Ursula Birsl (Hg.):
Rechtsextremismus und Gender.
Opladen: Verlag Barbara Budrich 2011.
337 Seiten, ISBN 978-3-86649-388-9, € 33,00
Abstract: Der breitflächigen Geschlechterblindheit innerhalb der bundesdeutschen Rechtsextremismusforschung setzt die Herausgeberin Ursula Birsl einen Sammelband entgegen, in dem sie bisher fragmentierte Ergebnisse feministischer Forschung, kritischer Männlichkeitsforschung und geschlechterreflektierter Praxis zusammenführt. Darüber hinaus wird weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt und die Bedeutung der Kategorie Gender hervorgehoben. Ohne deren konsequenten Einbezug bleiben rechtsextreme Phänomene nicht vollends analysierbar, so der grundsätzliche Tenor. Daraus ergeben sich reichhaltige Perspektiven auf Geschlechterkonstruktionen, Einstiegsprozesse und Einstellungspotentiale.
Die Herausgeberin leitet den Band mit einem Beitrag zur Geschichte der genderfokussierten Rechtsextremismusforschung in Deutschland ein und benennt drei zentrale Ereignisse in deren Entwicklung (S. 11–13): erstens die Wahlerfolge der männerdominierten Republikaner Ende der 1980er Jahre, zweitens die umfangreichen Untersuchungen Wilhelm Heitmeyers 1989 zu „rechtsextremistischen Orientierungen unter Jugendlichen“ und drittens einen Paradigmenwechsel in den Geschichtswissenschaften durch die Forschung zu Frauen als NS-Täterinnen. Dieser erweiterte den Fokus auf weibliche Opfer um den Blick auf Intersektionalitäten zwischen Privilegierung und Unterdrückung innerhalb einer weißen und patriarchalen Überhöhungsgemeinschaft, zu deren Stabilität Frauen einen konstitutiven Teil beitragen. Dementsprechend wurden seit Beginn der 1990er Jahre weibliche Karrieren in der Szene fokussiert, beginnend mit der Betrachtung von Einstiegsprozessen rechtsextremer Frauen. Mit einigen Jahren Verzögerung gerieten zusätzlich der Stellenwert sowie die Konstruktion von Männlichkeiten in den Blick. (Vgl. Möller, Kurt/Schuhmacher, Nils: Rechte Glatzen. Rechtsextreme Orientierungs- und Szenezusammenhänge – Einstiegs-, Verbleibs- und Ausstiegsprozesse von Skinheads. Wiesbaden: VS Verlag 2007; Claus, Robert/Lehnert, Esther/Müller, Yves: ‚Was ein rechter Mann ist …‘. Berlin: Karl-Dietz-Verlag 2010)
Dieser Entwicklung sind große Teile der bundesdeutschen Rechtsextremismusforschung jedoch kaum gefolgt. Die Kategorie Gender fristet nach wie vor ein Schattendasein und wird nur von wenigen, feministischen Forscher/-innen thematisiert. (Vgl. Tagung zum 10. Jahrestag des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus im September 2010 unter dem Titel Zwischen „Action“ und „Arterhaltung“. Feministische Analysen zur Bedeutung von Geschlecht in der extremen Rechten: www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Projekte/2010/Flyer_Werkstatttagung.pdf ) Mit dem vorliegenden Sammelband und seinen vielfältigen, geschlechtervergleichenden Analysen zielt Birsl auf die Schließung dieser Forschungslücke.
Mit dem Fokus auf genderrelevante Aspekte verbindet die Herausgeberin den Anspruch, Rechtsextremismus nicht als gesellschaftliches Randphänomen zu deuten, sondern seine Bestimmungselemente, wie Ideologien der Ungleichheit und Gewaltakzeptanz, im gesellschaftlichen Querschnitt zu lesen. Dieser Ansatz zieht sich durch den gesamten Band. Von Christoph Butterwegge wird er durch eine kritische Auseinandersetzung mit der vom Familienministerium wiederbelebten Extremismustheorie und ihrer totalitarismustheoretischen Genese ausgeführt. Diese zeuge in ihrer Gleichsetzung rechtsextremer Gewalt mit einer imaginierten linksextremen Bedrohung eher von rechtskonservativen Nationalismen sowie einem allzu starren Demokratieverständnis, als dass sie kritischer Wissenschaft entspringe, so der Autor (S. 39). Statt Extremismus formell über Systemkritik zu definieren, sollten menschenverachtende Ideologien aufgrund ihrer regressiven Distanz zu demokratischen Werten kritisiert und gesellschaftlich lokalisiert werden.
Spannend wird diese gesellschaftliche Verschränkung besonders im Beitrag von Renate Bitzan zu Weiblichkeitskonstruktionen extrem rechter Frauen. Sie stellt eine Pluralisierung zwischen dem „Klassiker“ (S. 116) der für Heim und Herd sorgenden Mutter und modernisierten Idealen bis hin zu einem „Nationalen Feminismus“ (S. 120) fest – und fragt, welche Feminismen gegen biologistische Anschlüsse von rechts gefeit seien. Hierbei verweist sie auf die Bedeutung eines konsequent herrschaftskritischen Ansatzes, welcher neben antirassistischen Positionen jegliche „Ausgrenzungsmechanismen im Blick behält“ (S. 125). Zugleich verdeutlichen die Beispiele, dass nicht nur regressivste Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte zu finden sind, sondern auch Emanzipationsbewegungen nicht ohne (stark verkürzte) Auswirkungen auf weit entfernte Felder bleiben. Darüber hinaus treten Fragen nach den Auswirkungen rechtsextrem ‚feministischer‘ Ansätze auf Geschlechterverhältnisse und Männlichkeiten in der Szene hervor, müssen an dieser Stelle jedoch aufgrund fehlender Forschung unbeantwortet bleiben.
