Von Brot und Rosen – Wissenschaft und Geschlechtergerechtigkeit

Rezension von Tina Jung

Carola Bauschke-Urban, Marion Kamphans, Felizitas Sagebiel (Hg.):

Subversion und Intervention.

Wissenschaft und Geschlechter(un)ordnung.

Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich 2010.

464 Seiten, ISBN 978-3-86649-360-5, € 44,00

Abstract: Inwieweit sind die tradierten Geschlechterverhältnisse in Wissenschaft und Hochschule in Unordnung geraten? Neben empirischen Befunden, theoretischen Reflexionen und Praxisansätzen ist der vorliegende Sammelband mit biographischem Material und Würdigungen der Wissenschaftlerin Sigrid Metz-Göckel angereichert. Der Band gibt Einblicke in die Frauen- und Geschlechterforschung als nach wie vor umkämpftes Terrain in der Wissenschaftslandschaft sowie in die Universität als Arbeitsplatz, der (Karriere-)Fallen und Hürden bereithält. Wissenschaft wird aber auch als Ort intellektueller und politischer Leidenschaft und (potentieller) Teil eines guten Lebens begriffen. Hier schließt die Frage nach Leitorientierungen über bloß formale Geschlechtergerechtigkeit hinaus an, wie sie exemplarisch in einem Beitrag formuliert wird: Brot und Rosen!

Fest- bzw. Widmungsschriften haben nicht selten das Problem, entweder weitgehend unkritisch Held/-innenverehrung zu betreiben, bei der neben Lobhudeleien höchstens Altbekanntes und Immerschongewusstes repetiert wird. Oder aber es tritt der Fall ein, dass sich der rote Faden in einem Sammelsurium unterschiedlichster Einzelbeiträge zu verlieren droht. Umso erfreulicher ist vor diesem Hintergrund die Lektüre des von Carola Bauschke-Urban, Marion Kamphans und Felizitas Sagebiel herausgegebenen Sammelbandes Subversion und Intervention. Wissenschaft und Geschlechter(un)ordnung. Titel und Klappentext geben zunächst ‚nur‘ die Information, der vorliegende Sammelband beschäftige sich mit der als erfolgreich bewerteten Implementierung der Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Hochschule. Erst beim Blick ins Inhaltsverzeichnis finden sich Hinweise darauf, dass der Band einer Frau gewidmet ist, die eine Pionierin und prägende Gestalt der inhaltlichen wie institutionellen Entwicklung und Ausgestaltung der Frauen- und Geschlechterforschung in der Bundesrepublik ist: Sigrid Metz-Göckel. Es ist gerade diese Doppel-Anlage des vorliegenden Bandes, die besonders reizvoll erscheint und vielfältige Be-Deutungsebenen eröffnet, die teilweise entlang, teilweise ‚neben‘ der von den Herausgeberinnen explizit eingeführten Struktur des Bandes vorbei verlaufen. Je nach Schwerpunktsetzung und Lesart treten mal die einen, mal die anderen Beiträge des Bandes als besonders interessant hervor; einige von ihnen sollen im Folgenden exemplarisch diskutiert werden.

Einführung

Im Kern des Interesses der Herausgeberinnen stehen Fragen danach, wie und wie weit „die tradierten Geschlechterverhältnisse an der Hochschule in Unordnung geraten“ sind (S. XVIII). Ausgangspunkte sind dabei Erfolge und Verharrungen bei der Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Hochschule, die als gendered organization in den Blick genommen wird. Der Band versteht sich dabei als Sammlung von „aktuellen Forschungen und theoretischen Reflexionen zur Geschlechterpolitik an den Hochschulen, ihre[n] Auswirkungen auf das vergeschlechtlichte Karrieregeschehen und auf die Praxis von strukturellen Interventionen in der Hochschulentwicklung, die sich zwischen rhetorischer Gleichstellung, der Verfestigung tradierter Geschlechterverhältnisse und subversiver Praxis“ (S. XIX) bewege.

