Christa Wichterich:
Gleich, gleicher, ungleich.
Paradoxien und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung.
Sulzbach im Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2009.
240 Seiten, ISBN 978-3-89741-289-7, € 19,90
Abstract: Der Band basiert auf verschiedenen Aufsätzen der Autorin zu Frauenrechten und Globalisierung, die (nicht immer hinreichend) aktualisiert und ergänzt wurden, wobei dem Buch die unterschiedlichen Entstehungskontexte (Journalismus und Wissenschaft) noch anzumerken sind. Es bietet gleichwohl eine Fülle an Informationen und Gedanken – und zum weiteren Nachdenken anregenden Fragen – zu der unverändert aktuellen Beobachtung, dass die Gleichberechtigung der Frauen vor allem in ökonomischer Hinsicht immer noch zu wünschen übrig lässt, ja, auf immer neue Hindernisse trifft. Warum der Feminismus nicht tot ist, sondern in Form vielgestaltiger – teilweise neuer, durchaus auch konkurrierender – Konzepte im 21. Jahrhundert seine Bedeutung keinesfalls verloren hat, wird überzeugend hergeleitet.
Globalisierung wird heutzutage gern mit G8- oder G20-Gipfeln und Bankenkrise assoziiert und kritisch betrachtet. Dass sie auch andere Facetten aufweist, wird im ersten der drei Teile des Buches in Erinnerung gerufen. Unter der Überschrift „Globalisierung von Frauenrechten“ zeichnet Christa Wichterich zunächst die Entwicklung nach, die die Frauenbewegungen seit Beginn der 1970er Jahre im Kontext der vier UN-Weltfrauenkonferenzen (1975 Mexiko, 1980 Kopenhagen, 1985 Nairobi, 1995 Peking) genommen haben; in diesen Kontext gehören auch andere große UN-Konferenzen der 1990er Jahre, bei denen es Frauen gelang, sich Gehör zu verschaffen (vor allem der Weltgipfel 1992 zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro, 1993 die Weltmenschenrechtskonferenz in Wien und 1995 – ein halbes Jahr vor Peking – der Weltgipfel für soziale Entwicklung). Dies so deutlich herauszustellen, ist sehr verdienstvoll, geht doch im Zuge der heutigen Globalisierungskritik oft unter, dass die Globalisierung auch und gerade im Bereich der Zivilgesellschaft die Bildung von Netzwerken (und Netzwerken von Netzwerken) wenn nicht ermöglicht, so doch befördert hat. Es waren die Weltfrauenkonferenzen, die ‚den‘ Feminismus aus seiner Zentriertheit auf die sogenannte westliche Welt herausgeholt und zu seiner Weiterentwicklung beigetragen haben – teilweise in durchaus konfrontativen Begegnungen mit Frauen aus anderen Weltregionen. Vereinten Anstrengungen von Frauen aus der ganzen Welt gelang es schließlich, Gewalt gegen Frauen und sexualisierte Gewalt bei der Wiener Konferenz als global relevantes Thema zu fixieren.
Die Verfasserin beschreibt, unter Berufung auf andere Autorinnen, die Mechanismen, die hierbei zum Erfolg geführt haben, als „Schraubstock“ oder als „Bumerang“. Gemeint ist damit, dass nationale Regierungen durch die eigene zivilgesellschaftliche Ebene über die trans- oder internationale Ebene gleichsam in die Zange genommen werden, um „Reformblockaden aufzulösen“ (S. 19). Die Verwendung des Bumerang-Bildes wirkt an anderer Stelle jedoch mitunter befremdlich (z. B. S. 42 oder 56); denn es fällt ja nicht, wie das Bild suggeriert, etwas negativ auf die Urheberinnen zurück, sondern diese bewirken im Gegenteil etwas für sie Positives an dritter Stelle.
Wichterich wertet Peking 1995 mit der Verabschiedung der Aktionsplattform als den Höhepunkt in dieser Entwicklung, während die Konferenzen im Jahr 2000 („Peking+5“ und zwei Monate später der sogenannte Millenniumsgipfel, beide in New York) bereits den Beginn von Rückschlägen markierten. Gender Mainstreaming, einer der wichtigsten Erfolge der ‚vereinigten internationalen Frauenbewegungen‘, habe unbeabsichtigte Nebenwirkungen gezeitigt, indem es als Politikansatz insbesondere von der Europäischen Union (und in der Folge von deren Mitgliedstaaten) übernommen wurde und dann an vielen Stellen zur Rechtfertigung des Abbaus von Frauenförderungsmaßnahmen diente. Dies ist für die Autorin eine der „Paradoxien des Erfolges“ (S. 55), eine andere die, dass Partizipation von Frauen in allen Bereichen sich von einem „menschenrechtlichen Gebot“ in ein „ökonomisches Kalkül“ (S. 69) gewandelt hat. Und selbst da, wo Frauen Partizipation errungen haben, lauere die Gefahr, dass das „politische Projekt … zu einem technischen [schrumpft]“ (S. 84). Deutlich wird – und das ist durchaus Wichterichs Anliegen –, dass Erfolge, solange sie sich nur in Normtexten äußern, noch keine Strukturveränderung bedeuten, die für die Umsetzung der Normen in die Realität erforderlich wäre.
