Jürgen Lauffer, Renate Röllecke (Hg.):
Gender und Medien.
Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen.
München: kopaed 2011.
229 Seiten, ISBN 978-3-86736-257-3, € 16,00
Abstract: Wer auf Jungen geschlechterdifferenziert eingehen möchte, scheint sich damit abfinden zu müssen, dass man sie nicht mit allzu großen Infragestellungen des medial vermittelten, traditionellen Männerbilds konfrontieren darf. Das gilt sowohl in der Leseförderung, wo man fordert, ihnen endlich wieder ‚echte Helden‘ zu bieten, wie auch in der freien Jugendarbeit, wo man sie mit Angeboten von ‚harten‘ Identifikationsangeboten locken möchte. Das vorliegende Handbuch zeigt dieses Dilemma am Beispiel von Projekten aus der medienorientierten Praxis mit Jungen.
Mit dem Dieter Baacke Preis für medienpädagogische Projekte von und mit Kindern, Jugendlichen und Familien zeichnen die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (GMK) und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend alljährlich herausragende Medienprojekte der Bildungs-, Sozial- und Kulturarbeit aus. Als sechstes Handbuch zu diesem Preis ist der vorliegende Sammelband erschienen, in dessen zweitem Teil die Preisträger/-innen der Jahre 2009 und 2010 vorgestellt werden, die anhand eines vorgegebenen Fragenkatalogs jeweils über ihre Projekte berichten; ein dritter Teil enthält allgemeine Informationen zum Dieter Baacke Preis.
„Gender und Medien“ ist gemeinsames Thema der Beiträge des ersten Teils, in denen sich Fachleute aus Wissenschaft und Praxis mit geschlechtsbezogener Mediennutzung auseinandersetzen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Zusammenhang zwischen männlicher Sozialisation und Mediennutzung gelegt wird. Die Vorstellung von Praxisprojekten steht auch hier im Vordergrund.
Bei den drei theoretischen Beiträgen handelt es sich eher um Einführungen für Fachfremde als um Beiträge innerhalb einer wissenschaftlichen Diskussion. Der Titel des Bandes ließe hier mehr erwarten.
Angela Tillmann und Martina Schuegraf gehen in „Medienwelten der Geschlechter – verschiedene Zugänge und Perspektiven“ zunächst auf die Geschichte des Verhältnisses zwischen Frauen und Medien ein: Mit dem Gleichheitsansatz wurden Frauen nur als Opfer männlich bestimmter Medien dargestellt, der Differenzansatz griff dagegen schon die Frage auf, warum sich Frauen bestimmten Medienformaten (z. B. Soaps) zuwandten. Erst der dekonstruktivistische Ansatz in Folge von Judith Butler habe dagegen die Frage beantworten können, welche Rolle Medien im Identitätsbildungsprojekt der beiden Geschlechter spielen: Das zweigeschlechtliche System wird durch den performativen Prozess gerade in den Medien erst aufgebaut, die „Vergeschlechtlichung durch Medien“ (vgl. Andrea Seier: Remediatisierung. Die performative Konstruktion von Gender und Medien. Berlin: Lit-Verlag 2007), die Konstruktion von Körpern durch Medien, ist demnach ein grundlegender Prozess des Doing gender, nicht erst dessen Folge. Die Autorinnen kommen zum Schluss ihres Beitrags auf die Frage der Beurteilung von Pornographie zurück, die ja in der Geschichte der Frauenbewegung eine wichtige Rolle gespielt hatte (PorNo-Kampagne). Zusammen mit Sexualpädagog/-innen warnen sie vor einer Panikmache angesichts einer „Generation Porno“, die durch das Internet freien Zugang zu gewalthaltiger Pornographie habe.
Renate Luca, sicher eine der profiliertesten Vertreterinnen zum Thema geschlechterdifferenzierte Medienbetrachtung und frühere Mitarbeiterin des Mainzer Medienpädagogen Stefan Aufenanger, ist in ihrem Beitrag „Medienkompetenzförderung in Genderperspektive. Forschungsergebnisse und pädagogische Herausforderungen“ merkwürdig oberflächlich. Auf der Grundlage der KIM- und JIM-Studien („Kinder und Medien“ bzw. „Jugend, Information, (Multi-)Media“), die der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest seit 1998 jährlich vorlegt, hebt Luca hervor, dass das Mediennutzungsverhalten von Mädchen und Jungen sich immer mehr annähert (Ausnahme bleibe die Nutzung von Computerspielen, die unter Jungen verbreiteter sind). Andererseits gebe es vermehrt geschlechterdifferenzierende Projekte in der Medienpädagogik, und die Frage sei, ob diese monoedukativ oder koedukativ durchgeführt werden sollten. Beide Vorgehensweisen hätten ihre Berechtigung, vor allem in der Arbeit an der eigenen Identität seien reine Mädchen- oder Jungengruppen aber vorzuziehen.