Damit ist ein weites Feld an Themen und Perspektiven umrissen, das seitens der Herausgeberinnen nicht immer vollends überzeugend strukturiert und begrifflich eingefangen wird. Die Einführung und Verwendung von Leitbegriffen wie ‚Subversion‘ und ‚Geschlechtergerechtigkeit‘ bleibt weitgehend vage oder erscheint verkürzt, etwa wenn der Sinnzusammenhang vermuten lässt, dass ‚subversive Praxis‘ mit Geschlechter- bzw. Gleichstellungspolitik oder auch -management gleichgesetzt wird; Geschlechtergerechtigkeit wiederum scheint vorwiegend auf die anteilige „Präsenz beider Geschlechter an der Hochschule“ (S. XVIII) und auf Fragen der Geschlechtersegregation bezüglich Ausbildungs- und Qualifikationsstufen, Stellenbesetzung, Besoldung und Fächerwahl begrenzt. Dies ist umso bedauerlicher, als in vielen der Beiträge durchaus und in unterschiedlicher Form ein weiteres Verständnis von Gerechtigkeit vorliegt – zum Beispiel, indem ‚das Private‘ mitreflektiert wird oder Gerechtigkeit normativ im Kontext von ‚gutem Leben‘, ‚persönlichem Glück‘ oder ‚intellektueller Leidenschaft‘ diskutiert wird. Es wäre daher sicherlich für die Lektüre hilfreich gewesen, wenn in der Einleitung systematischer begrifflich wie inhaltlich auf zentrale Begrifflichkeiten rekurriert worden wäre. Auch finden sich jenseits der Kurzzusammenfassungen der Einzelbeiträge kaum Erläuterungen zu den konzeptionellen Überlegungen, die hinter der Gesamtanlage des Bandes stehen.

Empirische Befunde und Ansätze der aktuellen genderorientierten Hochschulforschung – Zur Struktur des Sammelbandes

Der Band ist in vier inhaltliche Schwerpunkte untergliedert, die von Grußworten und Anhängen gerahmt sind: Der erste Teil, „Wissenschaft und Geschlecht – Management zwischen Rhetorik und subversiver Praxis“, nimmt „die Grenzgänge zwischen Politik und Wissenschaft“ in den Blick, „die das kritische und reflexive Verhältnis der auf die Hochschule bezogenen Geschlechterforschung ausmachen“ (S. XX). In den hier versammelten Beiträgen wird einerseits das Verhältnis zwischen Frauenbewegung und Geschlechterforschung ausgelotet, andererseits stehen vorrangig empirische Befunde zu gleichstellungspolitischem Handeln und Gender Mainstreaming im Hochschulkontext zur Debatte. Marion Kamphans beschäftigt sich hier mit dem Umstand, dass in Hochschulen – „auch entgegen ihrem Selbstanspruch, sie seien Organisationen mit einem Selbstverständnis und Anspruch von Geschlechter-Fairness und Geschlechter-Gleichheit“ (S. 71) – nach wie vor eine asymmetrische Geschlechterkultur wirksam ist. Diese Widersprüchlichkeit zwischen Selbstwahrnehmung und faktischer Lage führt die Autorin auf einen Verkennungseffekt zurück, der damit zu erklären sei, dass „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer ‚illusio‘ (Bourdieu), einem geteilten Glauben an Vorstellungen anhängen“. Dies betrifft die Vorstellung, „dass Wissenschaft und das Erlangen reputationsträchtiger Positionen in den Hochschulen ausschließlich nach meritokratischen, rationalen und objektiven Kriterien funktioniert, persönliche Merkmale wie Geschlecht oder Herkunft dagegen irrelevant sind“ (S. 77). Dem setzt Kamphans einen Vorschlag „für eine intervenierende Praxis“ entgegen: „Das Ziel einer intervenierenden Frauen- und Geschlechterforschung sollte es sein, eben nicht nur wissenschaftliches und in diesem Sinne aufklärerisches Wissen über die Geschlechter bereit zu stellen, sondern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu motivieren, in einen nutzenstiftenden Selbstreflektionsprozess zu ihrer individuellen Interaktion in Lehre, Forschung und Selbstverwaltung einzutreten und hierbei selektiv das ‚doing gender‘ aufzuzeigen und erfahrbar werden zu lassen.“ (S. 79 f.)

