Ökonomie sowie wirtschaftspolitische Beiträge bzw. Schlussfolgerungen aus feministischer Perspektive.
Diese drei Themenbereiche bilden die wesentlichen Felder der aktuellen Forschungen der Feministischen Ökonomie ab: Erstens haben sich mittlerweile bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit, soziale Versorgung von Menschen und die Frage, wie sich Menschen organisieren, um das materielle Leben zu produzieren und zu reproduzieren, als (implizite) gemeinsame Ausgangspunkte der Feministischen Ökonomie herausgebildet. Zweitens ist die Dekonstruktion etablierter ökonomischer (Mainstream-)Bereiche aus geschlechtsspezifischer Perspektive nach wie vor ein Forschungsschwerpunkt: Ökonomische Begriffswelten sollen ‚vergeschlechtlicht‘, ökonomische ‚Geheimnisse‘ gelüftet und Theoriegebäude dekonstruiert werden, damit geschlechtergerechtere Alternativen und eine Rekonstruktion der Ökonomie, hin zu einer lebensdienlichen Ökonomie, erwirkt werden. Drittens forciert die Feministische Ökonomie auch immer die Verbindung von Theorie und Praxis: Es ist notwendig zu fragen, welche wirtschaftspolitischen Schlussfolgerungen aus den Arbeiten feministischer Ökonominnen gezogen werden können und wie eine alternative, feministische Wirtschaftspolitik aussehen und vorangetrieben werden könnte, die am Wohlergehen und guten Leben für alle orientiert ist.
Prominente Forscherinnen bieten in diesem Sammelband eine eindrucksvolle Einführung in die drei Themenstränge. Viele der Autorinnen arbeiten seit Jahren, manche sogar seit Jahrzehnten in diesen Bereichen und haben ganz wesentlich zur Entwicklung der Feministischen Ökonomie als eines eigenen Forschungsgebietes beigetragen: Mascha Madörin ist eine der Vorreiterinnen in der Diskussion um Care-Ökonomie. Diane Elson erarbeitet als Pionierin im Feld der feministischen Makroökonomie Grundlagen für die Analyse von Wirtschaftpolitiken und -krisen. Auch Brigitte Young forscht zu Wirtschaftskrisen, mit Fokus auf Finanzmarkt und Geldpolitik. Edith Kuiper ist eine der führenden Theoriegeschichtlerinnen, Ingrid Robyens eine der wichtigsten Wissenschaftstheoretikerinnen und Irene van Staveren eine der bekanntesten Ökonometrikerinnen im Bereich der Feministischen Ökonomie. Und Adelheid Biesecker gilt als eine der Vordenkerinnen zu alternativen Wirtschaftsweisen – nur um einige der prominenten Namen zu nennen.
Ziel der zwölf Beiträge des Sammelbandes ist es, „Blindstellen und geschlechtsspezifische Asymmetrien in der ökonomischen Theorie- und Modellbildung [zu] identifizieren und damit Ansatzpunkte für alternative Theorien, Modelle und Politiken“ (S. 8) herauszuarbeiten.
So zeigt Mascha Madörin in ihrem Beitrag die konzeptionelle Ausblendung der Care-Arbeit in ökonomischen Theorien auf. Ihre Ausgangsfrage ist, welche Rolle die unbezahlte und bezahlte Care-Arbeit für das Wohlergehen von Menschen spielt. Die Autorin untersucht die Verwobenheit, das Nebeneinander und die Artikulation von bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit. Sie fokussiert dabei auf die Besonderheiten der „ökonomischen Logik von Arbeits- und Austauschprozessen“ (S. 86) der bezahlten und unbezahlten Sorge für und Versorgung von Menschen. Care-Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass Produktions- und Konsumationsprozesse nicht getrennt sind, dass zwischenmenschliche Beziehungen und die Arbeitszeit selbst Teile der Leistung sind. Zudem ist sie von Machtasymmetrien und Abhängigkeiten geprägt. Sie ist prozesshaft, komplex, schwer plan- und bewertbar und zeitlich begrenzt aufteilbar. Um diese Arbeit sichtbar zu machen verdeutlicht Madörin anhand eines erweiterten Bruttoinlandsprodukts, dass Frauen in der Schweiz „mit ihrer unbezahlten Care Arbeit für Kinder und betreuungsbedürftige Erwachsene eine Bruttowertschöpfung erzielt [haben], die ungefähr der gesamten Bruttowertschöpfung des Finanzsektors in der Schweiz entspricht“ (S. 96).