In „Jungen im Prozess der Selbstfindung. Zur Kontingenz der Geschlechterrollen und Geschlechterrealitäten“ kommt Dagmar Hoffmann endlich zum eigentlichen Thema des Bands, nämlich zu den Jungen. Sie stellt die besonderen Herausforderungen der männlichen Jugendlichen dar, die zwar mit gleichberechtigten und differenzierten Männlichkeitsentwürfen in der Realität konfrontiert würden, gleichzeitig aber auch konservative und eindeutigere Männlichkeiten in den Medien suchten, da diese erfolgversprechendere Rollenmodelle vorleben.
Mit diesem Befund hat sich die Medienarbeit mit Jungen in der Praxis auseinanderzusetzen: In den 1990er Jahren hatte sich die Pädagogik vor allem an die Mädchen gewandt, um ihnen medientechnisches Wissen zu vermitteln, mit dem sie mit den Jungen mithalten konnten, oder um ihnen deutlich zu machen, wo Medien ihnen falsche Rollenmuster vermitteln wollen. Projekte, die sich speziell an Jungen wenden, gibt es bis heute noch zu wenige, hier geht es eben nicht nur um ein einfaches ‚Aufholen‘ oder ‚Emanzipieren von Klischees‘. Dies machen die Projekte dieses Bandes deutlich: Jungen werden in ihrer Medienrezeption ernstgenommen, auch wenn diese vordergründig Rollenmuster verstärkt, statt dass ihnen ihre Helden madig gemacht werden oder ihnen der Videospielkonsum oder die pornographischen Internetseiten verboten werden.
Reinhard Winter berichtet denn auch von einem praxisorientierten Projekt, das „Jungen und ihre Fernseh-Helden“ untersucht. Dabei handelt es sich eher um jüngere Untersuchungsteilnehmer von sechs bis zwölf Jahren, die sich stark mit den von Winter so genannten „Unten-durch-Helden“, den „lustigen Losern“ identifizieren, wie sie z. B. Bart Simpson oder Sponge Bob repräsentieren. Diese Helden erlaubten es den Zuschauern, sich als aktiv Handelnde wahrgenommen zu fühlen, und zugleich würden Probleme angesprochen, ohne dass sich die Jungen überfordert zu fühlen bräuchten. Auch der Umgang mit dem eigenen Körper kann nur dann thematisiert werden, wenn den Jungen ihre Männlichkeitsideale nicht ausgeredet werden. Martin Geisler und Gerrit Neundorf führen „Pädagogische Konzepte im Kontext männlicher Videospieler“ vor: Im Dresdner Projekt „RealLife / Jumper“ werden motorische Umsetzungen von Videospielerfahrungen in Bewegungsdisziplinen wie dem Parkourtraining angeboten; hier können sich männliche Jugendliche als ‚Traceure‘ körperlich mit anderen messen, ohne mit ihnen in direkte Konkurrenz zu treten.
Eine ähnliche Verknüpfung von Körpererfahrung und Mediennutzung versucht Dagmar Beinzger (unter Mitarbeit von Alexander Schäpe) in der Arbeit mit Jungen mit Lernschwächen: Ausgehend vom Ansatz der „Lebensweltorientierung“ (nach Hans Thiersch) werden hier Medien als Mittel eingesetzt, die eigenen Bewältigungsstrategien von Jugendlichen konstruktiv aufzugreifen. Im Fokus stehe dabei die „Erprobung und Entwicklung neuer weniger problematischer Strategien, mit der Intention, den Jugendlichen einen gelingenderen Alltag“ (S. 73) zu ermöglichen. Medien können hier unterstützend wirken, etwa, wenn mit ihnen eigenes Körperverhalten dokumentiert oder neue Körpererfahrungen nachgeahmt werden können. Etwas beliebig ist dagegen das Projekt von Sebastian Ring, der Medien für ein „gelingendes Heranwachsen“ (S. 59) verwenden will: Hier setzen sich Jungen mit ihren „verschiedenen Gesichtern“ und ihren Schönheitsidealen auseinander und untersuchen, wie sie ihre Körper als Zeichen für die Umwelt einsetzen. Unklar bleibt, wie sich der Umgang mit dem eigenen Körper bei Jungen geschlechtsspezifisch deuten ließe.
