Norbert Ricken, Nicole Balzer (Hg.):
Judith Butler: Pädagogische Lektüren.
Wiesbaden: Springer VS 2012.
413 Seiten, ISBN 978-3-531-16613-1, € 39,95
Abstract: Ausgehend von Judith Butlers subjekt- und gesellschaftstheoretischen Interventionen beleuchten die Autor/-innen des erziehungswissenschaftlich orientierten Sammelbandes unterschiedliche Verhältnisse von Bildung und Geschlecht. In dem klar strukturierten Buch berücksichtigen sie dabei sowohl allgemeine Verflechtungsbeziehungen, theoretische Zusammenhänge als auch empirische Studien und interdiskursive Lektüren. Der solchermaßen umfassend herausgearbeitete Einblick in das erziehungswissenschaftliche Potential von Judith Butlers Theorie rahmt ihren hier erstmalig veröffentlichten Aufsatz „Gender and Education“ überzeugend ein.
Die Beziehungen zwischen Bildung und Geschlecht sind sowohl in diachroner als auch in synchroner Perspektive als wechselvoll zu bezeichnen. Naturalisierende Vorstellungen über den Zusammenhang von Bildung und Geschlecht bilden dabei mit Sicherheit einen Kristallisationspunkt dieser Verflechtungen, was sich sowohl in der Geschichte wie in der Gegenwart darin zeigt, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht den Zugang zu Bildung entscheidend beeinflusst. Ob Entwicklungshilfe oder Pisa-Studie – immer wieder wird deutlich, dass Geschlecht zu einem bedeutenden Teil über die Ausbildungsmöglichkeiten von Individuen bestimmt. Die Frage nach den unterschiedlichen Zugängen zu Bildung ist daher nach wie vor politisch relevant. Um naturalisierenden Fallstricken zu entgehen, setzen sich die Autor/-innen im vorliegenden Sammelband aus dekonstruierender Perspektive mit den gesellschaftlichen Verflechtungen von Bildungsbegriffen und -modellen auseinander und knüpfen dabei an die theoretischen Arbeiten Judith Butlers an. Wie im Vorwort durch die Herausgeber/-innen dargestellt, wird durch diese Vorgehensweise gleichzeitig deutlich, wie und in welchem Maße die Paradigmengeschichte der Erziehungswissenschaft durch übergreifende disziplinäre Bündnisse gekennzeichnet ist und welche Potentiale, aber auch Probleme diese vielseitigen Verknüpfungen mit sich bringen.
In ihrem Aufsatz „Gender and Education“ (S. 15) thematisiert zunächst Butler selbst die Zusammenhänge zwischen Anerkennung, Bildung, Geschlecht und Verletzlichkeit. Hierbei rückt sie den Status des anerkannten Subjekts in das Zentrum ihres Interesses; dessen Selbstentwurf biete und garantiere ihm den Anspruch auf Zugang zu Schutz. Mit dieser Fokussierung auf die anerkennungstheoretischen Elemente von Bildung im Kontext von Gender wendet sie sich von identitätslogischen Argumentationen ab und gibt differenzlogischen Weisen des Verstehens den Vorrang. Sie richtet daher ihr Augenmerk weniger auf die Frage des ungleichen Zugangs zu Bildung oder auf die Vereinnahmung geschlechtskritischen Wissens innerhalb des Bildungssystems, obwohl sie in dem Aufsatz auch über Möglichkeiten des Widerstands dagegen nachdenkt. Vielmehr stellt sie dar, dass gerade die Frage nach dem realisierten Geschlecht entscheidend für die Möglichkeiten ist, die einem Menschen zum Schutze seiner Person und Unversehrtheit zur Verfügung stehen. Das realisierte Geschlecht denkt sie dabei in einer engen Verbindung mit dem Selbstentwurf des Individuums, welches zu einem bedeutenden Teil durch das Bildungssystem beeinflusst wird. In der Diskussion darum, wie Geschlecht und Bildung hier zusammenhängen, arbeitet sie heraus, dass zwischen der Frage, wie Geschlecht gelehrt wird und wie Individuen sich Geschlecht aneignen, unterschieden werden muss.
