Der ‚Amerikanische Traum‘ – geschlechterspezifisch codiert?

Rezension von Stefan L. Brandt

Eva Boesenberg:

Money and Gender in the American Novel, 1850–2000.

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2010.

525 Seiten, ISBN 978-3-8253-5732-0, € 58,00

Abstract: Eva Boesenberg setzt sich aus einer kultur- und literaturhistorischen Perspektive mit der Verknüpfung von Ökonomie und Geschlechterdiskurs im US-amerikanischen Roman auseinander. Im Zentrum steht die Frage, ob und zu welchem Grad die ‚Sprache des Geldes‘ geschlechtsspezifisch codiert ist und welche Besonderheiten gerade im nordamerikanischen Kulturraum zu beobachten sind. Die Autorin behandelt die literarische Repräsentation dieses Geflechts in insgesamt 35 Romanen aus der Zeit von 1850 bis 2000, wobei ihr Fokus auf den geschlechtsökonomischen Relationen liegt, die weniger hierarchisch angelegt seien als hegemoniale Konstruktionen, und liefert zugleich einen kenntnisreichen geschichtlichen Abriss über den Zusammenhang von Geschlecht und Wirtschaft.

In ihrer sehr ambitionierten Studie behandelt Eva Boesenberg das symbolische Verhältnis zwischen Geld und Geschlecht im US-amerikanischen Roman von der Mitte des 19. bis zum späten 20. Jahrhundert. Der US-amerikanische Kontext ist, wie die Autorin zu Recht hervorhebt, geradezu prädestiniert für eine Analyse der geschlechtsökonomischen Relation (der Begriff sexuo-economic relation stammt aus dem Werk Women and Economics der feministischen Roman- und Sachbuchautorin Charlotte Perkins Gilman). Während die kulturelle Mythologie anderer Länder häufig auf antiken Fabelwelten fußt und oft naturhaften Ursprungs ist, gründet der ‚Amerikanische Traum‘, jenes Glücksversprechen der US-amerikanischen Kultur, auf der Metapher des Geldes. Ökonomie und Geschlecht sind, wie Boesenberg bereits im ersten Satz ihrer Studie konstatiert, seit den Anfängen der amerikanischen Literatur wichtige Themen gewesen. Der Autorin geht es in ihrem Buch um die Frage, wie sich die Wechselbeziehungen zwischen Wirtschaft und Geschlechterdiskurs im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. Aus ihrer Sicht wird in der Trope von Geld/Geschlecht einerseits die ethnische und kulturelle Vielfalt der US-amerikanischen Kultur dokumentiert, andererseits offenbaren sich darin aber auch viele überlieferte Darstellungs- und Denkmuster, die bis heute erstaunlich hartnäckig und konstant geblieben sind.

Interdisziplinarität und Geschlechterforschung

Eine so breit angelegte Untersuchung muss zwangsläufig interdisziplinären Charakter tragen, was die Verfasserin bereits in ihrer Einleitung zum Ausdruck bringt. Geld – jenes laut Hajo Riese „letzte Rätsel der Nationalökonomie“ (S. 2) – ist bereits von seiner symbolischen Struktur her an eine Reihe anderer Diskurse geknüpft, die nur aus einer historischen Betrachtung der US-amerikanischen Situation heraus zu verstehen sind. „Configurations of money and gender in U.S. American literature“, so Eva Boesenberg, „are decisively shaped by historically specific notions of sexuality, ‚race‘, class, disability, age, etc.“ (S. 7). Boesenberg konzentriert sich mit gutem Grund auf die klassische Triade von gender, ‚race‘ und class, wobei Gender-Theorien eine zentrale Rolle einnehmen. Mit Blick auf Luce Irigarays neo-marxistische Interpretation des Warenbegriffs identifiziert sie drei miteinander verknüpfte Systeme der Ressourcenverteilung: das finanzielle, das linguistische und das visuelle System (S. 12–15). In allen drei Feldern wird, wie die Autorin in ihrer Einleitung darlegt, traditionell der Mann als Subjekt konstruiert, das sowohl über Kapital als auch über die linguistischen Mittel verfügt und zudem durch den Blick die Frau zum Objekt degradiert. Zusätzlich fungieren whiteness, Heterosexualität und die Zugehörigkeit zur mittleren oder oberen Schicht als im Bourdieu’schen Sinne „social/cultural capitals“, die mit weiteren Privilegien verbunden sind (S. 16–19). Aus diesen Zusammenhängen hat sich, so Boesenberg, in der Literatur Nordamerikas eine Vorstellungswelt herausgebildet, die mit ökonomisch gelagerten Strukturen und Darstellungsmustern ausgestattet ist, etwa einer dezidiert pekuniären Bildlichkeit, einem „ökonomischen“ Narrativ und einem entsprechend gelagerten Vokabular (S. 25).