Der zweite Abschnitt des Bandes beschäftigt sich mit „Karrieren in der Wissenschaft zwischen Subversion und Anpassung“. Besonders erwähnenswert ist hier der Beitrag von Christine von Prümmer, die Ergebnisse aus der Evaluation des Fernstudiums an der FernUniversität Hagen unter Genderaspekten vorstellt und diskutiert. Sie widerlegt nicht nur die Einschätzung, „die ‚virtuelle Universität‘ sei eine technologisch vorgegebene, von sozialen Verhältnissen freie Lehr- und Lernumgebung“ (S. 215), sondern sie zeigt auf, dass insbesondere Frauen „durch familiäre und berufliche Verpflichtungen größere Schwierigkeiten haben, diese mit ihrem Fernstudium zu vereinbaren“ (S. 214). Fernunterricht und Fernstudium seien zwar „immer auch mit Fragen des Zugangs zu Bildungsinstitutionen“ verbunden und würden eingesetzt, um für diejenigen Bildungschancen bereitzustellen, die aufgrund ihrer geografischen, sozialen oder kulturellen Situation einen erschwerten Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen hätten. Gerade aber die isolierte Situation etwa von Müttern könne schnell dazu führen, dass Schwierigkeiten „auf individuelles Versagen und nicht auf strukturelle Prozesse“ zurückgeführt würden. Prümmer setzt hier auf die Nutzung des Internets „zum Erfahrungsaustausch und zur Netzwerkbildung“ (S. 214) als eine Form des Empowerments insbesondere von Frauen.

Im dritten Abschnitt, „Wissenschaft und Geschlechterpolitik: Intervenierende Praxis als State of the Art“, werden vorrangig Befunde und Erfahrungen aus dem Bereich von Gleichstellungspolitik, Gender Mainstreaming und Diversity Management an den Hochschulen diskutiert. Deutlich wird hier vor allem, dass auch im Bologna-Prozess „aktive Gleichstellung im Sinne des Gender Mainstreaming-Konzepts […] kein selbstlaufender Prozess [ist], der Frauen im Aufwind segeln lässt“ (S. 314), wie Margret Bülow-Schramm feststellt. Das Beharren auf feministischen Positionen bleibt vor diesem Hintergrund ebenso notwendig wie die Übersetzung gleichstellungspolitischer Forderungen in konkrete Praxisansätze auf unterschiedlichen Ebenen. So berichten im vorliegenden Band Nicole Auferkorte-Michaelis, Annette Ladwig und Ingeborg Stahr aus den Projekten „Gender als Indikator für gute Lehre“ sowie „Implementation eines universitätsweiten Mentoring-Systems“; Bettina Jansen-Schulz stellt das Konzept des „Integrativen Genderings“ zur Förderung der Gender- und Diversitykompetenz von Wissenschaftler/-innen vor und Bahar Haghanipour und Ute Zimmermann beschreiben ein hochschulübergreifendes Mentoring-Programm der drei Ruhrgebietsuniversitäten.

Die Würdigung von Sigrid Metz-Göckel als heimliche Klammer – Institutionelle Kämpfe und politisches Engagement

Was den hier vorgestellten Sammelband über die bloße Zusammenstellung von Beiträgen aus der genderorientierten Wissenschaftsforschung hinaus interessant macht, ist die Verknüpfung mit dem (politischen und wissenschaftlichen) Wirken von Sigrid Metz-Göckel. Anlässlich ihres 70. Geburtstages sind Grußworte von Anke Brunn, Wissenschaftsministerin (NRW) a.D., und Matthias Kleiner, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sowie ein Schriftenverzeichnis und eine Biographie von Sigrid Metz-Göckel aufgenommen. Dass der Band neben der inhaltlichen Frage nach „Wissenschaft und Geschlechter(un)ordnung“ durch die Würdigung von Sigrid Metz-Göckel eine Klammer erhält, legt den Blick auf nicht minder wichtige Aspekte jenseits aktueller Befunde der Wissenschaftsforschung frei. Dies betrifft zum einen die Pflege einer aktiven Anerkennungskultur, wie sie – das streicht Christine Roloff in ihrem, den vierten Abschnitt des Bandes ausmachenden Beitrag heraus – von Sigrid Metz-Göckel als Hochschullehrerin selbst gelebt wird und wie sie im Feld Wissenschaft und hier insbesondere seitens des malestreams gegenüber Frauen- und Geschlechterforschung nur selten besteht. Dies betrifft aber auch die Sichtbarmachung der sozialen, politischen und institutionellen Kämpfe, die notwendig waren, damit Frauen im Feld Wissenschaft an Terrain und Einfluss gewinnen konnten und feministische Wissenschaft als Wissenschaft anerkannt wird. Das beeindruckende Wirken von Sigrid Metz-Göckel, wie es in diesem Band dokumentiert wird, bezeugt in lebendiger Form die Wichtigkeit des unermüdlichen Engagements Einzelner bei der Entwicklung und der Ausgestaltung der Frauen- und Geschlechterforschung: „Ungeduld und langer Atem“ (S. XI), Streitbarkeit und Konstruktivität – auch gemeinsam mit anderen.

