Sandra Hedinger:
Frauen über Krieg und Frieden.
Frankfurt a. M.: Campus 2000.
262 Seiten, ISBN 3–593–36466–2, DM 49,80 / € 25,46
Abstract: Sandra Hedinger liest Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Hannah Arendt, Betty Reardon, Ann J. Tickner und Jean Bethke Elshtain auf Aussagen zum Geschlechterverhältnis, zu Kriegsursachen und zur Kriegsüberwindung. Dabei zeigt sie den engen Zusammenhang dieser Pole im Denken der behandelten Theoretikerinnen. Hedingers Buch ist eine überzeugende Aufforderung an die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Internationalen Beziehungen, den herkömmlichen, männlichen Textkorpus um bisher ignorierte Überlegungen und Autorinnen zu erweitern.
Die Monographie der Schweizer Politikwissenschaftlerin Sandra Hedinger „Frauen über Krieg und Frieden“ ist ein längst fälliger Beitrag zur Perspektiven- und Kanonerweiterung der Theoriegeschichte der Internationalen Beziehungen (IB). Dem bekannten, ausnahmslos von männlichen Autoren stammenden Textkorpus von Thukydides bis Morgenthau fügt Hedinger Texte von Frauen hinzu: Bertha von Suttner, Rosa Luxemburg, Hannah Arendt, Betty Reardon, Ann J. Tickner, Jean Bethke Elshtain. Die Lebensdaten dieser Autorinnen liegen zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und unserer Gegenwart: Reardon, Tickner und Elshtain sind aktive Teilnehmerinnen im aktuellen (feministischen) IB-Diskurs.
Obwohl Hedinger nicht den Anspruch erhebt, eine Einleitung in feministische Theorien vorzulegen, scheint sich ihr Buch zunächst auch als eine solche zu empfehlen. Denn bevor Hedinger die ausgewählten Theoretikerinnen vorstellt, kommt Grundlegendes zur Sprache: In Kapitel II werden unter dem Titel „Feminismus“ die Begriffe „Frauenbewegung“, „Feministische Theorie“, „feministische Wissenschaftskritik und -theorie“ besprochen; das dritte Kapitel widmet sich den Hauptströmungen der IB-Theoriebildung: Realismus und Idealismus. Schließlich geht Hedinger noch sehr knapp auf die Kritik ein, die von feministischer Seite an den geläufigen Theorien der internationalen Beziehungen geübt wurde.
Einige dieser Kategorisierungen und Definitionen hält die Autorin absichtlich sehr kurz, und deshalb fallen sie gelegentlich etwas unbefriedigend aus. So wird z. B. der Begriff „Differenz“ so vereinfacht dargestellt (S. 54), dass die mit dieser Thematik nicht vertrauten Leser/-innen kaum erahnen können, welchen Stellenwert dieser Begriff in der feministischen Diskussion einnimmt. Noch problematischer ist, dass Feminismus als politische Bewegung und Feminismus als wissenschaftliche Theorieströmung gleichgesetzt werden – eine Unzulässigkeit, die sich durch das ganze Buch zieht.
Bei der Analyse der Theoriebeiträge richtet Hedinger ihr Augenmerk auf mehrere Themen. Die ausgewählten Texte werden zum einen auf die ihnen zugrunde liegende Deutung des Geschlechterverhältnisses und zum anderen auf die in ihnen zum Ausdruck kommende Vorstellung zur Kriegsüberwindung untersucht. Ziel ist es, „herauszufinden, inwiefern das jeweilige Geschlechterverhältnis die Theorien über Krieg und Frieden beeinflusst“ (S. 44). Insbesondere arbeitet die Autorin die jeweilige „politische Gesinnung“ heraus. Darunter fasst sie das Menschenbild, das Gesellschaftsbild, das Bild vom Staat und das Verständnis des internationalen Systems. Hedinger geht davon aus, dass die „politische Gesinnung“ der Autorinnen maßgeblichen Einfluss hat auf die Vorstellung vom Geschlechterverhältnis und ebenso auf die Haltung zu Krieg und Kriegsüberwindung. Mehr noch als die Wahl des Ausdrucks „politische Gesinnung“ irritiert die Festlegung auf dieses Bündel von Überzeugungen als die bestimmende Variable. Wenn die „politische Gesinnung“ beides – sowohl die Vorstellung vom Geschlechterverhältnis als auch die Ideen zur Kriegsüberwindung – determiniert (S. 43, 54), dann scheint es hinfällig, den Einfluss dieser beiden Komponenten aufeinander zu untersuchen. Der Untersuchungsaufbau erscheint an dieser Stelle brüchig.
