European Commission (Hg.):
Flexible working time arrangements and gender equality.
A comparative review of 30 European countries.
Luxemburg: Publications Office of the European Union 2010.
119 Seiten, ISBN 978-92-79-15545-1, kostenfrei
Abstract: Die Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung und die Gleichstellung der Geschlechter sind zentrale Bestandteile europäischer Direktive. Der Expertenbericht der Europäischen Kommission bietet nun eine Zusammenfassung über die gegenwärtigen Praktiken flexibler Arbeitszeitmodelle in den 27 EU-Ländern und drei EWR-EFTA-Staaten und stellt deren Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter dar. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der internen Flexibilität, was einesteils die flexible Gestaltung der Arbeitsdauer beinhaltet und anderenteils die flexible Organisation der Arbeitszeit. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass beide Größen wichtige Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufschwung darstellen. Es zeigt sich allerdings auch, dass eine zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung den Frauen auch zum Nachteil gereichen kann.
Eine zunehmend flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit sowie eine voranschreitende Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern sind zwei wichtige Bestandteile der europäischen Beschäftigungspolitik. Lange Zeit galt die Regelung der Arbeitszeit als ein starres Konstrukt, an dem weder die Unternehmen selbst noch die Arbeitnehmer/-innen zu rütteln vermochten. Bedingt durch eine zunehmende Verschärfung des wirtschaftlichen Wettbewerbs einerseits und den Wunsch nach einem individualisierten Lebensstil und einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie andererseits, gab es zum Ende des vergangenen Jahrhunderts eine Verschiebung hin zugunsten einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung. Neue Arbeitszeitmodelle wurden erprobt, Fragen nach deren Umsetzbarkeit in der Praxis und nach deren Verwertbarkeit für die Beschäftigten wurden gestellt.
Dieser Trendwende trägt der hier besprochene Expertenbericht Flexible working time arrangements and gender equality Rechnung. Im Frühjahr 2010 beschloss die Europäische Kommission, die gegenwärtigen Regularien zur Gestaltung der Arbeitszeit in den einzelnen Ländern der Europäischen Union zu durchleuchten, woraufhin das Autorenduo Janneke Plantenga und Chantal Remery zusammen mit der EU Expert Group on Gender and Employment (EGGE) die vorliegende Studie erarbeitete, welche im Oktober 2010 veröffentlicht wurde und kostenfrei abrufbar ist. (http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=738&langId=de&pubId=585&furtherPubs=yes)
Auf 119 Seiten werden in kurzer und prägnanter Form die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die drei EWR-EFTA-Staaten auf ihre flexible Arbeitszeitgestaltung hin untersucht. Mit Hilfe eines umfangreichen empirischen Datenmaterials werden die Länder anhand von sechs thematisch gesetzten Schwerpunkten miteinander verglichen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede systematisch herausgearbeitet – Ergebnisse, die am Ende eines Kapitels stets zusammengefasst werden, um einen größtmöglichen Erkenntnisgewinn zu gewährleisten. Unter dem Aspekt der Gleichstellung wird die Gestaltung der Arbeitszeitmodelle dann auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf das Verhältnis von Frauen und Männern entsprechend reflektiert und bewertet.
Im Rahmen der Untersuchung wird speziell der Grad der internen Flexibilität in den Blick genommen. Dies schließt einerseits die Frage nach den Möglichkeiten einer flexiblen Gestaltung der Arbeitsdauer ein und thematisiert Maßnahmen wie z. B. Teilzeitarbeit und Überstunden. Andererseits beinhaltet dies die flexible Organisation der Arbeitszeit, worunter die Gestaltung flexibler Arbeitszeitpläne, die Nutzung der Heimarbeit sowie sogenannte atypische Arbeitszeiten gefasst werden.
Ein erster Überblick zeigt, dass alle Länder zumindest über ein gewisses Maß an Maßnahmen zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung verfügen. Basierend auf umfangreichem Datenmaterial wird allerdings schnell deutlich, dass im Hinblick auf die vorhandenen Umsetzungsstrategien mitunter erhebliche Diskrepanzen zwischen den einzelnen Ländern existieren. Österreich und Großbritannien kristallisieren sich als Spitzenreiter hinsichtlich ihrer Ausgestaltung der Arbeitsdauer heraus – in beiden liegt die Flexibilität über dem europäischen Durchschnitt. Das Schlusslicht mit einem sehr geringen Grad an flexibler Arbeitszeitgestaltung – und einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche – bilden die neuen EU-Beitrittsländer, darunter Ungarn, Litauen und Zypern. Im EU-Vergleich macht Deutschland überdurchschnittlich von der Teilzeitregelung Gebrauch, andererseits sind lange Arbeitszeiten häufig an der Tagesordnung.