So bildet sich auch in der Liste der Autor/-innen des Sammelbandes ein Netzwerkcharakter ab, der auf die Relevanz der Ermöglichung von Arbeitsbeziehungen und wissenschaftlichen Freundschaften verweist: Alle Autor/-innen sind „Weggefährtinnen, Kolleg(inn)en, Mitarbeiterinnen sowie Doktorand(inn)en von Sigrid Metz-Göckel“ (S. XXX). Von dieser Perspektive aus ergeben sich auch in der Rückspiegelung auf die Beiträge des Sammelbandes neue Verknüpfungen: Die Bedeutung und das Potential der „wunderbaren und fragilen persönlichen wissenschaftlichen Freundschaften“ unterstreicht auch Elisabeth Maurer – basierend auf empirischen Ergebnissen – in ihrem Beitrag. Sie plädiert überzeugend dafür, den „persönlichen wissenschaftlichen Freundschaften“ bezüglich der Entwicklung einer kohärenten geschlechtersensiblen akademischen Nachwuchsförderung größere Aufmerksamkeit“ (S. 274) zu schenken. Dies gelte nicht nur hinsichtlich des Umstands, dass diese „den Zugang zu Netzwerken“ öffnen und „Knotenpunkte für die Sichtbarkeit wissenschaftlicher Leistung“ sind; es sei ebenso notwendig, „deren Gefahrenpotenzial zu erkennen und möglichen Missbrauch zu ahnden“ (S. 274).

Dass hinsichtlich des „Projekts ‚Gleichstellung in der Wissenschaft‘“ (S. 23 f.) neben der epistemischen Dimension insbesondere die soziale Dimension von Wissenschaft zum Tragen kommt, unterstreicht auch Beate Krais in ihren „Anmerkungen zu den Mühen der Ebenen“ (S. 23 f.). Es sind neben den strukturellen Vorgaben des Wissenschaftssystems vor allem der Umgang miteinander und die impliziten wie expliziten Leitbilder (Wissenschaft als Lebensform), Anerkennungsriten und Gewohnheiten, die sich als ‚Stolpersteine‘ oder befördernde Faktoren von Geschlechtergerechtigkeit erweisen.

Die Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung war allerdings weder gänzlich das Werk einzelner und/oder ausschließlich wissenschaftlich arbeitender Frauen, noch fand es jenseits gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen statt. Ilse Lenz nimmt vor diesem Hintergrund die bereits von Sigrid Metz-Göckel vor 25 Jahren gestellte Frage nach dem Verhältnis von Frauenbewegung und Frauenforschung auf und re-formuliert diese als Frage danach, was die Frauenbewegungen ihrerseits an Denkbewegungen von der Frauen- und Geschlechterforschung aufgenommen haben (S. 3). Es ist das Nebeneinander der systematischen Überlegungen zu den Entwicklungen der Frauenbewegungen und der feministischen Wissenschaft im Wechselverhältnis einerseits und den stärker persönlich-biographischen Bezügen andererseits, die im Gesamtkontext des Bandes nachdrücklich vor Augen führen, was sich real – durch Subversion und Intervention – im Feld Wissenschaft und Geschlecht verändert hat.

