„Living in a world of things that people have made“

Rezension von Andrea Westermann

Donald A. MacKenzie, Judy Wajcman (eds):

The Social Shaping of Technology (1985).

Women’s Technobiographies.

Buckingham: Open University Press 1999.

480 Seiten, ISBN 0335199135, $ 28,95 / ca. DM 59,97 / ca. € 30,66

Abstract: Der Titel der Rezension paraphrasiert den einleitenden Satz des Sammelbands. Um gegenwärtige westliche Gesellschaften zu verstehen, müssen, so die Botschaft, auch die materiellen Strukturen von Gesellschaft in den Blick genommen werden. MacKenzie/Wajcman stellen ihr gegen einen starken Technikdeterminismus konzipiertes Forschungsprogramm vor, das die soziale Gestaltung von Technik betont. Technische Objekte und Arrangements sind von ihrem sozialen Kontext geprägt. Ökonomische und kulturelle Entstehungs- wie Implementierungsbedingungen schlagen sich in technischen Strukturen nieder, ein Prozess, der für die sozialen Muster wiederum stabilisierend wirkt.

„Social shaping of technology“ (SST) als Programm

Zwei berühmte Parabeln der Technikgeschichte und der sozialwissenschaftlichen Technikforschung stehen am Anfang des einleitenden Essays zum hier rezensierten Sammelband, der 1999 in einer zweiten, veränderten Auflage erschienen ist.

Lynn Whites Geschichte von der Erfindung und Verbreitung des Steigbügels, der die wichtigste Voraussetzung für die Entstehung der westeuropäischen Feudalgesellschaft gewesen sei, repräsentiert für MacKenzie/Wajcman die Argumentationsfigur, deren Kritik sie sich unter dem programmatischen Titel des Sammelbands verschrieben haben. „While it would be an over-simplification to present his theory as a straightforward technological determinism, historian Lynn White’s account of the coming about of feudal society reveals how a technologically determinist story can be constructed“ (MacKenzie/Wajcman 1985, S. 5).

Die andere Geschichte stammt von dem Techniksoziologen Langdon Winner. Sie steht als erster Beitrag „Do artifacts have politics?“ an prominenter Stelle und beschreibt ebenso einleuchtend wie drastisch, wie technische Arrangements soziale Ordnung schaffen und jahrzehntelang kontrollieren können. Winners Interpretation der niedrigen Brücken entlang des Parkways auf Long Island Richtung Strand geht dahin, den verantwortlichen Architekten Robert Moses als rassistischen New Yorker Stadtplaner zu portraitieren, der die Stadt bewusst segregierte. Nach Winner hielt Moses schwarze und arme Einwohner New Yorks vom schönen Jones Beach fern, indem er die Brücken so niedrig bauen ließ, dass deren Hauptverkehrsmittel, die öffentlichen Autobusse, die Brücken im Unterschied zu den PKWs der weißen Mittelschicht nicht unterqueren konnten.

An Winners Aufsatz entfalteten und illustrierten die Herausgeber/-innen bereits 1985 ihr Anliegen. Technikdeterministische Erklärungen, so MacKenzie und Wajcman, beherrschen die öffentlichen Diskussionen bis in die jüngste Zeit (S. 3) und sind als Elemente für unterschiedliche Theorien im Umlauf. Als Techniktheorie (S. 5) beziehen sich diese Erklärungen auf die Erfindung und Weiterentwicklung von Technik: Jene folgten einer der Technik „inhärenten“ Logik (Technikgenesedeterminismus). Als Gesellschaftstheorie (S. 5) sehen technikdeterministische Erklärungen in dieser „objektiven“ Logik den äußeren Motor und die hinreichende Erklärung für gesellschaftlichen Wandel: Zwischen technischen Strukturen und sozialer Ordnung bzw. sozialen Prozessen bestehe ein kausales Abhängigkeitsverhältnis (Techikfolgendeterminismus).

Weder 1985 noch 1999 jedoch gehen MacKenzie und Wajcman weiter auf Winners Designversion, d. h. auf die kontrolltheoretische Lesart, die Robert Moses absichtliche Diskriminierung unterstellt, ein. Stattdessen stellen sie auf die moralische Pointe des gesamten Winner-Aufsatzes ab: „[T]echnologies in themselves have political properties“, Technik ist nicht neutral (S. 28). Neben der „simplen Polemik“ (S. XIV) gegen Positionen, die einen starken Technikdeterminismus vertreten, konnten MacKenzie/Wajcman das Anliegen des Sammelbandes mit Winners Hilfe so auch positiv formuliert auf den Punkt bringen: „In adopting a technology, we may be opting for far more – economically, politically, even culturally, as well as technologically – than appears at first sight“ (S. 4).