Friederike Habermann geht in ihrem Artikel der Frage – und damit einer weiteren Blindstelle – nach, wie ökonomische Theorie und die Konstruktion von Identitäten zusammenhängen und welche Anforderungen an eine feministische Ökonomie entstehen, wenn „Identitäten nicht als unabhängig von, sondern als verwoben mit Wirtschaft und Wirtschaftstheorie“ (S. 152) gefasst werden. Der homo oeconomicus sei heute zum hegemonialen Leitbild für alle geworden. Die Ausrichtung auf dieses Ideal, das „weiblich besetzte und ethnisierte Eigenschaften als minderwertige Abweichungen konstruiert“ (S. 162), forme die Ausprägungen sexistischer und rassistischer Kräfteverhältnisse und schreibe diese über ökonomische Theorien fest und fort. Emanzipation sollte daher „immer sowohl Emanzipation als Identität wie auch Emanzipation von einer Identität [bedeuten]. Darum muss feministische Ökonomie Konzepte erarbeiten, die Identitäten hinterfragen“ (S. 168). So brauche es etwas „mehr als nur ‚add women and stir‘“, etwas „mehr als nur die Kategorie gender“, nämlich etwas „mehr grundsätzliches Infragestellen sowohl unserer heutigen Wissenschaften als auch unserer Wahrheiten“ (S. 169).
Auch Diane Elson untersucht in ihrem Aufsatz einen vernachlässigten Punkt der Mainstream-Ökonomie: die makroökomischen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen würden, die Frauenbeteiligung an der Erwerbsarbeit zu erhöhen. Sie legt dar, wie Geld- und Finanzpolitik als Bestandteile von Wirtschaftspolitik, die als geschlechterneutrale Politik gilt, infolge der unterschiedlichen Positionen von Frauen und Männern als Arbeitskräfte, im Haushalt, in der Familie und in der Gesellschaft geschlechterspezifisch unterschiedliche Wirkungen haben. Vor allem die aktuelle restriktive Wirtschaftspolitik zeichnet sich laut Elson durch einen „deflationary bias“ (S. 229) und einen „male breadwinner bias“ (S. 231) aus. Anhand von Länderstudien zeigt sie: „Women’s employment and unemployment is sensitive to demand side as well as supply side of the economy […] At the macro level, deflationary bias in monetary policy also contributes, depressing the demand for women’s labour. Women are likely to be particularly disadvantaged by an intersection of deflationary bias in macroeconomic policy with male breadwinner bias in labour market“ (S. 231). Es braucht ihrer Auffassung nach eine expansive Wirtschaftspolitik, die sich an (Voll-)Beschäftigung orientiert, um Geschlechtergerechtigkeit zu forcieren.
Der Untertitel des Sammelbandes Feministische Kritik der politischen Ökonomie erweist sich insofern als etwas irreführend, als die feministischen Arbeiten in der ökonomischen Disziplin mittlerweile deutlich über die Kritik an der Mainstream-Ökonomie hinausgehen. Nicht zuletzt wird das in den oben erwähnten Beiträgen gezeigt, auch Shahra Razavi oder Gülay Çağlar beenden ihre Aufsätze nicht in einer Kritik, sondern erarbeiten unterschiedliche feministische Alternativen zum derzeitigen Mainstream. Adelheid Biesecker und Sabine Hofmeister erstellen ein ganz neues Denkgebäude einer feministischen ökonomischen Theorie, indem sie eine Neubestimmung und -erfindung des Ökonomischen vornehmen. Wenn feministische Wissenschaft einer Evolution von drei Phasen folgt, die Judith Squires als „adding women in“, „extending the boundaries“ und als „reconceptualising the core concepts“ (Judith Squires: Gender in Political Theory. Cambridge: Polity Press 1999, S. 17 ff.) bezeichnet, dann wäre Kritik vor allem in den ersten beiden Phasen anzusiedeln, in denen es darum geht, die Integration von Frauen als Kategorie in existierende Theorien einzufordern oder die Disziplin als solche zu kritisieren und auf ihre Erweiterung zu dringen.
Feministische Ökonominnen sind im Unterschied dazu – und das zeigt auch der vorliegende Sammelband deutlich – an einem Punkt angelangt, an dem es zwar nicht eine konsistente heterodoxe Theorie der Feministischen Ökonomie gibt, jedoch aber eine Vielzahl von bemerkenswerten Arbeiten zur Rekonstruktion von Ökonomie und von spannenden Ansätzen zur Entwicklung einer feministischen Theorie. So spiegelt der Titel nicht unbedingt den ganzen Wert des Bandes wider, denn die Autorinnen geben sich keinesfalls damit zufrieden, das kritisch zu kommentieren, was andere verzerrt sehen. Sie setzen selbst Maßstäbe – auch für die Weiterarbeit.
URN urn:nbn:de:0114-qn121088
Dr. Katharina Mader
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie, Department Volkswirtschaft
Homepage: http://www.wu.ac.at/vw3/institut/lektoren/katharinamader
E-Mail: katharina.mader@wu.ac.at
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