Butler macht darauf aufmerksam, dass das Feld zwischen Bildung und Geschlecht von einer weiteren Differenz durchzogen ist – der Übersetzung. Indem sie hier explizit auch die ontologischen Dimensionen des Übersetzens einschließt, thematisiert sie den bedeutungsvollen Sachverhalt, dass konfligierende Gendernormen inkorporiert werden (können), wenn Individuen interkulturell oder interlingual (diese beiden Bereiche durchdringen sich für Butler) aufwachsen. Anschließend wird der solchermaßen umrissene Zusammenhang zwischen existentiellen Dimensionen menschlichen Lebens und sozialer Verfasstheit von Individuen im Zusammenhang mit der Rolle des Bildungssystems und den Möglichkeiten von Kritik befragt.
Kerstin Jergus liegt es in ihrem den einleitenden Teil abschließenden Aufsatz: „Politiken der Identität und der Differenz. Rezeptionslinien Judith Butlers im erziehungswissenschaftlichen Terrain“ daran, die in ihren Augen bruchstückhaften Rezeptionen Butlers in der Erziehungswissenschaft stärker zu konturieren. Mit ihren Bezugnahmen auf vielfältige Anschlussmöglichkeiten für Butlers Heteronormativitätskritik innerhalb des erziehungswissenschaftlichen Feldes, wie etwa der Mädchen- und Jungenarbeit (vgl. S. 32), Barbara Schützes Kritik am Neo-Essentialismus im Umgang mit Transsexualität (vgl. S. 33) oder der von Gesa Heinrich geprägten Terminologie der „postfeministischen Bildungstheorie“ (S. 33), gelingt es ihr, die Theorie Butlers erziehungswissenschaftlich zu situieren. Daran anschließend macht Jergus deutlich, inwiefern Butlers Konzept der Resignifikation dazu beiträgt, bisher demarkierte Zusammenhänge von Bildung und Geschlecht zu beleuchten.
Anders als strukturalistische Theorien zeichnet Butlers Theoriewerk eine gewisse Zerstreutheit aus. Dies führt auch dazu, dass etwa Begriffe wie Subjekt, Geschlecht, Performativität im Zusammenhang mit ihrem Namen mittlerweile weit bekannt sind, während Begriffe wie Grenze, Menschliches oder gar Leben ein weniger berühmtes Dasein fristen. Dennoch zeigt die Lektüre ihrer frühen Arbeiten wie Doing Gender (dt.: Das Unbehagen der Geschlechter) oder Bodies that matter (dt.: Körper von Gewicht), dass Butler alle Begriffe zusammenspielen lässt. Das bedeutet jedoch mitnichten, dass jedem Begriff ein unverrückbarer Ort in Butlers Theorie zukommt; vielmehr konturieren sich die Begriffe häufig gegenseitig, hängen voneinander ab oder bedingen einander gar. Dass dies nicht zu der Fehlannahme führen sollte, dass die Begriffe kaum Aussage- oder Forschungskraft besitzen, zeigen die sorgfältigen Rekonstruktionen, welche im Abschnitt „Einsichten. Grundbegriffliche Lektüren“ vorgenommen werden. So zeichnet Markus Rieger-Ladich in seinem Aufsatz: „Judith Butlers Rede von Subjektivierung. Kleine Fallstudie zur ‚Arbeit am Begriff‘“ die Herausbildung des Begriffes der Subjektivation in Butlers Arbeit nach. Er bemüht sich darum aufzuzeigen, dass Begriffsbildung immer von diskursiven Korrekturen und kontextuellen Einsätzen geprägt ist. Zum anderen bringt er Giorgio Agambens Arbeit am Begriff des Dispositivs ins Spiel, um auf eine „übersehene Theorieofferte“ (S. 69) aufmerksam zu machen.
