Sandra Smykalla:
Die Bildung der Differenz.
Weiterbildung und Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010.
304 Seiten, ISBN 978-3-531-17025-1, € 49,95
Abstract: Die 2010 erschienene Dissertation von Sandra Smykalla gewährt detaillierte Einblicke in die Arbeit von Gendertrainer/-innen im Kontext der Implementierung von Gender Mainstreaming. Zentrale Erkenntnis dieser qualitativen Interviewstudie ist, dass Gendertrainer/-innen neben einer Genderkompetenz über eine Ambivalenzkompetenz verfügen müssen, wollen sie nicht Gefahr laufen, Geschlechterungleichheiten und -stereotypen zu revitalisieren. Überzeugend ist Smykallas Forderung nach der (Re-)Politisierung des Feldes genderorientierter Weiterbildung, wofür ihr Rückgriff auf intersektional orientierte Methodiken einen ersten Ansatzpunkt darstellt.
Seitdem in den 1990er Jahren in der Gleichstellungspolitik ein Paradigmenwechsel hin zu Gender Mainstreaming stattgefunden hat, wird das Angehen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten als Querschnittsaufgabe angesehen. Da nun alle genderkompetent zu sein haben, entstand ein großer Bedarf an genderorientierter Weiterbildung und Beratung. In der BRD wurde dies im Kontext der Verwaltungsmodernisierung noch weiter befördert. So konsolidierte sich innerhalb der letzten 10 Jahre ein Gender-Markt.
Genau dies ist der Ausgangspunkt der Dissertation von Sandra Smykalla, in der sie sich kritisch mit Weiterbildung und Beratung im Kontext von Gender Mainstreaming auseinandersetzt. Ihre zentrale These ist, dass sich das Handlungsfeld genderorientierter Weiterbildung zwischen und innerhalb von Wissenschaft, Markt, (emanzipatorischer) Politik und sozialer Bewegung konstituiert, was zu einem Spannungsverhältnis von Integration und Transformation führt. So zeichnen sich in Gendertrainings neue Widersprüche ab, die dazu führen, dass Rollenmuster und Privilegierungen nicht mehr so eindeutig identifiziert und thematisiert werden können. Umso mehr ist es künftig die Aufgabe von Gendertrainer/-innen, diese Rahmenbedingungen kritisch zu analysieren und auf soziale Ungleichheitslagen hinzuweisen.
Die ganze Arbeit legt davon ausgehend den Analysestandpunkt der Ambivalenz zugrunde. Darunter versteht Smykalla eine an Butlers Vorstellungen der Subjektkonstitution angelehnte Forschungsperspektive, wonach Akteur/-innen das Forschungsfeld erst durch ihre Handlungen konstituieren und dies sowohl Unterwerfung als auch Widerständigkeit umfassen kann. Ambivalenz ist besonders für den Kontext der Geschlechterforschung relevant, da auch die dort Tätigen immer wieder dazu aufgefordert sind, sich geschlechtsbezogen zu positionieren, um zugeordnet werden zu können, gleichzeitig jedoch im professionellen Forschen und Handeln diese Verhältnisse verändern und überwinden möchten.
Methodisch verwendet Smykalla in ihrem qualitativen Forschungsdesign Expert/-inneninterviews mit Gendertrainer/-innen. Die Untersuchung umfasst 17 Personen, ausgewählt nach dem Prinzip des theoretical sampling, wie sie schreibt. Jedoch entpuppt sich die gewählte Samplingstrategie eher als eine Form von statistischem Sampling, da Smykalla vorab alle Untersuchungsfälle anhand festgelegter Kriterien in Bezug auf ihre Fragestellung auswählt. Das theoretische Sampling nach Glaser und Strauss sieht demgegenüber eher vor, einen ersten Untersuchungsfall relativ willkürlich zu bestimmen und dann aus diesem z. B. nach dem Prinzip maximaler/minimaler Kontraste den nächsten auszuwählen usw.
Auf der theoretischen Ebene setzt sich Smykallas Dissertation mit den Kontroversen um den Genderbegriff und um Gender Mainstreaming sowie mit den Themen Subjektkonstitution im Poststrukturalismus, Diskursanalyse und mit den Debatten um die Entgrenzung von Bildungsorten und die Ökonomisierung von Bildung auseinander, woraus sie u. a. ihre auf dem Standpunkt der Ambivalenz fußende Forschungsperspektive entwickelt.
