Tomke König:
Familie heißt Arbeit teilen.
Transformationen der symbolischen Geschlechterordnung.
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2012.
238 Seiten, ISBN 978-3-86764-355-9, € 29,00
Abstract: Die Frage, ob sich Arbeitsarrangements zwischen Männern und Frauen verändern, beschäftigt die Geschlechterforschung und Soziologie seit längerem. Häufig wird die Persistenz untersucht, d. h. die Frage, warum traditionelle Geschlechterarrangements bestehen bleiben und Individuen (un)bewusst hinter ihre Ideale zurückfallen. In ihrer Habilitationsschrift orientiert sich Tomke König konsequent am Paar und seinen Deutungen. Sie erkennt folgenreiche Überschreitungen der geschlechtlichen Kategorisierung (privat = weiblich, öffentlich = männlich) darin, wenn – bei heterosexuellen Paaren – Frauen und Männer Fürsorge-, Haus- und Erwerbsarbeit leisten. Taugen solche vielschichtige Geschlechteridentitäten und neue Sinnzuschreibungen aber tatsächlich für eine gesellschaftliche Transformation?
Tomke König verfolgt in ihrer Habilitationsschrift das Forschungsanliegen, Prozesse der Findung und Selbstdeutung von Arbeitsarrangements von Paaren mit Kindern zu erheben, um so auch die gesellschaftlichen Mechanismen der paradoxen Verbindung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen zu skizzieren. Eingebettet in die Theorie der ‚Männlichen Herrschaft‘ von Pierre Bourdieu bzw. Judith Butlers Konzept ‚Regulativer Geschlechterideale‘ sieht die Autorin in den Arbeitsteilungen der Paare immer schon beides verwirklicht: Momente der Transformation der Geschlechterordnung und Momente der Persistenz, d. h. das Bestehenbleiben traditioneller Geschlechterarrangements trotz der anders lautenden Ideale. König gibt in ihrer Arbeit einen überaus detaillierten Einblick in die Arbeitsarrangements von heterosexuellen und vereinzelt auch homosexuellen Paaren und durchleuchtet damit die „individuelle Aufhebung der Sphärentrennung unter den Bedingungen struktureller Persistenz“ (S. 211). In den für einzelne Paare festgestellten veränderten Geschlechteridentitäten und neuen Vorstellungen über Mütterlichkeit und Väterlichkeit erkennt sie gewichtige, gesellschaftliche Transformationskraft.
König untersucht in ihrem Buch – nach einem ersten theoretischen und methodologischen Zugang – die Hausarbeit, die Fürsorgearbeit und die Verbindung bzw. Trennung der verschiedenen Sphären. Methodisch stützt sie sich auf qualitativ-empirische Interviews mit insgesamt 25 Paaren – sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle –, die mit mindestens einem Kind in einem Haushalt leben. Zur Erforschung der diskursiven Praxis und der Interaktionsdynamik sowie des Selbstverständnisses der Arbeitsorganisation der Paare führte König Paarinterviews durch; zwei Wochen später erhob sie in Einzelgesprächen auch deren Ideale von Frau- bzw. Mannsein und Mütterlichkeit bzw. Väterlichkeit (vgl. S. 26). Sieben Interviews wurden mit Paaren aus der deutschsprachigen Schweiz geführt, 18 weitere in Westdeutschland. Das Sample wählte die Autorin anhand der Kriterien Milieuzugehörigkeit, Erwerbsbeteiligung und Alter der Kinder (jedenfalls unter zehn Jahre). Gleichgeschlechtliche Paare wurden darum berücksichtigt, da für sie bei der familialen Arbeitsteilung Geschlechternormen weniger eine Rolle spielen können und zudem die normative „Verbindung von Heteronormativität, Heterosexualität und Reproduktion“ (S. 28) in Frage gestellt ist.