Zwei Autoren beschäftigen sich explizit mit Männlichkeiten im Rechtsextremismus unter divergierenden Prämissen: Kurt Möller fasst interpersonales Gewalthandeln rechtsextremer Skinheads als Performanz einer marginalisierten Männlichkeit, der andere Formen der Machtausübung nicht zugänglich sind (S. 142). Jörn Hüttmann hingegen fokussiert die Konstruktion soldatischer Männlichkeit sowie deren Verunsicherung durch zivilere Ideale in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme als Exemplare hegemonialer, rechtsextremer Männlichkeiten. Er weitet somit den Blick, doch irritiert seine abschließend eingeführte Frage nach einem „spezifischen generativen Prinzip extrem rechter hegemonialer Männlichkeit“ (S. 162). Läuft dies nicht implizit Gefahr, Männlichkeit im Rechtsextremismus als gesellschaftlich isolierbares Phänomen zu entkontextualisieren? Letztlich bietet der Forschungsbereich reichlich Perspektiven zur theoretischen Diskussion und Konzeptionalisierung.
In einem größeren Textkorpus wird ein genderfokussiertes Re-Reading aktueller Studien präsentiert. Ursula Birsl untersucht ein geschlechterspezifisches Cluster unterschiedlicher Persönlichkeitsprofile der Studie Vom Rand zur Mitte (Decker, Oliver/Brähler, Elmar: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung 2006) nach Prädispositionen zu rechtsextremen Tendenzen. Abschließend stellt sie fest: Es sei kein Persönlichkeitstyp identifizierbar, der sich immun gegen rechtsextreme Einstellungen erweise, und zugleich gebe es keinen spezifisch rechtsextremen Lebenslauf. Allenfalls die Idealtypen „Misstrauische und Autoritäre“ auf Seiten der Frauen sowie „Selbstsichere und Autoritäre“ auf Seiten der Männer zeigten ein „hohes rechtsextremes Einstellungspotential“ (S. 179).
Gleichzeitig liegen die Unterschiede des Geschlechtervergleichs im Detail verborgen, was sich im Beitrag von Beate Küpper und Andreas Zick zum Konzept ‚Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘ sowie in den Untersuchungen von Bettina Westle über Demokratieorientierungen zeigt. Letztere hält zwar fest, dass die auffindbare Ost-West-Diskrepanz in der Demokratieorientierung markanter ist als der Geschlechtervergleich (S. 235), jedoch bleiben die Unterschiede in den Einstellungswerten signifikant bezüglich der qualitativ aufzuspürenden Motivation. Demzufolge tendieren Männer zur Abwertung von Gruppen, mit denen um Status konkurriert wird, wie z. B. Juden oder Homosexuellen, während Frauen ihre Zugehörigkeit zur dominanten Mehrheit eher durch z. B. rassistische Abgrenzungen nach unten absichern (S. 204).
Während sich in den Einstellungsmustern nur geringe Geschlechterunterschiede aufzeigen, sind Männer auf der Ebene organisierter (Partei-)Politik und vor allem im Bereich (gewaltförmiger) Straftaten deutlich überrepräsentiert. Letzteres erklärt Birsl durch die Übereinstimmung von Gewalthandeln mit hegemonialen Männlichkeitsnormen, wohingegen der Zusammenhang von Weiblichkeit und Gewalt bei Skingirls ungeklärt sei. Denn einerseits distanzierten sich Frauen vor allem dann von Rechtsextremismus, wenn „er in Zusammenhang mit direkter Gewalt steht“ (S. 249). Andererseits jedoch stellt die Autorin im Rückgriff auf frühere Ergebnisse Bitzans fünf Beteiligungsformen von Frauen an rechtsextremer Gewalt heraus (S. 255): Ausüben, Helfen, Schützen vor Strafverfolgung, Mitwissen und Anstiften.
Es bleibt abzuwarten, ob die Erkenntnisse für die politische, zivilgesellschaftliche und pädagogische Praxis nutzbar gemacht werden. Noch befindet sich geschlechterreflektierende Präventionsarbeit wie das demokratieorientierte, feministische Empowerment-Projekt „Lola für Lulu“ in der Modellphase. Dieses wird im abschließenden Text des Bandes evaluiert und eröffnet Perspektiven zur Stärkung (geschlechter-)demokratischer Strukturen, welche autoritaristische Unternehmungen von vornherein unterlaufen.
Indessen erfüllt der Band den von der Herausgeberin gesetzten Anspruch, sowohl bisher fragmentierte Ergebnisse produktiv zusammenzuführen als auch weiteren Forschungsbedarf abzustecken. Denn es ergibt sich eine Reihe von Forschungsperspektiven. So könnten Langzeitstudien vor biographietheoretischem Hintergrund mit Blick auf Intersektionalität erkenntnisgenerierend sein, was den Einfluss von Gender auf persönliche Karrieren in rechtsextremen Strukturen anbelangt. Darüber hinaus bietet die Vielzahl der heterogenen Beiträge einen breiten sowie fundierten Überblick über den Forschungsstand. Zugleich wird der Forderung nach konsequenter Einbeziehung von Gender als Analysekategorie gesellschaftlicher Machtverhältnisse in die Rechtsextremismusforschung der notwendige Nachdruck verliehen.
URN urn:nbn:de:0114-qn:983:1
Robert Claus
Humboldt-Universität zu Berlin
Der Autor studiert Europäische Ethnologie sowie Gender Studies und arbeitet bei Türkiyemspor Berlin. Veröffentlichung zusammen mit Esther Lehnert und Yves Müller (Hg.): „Was ein rechter Mann ist…“. Männlichkeiten im Rechtsextremismus. Berlin: Karl Dietz Verlag 2010.
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