In der „Verknüpfung von Frieden und Geschlechtergleichheit“ (S. 244) liege der originär feministische Beitrag, mit dem die herkömmliche IB-Theorie bereichert werden soll. Hedinger macht geltend, dass alle von ihr vorgestellten Texte feministisch seien, weil das Geschlechterverhältnis mitbetrachtet werde. Dies trifft nicht zu für Hannah Arendt, die es Zeit ihres Lebens abgelehnt hat, sich selbst als Feministin zu verstehen oder das Geschlechterverhältnis zu thematisieren. Allerdings hat Arendt einige grundlegende konzeptionelle Überlegungen geliefert, die gegenwärtig von feministischen Theoretikerinnen aufgenommen werden, um zu einer Neu-Definition z. B. von Macht oder von Politik zu gelangen. Auch zwei der im Buch portraitierten Autorinnen (Reardon und insbesondere Elshtain) greifen explizit auf Denkfiguren von Arendt zurück. Insofern erscheint es durchaus gerechtfertigt, auch die „Ausnahme“ (S. 47) Arendt vorzustellen.
Hedinger nimmt – eventuell um den von ihr angestrebten Vergleich zu ermöglichen – den Aussagen mancher Theoretikerin die Schärfe und ebnet in der Gegenüberstellung manchen Unterschied ein. So wird nicht deutlich, dass Betty Reardons „war system“ für die gesamte auf Konkurrenz ausgelegte Gesellschaft steht (Reardon 1996, S. 10) und sich Reardons Gesellschaftsbild damit viel radikaler zeigt als ihr auf Erziehung setzender Lösungsversuch vermuten lässt. Während von Suttner sich nicht mit dem wissenschaftlichen Diskurs über Krieg und Frieden auseinander setzen konnte, weil ein solcher zu ihrer Zeit noch nicht bestand, hält sich Ann Tickner (1992) vollständig auf der Ebene des IB-Diskurses auf, und zwar in so ausschließlicher Weise, dass gelegentlich nicht mehr erkennbar ist, ob Ann Tickner spricht oder sie nur Stimmen des Diskurses wiedergibt. Jean Bethke Elshtain hingegen wechselt in ihrer wichtigsten einschlägigen Monographie Women and War zwischen Interpretationen ihres persönlichen Erlebens und Analysen der medialen und wissenschaftlichen Vermittlung von Kriegsgeschehen. Zum Teil stehen die unterschiedlichen Schwerpunkte der zeitgenössischen Theoretikerinnen in direktem Zusammenhang mit ihrer jeweiligen disziplinären Schulung. Reardon ist Pädagogin; Elshtain ist Politikwissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf politischer Philosophie; Tickners dominierender Hintergrund ist die US-amerikanische IB-Schule. Die unterschiedlichen Zugangsweisen erschweren meiner Meinung nach den Vergleich zwischen den Aussagen der Theoretikerinnen erheblich. Als methodisches Problem wird dies von Hedinger nicht weiter erörtert (vgl. S. 243).
Der Genuss der Lektüre ist immer wieder beeinträchtigt durch Gleichförmigkeit und Ungeschicklichkeit in Hedingers Sprache. Davon unberührt ist ihr Verdienst, die umfangreichen und vielschichtigen Werke bedeutender Denkerinnen in zugänglicher Weise präsentiert und sie – wo nötig – in den jeweiligen historischen Hintergrund eingebettet zu haben. So erfahren wir, dass die scharfsichtige Denkerin von Suttner keine andere Wahl hatte, als ihre Einsichten in Form eines Romans (Die Waffen nieder!) zu publizieren. Nur so konnte sie im Jahre 1889 eine große, internationale Leserschaft erreichen. Als Autorin eines Fachbuches hätte sie in ihrer Zeit kein Gehör gefunden. Was jedoch zum Ende des 19. Jahrhunderts ein geschicktes Mittel war, Vorurteile zu umgehen, bringt in der Gegenwart einen gegenteiligen Effekt hervor. Als Roman hat Bertha von Suttners Schrift heute wenig Chancen, von einer Wissenschaft wahrgenommen zu werden, die Systematik in der Argumentation und Nüchternheit in der Form verlangt.
Sandra Hedingers Zusammenstellung ist geeignet, die Qualität, Komplexität und Vielfalt historischer und zeitgenössischer Entwürfe sichtbar zu machen. Die Gralshüter des traditionellen, rein männlichen IB-Textkanons geraten damit in Erklärungsnot. Ihnen und allen anderen IB-Interessierten liegt nun ein handliches Hilfsmittel zur Hebung eines bislang völlig zu Unrecht vernachlässigten Theorieschatzes vor.
(Ein tabellarischer Überblick über die Aussagen der von Hedinger vorgestellten Theoretikerinnen ist über E-Mail von der Autorin der Rezension zu erhalten.)
Jean Bethke Elshtain (1987): Women and War. New York 1995. (The 1987 edition with a new epilogue.)
Betty A Reardon. (1985): Sexism and the War System. New York 1996.
J. Ann Tickner: Gender in International Relations. New York 1992.
Bertha von Suttner (1889): Die Waffen nieder! Berlin 1990.
URN urn:nbn:de:0114-qn023213
Dr. Ellen Krause
Institut für Politikwissenschaft, Universität Tübingen
E-Mail: ellen.krause@uni-tuebingen.de
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