Der aufklärerische Impetus liegt auf der Hand. Aus der vereinfachten technikdeterministischen Perspektive, die zugleich das dominante öffentliche Wahrnehmungsmuster abgibt, vor dem technikpolitische (Risiko-)Einschätzungen getroffen werden, hat technischer Fortschritt seinen unvermeidlichen sozialen oder ökologischen Preis. Demgegenüber plädieren MacKenzie und Wajcman für eine aktive und partizipative Technologiepolitik.

Die erste und die zweite Auflage: Technikdeterminismus revisited

Das politische (angelsächsische) Umfeld habe sich seit 1985 kaum verändert, was eine Bearbeitung der Frage nach der sozialen Gestaltung von Technik weiterhin rechtfertige; gleichwohl nehmen MacKenzie und Wajcman 1999 ihre doch bereits 1985 differenziert vorgetragene Kritik an technikdeterministischen Positionen weiter zurück (MacKenzie/Wajcman 1985, S. 7). Die strategische Präferenz für Technikgeneseprozesse in den 1980er Jahren, die zur Etablierung der SST-Pespektive geführt habe (S. XV-XVI), bedeutet für die Herausgeber nicht mehr zwingend, das Studium vom sozialen Wandel durch Technik aufzugeben: „However, the failure of a ‘hard’ technological determinism does not rule out a ‘soft’ determinism […] and to say that technology’s social effects are complex and contingent is not to say that is has no social effects“ (S. 4).

Diese Nuancierungen sind deswegen plausibel, weil sich das Forschungsfeld SST inzwischen durch eine hohe Reflexivität auszeichnet. Die rege Forschung zur mittlerweile auch als „Parabel“ bezeichneten Brücken-Geschichte von Winner ist nur ein Indiz dafür (Joerges 1999a und 1999b, Woolgar/Cooper 1999).

Gemäß der postulierten Abwendung von der social-impact-Forschung in ihrer oft verengten Version des Technikdeterminismus beschrieb der Sammelband 1985 die Technikgenese zwar als sozialen Prozess, der eine Öffnung und wechselseitige Integration der sozialen und technischen Sphären erlaubt, stellte dann aber den solchermaßen historisierten oder ethnographierten Innovationsphasen keine ähnlich ausgewogenen Studien betreffend der Technikfolgen gegenüber. Dagegen verfolgen MacKenzie und Wajcman 1999 technische Artefakte auch über die Genesephase hinaus und holen damit einen Teil der 1985 ausgeschlossenen sozialen Effekte von Technik wieder ein.

Die vielfach nuancierte Sicht spiegelt sich in der Auswahl der Beiträge insgesamt wider und soll an den methodisch-theoretischen Texten der ersten Sektion „Introductionary Essay and General Issues“ erläutert werden. Sie repräsentieren die mittlerweile verfügbaren methodischen Zugriffe und die damit einhergehenden theoretischen Ambitionen. 1999 stehen den drei (von vier) wiederaufgenommenen – und damit zu Klassikern avancierten – Aufsätzen sieben neu hinzugekommene Artikel gegenüber.

Neben Winners Beitrag handelt es sich bei den wiederabgedruckten Texten zum einen um Thomas Hughes‘ „Edison and electric light“. Hughes‘ Verdienst ist es, als Technikhistoriker bereits Anfang der 1980er Jahre den heterogenen Charakter von Technik – die aus sozialen Akteuren und Institutionen, genauso wie aus wissenschaftlichen und materiellen Artefakten besteht (S. 54 und S. 56) – herausgearbeitet zu haben. In seiner doppelten Bedeutung wurde der Buchtitel Networks of Power (Hughes 1983) zum Schlüsselkonzept für die Forschungsrichtung „Große Technische Systeme“ (vgl. Mayntz 1988). Thomas Edison etwa wurde in dieser Lesart zum „Erfinder-Unternehmer“ (S. 50), der die Einpassung neuer technischer Artefakte wie der Glühbirne in großmaßstäbliche technische Infrastrukturen zugleich als Organisation sozialer Machtbeziehungen verstand.

Schließlich behielten die Herausgeber Cynthia Cockburns Aufsatz „Caught in the wheels: the high cost of being a female cog in the male machinery of engineering“ von 1983 bei. Der Text wird als frühes Plädoyer dafür wiederabgedruckt, in komplementärer Perspektive die „Erfindung der Männlichkeit“ in und durch Technik zu erforschen, wie Cockburn selbst das bereits in einem zwei Jahre zuvor veröffentlichten historischen Beitrag zum Geschlechterverhältnis in der Druckerindustrie vorgeführt hat (ebenfalls wiederabgedruckt in der Sektion „The Technology of Production“).

