1000 Jahre Frauenleben, Frauenarbeit in Sachsen-Anhalt: Einblicke und Ausblicke

Rezension von Elisabeth Dickmann

Elke Stolze (Hg.):

FrauenOrte.

Frauengeschichte in Sachsen-Anhalt.

Halle: Mitteldeutscher Verlag 2000.

210 Seiten, ISBN 3–89812–030–9 , DM 24,80 / ÖS 181,00 / SFr 23,00

Abstract: Frauengeschichte in Sachsen-Anhalt: In 17 Einzelbeiträgen, die biographische Hinweise und strukturgeschichtliche Analysen von Frauenarbeit und -alltag in Stadt und Land unter regionalgeschichtlichen Aspekten zum Gegenstand haben, entsteht ein lebendiges Puzzlebild, das die Geschichte der Frauen sichtbar machen soll. Von den ersten Äbtissinnen in Quedlinburg bis zu den selbstbewussten jungen Frauen von heute reichen die Themen in diesem lesenswerten Sammelband, der zu weiteren Forschungen und vielen Fragen anregt.

Die Expo 2000 hat Vieles angeregt, Sinnvolles wie Überflüssiges. Wie erfreulich, wenn ein so wichtiges Projekt wie SAFIR (die Sachsen-Anhalt-Frauen-Initiativ-Runde), die sich vorgenommen hat, ein lange vernachlässigtes Kapitel der regionalen Geschichte aufzuarbeiten, dank der Expo-Anbindung nun mit einer gut 210 Seiten starken, vielerlei Interessen entgegenkommenden Forschungsarbeit an die Öffentlichkeit treten kann. „Wissen über Alltags- und Lebenswelten von Frauen unterschiedlicher Zeitepochen anzureichern und für spätere Generationen aufzubereiten, ist eine interessante und noch zu lösende Aufgabe“, schreibt die Herausgeberin Elke Stolze in ihrem Vorwort (S. 11), und damit hat sie Recht. Unter dem Titel FrauenOrte wird mehr als ein Buch angeboten, denn im Raum Sachsen-Anhalt sind vielerorts Hinweistafeln auf Frauen und ihr Wirken aufgestellt, den Berichten in diesem Buch kann also nachgereist werden, und eine Fortführung des Projekts ist in der Sache schon angelegt. Es sollen Einblicke in Frauenleben und Frauenalltag in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen über einen Zeitraum von 1000 Jahren gegeben werden, nicht mehr und nicht weniger. Das und einiges mehr ist den Autorinnen gelungen. Nahezu alles, was die nunmehr seit 20 Jahren immer besser etablierte Historische Frauenforschung/Geschlechtergeschichte in ihren Forschungsansätzen interessiert, ist hier zu Leitfragen formuliert und im Rahmen von regional-biographischen und strukturgeschichtlichen Studien aufgegriffen, methodisch genutzt und zu einem informativen Bilderbogen verarbeitet worden. Frauenleben in Sachsen-Anhalt in Stadt und Land, auf Bauernhöfen und Fabriken, in Klöstern und Schulen wird so erstmals komplex sichtbar gemacht. In 17 zumeist recht knappen Beiträgen führen uns die Autorinnen in durchgehaltener Chronologie durch Zeiten, Orte und Lebensbereiche der Frauen, alle geleitet von der Fragestellung, wie es mit deren Unterwerfung unter die patriarchalen Verhältnisse, mit ihrer oft mühsamen Selbstbehauptung oder den Ansätzen zu ihrer Emanzipation ausgesehen haben mag. Ein biographisches Lexikon sollte es nicht werden, der biographische Aspekt steht auch nicht im Vordergrund, und doch erfahren wir in einigen der Beiträge wichtige Details über bekannte und unbekannte weibliche Persönlichkeiten des Landes. Dabei sei gleich kritisch angemerkt, dass leider ein Personenregister fehlt, es wäre schön, dies bei einer Neuauflage zu berücksichtigen.

Deutlich im Mittelpunkt stehen die Themen, die sich mit der Frauenarbeit und ihren sozialen Folgen beschäftigen. Die chronologischen und die regionalgeschichtlichen Perspektiven verschränken sich mit strukturgeschichtlichen und (teilweise) biographiehistorischen.

