Franziska Bergmann, Franziska Schößler, Bettina Schreck (Hg.):
Gender Studies.
Bielefeld: transcript Verlag 2012.
315 Seiten, ISBN: 978-3-8376-1432-9, € 24,80
Abstract: In Form eines Readers führen die Herausgeberinnen in einflussreiche Theorien, Schlüsselbegriffe und Texte der Gender Studies ein. Dabei sollen explizit Kanonisierungstendenzen dargestellt werden, wie sie sich an deutschen Universitäten entwickelt haben, und diese durch bedeutende Texte aus den USA ergänzt werden. So ist eine spannende Textauswahl entstanden; Theorien und Begriffe werden verständlich erläutert. Kritische Fragen nach Ausschlüssen von Ansätzen oder Texten durch Kanonisierung sowie nach der strukturellen Bedeutung von Inter- bzw. Transdisziplinarität für die Gender Studies werden jedoch leider nicht gestellt.
Das Studienfach Gender Studies ist an deutschen Universitäten noch relativ jung. In Form eines Readers wollen die Herausgeberinnen, die alle drei aus den Literaturwissenschaften kommen, Studierenden der Gender Studies einen guten Einstieg ins Studium ermöglichen. Er besteht aus drei Teilen: „Bürgerliche Geschlechterhierarchie und emanzipative Ansätze“, „Gender und Queer Studies“ sowie „(Inter-)Disziplinäre Anschlüsse“. Jeder Abschnitt enthält eine von den Herausgeberinnen verfasste Einführung und fünf Schlüsseltexte (bzw. Textauszüge). Begleitet wird jeder Schlüsseltext von kurzen biographischen Angaben zu den Autor_innen und von weiterführender Literatur.
Beim Lesen des Readers haben sich für mich folgende Fragen ergeben: Inwiefern befassen sich die Herausgeberinnen mit den in den Gender Studies diskutierten Problemen der Ausschlüsse durch Kanonbildung? Wie ist Gender-Wissen in dem Reader strukturiert und wie wird Inter- bzw. Transdisziplinarität thematisiert? Schließlich wird es um die Frage gehen, für wen diese Einführung geschrieben ist.
Eine Einführung in die Gender Studies zu verfassen ist keine leichte Aufgabe. Eine kritische Auseinandersetzung mit Kanonisierung und anderen Mechanismen, die wissenschaftliche Disziplinen ausmachen, ist für viele Wissenschaftler_innen der Gender Studies ein Anliegen. Das wird z. B. in dem 2005 im VS Verlag Wiesbaden erschienenen Sammelband Quer denken – Strukturen verändern. Gender Studies zwischen den Disziplinen von Heike Kahlert, Barbara Thiessen und Ines Weller deutlich. Neben der Thematik der Inter- bzw. Transdisziplinarität der Gender Studies wird hier auch die Frage nach der (Re-)Produktion von Ausschlüssen durch das Festlegen von Leselisten für Prüfungen oder Textauswahl in Handbüchern bzw. Seminarreadern gestellt.
Es geht also auch um die kritische Frage, was ‚Gender Studies‘ als Disziplin ausmacht und inwiefern eine Institutionalisierung als wissenschaftliche Disziplin (notwendigerweise) Ausschlüsse produziert. Eine Einführung greift auf die Vorteile von Kanonisierung zurück. Jenen, die gerade anfangen, sich mit einem Forschungsgebiet auseinanderzusetzen, soll eine Orientierungshilfe gegeben werden. Das ist durchaus legitim, schließlich wäre es eigentümlich anzunehmen, in den Gender Studies gäbe es so etwas wie Kanonisierungstendenzen, Schlüsseltexte, einflussreiche Theoriestränge nicht (vgl. Sabine Hark im oben genannten Sammelband; zum Zusammenhang von Orientierung und Kanonisierung vgl. außerdem Susanne Baer ebd.). Gleichzeitig stehen Gender Studies aber für ein kritisches Hinterfragen und Analysieren von Machtverhältnissen nicht nur in Bezug auf Geschlecht; das wird hier sozusagen zum Programm erklärt. Da liegt eine Problematisierung der Ausschlussmechanismen, wie sie durch das Abbilden eines Kanons in einer Einführung entstehen, nahe.