Ähnlich dicht am Text arbeiten Nadine Rose und Hans-Christoph Koller und verdeutlichen an den Begriffen der Interpellation, des Diskurses und der Performativität, welche Weiterentwicklungen der Machtbegriff durch Butlers Althusser-Rezeption erfährt. Mit dem Konzept des Widerstands beschäftigen sich Nicole Balzer und Katherina Ludewig. Sie skizzieren zunächst Butlers Subjekttheorie und verknüpfen diese anschließend mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit. Dazu extrahieren sie die unterschiedlichen Erscheinungsweisen des Begriffs des Widerstands in Judith Butlers Texten und rekonstruieren diesen als eine innere Haltung des Individuums, „die Bedingungen des (eigenen) Seins als kontingent ein[zu]sehen“ (S. 117). Und auch Paul Mecheril und Melanie Plößer erarbeiten den Begriff der Identität sehr textnah, wenn sie an Butlers Reformulierungen von Iteration und Melancholie anknüpfen, um ihm zu neuer Sichtbarkeit zu verhelfen. Insofern liegen allen Aufsätzen sorgfältige Butler-Lektüren zugrunde, welche dazu beitragen, dass Butlers Begrifflichkeiten verständlich und damit interdisziplinär anschlussfähig werden. Dabei geraten leider gelegentlich eigene Thesen der Autor/-innen aufgrund der langwierigen Theorieimporte ins Hintertreffen. Beispielsweise diskutiert Rieger-Ladich zwar den Begriff der Subjektivation, setzt sich aber gleichzeitig nicht damit auseinander, welche mögliche Stellung das Dispositiv in Butlers Theorie darstellt, noch belegt er die Möglichkeiten genauer, die sich aus einer Zusammenführung von Subjektivation und Dispositiv ergeben. So bleibt es in dem Aufsatz bei einem knappen Überblick über die Perspektiven, die sich für die Erziehungswissenschaft ergeben, wenn sie Subjektivierungspraktiken als aus „disparaten Elementen“ (S. 70) zusammengesetzt verstehen.
Anders verfährt Jutta Hartmann, welche Butlers Theorieansätze nicht umständlich einführt, sondern voraussetzt und den Begriff des Geschlechts innerhalb dieser situiert. Davon profitiert ihr Text „Improvisation im Rahmen des Zwangs. Gendertheoretische Herausforderungen der Schriften Judith Butlers für pädagogische Theorie und Praxis“ doppelt, indem die Autorin einerseits ein relationales Verständnis der unterschiedlichen Begriffe wie Sexualität, Begehren oder Heteronormativität erarbeitet und andererseits von Beginn an mit Butler argumentieren kann. Hartmann stellt so überzeugend dar, inwiefern Butlers theoretische Anstrengungen, „bislang Unartikulierbares formulierbar“ (S. 172) zu machen, als Grundlage für ein neues Bildungsverständnis, das „in einem weiteren Sinne als Ermöglichung eines Widerstreits“ (ebd.) gedacht wird, dienen können, wenn Pädagogik auch als ein Raum der Verhandlung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit verstanden wird.
Die in dem zweiten Teil „Ansichten. Empirische Lektüren“ dargelegten Einblicke in erziehungswissenschaftliche Studien stellen neben den genauen Analysen und Rekonstruktionen der theoretischen Begriffe Butlers einen weiteren Höhepunkt des Sammelbandes dar. Die Autor/-innen suchen einerseits nach Möglichkeiten, die methodischen Lücken von Butlers Theorie zu füllen, und reflektieren andererseits methodologische Reformulierungen. Bettina Fritzsche zeigt anhand ethnographischer Studien, welche bedeutende Rolle heteronormative Aushandlungen und Auseinandersetzungen für Kinder und Jugendliche spielen, und macht deutlich, dass hierbei sowohl manifeste als auch latente und phantasmatische Elemente vorkommen. Sie unterstreicht damit das Gewicht der Theorie Butlers für die Ausarbeitung eines „sensibilisierende[n] Theoriehintergrund[s] für empirische Rekonstruktionen des Heranwachsens von Kindern und Jugendlichen“ (S. 195) und dringt im gleichen Atemzug auf eine stärkere Rezeption dieser Theorie in den Erziehungswissenschaften.
Auch eine Studie aus dem Zweig der Kleinkindpädagogik hat Eingang in den sich ansonsten mit dem Schulbereich auseinandersetzenden empirischen Teil gefunden. Kerstin Jergus, Ira Schumann und Christiane Thompson beschäftigen sich, ausgehend von Selbstdarstellungen aus dem KiTa-Bereich, mit performativen Konstruktionsweisen von Autorität und Autorisierung. Sie können zeigen, dass die Erzieher/-innen konfligierenden Anrufungen ausgesetzt sind, welche nicht zuletzt aus der „Umkämpftheit und Unabgeschlossenheit des pädagogischen Terrains bezüglich der Geltung und Gründung von Autoritäten“ (S. 222) resultieren. In diesem Text zeigt sich en détail, wie dekonstruierende Verfahren dazu beitragen können, einen kritischen und widerständigen Anspruch in der Pädagogik umzusetzen, der weniger auf Aufklärung setzt als vielmehr auf Veränderung der Bedingungen, unter denen pädagogisch gehandelt wird.