Eine wichtige Erkenntnis, die der/die Leser/-in aus diesem Teil ziehen kann, ist ein informativer Überblick über den heterogenen Markt der Gendertrainer/-innen sowie über konzeptionelle Differenzen von Gender Trainings. Weiterhin liefert der Band eine treffende Zusammenfassung des oftmals diffus formulierten Ziels der Genderkompetenz, das einem bei Gender Mainstreaming immer wieder über den Weg läuft. Hierbei verweist Symkalla folgerichtig auf Leerstellen in der Definition des Begriffes in Praxis und Theorie. Sie betont zu Recht, dass Genderkompetenz individuelle und kollektive Dimensionen aufweise und daher Gendertrainings und die damit verbundenen Bedeutungskämpfe auch als politisches Handlungsfeld begriffen werden müssten.
Darüber hinaus liefert sie einen informativen Überblick über das konfliktive Verhältnis von Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik. Zentral ist dabei die Debatte um Differenz, welche durch das Thema Gender Mainstreaming eine Art Widerbelebung erfahren hat. In diesem Konflikt möchte Smykalla eine vermittelnde Position einnehmen. Sie begreift Gender in Anlehnung an Donna Haraway als „situierte Differenz“. Entsprechend steht bei Smykalla im Rekurs auf Judith Butler die Kontingenz der Geschlechterdifferenz und die damit einhergehende Dauerhaftigkeit von Diskontinuitäten und Brüchen im Geschlechterverhältnis im Mittelpunkt der Betrachtung.
Die Kontingenzperspektive fundiert auch die empirische Untersuchung, deren Ergebnisse Smykalla im Hauptkapitel „Aushandlungsräume – Interventionen in gender-orientierter Weiterbildung und Beratung“ ausführlich darstellt. Sie unterteilt dabei die interviewten Gendertrainer/-innen in Gruppen mit eher organisations- und mit eher subjektorientierten Perspektiven.
Anhand der Interviews werden drei Dimensionen des Feldes genderorientierter Weiterbildung herausgearbeitet. Zunächst wertet Smykalla kursierende Lesarten von Gender Mainstreaming dahingehend aus, ob die Strategie als Chance oder als Bedrohung wahrgenommen wird. Danach setzt sie sich mit den Zielsetzungen der Trainer/-innen auseinander, also mit deren Verständnis von Gleichstellung und den Vorstellungen, was mit Gender Mainstreaming erreicht werden soll. Zuletzt befasst sie sich mit den Professionalisierungsmodi, also der Bedeutung der Tätigkeit als Gendertrainer/-in im Kontext der eigenen Berufsbiographie. In einer Zusammenfassung wird deutlich, wo sich Allianzen und Konkurrenzverhältnisse zwischen den Trainer/-innen auftun.
Besonders kritisch setzt sich Smykalla dabei mit dem Konzept des Team-Teachings in der Form des Gender-Teams auseinander, welches bei nahezu allen Gendertrainings praktiziert wird und bei ungenügender Reflexion Geschlechterdisparitäten auf Team- und Trainingsebene reproduzieren kann. Kritik äußert sie weiterhin an der eingangs erwähnten rein organisationsorientierten Perspektive: „Dabei wird die Auseinandersetzung um den Zusammenhang von Theorie und Praxis zugunsten der Machbarkeit entschieden. Die Auseinandersetzung mit dekonstruktivistischen Theorien wird wegen ihres Grades an Abstraktheit als eine Zumutung für die Teilnehmenden deklariert.“ (S. 234) Hierbei macht sich ein Bruch in der auf Ambivalenz basierenden Forschungsperspektive bemerkbar: Smykalla identifiziert bessere und schlechtere Gendertrainer/-innen. Um Wertungen dürfte es aber innerhalb des gewählten Paradigmas gar nicht gehen, sondern vielmehr um das Aufzeigen der Konstitutionsbedingungen und der Prozesshaftigkeit der Arbeit der Gendertrainer/-innen.
Im Anschluss daran definiert Smykalla Dilemmata professioneller Interventionsstrategien auf dem Feld der genderorientierten Weiterbildung, für welche sie funktional-fachliche und ideell-reflexive Lösungsstrategien identifiziert. Sie präferiert hier letztere, wenn sie dafür plädiert, die Lernebene der personenbezogenen Sensibilisierung nach Möglichkeit stärker in den Vordergrund zu rücken. Diese Ergebnisse sind aus der Perspektive der Ambivalenz nachvollziehbar, rücken sie doch deutlicher Widersprüche und Brüche in den Mittelpunkt.