Zeit und Raum

Ein Anfang wird mit der Geschichte der Klöster und Stifte gemacht, die zum Lebensraum vieler adliger Frauen des Mittelalters wurden (Jutta Gladen). Sie bietet einen ersten Gang durch das karge Quellenmaterial bezüglich der Frauenklöster von der ottonischen Zeit bis zur Reformation an und stellt dabei die bekannten Frauengestalten und wichtigsten Klöster (allen voran Quedlinburg) besonders heraus. Dem relativ privilegierten Frauenalltag in den Klöstern wird sodann in hartem Kontrast die Szenerie der Hexenverfolgungen „draußen“ gegenübergestellt (Monika Lücke/Walter Zöllner), wobei neben einer ganz kurzen, gelungenen Einführung in das Thema die verschiedenen Quellensammlungen, allen voran die umfangreichste im Stadtarchiv Schönebeck, ausgewertet und nüchtern analysiert werden, weil „das Leiden und Sterben so vieler unschuldiger Frauen [es] verbietet, aus einem […] folkloristisch aufgeputzten Hexenwesen billigen Profit schlagen zu wollen.“(S. 34) – Eher eine Institutionengeschichte bietet der kleine Beitrag „Das Reichskammergericht“ (Dietrich Lücke). Errichtet 1495 unter Maximilian I. im Zuge der Reichsreformen, hatte dieses Gericht einen wechselnden Sitz, zuletzt bis zu seiner Auflösung 1806 in Wetzlar, und war zuständig für Landfriedensbruch u. ä. Seine Geschichte ist in einem umfangreichen Prozessaktenbestand im Landesarchiv Magdeburg dokumentiert. Lücke untersucht Fälle von Vormundschaftsregelungen und Erbstreitigkeiten, in die Frauen involviert waren, und legt erste Ergebnisse zu diesem Aspekt der regionalen Rechtsgeschichte vor.

Frauenarbeit – Frauenalltag

Zum Schwerpunkt des Bandes, der Frauenarbeit und deren sozialen Folgen für das Alltagsleben, leiten die lesenswerten Aufsätze über die „Medikalisierung der Geburtshilfe im 19. Jh.“ (Marita Metz-Becker) und über den Wandel der Geselligkeitskultur „Vom Schloss zur bürgerlichen Geselligkeit“ (Beate Neubauer/Gisela Licht) über, wobei im ersteren auf eine neuere Dissertation zur Geschichte der Frauenklinik Halle zurückgegriffen werden konnte, im zweiten bekannte biographische Publikationen zur Aufklärung in Sachsen-Anhalt ausgewertet wurden. In dem Beitrag „Arbeit, Status, Öffentlichkeit: Frauen auf dem Land (1600–1800)“ (Ulrike Gleixner) wird ein Überblick über die Rolle der Frauen in der ländlichen Gesellschaft und die diesbezüglichen Rechtsordnungen der Gutsherrschaft vor der großen Agrarreform des frühen 19. Jahrhunderts gegeben. In den Blick geraten die Gemeinden und ihre „vollberechtigten“ weiblichen Mitglieder (z. B. Gutsfrauen und selbständige Bäuerinnen, Frauen von Amtspersonen, Hebammen), daneben die „nicht berechtigten“ Mägde, Töchter, Tagelöhnerinnen. Die „soziale und ökonomische Position“ der Frauen in der Gemeinde war, so das Fazit, mindestens so sehr von ihrem Stand, ihrer Herkunftsfamilie, ihrem Alter und individuellen Ruf geprägt wie von der Geschlechtszugehörigkeit. „Undankbare Arbeit. Felder weiblicher Erwerbstätigkeit […] an der Schwelle zum 20. Jh.“ heißt der folgende Beitrag (Christiane Aszakies), der sich mit der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung im 19. Jahrhundert in Sachsen-Anhalt beschäftigt, die Industriearbeiterinnen, (vormals ländliche) Dienstbotinnen und bürgerliche Frauen zur außerhäuslichen Erwerbsarbeit zwang, und vergleicht diese mit der reichsweiten Situation. „Der Zwang, für den Unterhalt selbst aufkommen zu müssen“, führte allerdings nicht dazu, „dass die Ehe als ‚Versorgungsinstitution’ [an] Bedeutung verloren“ hat (S. 100). In Halle waren 1912 Befragungen zum Zuzug in die Stadt durchgeführt worden, die mit gleichen Unternehmungen in Berlin und München konfrontiert werden können. So wären z. B. Aussagen über die Feminisierung des Dienstbotenstandes „vor Ort“ möglich – eine Chance, die in diesem Beitrag, vielleicht aus Platzgründen, leider verpasst wurde.