König skizziert im zweiten Kapitel den wissenschaftlichen Diskurs über Hausarbeit in den letzten 40 Jahren und erkennt darin drei Regulative:
Die Paare – dies sieht König in der Analyse ihres Datenmaterials – greifen in ihrer Organisation und ihren Deutungen der Hausarbeit nicht mehr auf eines der Regulative zurück, sondern meist auf mehrere gleichzeitig. Es komme zu einem Nebeneinander „alter“ und „neuer“ Muster, eine paradoxe Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel in den Paaren, aber auch den Individuen selbst. Beispielsweise sind junge Mütter selbstbewusst erwerbstätig, haben aber zugleich ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kindern; Männer bewältigen effizient und alleine die Hausarbeit, zugleich fühlen sie sich nicht als ‚ganze Männer‘ (vgl. S. 12). Die Paare sind immer weniger bereit, all jene Elemente zu verwerfen, die einem (geschlechtlichen) Ideal zuwiderlaufen (vgl. S. 92). Kurz: Arbeitsarrangements sind mehr und mehr Verhandlungsgegenstand des Paares und setzen Reflexivität, Kompetenzen der Konfliktbewältigung und schlichtweg eine Menge an Zeit voraus.
Im dritten Kapitel geht König nun auf die strukturelle Persistenz der „symbolischen Geschlechterordnung“ und (verweisend auf Bourdieu) deren „geschlechtliche Kategorisierung“ ein. In einer Medienanalyse der Debatte um die Einführung des Elterngeldes kommt sie zu dem paradoxen Ergebnis, dass dieses politische Instrument zwar auf die Steigerung des Väterengagements zielt, in den Medien die dafür nötige Neukategorisierung der Sphären aber systematisch blockiert wird: „Frauen müssen gegenüber ihren Kindern die Erziehungsverantwortung übernehmen, Männer können dies tun“ (S. 107 f.). Die Wirkmächtigkeit und den Fortbestand der geschlechtlichen Kategorisierung arbeitet König auch in den Interviews „mit Menschen, die entgegen den Ansprüchen dieser Ordnung leben“ (S. 37), heraus. Ob Frauen oder Männer sich dem Privaten widmen – die dort angesiedelten Arbeiten und der Status der Person würden unweigerlich abgewertet (vgl. S. 144). Die geschlechtstypisierende Zuweisung des Privaten und des Beruflichen zeige sich nach wie vor als überaus mächtig: Erwerbstätige Frauen verlieren zwar ein Stück Weiblichkeit, gewinnen aber an Macht und Einfluss, wenn sie sich „den männlichen Regeln ihres Berufsfeldes unterwerfen“ (S. 151); fürsorgende Männer hingegen werden deklassiert und verlieren ein Stück Männlichkeit (vgl. auch S. 213). Trotz aller individuellen Dynamisierungen, die König im Bereich der Hausarbeit im Paaralltag feststellt, bleiben also strukturell Geschlechterkategorien und Geschlechterkategorisierungen aufrecht.
Die Autonomiefreiräume der einzelnen Paare vor dem Hintergrund der binären, symbolischen Geschlechterordnung werden im vierten Kapitel neu ausgelotet; die Autorin konzentriert sich – was meines Erachtens sehr innovativ ist – auf die Frage nach sinnerfülltem, lebenswertem Leben, die immer hinter den Arbeitsarrangements steht. Wie erleben Frauen und Männer den Wechsel in den Tätigkeiten, und was bedeutet er ihnen? (Vgl. S. 37) Anhand einer Neuinterpretation der bekannten Forschungsergebnisse, die Regina Becker-Schmidt mit Fabrikarbeiterinnen in den 1980er Jahren gewonnen hat, zeigt sie zunächst auf, dass „die Doppelbelastung für die Frauen neben dem Stress auch Momente der Befriedigung oder Ermächtigung“ (ebd.) brachten. Mit Blick auf ihr Datenmaterial erkennt sie diese Praxis bei Paaren wieder, die dem Modell „alle machen alles“ folgen. Hier beginne eine gesellschaftliche Dynamisierung und individuelle Aufhebung der Sphärentrennung: Ist beiden Partner/-innen sowohl ein Leben in der Erwerbsarbeit als auch in der Familie möglich, wird Hausarbeit relativiert. Hausarbeit ist „Korrektiv und gegenläufiger Impuls zu der derzeit hegemonial gesetzten Erwerbsarbeitszentrierung“ (S. 215), negative Faktoren wie materielle Abhängigkeit, Monotonie, fehlende Anerkennung werden abgemildert. Hausarbeit schafft damit Distanz zur Lohnarbeit, gewährt Abwechslung, Anerkennung und Selbstbestimmung und stiftet Identifikation (vgl. S. 94, auch S. 175). Entscheidende Voraussetzung dafür sei allerdings, dass sich das Paar gegenseitig Freiräume zur Druckabmilderung bzw. Reproduktion der Arbeitskraft gewähre. Das Modell „alle machen alles“ wird erst dann lebenswert, wenn strukturelle, etwa finanzielle und zeitliche Entlastungen gegeben sind (vgl. S. 213). Sowohl im Privaten als auch in der Erwerbsarbeit setzt ansonsten die Standards, „wer sich in einem Praxisbereich aufhält“ (S. 184 f.).