Smykallas Schlussfolgerung, dass sich Gendertrainer/-innen mit den eigenen Verstrickungen und Positionierungen in Privilegierungs- und Diskriminierungsstrukturen auseinandersetzen und diese offenlegen und in den Trainings transparent machen müssen, ist konsequent. Ohne diese notwendige Selbstreflexion der Trainer/-innen liefen Gendertrainings Gefahr, die gleichen Hierarchie- und Ungleichheitsverhältnisse zu reproduzieren, welche sie für eine geschlechtergerechte, demokratisch verfasste Gesellschaft eigentlich zu überwinden suchen. Die didaktische Gestaltung von Trainings dürfe nicht hinter diesen Anspruch auf Komplexität zurückfallen, wofür das Offenhalten der Ambivalenz als Differenz sowie eine intersektionale Perspektive entscheidend sind. Als vielversprechende methodische Ergänzung zu dem von Smykalla Genannten sei hier noch der Anti-Bias-Ansatz erwähnt.
Das Buch schließt mit einer kritischen Reflexion der Praxis von Gendertrainer/-innen. Dabei wirft Smykalla konsequenterweise die Frage nach dem politischen Subjekt im Prozess des Gender Mainstreamings auf. Hier richtet sie alle Hoffnungen auf die Gendertrainer/-innen. Interessanterweise bleiben andere Akteur/-innen in Bezug auf emanzipatorisches Handlungs- und Widerstandspotenzial gegen die Ökonomisierung von Gender Mainstreaming eher unterbelichtet.
Daher wäre es ein meiner Meinung nach anzugehendes Forschungsdesiderat, den Transfer von Gender Mainstreaming in den Arbeitsalltag zu untersuchen. Hierbei könnte u. a. eine organisationssoziologische Studie aufschlussreich sein, die neben der in der Dissertation von Smykalla berücksichtigten Expert/-innenebene einen stärkeren Fokus auf die Aushandlung von Genderkompetenz im Arbeitsalltag legt und dies mit den bisherigen Expertisen zum Gender-Markt relational in Verbindung bringt. Ebenso könnte eine Netzwerkanalyse der Trainer/-innen, Auftraggeber/-innen und Teilnehmer/-innen ein lohnenswertes Forschungsvorhaben sein, um die Konstitutionsbedingungen von genderorientierter Weiterbildung und Beratung im Kontext von Ökonomisierung und Entgrenzung detaillierter zu erfassen und zu zeigen, wie unterschiedliche Akteur/-innen auf diesem Feld miteinander in Wechselwirkungen verstrickt sind.
Das Buch bietet, abschließend gesagt, eine lohnenswerte Expertise zu den Gendertrainer/-innen als Akteur/-innen in einem spezifischen Feld. Leider ist das Buch phasenweise nicht so flüssig zu lesen, wie ich mir das gewünscht hätte, da der rote Faden nicht immer erkennbar ist und die Autorin sich manchmal bei der Aufarbeitung verschiedener Diskurse im Kontext ihrer Fragestellung etwas verliert. Eine kleine Schwäche des methodischen Designs ist die Anonymisierung, da das Feld der Gendertrainer/-innen in der BRD sehr überschaubar ist und es nicht einfach ist, diese spezifische Feldlogik zu umgehen.
Ambivalenz als Forschungsperspektive stellt empirische Forschungsprojekte vor große Herausforderungen, erstens, weil sie eine starke Offenheit und Flexibilität von Wissenschaftler/-innen verlangt, zweitens, weil sie nahelegt, dass die gewonnenen Erkenntnisse nur eine Momentaufnahme sind, die morgen schon obsolet sein könnten, und drittens, da sie ein Grundproblem der Geschlechterforschungs aufwirft, welches in der Frage liegt, wie Geschlecht benannt und beforscht werden kann – ohne Geschlechterdifferenzen damit gleichzeitig festzuschreiben. Die von Smykalla zugrunde gelegte Forschungsperspektive der Ambivalenz könnte im Hinblick auf diese Herausforderungen für andere empirische Studien bereichernd sein.
Die Dissertation von Sandra Smykalla macht überzeugend deutlich, dass es für eine zukunftsfähige feministische Geschlechterforschung essenziell ist, ihre Forschungsgegenstände zu repolitisieren und aus ihnen heraus und nicht über sie hinweg zukunftsweisende Lösungsoptionen kritisch mitzugestalten.
URN urn:nbn:de:0114-qn:959:2
Mag.-Soz. Kristin Rosa Ideler
Philipps-Universität Marburg
Soziologin, Stipendiatin im interdisziplinären Promotionskolleg „Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Organisation und Demokratie“
Homepage: http://www.uni-marburg.de/fb03/genderkolleg
E-Mail: idelerk@staff.uni-marburg.de
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