Wie gehen nun die Herausgeberinnen mit diesem Spannungsfeld um? Gelingt es ihnen, das (selbst-)kritische Potential der Gender Studies in Bezug auf ihre Mechanismen als wissenschaftliche Disziplin aufzunehmen? Eine Reflexion auf die Spannung zwischen Orientierung und Ausschluss, also auf das, was eine Einführung in die Gender Studies nicht umgehen, aber auch nicht auflösen kann, wäre für Studierende der Gender Studies ein wertvoller und notwendiger Baustein. Im Vorwort formulieren die Herausgeberinnen: „Der vorliegende Band stellt zentrale Texte der feministischen Theorie und der Gender Studies zusammen und folgt mit seiner Auswahl weitgehend denjenigen Kanonisierungstendenzen, die sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben, berücksichtigt jedoch einige bislang nicht in Übersetzung vorliegende einschlägige Ansätze.“ (S. 12) Die Herausgeberinnen stellen sich außerdem dem Anspruch, „das Basiswissen der Geschlechterforschung zu vermitteln, zum anderen soll der Wissenshorizont an deutschsprachigen Universitäten durch einschlägige Arbeiten aus dem US-amerikanischen Raum, in dem die Gender Studies weitaus institutionalisierter sind, erweitert werden.“ (ebd.) So wie das Vorhaben hier dargestellt wird, ist leider nicht erkennbar, dass das beschriebene Spannungsfeld aufgegriffen wird. Der Anspruch der Herausgeberinnen ist es, den Kanon an deutschen Unis abzubilden und sogar zu erweitern. Offen bleiben Fragen der Transparenz: Wie wurde methodisch vorgegangen, um herauszufinden, was der Kanon der Gender Studies an deutschen Universitäten ist? Welche Gründe gibt es, den Kanon zu erweitern, und inwiefern ist es sinnvoll, den Kanon ausschließlich um Texte aus dem US-amerikanischen Raum zu erweitern? Es geht also nicht darum zu sagen, es sei nicht gelungen, den Kanon an deutschen Universitäten abzubilden. Aber es bleiben Fragen nach den Kriterien der Auswahl des Kanons ungeklärt sowie eine Reflexion auf Kanonisierung aus. Das jedoch wäre aus oben genannten Gründen der Ausschlussmechanismen bei der Kanonbildung wichtig.
Der Reader ist betitelt mit „Gender Studies“. Es soll also eingeführt werden in das Wissen, das in den Gender Studies an deutschen Universitäten gelehrt und produziert wird. Wie die Herausgeberinnen betonen, ist die interdisziplinäre Struktur der Gender Studies eine Besonderheit, die der Kategorie gender als Querschnittthema geschuldet ist. Dahinter steht die These, dass gender unser Wissen durchzieht und die Analyse dessen in allen wissenschaftlichen Disziplinen möglich ist (vgl. S. 9). Gender Studies sind somit notwendig interdisziplinär.
Ein anderer Zugriff auf in den Gender Studies verwendetes Wissen betont das Bezugselement des Wissens zu gender. Während der Begriff also einerseits auf eine Vielzahl von disziplinären Zugriffen verweist, deutet er gleichzeitig auf einen Bereich von Theoriebildung überhaupt hin, der sich auf die Analyse patriarchalischer Strukturen, auf die Analyse von Diskriminierung im Kontext von Geschlechterverhältnissen und Strategien der Intervention in Machtverhältnisse bezieht – egal mit welchem disziplinären Zugriff. Dabei geht es nicht um sich ausschließende oder voneinander getrennte Bereiche des Wissens, sondern um unterschiedliche Zugriffe auf ein Wissensfeld. Die Spannung zwischen starker (disziplinärer) Ausdifferenzierung von Wissen und dem verbindenden Aspekt von Theoriebildung zu gender wird auch von den Herausgeberinnen gewürdigt. Denn diesen unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Gender-Wissen entsprechend ist der Reader mit seinen drei Teilen – „Bürgerliche Geschlechterhierarchie und emanzipative Ansätze“, „Gender und Queer Studies“ sowie „(Inter-)Disziplinäre Anschlüsse“ – aufgebaut.
Unabhängig vom disziplinären Zugang wird im ersten Teil die Theoriebildung in den Blick genommen und Gender-Wissen als Analyse von normativer Ordnung der Geschlechterverhältnisse und emanzipativen Ansätzen vorgestellt (Virginia Woolf, Simone de Beauvoir, Christa Rhode-Dachser, Silvia Bovenschen, Hélène Cixous).