Leittechnologien

(Post-)feministische Ansätze tauchen in der zweiten Auflage nicht nur in den Fallstudien des Buchabschnitts „Reproductive Technology“, sondern quer zu allen Sektionen auf. Die methodische Sektion wurde um einen Ausschnitt aus Donna Haraways „Modest_Witness@Second_Millenium“ ergänzt. Nach Meinung des Herausgebers und der Herausgeberin steht Haraway für die Entwicklung einer nicht technikfeindlichen Technikkritik (S. 6). Haraway geht es erstens darum, für die zweite Hälfte des 20. Jhs. eine historisch völlig neue Situation zu postulieren: „Technoscience“ (S. 41) habe Alltag und Körper der Einwohner/-innen westlicher Gesellschaften so durchdrungen, dass wir sie als Lebensform des ausgehenden 20. und des neuen 21. Jhs. begreifen müssen. „Technoscience“ gibt es in den einander dicht folgenden Versionen „nuklear“ und „biotechnologisch“. Diese Leittechnologien befördern bestimmte gesellschaftliche Ordnungen. Für Haraway ist es kein Zufall, dass parallel zur Ablösung der nuklearen durch die Biotechnologie auch die politischen Entscheidungen eine neue Rechtfertigung fanden: Die Globalisierung trat an die Stelle des Kalten Kriegs (S. 41 f.).

Mit ihrem dekonstruktivistischen Ansatz verfolgt Haraway zweitens die Ausarbeitung einer sprachlich innovativen Technologiebeschreibung, mit der sich die im Zeitalter der „technoscience“ automatisch zur Debatte stehende Frage der Identität adäquat erfassen lässt: Zu welcher Spezies dürfen wir uns am Ende des 20. Jhs./ am Anfang des 21. Jhs. rechnen (S. 42 f.)? Sie hält dazu an, die narrativen und figurativen Strategien der aktuellen Globalisierungsphase (New World Order Economics), in denen hinsichtlich dieser Frage ältere Deutungsmuster überdauern, zu analysieren.

Auch MacKenzie und Wajcman sehen die Bio- und Informationstechnologie als Leittechnologien und stimmen ihre Artikelauswahl daraufhin ab. Allerdings mit Einschränkungen: Zwar durchdringen und verändern die IuK-Technologien Arbeits- wie Alltagskultur so stark, dass der klassische Produktionssektor an paradigmatischem Stellenwert verloren zu haben scheint. Dennoch stünden bei allen großen Gesellschaftstheorien, die den Wandel des späten 20. Jhs. zu beschreiben trachten (Informationsgesellschaft, Postfordismus, Postmoderne), gerade die Bedingungen der Produktion weiterhin im Mittelpunkt (S. 142).

Technikimplementierung

Die Tendenz, soziale Effekte von Technik auszublenden, war im ebenfalls in den 1980er Jahren entwickelten Ansatz „Social Construction of Technology“ (SCOT) besonders stark. Diese Forschungsrichtung hatte sich 1987 mit einem eigenen Sammelband (Bijker/Pinch 1987) eingeführt. Der Abdruck des Beitrags von Ronald Kline und Trevor Pinch – wie die meisten Aufsätze kein Originalbeitrag – wurde bis zur Unkenntlichkeit gekürzt. Es scheint, als sei SCOT gleichsam als Fußnote und nur der Vollständigkeit halber aufgeführt. Nach SCOT werden technische Artefakte von Akteuren mit „interpretativer Flexibilität“ (S. 113) betrachtet. Dies meint, dass Funktion und Sinn technischer Objekte in der frühen Design- und Anwendungsphase von verschiedenen sozialen Gruppen solange ausgehandelt werden, bis es zu einer „Schließung“ kommt. Sie kann ihrerseits in einer späteren Phase und eingedenk der interpretativen Flexibilität durchaus wieder in Frage gestellt werden, wofür bei der gängigen SCOT-Konzentration auf Innovationsprozesse bisher allerdings nur wenige empirische Belege erbracht wurden (S. 114).