Wie die Autorin mit Bezug auf den russischen Literaturtheoretiker Michail Bachtin feststellt, kann eine gründliche Analyse der geschlechtlich-ökonomischen Relation in ausgewählten amerikanischen Romanen nur unter Berücksichtigung des sozialen, ökonomischen und politischen Hintergrundes, vor dem sie entstanden sind, stattfinden (S. 25). Daher ist den Romananalysen ein ausführliches Kapitel vorangestellt, in dem der allgemeine kulturelle Kontext von Geld und Geschlecht in den USA von 1850 bis 2000, geordnet nach den einzelnen geschichtlichen Phasen, beleuchtet wird. Durch die Entscheidung, diesen Hintergrund in einem separaten, dezidiert historiographischen Kapitel zu behandeln, nimmt die Studie notwendigerweise einen schematischen Charakter an, der dem eines Geschichtsbuches ähnelt, was jedoch für die nachfolgenden Interpretationen auch Vorteile bietet. So werden die entscheidenden Merkmale und Wesenszüge der einzelnen Epochen – Mitte des 19. Jahrhunderts, Rekonstruktion, „Progressive Era“, die „Roaring Twenties“, Große Depression und Zweiter Weltkrieg, fünfziger bis siebziger Jahre, Reagan-Revolution und Folgejahre – zunächst in überblickhafter Form vorgestellt, was den Leser/-innen wichtige Orientierungspunkte an die Hand gibt. Die Akzente liegen in diesem geschichtlichen Einführungskapitel aus einleuchtenden Gründen auf den sozio-ökonomischen Entwicklungen der ausgewählten Epochen, wobei die vorherrschenden Geschlechtermodelle und -ideale (sehr wichtig: der „self-made man“ und die „true woman“) eine entscheidende Rolle spielen.

Die insgesamt sechs Kapitel mit den 35 Romaninterpretationen sind logisch aufgebaut und schlüssig miteinander vernetzt, wobei gleichermaßen kanonisierte Werke (etwa Melvilles Moby Dick, Dreisers Sister Carrie und Walkers The Color Purple) wie eher unbekannte Texte (etwa Harpers Iola Leroy, Meridel Le Sueurs The Girl und Mary Gordons Spending) ausgewählt wurden. Die Autorin folgt in ihrer Gliederung den üblichen literaturgeschichtlichen Kategorien (Romantik, Realismus, Naturalismus, Moderne, Postmoderne), wobei den 1930er und 40er Jahren sowie der Zeit nach der Postmoderne (von anderen Kritiker/-innen als ‚Post-Postmoderne‘ oder Neorealismus bezeichnet) eigenständige Kapitel zugewiesen werden.

Traditionelle Geschlechtercodes und die Ideologie der ‚separaten Sphären‘

Die erste entscheidende Demarkationsphase ist für Eva Boesenberg die nach dem einflussreichen Literaturwissenschaftler F.O. Matthiessen benannte „American Renaissance“, jene frühe Periode des Aufblühens einer eigenständigen amerikanischen Literatur und Kultur zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Gleich die erste Analyse, in der die Autorin die ‚Adelung‘ von Männlichkeit durch den Besitz von kulturellem Kapital in Nathaniel Hawthornes Klassiker The House of the Seven Gables beschreibt, ist als höchst präzise und aufschlussreich zu bezeichnen. Im Gegensatz zu Hawthornes Buch stellen die weiteren in diesem Kapitel behandelten Romane, Melvilles Moby Dick, Harriet Beecher Stowes Uncle Tom’s Cabin und Fanny Ferns Ruth Hall, das hegemoniale Konstrukt der Männlichkeit in seiner problematischen Dimension eher bloß. Im Fall von Ferns Roman werden hierarchische Strukturen zwischen Mann und Frau bewusst ausgehöhlt.