Im zweiten Teil des Bandes wird in die Institutionalisierung der Gender Studies an deutschen Universitäten seit den 1990er Jahren eingeführt. Die Textauswahl für diesen Teil greift besonders stark auf Literatur aus den USA zurück (Michel Foucault, Judith Butler, R.W. Connell, Judith Jack Halberstam, Lee Edelmann). Eine Begründung hierfür lässt sich aus Franziska Bergmanns Eindruck einer klar erkennbaren Impulsgebung US-amerikanischer Forschung ablesen: „Nach wie vor kommen die zentralen inhaltlichen Impulse jedoch aus dem US-amerikanischen Raum, denn dort spielt die kritische Auseinandersetzung mit identitären Kategorien im akademischen Feld eine wesentlich größere Rolle als in Deutschland.“ (S. 117) Ich würde bestreiten, dass es an Impulsen jenseits des US-amerikanischen Raums fehlt, und ebenso, dass eine kritische Auseinandersetzung mit identitären Kategorien in den Gender Studies deutscher Universitäten nicht stattgefunden hat. Natürlich kann es sinnvoll sein, Texte für eine Einführung in die Gender Studies zu übersetzen. Tatsächlich handelt es sich bei der Auswahl auch um spannende Autor_innen. Vielleicht hätte es an dieser Stelle ausgereicht, die Auswahl der Schlüsseltexte zu erweitern, statt sie zu ersetzen.
Im letzten und dritten Teil „(Inter-)Disziplinäre Anschlüsse“ befassen sich Franziska Bergmann und Franziska Schößler mit den „Schnittstellen“ (S. 215) der Gender Studies mit anderen Disziplinen. Vorgestellt werden Überschneidungen mit den Postcolonial Studies (Gayatri Gopinath), den Naturwissenschaften (Donna Haraway), der Soziologie (Regine Gildemeister und Angelika Wetterer), den Literaturwissenschaften (Eve Kosovsky Segwick) und den Filmwissenschaften (Laura Mulvey) Ähnlich wie bei der obigen Beschreibung verschiedener Zugriffe auf Gender-Wissen wird in den Gender Studies zu unterschiedlichen Anlässen immer wieder die Frage gestellt, inwiefern Gender Studies ein Fach ist oder/und ein interdisziplinärer Zusammenschluss. Mit der Wahl der Überschrift scheinen die Herausgeberinnen jene Ambivalenz anzusprechen, indem deutlich gemacht wird, dass es hier um Interdisziplinarität und gleichzeitig um Disziplinarität geht. In der Einführung in diesen Abschnitt wird leider nur kurz die unterschiedliche Implementierung der Gender Studies – als inter- bzw. transdisziplinärer Zusammenhang oder als eigenes strukturveränderndes Element innerhalb etablierter Fächer – benannt. Diese Benennung des besonderen Strukturphänomens der Gender Studies ist für Studierende jedoch bereits außerordentlich hilfreich.
In der Einleitung formulieren die Herausgeberinnen den Anspruch, eine Einführung in die Gender Studies deutscher Universitäten zu geben. Ein Blick auf das Buchcover zeigt, dass der Band in der Reihe „Reader Kulturwissenschaft“ veröffentlicht ist. Es bleibt offen, ob die Herausgeberinnen das Handbuch für ein vorrangig kulturwissenschaftlich orientiertes Lesepublikum verfasst haben oder ob das Selbstverständnis diese Verengung nicht unbedingt vorsieht. Für Studierende, die sich in den Gender Studies orientieren möchten, ist diese Information jedoch wichtig. Denn dass eine Einführung aus praktischen Gründen eine Verengung z. B. der disziplinären Zugriffe auf gender vornimmt, bedeutet ja nicht, dass nicht auch in vielen anderen Fächern Gender-Forschung betrieben wird und auch dort wichtige Schlüsseltexte verfasst worden sind. Das müsste für eine umfassende Einführung in die Gender Studies dann zumindest kurz benannt werden.
Sehr informativ für den Studieneinstieg sind die Erläuterungen und Kontextualisierungen von Begriffen (z. B. Dekonstruktion) und Theorieströmungen (z. B. Poststrukturalismus). Es wird umfassend dargestellt, wie Fragen nach der (Re-)Produktion von Hierarchien im Geschlechterverhältnis und danach, wie Geschlecht hergestellt wird, mit unterschiedlichen theoretischen Zugängen beantwortet werden. Alles in allem handelt es sich bei dem Reader also um eine Einführung in zentrale Fragen der Gender Studies. Angesichts der berücksichtigten Schlüsseltexte und disziplinären Zugriffe sind dabei wohl vorrangig Studierende angesprochen, die kulturwissenschaftlich interessiert sind.
Sophia Ermert M.A.
Humboldt-Universität zu Berlin
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung (ZtG)
Homepage: http://baer.rewi.hu-berlin.de/team/sophia-ermert/sophia-ermert
E-Mail: ermert@rewi.hu-berlin.de
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