Wissenschaft als Ort intellektueller und politischer Leidenschaft und Teil eines guten Lebens – Leitbilder und Orientierungen über bloß formale Geschlechtergerechtigkeit hinaus

Daran, dass in den Kämpfen um die Teilhabe an Wissenschaft und Hochschule jedoch mehr angelegt war als bloß formal gleiche Repräsentation im Geschlechterverhältnis, knüpft u. a. Paula Irene Villa an. In ihren „Reflexionen aus dem und auf das Karrieregeschehen“ diskutiert sie die im Rückblick „bisweilen anstrengend und schmerzhaft“, aber auch „belebend“, „produktiv und notwendig“ erscheinenden Konflikte im Kontext von „Frauen, Forschung, Feminismus“ (S. 129) – wie z. B. den Streit um den sogenannten Butler-Boom. Es gehe darum, Räume zu schaffen, die offene Diskussionen, Konflikte „erzeugen, aushalten und anerkennen“ können (S. 134) – nicht zuletzt, da sich darin „intellektuelle Haltungen, Professionalisierungs- und Akademisierungsprozesse, politische Interventionen und wissenschaftliche Neugier“ (S. 129) artikulierten. Einerseits entziffert Villa die streitbare, sich stets neu verhandelnde Kultur des Feminismus als eine seiner Stärken. Andererseits gibt sie gleichzeitig mit Blick auf die Bedingungen des Wissenschafts-Machens zu bedenken: „Das stahlharte Gehäuse (Weber) der aktuellen Universität macht es fast unmöglich, mit anderen gemeinsam Erfahrungen mit und Wünsche an den Feminismus zu besprechen, ohne dabei an konkrete Anträge für innovative, zukunftsträchtige, drittmittelstarke, evaluationsangemessene, strukturierte, berufsbezogene, schlüsselqualifikationsvermittelnde Projekte zu denken“ (S. 135). Trotz dieser Widersprüche und Zerrissenheit könne es gleichwohl kein ‚Zurück‘ geben, sondern müssten „wissenschaftliche Exzellenz mit feministischen Strategien“ (S. 136) verbunden werden.

Susanne Schäfer skizziert auf der Grundlage ihrer Untersuchungen zu Hochschule und Geschlechtergerechtigkeit mögliche Orientierungspunkte für die Weiterentwicklung feministischer Wissenschaft, die in Abgrenzung zu den im aktuellen Diskurs um Geschlechterpolitik und Gender Mainstreaming faktisch unterlegten Gerechtigkeitsvorstellungen entworfen werden. Sie schlägt vor, die Debatte um Geschlechtergerechtigkeit und Hochschule unter Rückgriff auf Martha Nussbaums Capabilities Approach auf eine andere Ebene zu überführen: „Wenn wir wissenschaftliche Arbeit so denken, wenn wir nämlich wissenschaftliche Arbeit nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum menschlichen ‚Gedeihen‘ (human flourishing) konzipieren, werden wir sehr schnell herausfinden, dass die Ausweitung von Teilhabe in den Feldern wissenschaftlicher Produktion nicht nur ein ‚mobilising women to enrich European research‘ (European Commission 1999) impliziert oder Frauen gleiche Chancen wie Männern eröffnet, damit sie Leitungsfunktionen in der Wissenschaft erreichen. Wir werden erkennen können, dass Wissenschaft und ihre Ergebnisse selbst transformiert werden.“ (S. 122)

Dass die Eroberung von Universität und Wissenschaft durch Frauen sich auch als „Griff nach den Sternen“ (S. 383), als Form „innerer Ermächtigung“ (S. 384) entpuppt und mit der Notwendigkeit verbunden ist, das feindliche Umfeld zu verändern, hebt Christine Roloff in ihrem sehr persönlichen Beitrag zur Wissenschaftlerin Sigrid Metz-Göckel hervor. Daraus ergebe sich eine wissenschaftliche Haltung, die „nicht nur [auf] Erklärung, sondern auch [auf] Mitgestaltung der ‚Welt‘ abziele: Beobachtung, Erkenntnis und Handeln sind in dieser Denkrichtung nicht voneinander zu trennen“ (S. 383).