Wer Jugendliche selbst zu Wort kommen lassen will, muss sich auch tabuisierten Themen annähern. Andreas von Hören arbeitet im „Medienprojekt Wuppertal“, das sich mittlerweile durch eine Reihe von anspruchsvollen Dokumentarfilmen einen Namen gemacht hat (vgl. www.medienprojekt-wuppertal.de). Dabei werden sowohl sexualpädagogische Themen (Pornographie, schwul-lesbische Erfahrungen, behinderte Liebe) als auch Themen wie Gewalt, Computerspiele oder Rechtsradikalismus teilweise in geschlechtergetrennten Gruppen erarbeitet. Von Hören thematisiert auch ein wichtiges Problem in der Arbeit mit Jungen: Gerade wenn die für viele Jungen beliebten Musikclips in Anlehnung an die Hip-Hop-Szene produziert werden, so ist eine bedingungslose Unterstützung durch die pädagogischen Betreuer manchmal eine schwierige Herausforderung, spiegeln diese Musikvideos doch oft rückwärtsgewandte Bilder von Frauen und Gewalt, die von den älteren Pädagogen abgelehnt werden.
Außerhalb des eigentlichen inhaltlichen Schwerpunkts werden einige weitere Themen aufgenommen, auf eher traditionelle Konzepte der Medienarbeit greift Josef Hofman mit dem Projekt „Viva Diva – Fernsehen von und für Mädchen“ zurück, diese sollen zum einen technische Kompetenzen entwickeln, zum anderen Zukunftsbilder verfilmen. Im Beitrag zu „Cyberbullying – ist doch nur Spaß“ legen Markus Gerstmann und Holger Hülsemann Gründe und Folgen von Mobbing-Konflikten im Schulalltag dar und stellen den No-Blame-Approuch-Ansatz als Lösungsversuch vor. Leider wird hier nicht wirklich der Bezug zum Thema Gechlechterdifferenzierung deutlich, obwohl gerade dieses Thema interessante Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen deutlich machen könnte.
Der zweite Teil des Buches kommt (mit einem Umfang von immerhin 100 Seiten) natürlich etwas vom Thema der Genderorientierung ab, handelt es sich doch um die Vorstellung der jeweils acht in den Jahren 2009 und 2010 prämierten Projekte für den Dieter Baacke Preis. Hier findet sich so Unterschiedliches wie ein Audio-Tour für Senioren und Kinder aus der Pädagogischen Hochschule Freiburg, eine Auseinandersetzung von ukrainischen und deutschen Jugendlichen mit der Bukovina, ein Internet- und Filmprojekt mit verschiedenen Jugendstrafanstalten in Nordrhein-Westfalen, ein Projekt zur Förderung der Sprachkompetenz von Migrantenkindern aus Nürnberg etc.
Wer ganz neue Anregungen für die geschlechterdifferenzierende Arbeit mit Jungen erwartet hat, wird von dem Band enttäuscht: Die theoretischen Beiträge bieten nicht mehr als eine historische Verortung der aktuellen Debatte. Die Praxis-Projekte zeigen dagegen, was heute real schon ausprobiert wird, ohne dass diese Erfahrungen aber theoretisch weiter reflektiert würden. Wären Theorie und Praxis in diesem Band besser verzahnt, so wäre man vielleicht der Frage näher gekommen, ob in der Medienarbeit für Jungen wirklich immer der gesellschaftlichen Status quo akzeptiert werden muss, um die Jungen überhaupt zu erreichen. Die meisten der dargestellten Projekte scheinen immer noch davon auszugehen, dass man dulden muss, dass Jungen es ‚hart‘ mögen.
Annette Kliewer
Johannes-Gutenberg-Universität Mainz; Gymnasium im Alfred-Grosser-Schulzentrum
Privatdozentin am Deutschen Institut; Oberstudienrätin am Gymnasium im Alfred-Grosser-Schulzentrum Bad Bergzabern
E-Mail: annette.kliewer@neuf.fr
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