Im zweiten Teil des Buches werden die Paradoxien, die bei der Entwicklung von Frauenteilhabe in der Gesellschaft im weitesten Sinne auftreten, vor allem anhand dreier ökonomischer Teilanalysen näher ausgeführt: zu den Folgen des Primats der Marktlogik (S. 85–114), zur anhaltenden weiblichen Armut weltweit (S. 130–155) und zur angeblichen Geschlechtsneutralität der Makroökonomik (S. 155–169). Diese Analysen beleuchten eingehend, wie Fortschritte immer wieder konterkariert werden, wie erreicht Geglaubtes durch Änderung der vorherrschenden Logik in der Ökonomie wieder zunichte gemacht wird. Wie die seit den 1980er Jahren vorherrschenden globalen Markt-Glaubensbekenntnisse – Deregulierung und Privatisierung – nur durchgesetzt werden können, weil Frauen zusätzlich zu ihren ohnehin vorhandenen Sorge-Aufgaben ehemals staatliche Aufgaben der sozialen Sicherung auffangen, wird unter verschiedenen Blickwinkeln exemplifiziert. An mehreren Stellen wird sehr deutlich, dass die öffentlichen Haushalte nur durch Verschieben von Lasten in die Privathaushalte sparen können – und auf diese Weise der alte Spruch „Das Private ist politisch“ eine ganz andere Bedeutung bekommt. Im Kapitel „Feminisierung der Armut“ gefällt insbesondere die Entzauberung der Mikrokredit-Praxis; ohne Letztere zu desavouieren, werden deren Fallstricke und Ambivalenzen deutlich aufzeigt.
Die zwei Länderstudien in diesem Teil (Deutschland, S. 114–129, und China, S. 170–185) wirken hingegen eher deplaziert. Abgesehen davon, dass das Kapitel über Deutschland nicht up to date ist, passt auch sein Resümee nicht mit dem sonst vorherrschenden Duktus zusammen: dass nämlich feministisch-zivilgesellschaftliche Anstrengungen weiterhin vonnöten sind. Von Ministerien ist keine Herrschaftskritik zu erwarten (so aber S. 129). Auch wirken die Ausführungen über China, so Interessantes darin auch berichtet wird, seltsam unkritisch. Einerseits wird auf ausgebliebene Gesetzesumsetzung hingewiesen (S. 174), dann wird ein Gesetzentwurf als Erfolg gelobt (S. 176). Und Karrierefrauen schlankweg als „verhätschelte Einzelkinder“ (S. 181) zu bezeichnen, geht mir bei einer Feministin zu weit.
Die im dritten und letzten Teil versammelten Ein- und Ausblicke beginnen mit der Darstellung neuer Anläufe, die verschiedene Frauen-Zusammenschlüsse unternommen haben und unternehmen, um auf ihre jeweiligen Diskriminierungen, Besorgnisse und politischen Ziele im Rahmen der Globalisierung aufmerksam zu machen. Anhand einer Fallstudie zeigt Wichterich auf, wie guatemaltekische Kleinbäuerinnen durch subversive Aktionen an der Basis die Bio-Diversität besser verstehen und umsetzen, so dass internationale Top-Down-Versuche, diesen Frauen zu helfen, eher lächerlich wirken. Nach einer Rekapitulation der Ansätze feministischer Ökonomie (und was sich in der Krise daraus lernen ließe) schließt dieses Kapitel und damit das Buch mit einer Tour d’horizon hinsichtlich dessen, was bislang unter der Flagge von Feminismus gesegelt ist und neuerdings segelt. Damit wird die durchgehend erkennbare eigene Positionsbestimmung der Autorin noch einmal bekräftigt: „Es geht immer wieder um Anerkennung und Umverteilung“, „Geschlechtergleichheit und -gerechtigkeit“ und um die „Transformation von Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnissen“ (S. 225).