Dies betrifft jedoch nicht nur die Inhalte der wissenschaftlichen Arbeit, sondern darüber hinaus auch den „unerhörte[n] Anspruch auf ein gutes Leben innerhalb und außerhalb der Wissenschaft“: Brot und Rosen, her mit dem ganzen Leben! (S. 139). Brigitte Aulenbacher, Kristina Binner, Birgit Riegraf und Lena Weber bringen mit dieser Formel zum Ausdruck, „dass Frauen weder in der Freiheit, eigene Vorstellungen von einem guten Leben selbstständig zu entwickeln, noch in dem Wunsch, in allen gesellschaftlichen Bereichen glücklich zu sein, sowie hinsichtlich materieller Sicherheit als einer wesentlichen Grundlage für beides zurückstecken“ sollen und wollen. Die Autorinnen knüpfen direkt an Arbeiten von Sigrid Metz-Göckel an, wenn sie formulieren, dass Frauen und Männern nach wie vor ungleiche Chancen zugestanden werden, wenn es darum geht, „Privatheit zu leben und innerhalb wie außerhalb der Wissenschaft persönliches Glück und Anerkennung zu erfahren“ (S. 140). Insofern müsse der Fokus zum einen „auf den Konnex zwischen der Situation von Wissenschaftlerinnen und den gesamtgesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen“ gerichtet sein, zum anderen müsse Frauen- und Geschlechterforschung sich „mit Frauen als Subjekten der Wissenschaft, mit ihrer Marginalisierung als wissenschaftlich Tätige und mit Diskriminierungsmechanismen in diesem Erwerbsfeld“ beschäftigen (S. 140). Auch die Re-Organisation des Wissenschaftsfeldes im Kontext des Bologna-Prozesses und des Leitbilds der Entrepreneurial University, so die Autorinnen auf der Grundlage ihrer bisherigen Forschungen, scheint sich – wenngleich in veränderter Form – gegen „den Anspruch auf ‚Brot und Rosen‘ und die Forderung ‚Her mit dem ganzen Leben!‘ zu sperren.“ (S. 148)

Fazit: Brot und Rosen oder: Her mit der ‚anderen Wissenschaft‘!

Trotz einiger kleinerer Schwächen liegt mit dem Band Subversion und Intervention. Wissenschaft und Geschlechter(un)ordnung ein überaus empfehlenswertes, facettenreiches und anregendes Werk vor, das neben spannenden empirischen Befunden und theoretischen Anreizen vertiefende Einblicke in das wissenschaftliche wie (hochschul-)politische Wirken von Sigrid Metz-Göckel gewährt. Es ist nicht zuletzt der Aufnahme von biographischen Materialien sowie den in vielfältiger, teilweise loser Form eingewobenen Erinnerungen, Würdigungen, Bezugnahmen und Querverweisen zur Arbeit von Sigrid Metz-Göckel zu verdanken, dass mit dem Sammelband nicht nur ein state of the art der feministischen und genderorientierten Wissenschaftsforschung vorliegt, sondern feministische Wissenschaft auch als lebendiges, kontroverses und umkämpftes Terrain sichtbar wird. Die Beiträge des Sammelbandes streichen (mal mehr, mal weniger explizit) heraus, dass es um mehr geht als ‚nur‘ um eine gleichberechtigte Teilhabe. Es geht um Subversion und Intervention hin zur ‚anderen‘ Wissenschaft, die persönliches Glück und gutes Leben, intellektuelle Leidenschaft bereithalten kann genauso wie wissenschaftliche Freundschaften und kooperative Denkformen, die immer auch im Streit geboren werden, – und sich nicht zuletzt in Grenzgängen und in Reibung zur politischen Praxis sowie der Frauenbewegung formiert.

Der Sammelband öffnet damit Diskussions- und Denkräume, die weiter aufzustoßen überaus lohnenswert für feministische Wissenschaft sein kann: Subversion und Intervention, Teilhabe, ‚gutes Leben‘ und wissenschaftliche Neugier im Kontext einer ‚konkreten Utopie‘ der ‚ganz anderen Wissenschaft‘ zu entwerfen.

URN urn:nbn:de:0114-qn:977:7

Tina Jung

Philipps-Universität Marburg

GendA – Forschungs- und Kooperationsstelle Arbeit, Demokratie und Geschlecht; Promotionsstipendiatin im interdisziplinären Promotionskolleg Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Organisation und Demokratie am FB 03 der Philipps-Universität Marburg

Homepage: http://www.gendanetz.de

E-Mail: tina.jung@staff.uni-marburg.de

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