Mit der neuen Aufmerksamkeit für die Technikanwenderinnen und -anwender (S. 148) rücken in den Beiträgen von 1999 dagegen die Phasen der Implementierung und Durchsetzung stärker ins Blickfeld. Beides sind nun keine sich problemlos einer „eindeutigen“ und „guten“ Erfindung mehr anschließenden Prozesse. Hughes argumentierte in dieser Frage systemisch. Auch eine andere Variante der Sicht auf Technik integriert Technikgenese und -folgen: Unter dem Stichwort Pfadabhängigkeit exponiert W. Brian Arthur in „Competing technologies and economic prediction“ diese ursprünglich wirtschaftshistorische Diskussion am Beispiel der Konkurrenz von mit Benzin und Wasserdampf betriebenen Automobilen. Vernachlässigte technische Alternativen müssen nicht „schlechter“ sein als die Techniken, die sich aus welchen Gründen und Interessen auch immer durchgesetzt haben („lock-in“) (S. 107). Die konservativen Züge der Pfadabhängigkeitstheorie können einerseits mit der Figur der „interpretativen Flexibilität“ wenn nicht bestritten, so doch als technikdeterministisch hinterfragt werden. Die Plausibilität dieser Theorie verdankt sich andererseits typischen Alltagserfahrungen im Umgang mit Technik: Routine und materielle Widerständigkeit.

Einen eigenen gesellschaftstheoretischen Entwurf, der seine Begründung in der, so das Urteil der Autorinnen, überfälligen Anerkennung des symmetrischen Gewichts von Sozialem und Technischem für Gesellschaft hat, streben Shirley Strum und Bruno Latour an. Ihr Beitrag „Redefining the social link: from baboons to humans“ steht exemplarisch für den Ansatz der Akteur-Netzwerk-Theorie. Nach ihrem performativen Modell liegt Sozialität („social link“) nicht immer schon in gesellschaftlichen Strukturen vor, sondern wird erst über die Definitionsanstrengungen und Interaktionen vieler Akteure hergestellt (S. 117). Materielle Ressourcen, z. B. technische Infrastrukturen, ermöglichen dabei den menschlichen Gesellschaftsordnungen zu den im Vergleich herangezogenen Primatengesellschaften, die stets auf direkte körperliche Interaktionen angewiesen sind, eine erhebliche Maßstabsvergrößerung (S. 23).

Sehr knapp und eher illustrativ wird schließlich neben der vielfach verankerten Genderkategorie die der Ethnizität angerissen. Richard Dyers Beitrag „Making white people white“ untersucht die Technik der Foto- und Filmbelichtung. Von Anfang an wurde dabei die weiße Hautfarbe als Norm für die Entwicklung der technischen Apparate angesehen (S. 134). Dabei ist der weiße Teint seinerseits nicht einfach abfotografierte Realität, sondern eine konstruierte ästhetische Norm: Zu rosige Nuancen wurden über Beleuchtung regelmäßig abgetönt.

Als Einführung ins Studienfeld und für die Lehre konzipiert (S. XV), machen die kluge Kommentierung der ausgewählten Beiträge durch die Herausgeberin und den Herausgeber den Sammelband auch für geübte Technikforscherinnen und Technikforscher zur Pflichtlektüre.

Am Ende sei auf eine mögliche zweite Lektüre hingewiesen. Sowohl in den besprochenen Beiträgen als auch in den meisten übrigen Fallstudien laufen Fragen zur Identitätsbildung, -darstellung oder -stabilisierung durch Technik mit, ohne dass sie immer – wie etwa in den gender-Titeln – eine systematische Beachtung fänden. Der Band illustriert diese mediale oder kommunikative Dimension von Technik, die sich nur schwer von ihrem instrumentellen Charakter trennen lässt, und reizt zu einer thematischen Vertiefung.

Literatur

Thomas Hughes: Networks of Power: Electrification in Western Society 1880–1930. Baltimore 1983.

Bernward Joerges: Brücken, Busse und andere Verkehrsteilnehmer. Zur Repräsentation und Wirkung städtischer Artefakte. In: Gert Schmidt (Hg.): Technik und Gesellschaft (Jahrbuch Bd. 10) 1999, S. 197–218 (1999a).

Ders.: Die Brücken des Robert Moses. Stille Post in der Stadt- und Techniksoziologie. In Leviathan 27, 1999, H. 1, S. 43–63 (1999b).

Renate Mayntz (Hg.): The Development of Large Technical Systems. Frankfurt a. M. 1988.

Steven Woolgar; Geoff Cooper: Do Artifacts have Ambivalence? Moses’ Bridges, Winner’s Bridges and other Urban Legends in S&TS. In: Social Studies of Science 29, 1999, H. 3, S. 433–449.

URN urn:nbn:de:0114-qn023192

Andrea Westermann

Graduiertenkolleg „Genese, Strukturen und Folgen von Wissenschaft und Technik“ am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld

E-Mail: andreawestermann@hotmail.com

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