Inwiefern Geschlechterökonomien in dieser Zeit, den 1850er Jahren, immer auch mit den grassierenden Diskursen des Rassismus und der Sklaverei verbunden waren, zeigt sich nicht nur bei Beecher Stowe, sondern in besonderem Maße auch in William Wells Browns Clotel und Harriet E. Wilsons Our Nig, wo es den Autor/-innen zwar nicht in erster Linie um eine Revision der Ideologie der ‚separaten Sphären‘, sehr wohl aber um eine Problematisierung des Geflechtes von race und class geht, wobei der Besitz des Geldes, gerade für schwarze Frauen, mit der Erringung von Freiheit und der Erhaltung der Tugendhaftigkeit gleichgesetzt wird. In Our Nig wird diese Problemlage für eine Fürsprache einer an häuslichen Gesichtspunkten orientierten Marktökonomie genutzt.

Das Konzept einer selbstbestimmten, erfolgsorientierten Geschlechtsidentität, welches im Postulat des self-made man versinnbildlicht ist, wird im Kapitel zum realistischen Roman näher behandelt. Auch hier überzeugen sowohl die Textauswahl als auch die konzisen, ja geradezu unprätentiösen Detailanalysen. Die Rekonstruktion der Geschlechter-Ökonomie der ‚separaten Sphären‘ in der realistischen Literatur wird anhand einer Reihe höchst unterschiedlicher Werke, Howells’ The Rise of Silas Lapham, James’ The Golden Bowl, Whartons The Custom of the Country, Harpers Iola Leroy und Chopins The Awakening diskutiert. Während die Akquisition von finanziellem Kapital in diesen Romanen als ‚männlich‘ codiert wird, erscheint dessen Transformation in kulturelles Kapital als ‚weiblich‘ konnotiert. Der ‚self-made man‘ wird in diesen Texten als Gegensatz zur ‚repräsentativen Frau‘ konstruiert, die eine Legitimation des erworbenen Reichtums symbolisiert. Das Ethos, das hinter diesen Formen des Umgangs mit Geld zu finden ist, könnte unterschiedlicher kaum sein. So operieren die Texte, wie Boesenberg überzeugend aufzeigt, einerseits mit Mustern einer femininen Selbstopferung (H. James), andererseits mit Strategien weiblicher Selbstwertsteigerung (E. Wharton). Im naturalistischen Roman, so erfahren wir, wird Männlichkeit einerseits als eine zu verteidigende Bastion formuliert (etwa in Norris’ McTeague), andererseits in seiner Performativität und theatralischen Präsenz bloßgestellt (in Dreisers Sister Carrie). Letzteres ist gerade mit Blick auf die Fetischisierung des Geldes, die sich mit dem Performanzcharakter der Maskulinität verbindet, höchst aufschlussreich.

Revisionsansätze

Ein regelrechter Paradigmenwechsel ist in den Romanen der literarischen Moderne zu diagnostizieren. So hinterfragt Fitzgeralds ‚Jazz-Roman‘ The Great Gatsby grundsätzlich die moralische Wertigkeit von Geld und den damit verbundenen Mystizismus. Nella Larsens Quicksand und H.D.s HERmione porträtieren, wie Boesenberg argumentiert, die Heldinnen als zutiefst zerrissene Charaktere, die, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, tief im kapitalistisch-patriarchalen System verwurzelt sind und daher eine Art ‚doppeltes Bewusstsein‘ verspüren. Die durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten Erschütterungen spiegeln sich deutlich in den sozialkritischen Romanen der 30er und 40er Jahre wider, etwa in Wests A Cool Million, Dos Passos’ The Big Money, Steinbecks The Grapes of Wrath, Wrights Native Son und Petrys The Street. Interessanterweise diskutiert Boesenberg im Moderne-Kapitel bekannte Werke wie Steinbecks Roman, der als Great Depression Novel schlechthin gilt, zusammen mit bisher vernachlässigten Texten wie dem von Ann Petry. Alle diese Texte, so argumentiert Boesenberg, heben letztlich die Unerfüllbarkeit des ‚Amerikanischen Traums‘ hervor.