Im fünften Kapitel fasst die Autorin ihre Forschungsergebnisse zusammen: Mit dem Privaten und Beruflichen werden nach wie vor strukturell Geschlechterkategorisierungen verbunden, die die Berufstätigkeit von Frauen und die Leistung von Fürsorgearbeit durch Männer untergraben. Dennoch stellt König aufgrund ihrer qualitativ-empirischen Forschungsarbeit einzelne neue Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen fest: Geschlechteridentitäten werden von den Paaren neu entworfen. Solche individuellen „Transformationen der symbolischen Geschlechterordnung“ würden sich nach König über kurz oder lang auch auf die Gesellschaft, ihren Umgang mit Reproduktionsarbeit und den Stellenwert, dem sie Bildung, Gesundheit, Soziale Dienste und Pflege beimisst, auswirken (vgl. S. 215).
Die Antwort auf die Frage, wie die individuellen Überschreitungen im Arbeitsarrangement genau auf die strukturelle Ebene zurückwirken und warum sich durch Hausarbeit tatsächlich die Gesellschaft verändern lässt, erschloss sich mir durch die Lektüre des Werkes nicht gänzlich. Königs Sichtweise scheint mir euphorisch und optimistisch zu sein, wie wohl diese forschungsinnovativ ist. Die Grenzen ihrer Analysen liegen aber wohl dort, wo Paare durch die hohe Reflexivität in der Aushandlung der Tätigkeiten überfordert werden bzw. die Interessen von Dritten berücksichtigt werden müssen (z. B. widerständiger Kinder, behinderter oder pflegebedürftiger Personen …). Zudem wäre eine ausgiebigere Darstellung des Forschungsprozesses wünschenswert gewesen. Auch in der Analyse finden sich oft keine Angaben, aus welcher der beiden Erhebungen (Schweiz bzw. Deutschland) die Daten stammen. Der Verlag scheint zudem beim Endlektorat gespart zu haben.
Dennoch betrachte ich die Arbeit als äußerst gelungen und meine, dass sie aufgrund der detaillierten Beschreibung ‚neuer‘ Arbeitsarrangements zu einem Grundlagenwerk für weitere Forschung über Arbeitsteilungen aus mikrosoziologischer Perspektive an der Schnittstelle von Familiensoziologie und Geschlechterforschung werden wird. Innovativ arbeitet König in der ‚alten‘ Frage der Geschlechterrollen und Arbeitsaufteilungen aktuelle Bedeutungsänderungen von Geschlecht und Arbeitsarrangements heraus und gibt zugleich einen Überblick über aktuelle Forschungsansätze in der Verbindung von Erwerbs-, Haus- und Fürsorgearbeit. Nicht zuletzt zeichnet das Werk auch aus, dass es sehr verständlich, spannend und gut strukturiert geschrieben ist.
MMag. Elisabeth Fónyad-Kropf
Assistentin am Institut für Praktische Theologie
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E-Mail: elisabeth.fonyad-kropf@univie.ac.at
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