Bedauerlich ist, dass der Band ziemlich nachlässig produziert worden ist. Das betrifft sowohl Satztechnik als auch Lektorat. Typographie und Orthographie lassen an etlichen Stellen zu wünschen übrig, etwa wenn es um eingerückte Listen und Text in Kästen bzw. um zusammengesetzte Wörter und aus dem Englischen übernommene Begriffe geht. Auch manch Grammatikfehler ist übersehen worden. Bei der „intensive[n] Knüpf- und Klöppelarbeit zwischen Journalismus und Wissenschaft“ (S. 11) ist zudem die Zitierweise auf der Strecke geblieben. Vor allem im hinteren Teil werden Presseerzeugnisse ausschließlich mit dem Datum zitiert; bei Web-Links fehlt durchgängig das Sichtungsdatum. Substantivierungen lassen sich nicht stets vermeiden, aber in diesem Buch kommen derer zu viele und zu seltsame vor: z. B. „Rechenschaftlichkeit“ (S. 24), bislang nur über Google, nicht hingegen im Duden zu finden (offenbar eine Neuschöpfung für accountability); „Vertriebswirtschaftlichung“ (S. 49) für – wenn schon – „Verbetriebswirtschaftlichung“; und was, bitte, ist ein „Raum der Transversalität“ (S. 225)?
Außerdem wird manch technischer Begriff bzw. institutioneller Name unkorrekt verwendet. So handelt es sich bei dem Gremium, das die Einhaltung des UN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) überwacht, um einen Ausschuss, nicht um eine Kommission (S. 29). Bei der ECE handelt es sich nicht um die „Europäische Wirtschaftskommission“ (S. 104), und die Buchstaben stehen auch nicht für „Economic Commission of Europe“ (Literaturverzeichnis S. 229), sondern für „Economic Commission for Europe“ (Hervorhebung K.P.); es handelt sich nämlich gerade nicht um eine europäische, sondern um eine UN-Einrichtung. „Die“ EU-Antidiskriminierungsrichtlinie (S. 220) gibt es nicht, sondern derer mehrere.
Leider fehlt eine Liste der Aufsätze, die die Grundlage für dieses Buch gebildet haben, ebenso wie ein Hinweis, wann das Manuskript abgeschlossen wurde. Bei einer im September 2009 erschienenen Publikation, die „durch Aktualisierungen zu etwas Neuem wuchs“ (S. 11), hätte ich erwartet, dass mindestens bis Ende 2008 veröffentlichtes Datenmaterial verwendet worden wäre. Bei den Zahlen zum Frauenanteil unter den Studierenden in dem Deutschlandkapitel (S. 123) ist das erkennbar nicht geschehen. So haben die studierenden Frauen an deutschen Universitäten in Jura nicht nur aufgeholt, sondern die Männer seit langem überholt; in Medizin ist das Geschlechterverhältnis nicht mehr nur ausgeglichen, sondern hat sich ebenfalls (und sogar noch deutlicher) zugunsten der Frauen verschoben. Selbst in Mathematik gibt es inzwischen mehr Frauen unter den Studierenden als Männer; entsprechend ist eine zusammenfassende Aussage über Naturwissenschaften und Mathematik, die das Gegenteil suggeriert, verfehlt. Entsprechende Daten werden alljährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht und sind über das Internet leicht zugänglich, so dass kein Grund besteht, sich noch auf eine ältere Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu verlassen.
Auch wenn die Mängel den Lesefluss – und erst recht den Lesegenuss – erheblich trüben, hat das Buch doch seine Meriten. Dies gilt nicht nur für die Rekapitulation der internationalen Frauenbewegungen und -politik, sondern auch und insbesondere für die diversen Beispiele, die eingewoben wurden. Vor allem aber lassen die „zusammengetragenen politischen Positionen“ (S. 11) das große und erfahrungsgesättigte Engagement der Verfasserin für die ökonomisch benachteiligten Frauen überall auf dem Globus deutlich spürbar werden und ebenso ihre Bereitschaft, Feminismus mit seinem herrschaftskritischen Anspruch trotz Gegenwind nicht preiszugeben, sondern weiterzuentwickeln. Somit eignet sich das Buch zwar weniger als Faktenquelle, aber seine Lektüre ist durchaus gewinnbringend für alle, die sich erstmals mit Frauenbewegung(en) und Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit, Armutsforschung, Internationalisierung und Globalisierung beschäftigen.
URN urn:nbn:de:0114-qn121068
Prof. Dr. Konstanze Plett, LL.M.
Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaft und Zentrum Gender Studies
Professorin für Rechtswissenschaft als Nebenfach und Geschlechterrecht
E-Mail: plett@uni-bremen.de
(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)
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