Weist bereits der modernistische Roman auf die ‚Schere‘ zwischen Ideal und sozialer Wirklichkeit hin, so diagnostizieren postmoderne Texte, in nahezu ernüchternder Form, die völlige Durchdringung der Nachkriegsgesellschaft durch materialistische Impulse. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind, wie in Pynchons The Crying of Lot 49, Oates’ Expensive People und Gaddis’ JR zum Ausdruck kommt, einerseits die rücksichtslose Erzwingung von materiellem Erfolg, andererseits die Sterilität gerade des Lebens in den Vorstädten. Zu welchem Maße Feminismus und Multikulturalismus in der Postmoderne zu Gegenpolen einer verschanzten, ökonomisch abgesicherten Männlichkeit geworden sind, versucht die Autorin in ihren Ausführungen zu Tans The Joy Luck Club, Wolfes The Bonfire of the Vanities, Austers Moon Palace und Gordons Spending aufzuzeigen. Eine mehr und mehr ‚krisenhafte‘ Maskulinität ist hier mit einer auf self-empowerment ausgerichteten Femininität konfrontiert, die es versteht, die in das finanzielle und kulturelle Kapital eingeschriebenen Machtstrukturen für eigene Zwecke zu nutzen. Mit Erdrichs The Bingo Palace wird letztendlich ein utopischer und zutiefst ‚alternativer‘ Roman vorgestellt, der überlieferte binäre Muster in der Repräsentation von Geld und Geschlecht systematisch unterwandert.

Fazit

Eva Boesenbergs umfassende Studie mutet wie eine wahre Herkulesarbeit an. Die insgesamt 35 Romananalysen sind mit wenigen Ausnahmen als sehr gelungen und anregend zu bewerten. Man könnte einwenden, dass die einzelnen Textinterpretationen bloß ‚aneinandergereiht‘ erscheinen; auch werde der geschichtstheoretische Teil bereits durch die Gliederung von den anderen Teilen abgetrennt. Diesem Eindruck beugt Boesenberg zum einen dadurch vor, dass sie mit Hilfe von textuellen Rückbezügen eine argumentative Vernetzung der einzelnen Analyseabschnitte herstellt, zum anderen, indem sie jedem Kapitel eine kurze literaturhistorische Einführung voranstellt, die eine Einbettung der Romaninterpretationen erleichtert. Die Autorin macht mit ihrer eindrucksvollen Studie neugierig auf eine Lektüre gerade der weniger bekannten Romane. Ihre Auslegungen sowohl der kanonisierten als auch der vernachlässigten Texte der US-amerikanischen Literatur sind originell und auch für den Unterricht an Hochschulen weiterführend.

Eine hierauf aufbauende wissenschaftliche Betrachtung könnte auch die von Boesenberg weitgehend ausgeblendete Periode vor 1850 (sprich: die Zeit vor der Seneca Falls Convention) für eine literaturgeschichtliche Interpretation des Verhältnisses von Geld und Geschlecht nutzen. Die Relevanz der Frühzeit der Republik für eine Deutung der Geschlechterökonomie deutet die Verfasserin bereits verschiedentlich in ihrer Studie an. Alles in allem ist dies eine gründliche und gewissenhafte Aufarbeitung eines wichtigen Teilaspektes der US-amerikanischen Kultur. Die beobachteten Zusammenhänge werden methodisch plausibel und in argumentativer Hinsicht packend geschildert. Die untersuchten Romane, so bekräftigt Boesenberg, spiegeln nicht nur die ideologischen Debatten zu Gender und Ökonomie in den jeweiligen Zeitabschnitten wider; sie ‚intervenieren‘ auch in diesen Diskursen durch die Konstruktion ‚repräsentativer‘ Charaktere wie Silas Lapham und Jay Gatsby sowie durch die Darstellung der kulturellen und psychologischen Signifikanz von Geld. Oftmals stellen sie auch die etablierten Grenzen der Geschlechterökonomie in Frage und präsentieren gedankliche Alternativmodelle (S. 478 f.).

URN urn:nbn:de:0114-qn121047

Priv.-Doz. Stefan L. Brandt

Freie Universität Berlin

Priv.-Doz. an der Abt. Kultur des John F. Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien; bis Apr. 2011 Visiting Scholar am Department of English der Harvard University; bis Sept. 2011 Gastprofessor für Nordamerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Siegen

Homepage: http://www.jfki.fu-berlin.de/faculty/culture/persons/brandt/index.html

E-Mail: slbrandt@zedat.fu-berlin.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

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