Ist „Weibliche Erwerbsarbeit Teil von Unternehmensphilosophie?“ fragt Halina Anton und schildert die Frauenarbeit in chemischen Fabriken in Merseburg, besonders in dem Leuna-Werk, das seit 1916 Ammoniak produzierte. Dabei konstatiert sie für die zwanziger Jahre eine deutliche Professionalisierung der Frauenarbeit, die zum Unternehmenskonzept gehörte. Von Anfang an wurde auf die billige Frauenarbeitskraft gesetzt, Sonderanträge zur Aufhebung bestimmter arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen wurden gestellt (und genehmigt), dennoch war anfangs der Frauenanteil an der Beschäftigtenzahl relativ gering. In den sechziger und siebziger Jahren betrug er dann über ein Drittel, was aber nicht in gleichem Maß auf die Frauen in Leitungspositionen durchschlug. Trotzdem entwickelte sich das überall in der DDR zu verzeichnende typische Selbstbewusstsein der Frauen, als vollwertige Arbeitskraft ernst genommen und in den entsprechenden Rahmenbedingungen auch unterstützt zu werden. Welche Unternehmensphilosophie heute in den wenigen noch existierenden Werken der Region steckt, braucht wohl nicht näher erläutert werden.

Zwei ganz knappe Aufsätze informieren über eine etwas anders geartete und für Sachsen-Anhalt nicht unbedeutende Frauenarbeit: die Künstlerinnen und Kunstgewerblerinnen. „Frauen am Bauhaus“ in Dessau stellt Kirsten Baumann vor. Kriegsfolgenbedingt waren die Frauen 1919 bei der allerersten Immatrikulation mit 50,9% beteiligt. Hochinteressant die leider kurzen Anmerkungen zum weiblichen Teil des Lehrkörpers, gern erführe man mehr darüber. – Das gleiche gilt für die „Frauen an der Kunstschule Burg Giebichenstein“ (Angela Dolgner), die schon 1915 in Halle begründet worden war und die Ausbildung von Frauen zum Ziel hatte. Das Kunstgewerbe galt als weibliche Domäne. Die Ausbildungszweige Weberei, Keramik, Buchbinderei, aber auch Tischlerei und Metallverarbeitung u. a. m. führten zu Gesellen- und Meisterprüfungen. In der nationalsozialistischen Zeit wurde das Ausbildungsprogramm der Schule zurückgefahren auf das einer reinen Handwerkerschule; erst in der DDR erfuhren die künstlerischen Ausbildungszweige ihre Wiederbelebung, Design als Fach kam hinzu, und weibliche Lehrkräfte entwickelten in den siebziger und achtziger Jahren das heutige Profil, das der Einrichtung den ersehnten Hochschulstatus verschafft hat. Frauen haben zu allen Zeiten hier rund zwei Drittel der Studierenden gestellt.

Der Rechtsraum

Der Aufsatz „Pionierinnen auf der parlamentarischen Bühne“ (Claudia von Gélieu) ist als einer der wenigen deutlich biographisch angelegt. Noch bevor den Frauen politische Arbeit überhaupt erlaubt war, zeigten sich die Sozialistinnen mit der Wahl sog. Vertrauensfrauen, „in deren Händen die Fäden der politischen Arbeit zusammenliefen“, (S.152) als findig, Verbote zu umgehen. 19 Orte in Sachsen-Anhalt hatten eine solche Vertrauensfrau aufzuweisen. Dies kennzeichnet den Übergang von den selbständigen Arbeiterinnenorganisationen zur Frauensektion der SPD 1908, als das Vereinsverbot für Frauen endlich aufgehoben wurde. Die erste weibliche Abgeordnete im Anhaltischen Landtag war die Sozialdemokratin Marie Kettmann, Stadtverordnete aus Rosslau. Eine bekannte Reichstagsabgeordnete der Region war Marie Wackwitz (USPD) aus Merseburg, die einen schweren Stand hatte, weil man sie ständig unterbrach und überbrüllte. Die Frauen im Landtag nach 1946 hatten es da leichter, aber es galt auch dort die „klassische“ Rollenverteilung (Politik für die Männer – Soziales für die Frauen). Je mehr den Frauen per Quotenregelung über die Listen der Nationalen Front seit 1950 an parlamentarischem Raum zugebilligt wurde, desto mehr scheint die Bedeutung der regionalen Parlamente dahin geschwunden zu sein.

Etwas arg komprimiert ist das Kapitel über die „Frauen im Dritten Reich“ (Ute Hoffmann), das auf nur 10 Seiten die Wirkungen der nationalsozialistischen Frauenpolitik für Parteifrauen und Parteilose, für Anhängerinnen und Gegnerinnen, für Frauen in den Organisationen NSF, RAD und BDM darstellen und mit regionalen Bezügen konfrontieren soll. Noch problematischer ist die knappe Schilderung der Opferseite, die das Schicksal jüdischer Frauen nur exemplarisch am Beispiel von Einzelbiographien untersucht. Dieser Parforce-Ritt mag eine Zumutung für die Autorin gewesen sein, wenn es denn an der Platzfrage gelegen hat. Dabei ist hier sehr interessantes Quellenmaterial angeführt, das zu einer breiteren Auswertung genutzt werden sollte.