Der Bericht macht – trotz unvollständig vorliegender statistischer Erhebungen – daran anschließend relevante Aussagen zur flexiblen Einteilung der Arbeitszeit. So sind flexible Arbeitszeitmodelle nur in fünf Ländern – Deutschland, Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen – verbreitet, wohingegen sie in den neuen EU-Mitgliedsstaaten und den südlichen Ländern nur selten Anwendung finden. Im Zuge der anhaltenden Technologisierung lässt sich zunehmend ein Trend hin zur Heimarbeit erkennen, wobei die Anzahl von Telearbeiter/-innen, die in Vollzeit von zu Hause aus arbeiten, nach wie vor auf einem niedrigen Niveau liegt. Die Tschechische Republik steht hierbei mit 9,1 Prozent an erster Stelle. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich der Einsatz atypischer Arbeitszeiten, wie Schicht- und Wochenenddienst, in den vergangenen Jahren nur unwesentlich verändert hat.
Zweifelsohne können sowohl Arbeitgeber/-innen als auch Arbeitnehmer/-innen von einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung profitieren. Ein auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter/-innen abgestimmtes Arbeitszeitmanagement kann daher insbesondere auch für die weibliche Beschäftigtenquote positive Auswirkungen haben. Allerdings: „… flexible working time schedules should be carefully designed, so that the preferences of the employees are taken into account“ (S. 79), denn – wie der vorliegende Expertenbericht verdeutlicht – die zunehmende Gleichstellung der Geschlechter geht nicht notwendigerweise mit dem Anstieg einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung einher.
Gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat in den vergangenen Jahren erfreulicherweise ein erstes Umdenken eingesetzt, sie zählt mittlerweile zum Bestandteil einer erfolgreichen Unternehmensphilosophie. Doch die Ergebnisse zeigen, dass eine flexiblere Gestaltung der Arbeitsdauer in den EU-Ländern noch immer vorwiegend von Frauen genutzt wird, um Privat- und Berufsleben besser miteinander vereinbaren zu können. Dies wird insbesondere in puncto Teilzeitarbeit offenbar, welche überwiegend von Frauen in Anspruch genommen wird, und führt in der Konsequenz häufig zu Lohneinbußen und schlechteren Aufstiegschancen. Insbesondere die Niederlande und Österreich sind hier gefragt, politische Maßnahmen zu diskutieren und diese auf den Weg zu bringen. Solange die Möglichkeit zur flexiblen Arbeitszeitorganisation vorwiegend von Frauen genutzt wird, bremst dies weiterhin die Gleichberechtigung, denn sie birgt auch die Gefahr in sich, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben anfangen zu verschwimmen.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bewältigen Dänemark, Finnland, Frankreich, Schweden und Slowenien den Spagat zwischen Flexibilisierung und Gleichstellung am besten. Es bleibt wichtig und eben auch notwendig, gendergerechte Arbeitsmarktstrukturen innerhalb der EU weiterhin zu unterstützen und auszubauen, denn: „… both flexibility in working time arrangements and gender equality are identified as important preconditions of economic recovery“ (S. 80).
Die Stärke dieses im Herbst 2010 erschienenen Expertenberichts zum Thema Flexible working time arrangements and gender equality liegt nicht zuletzt in seiner Kürze. Basierend auf einer breiten empirischen Datenbasis wird das Ziel, eine umfassende Übersicht über die momentane Anwendung nationaler Arbeitszeitmodelle in den 30 untersuchten europäischen Staaten bereitzustellen, gut eingelöst. Die Ergebnisse ermöglichen daher nicht nur einen dezidierten Vergleich hinsichtlich der flexiblen Arbeitszeitgestaltung der EU-Länder untereinander, sondern gleichzeitig auch eine Reflexion ihrer Effekte auf eine mögliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Der finale Appell der Autor/-innen ist eindeutig und doch gleichsam wenig überraschend: „… policy matters“ (S. 80). Denn da die betrachteten Komponenten in keinem starren Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, kann mithilfe politischer Maßnahmen gezielt auf Veränderungen in der Gesellschaft reagiert und Einfluss genommen werden. Ein weiterer Pluspunkt, den es hervorzuheben gilt, ist die Bereitstellung der Studie auf der Webseite der Europäischen Kommission, die einen kostenfreien und schnellen Zugang weltweit möglich macht. Eine kurze inhaltliche Zusammenfassung in englischer, französischer und deutscher Sprache zu Beginn des Berichts trägt dazu bei, sich schnell und umkompliziert einen Überblick über den Inhalt der Studie verschaffen zu können, und erleichtert so den Einstieg in das Thema. Kurzum, eine anregende Lektüre für Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen, Praktiker/-innen und (wissenschaftlich) Interessierte.
URN urn:nbn:de:0114-qn123106
Bianca Muschiol, M.A.
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Büro für Gleichstellungsfragen
E-Mail: bianca.muschiol@ovgu.de
(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)
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