Im dritten Teil „Aussichten: Interdiskursive Lektüren“ sind schließlich interdisziplinäre Auseinandersetzungen mit Butlers Theorie im bundesrepublikanischen Raum enthalten. Die Leser/-innen, welchen die grundbegrifflichen Erarbeitungen im Sammelband zu bruchlos und textnah erschienen sind, finden in diesem Abschnitt kritische Auseinandersetzungen mit Butlers theoretischen Implikationen. Allen voran stehen in diesem Kontext Jessica Benjamins Analyse „Intersubjectivity, Recognition and the Third. A Comment on Judith Butler“ und Burkhard Liebschs Beitrag „Grenzen der Lebbarkeit eines sozialen Lebens. Anerkennung und sozialer Tod in der Philosophie Judith Butlers“. Benjamin schließt in ihrem Text an eine bis in die 1990er Jahre zurückreichende Kontroverse an, die sich zwischen ihr und Butler um die Frage der Anerkennung im Kontext des Verhältnisses von Psychotherapie und kritischer Gesellschaftstheorie entsponnen hat, und führt diese mit Verweisen auf Butlers aktuelle theoretische Äußerungen beispielsweise in Undoing Gender (dt.: Die Macht der Geschlechternormen) fort. Liebschs Beitrag enthält demgegenüber weniger theoretischen ‚Zündstoff‘. Seine kritische Lektüre der Texte Butlers führt aber ex negativo dazu, dass sich Butlers Beitrag zu der politikwissenschaftlichen Frage, in welchem Maße Normen und (fehlende) Anerkennung Schauplätze des (auch sozialen) Todes eines Menschen konstituieren, umso besser erfassen lässt. Die Frage der – wie Hans-Uwe Rösner seinen die Heilpädagogik fokussierenden Beitrag überschreibt – „[a]uf’s Spiel gesetzte[n] Anerkennung“ (S. 373) beschäftigt auch Carsten Bünger und Felix Trautmann. Sie plädieren im Kontext der politischen Bildung für die Entwicklung pädagogischer Strategien zur Verschiebung der „Grenzen der Wahrnehmbarkeit“ (S. 411).
Dass Butlers Beiträge damit für die Theorie der Erziehungswissenschaft äußerst gewinnbringend sind, verdeutlichen schließlich Norbert Ricken und Alfred Schäfer in ihren Texten. Während Ricken den klassischen Bildsamkeitsdiskurs scharf für seine dichotomen Kategorien kritisiert und gleichzeitig Verletzbarkeit und Macht als heuristisch wertvolle Kategorien einführt, verdeutlicht Schäfer, „dass, wer für den Signifikanten der Erziehung streiten will, zugleich gegen seine identifizierende, begründende, praktische Schließung streiten muss“ (S. 355); damit tritt sie sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene des pädagogischen Raums für die Ermöglichung widerständiger Handlungen, „für Gesten der Entunterwerfung, der kritischen Haltung, Möglichkeiten des Wahr-Sprechens“ (S. 371) ein.
Aus dem vorliegenden Sammelband wird deutlich, dass Butlers Programm, die gesellschaftlichen Bedingungen und Dynamiken von Geschlecht und Vergeschlechtlichung zu hinterfragen, auch in den Erziehungswissenschaften ein breites Echo hervorgerufen hat und die Wissenschaftler/-innen sich dabei textgenau, aber auch kontrovers über einzelne Aspekte dieser theoretischen und methodologischen Entscheidung verständigen. Dies wird sowohl durch die qualitativ hochwertigen Aufsätze unterstrichen, in welchen die Grundbegriffe der Butler’schen Theorie anschlussfähig erläutert werden, als auch durch die Darstellung der innovativen empirischen Studien. Die Einteilung der Aufsätze in divers fokussierende Teilbereiche und die konkrete Anordnung der Texte unterstützen Verständlichkeit und machen deutlich, dass das dargestellte Wissen selbst auch hinterfragt werden kann und muss. In diesem Zusammenhang beeindruckt besonders der erwähnte Aufsatz von Kerstin Jergus, in welchem sie nicht nur eine Fülle von diskursiven Textverweisen aufbietet, sondern auch die vorausgegangenen Beiträge kontextualisiert und gleichzeitig eine Brücke zu den anschließenden spezifischeren Auseinandersetzungen mit Butlers Theorie schlägt.