Immerhin 13 Seiten hat Ursula Schröter für ihren Beitrag über die Frauen in der DDR zur Verfügung, den sie mit der Frage: „Gleichberechtigt oder?“ einleitet. „Der Blick auf die DDR-Vergangenheit ist in Gesprächen offenbar nicht unverfälscht zu haben“ (S. 174), stellt sie fest, zu sehr ist die Erfahrung des Zusammenbruchs des gesellschaftlichen Systems in den Köpfen der Frauen verknüpft mit ihrer gegenwärtigen Erfahrung von Minderwertigkeit. Trotzdem gibt es die Möglichkeit, an gesicherten Kriterien wie Arbeitsstatistiken, gesetzlichen Bestimmungen (Artikel 7 und 18 der Verfassung), an sozialen Einrichtungen zu Gunsten der Frauen, an den Bildungschancen für Mädchen u. a. m. mindestens die Soll-Situation der Gleichberechtigung der Frau in der DDR darzustellen. Die allgemeine Rechtslage wird an konkreten Situationen vor Ort (statistischen Erhebungen in Halle und Magdeburg) oder am Beispiel der ehemaligen VEB Filmfabrik Wolfen überprüft. Gerade in der Fabrik zeigt sich, dass den Frauenkarrieren in der Aus- und Weiterbildung die gleichen Barrieren im Weg standen wie in der BRD: Je höher die Qualifikationslatte gelegt wurde, desto weniger Frauen schafften den Sprung darüber bzw. nahmen am „Wettkampf“ gar nicht erst teil. Aus freien Stücken? Wegen zu hoher Doppelbelastung? Gar nicht erst ins Blickfeld geraten? So „wird die Zweitrangigkeit von Frauen noch lange nicht infrage gestellt“ (S. 184), meint die Autorin und zitiert eine Interviewpartnerin: „Die Emanzipation der Frau in der DDR wurde mir zu stark gefeiert. Die Gleichberechtigung gab es nicht.“ (S. 184)

Erleben die Frauen in Sachsen-Anhalt seit der Wende nun „Ende oder Anfang?“ ihrer Emanzipation? (Nadja Gröschner). Die Autorin konstatiert neben der bekannten Resignation auch eine positive, junge Aufbruchsstimmung, die den neuen und vielgestaltigen Frauenbewegungsgruppen zu eigen ist, vielleicht, weil sie sich auf dem ökonomischen Sektor zu sehr ins Abseits gedrängt sehen. Dabei ist es „für die Ostfrauen auch zehn Jahre nach der Wende selbstverständlich, trotz Kindern und Familie berufstätig zu bleiben.“ (S. 195) Also verbinden sie Bewährtes mit neuen Formen und Inhalten, kämpfen um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch Weiterbildung, Umschulung und ABM-Stellen, die bisher eine Vielzahl von Projekten getragen haben, in denen Frauen in der Öffentlichkeit sichtbar bleiben und ihre Geschichte ans Licht gehoben werden kann.

Genau das hat eben das Expo-Projekt „FrauenOrte: Frauengeschichte in Sachsen-Anhalt“ auch selbst geleistet. Das dabei entstandene Buch führt ein in die Fragestellung, informiert über die Region und macht Lust auf weitere Beschäftigung. Es ist zudem mit einigen Illustrationen versehen, ansprechend aufgemacht und liefert forschendem Interesse viele Anhaltspunkte zur eigenen Weiterarbeit. Was die Regionalforschung für die Geschlechtergeschichte (und umgekehrt) leisten kann, ist prinzipiell nicht mehr strittig. Dennoch hat es bisher an der Bündelung verschiedener Forschungsansätze für die Geschichtsschreibung einer Region unter Einbeziehung des Gender-Aspekts gefehlt; die Stadtgeschichte konnte dazu schon eher einige Ergebnisse vorlegen. Der Band FrauenOrte. Frauengeschichte in Sachsen-Anhalt ist ein nachahmenswertes Beispiel. Mit den Worten eines bekannten Literaturkritikers „ein sehr lesenwertes Buch“, das hoffentlich eine Fortsetzung findet!

URN urn:nbn:de:0114-qn023169

Dr. Elisabeth Dickmann

Universität Bremen/Fachbereich 8, Geschäftsführerin des Hedwig Hintze-Instituts Bremen

E-Mail: hhi@uni-bremen.de

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