Es zeichnet den Sammelband zudem aus, dass er nicht nur einführendes Wissen präsentiert, sondern dass darüber hinaus richtungsweisende Impulse gerade auch für Auseinandersetzungen über die diskursiven Grenzen der Erziehungswissenschaften hinaus gesetzt werden. Dazu tragen neben den Aufsätzen im Abschnitt „Interdiskursive Lektüren“ mit Sicherheit auch Butlers eigene Reflektionen in „Gender and Education“ bei. Ihr Text steht zugleich in einer engen theoretischen Austauschbeziehung mit allen Texten des Sammelbandes, wenn sie in ihm fordert, dass die Pädagogik das Subjekt als eines denken muss, dass von unterschiedlichen Formen der Bildung konstituiert und damit auch durchzogen ist, gleichzeitig aber dazu befähigt werden kann (und muss), Einblick in diese nicht vollständig transparenten Prozesse seiner Konstitution zu erlangen sowie eine kritische Haltung diesen gegenüber einzunehmen. In Anschluss an ihre Arbeiten mit Gayatri Chakravorty Spivak hebt Butler damit auf ein Verständnis des Individuums ab, in welchem dieses nicht unabhängig von den Bildungsprozessen, welche es durchläuft (oder gerade nicht durchläuft), gedacht werden kann. Sie macht damit auch klar, dass es das Individuum selbst ist bzw. unsere Vorstellung von ihm, das in Bildungsprozessen auf dem Spiel steht.
Diese scharf umrissene Denkrichtung nehmen die Autor/-innen des Bandes immer wieder auf und machen sie zu einem Ankerpunkt ihrer theoretischen und empirischen Forschungen. Gerade in letzteren gelingt es vorbildlich, Butlers Begrifflichkeiten konkret auf zentrale Fragestellungen der jeweiligen Disziplinen auszuweiten und anzuwenden. Über die umsichtigen Darstellungen des Forschungsgegenstandes hinaus verlieren die Autor/-innen nie die Verschiebungen aus dem Blick, die sich auf Ebene der Forschungs- und Interpretationsperspektive durch die Butler’schen Theorieimporte ergeben, und reflektieren explizit auf die herausgearbeiteten neuen Kontexte und Erscheinungsweisen von vergeschlechtlichten Bildungsprozessen. Sie machen damit auf hohem wissenschaftlichem Niveau deutlich, welche alternativen Sichtweisen Butlers Theorie ermöglicht und welche Chancen sie damit zugleich für eine Neujustierung des Bildungsbegriffs birgt.
Nicht zuletzt ist dem Sammelband darum eine große Leser/-innenschaft zu wünschen, weil sich die Aufsätze über die Verflechtungen und Kontexte von Bildung und Geschlecht hinweg für eine kritische Erziehungswissenschaft aussprechen, welche Bildung programmatisch als Moment der individuellen Befähigung zu Widerstand einsetzt. Auch wenn offen bleibt, ob die theoretisch voraussetzungsvollen Gedankengänge Butlers ihr volles Potential im pädagogischen Raum entfalten können, bietet der Sammelband eine ausgezeichnete wissenschaftliche Grundlage dafür, sich der Pädagogik aus dekonstruierender Perspektive zu nähern.
Sahra Dornick
Universität Potsdam
M.A. Soziologie/Germanistik; Promovendin am Institut für Germanistik, Neuere deutsche Literatur des 19./20. Jh.; Graduiertencolloquium des Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIFG)
Homepage: http://www.zifg.tu-berlin.de/menue/forschung/graduiertenkolleg/
E-Mail: sahra.dornick@googlemail.com
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