Gabriela Signori:
Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft.
Die Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt.
Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2011.
197 Seiten, ISBN 978-3-593-39429-9, € 24,90
Abstract: Gabriela Signori erörtert in ihrer Forschungsarbeit das Institut der Ehe als Gemeinschaftsform zwischen Frau und Mann im Mittelalter und spannt dabei den Bogen von geistesgeschichtlichen Quellen über juristische Gestaltungen und den ihnen zugrunde liegenden wirtschaftlichen Sachverhalten bis zu Formen der Erinnerungskultur. Es werden Zusammenhänge zwischen den drei Bereichen aufgezeigt und wissenschaftlich bisher noch nicht aufgearbeitete Felder untersucht. Ergebnis ist ein differenziertes Bild der einschlägigen geistesgeschichtlichen Diskurse, ihrer produktiven Umsetzung in der gesellschaftlichen Realität der Stadtkultur im ausgehenden Mittelalter und ihrer Materialisierung im Rahmen einer Erinnerungskultur, die von einem Zeitkontinuum über den Tod hinaus ausgeht.
Die Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt − so lautet der Untertitel von Gabriela Signoris Forschungsarbeit. In umgekehrter Reihenfolge, d. h. von der Vorstellungs- zur Lebenswelt behandelt die Autorin ihren Forschungsgegenstand und schließt dabei in Stil und Vorgehensweise an ihre bisherigen Publikationen an. Die Rezension erfolgt in drei Teilen und folgt darin der Gliederung der Autorin.
Im ersten Teil ihrer Forschungsarbeit analysiert die Autorin geistesgeschichtliche Quellen, die sich zum Institut der Ehe äußern, wie es sich seit dem Frühmittelalter unter dem Einfluss der christlichen Kirche etablierte. Ausgehend von der Formulierung in Genesis 2,18 „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine ist […], wir wollen ihm eine Hilfe [adiutorium] machen“ (zitiert S. 8) und deren Rezeption, die die Autorin beginnend bei Augustinus (gest. 430) bis hin zum Eisenacher Stadtschreiber Johannes Purgolt (gest. 1534) untersucht, weist die Autorin einen Diskurs nach, der in dem Institut der Ehe − neben dem Zweck der Fortpflanzung − auch einen sozialen Zweck erfüllt sieht. Dieser soziale Zweck materialisiere sich dadurch, dass dem Menschen ein wesensgleiches Lebewesen zur Seite gestellt wird, das ihm nicht nur ähnlich ist, sondern auch eine Hilfe sein möge. Obwohl aufgrund der von der Autorin untersuchten Quellentexte deutlich wird, dass dieser Diskurs der sozialen Hilfestellung innerhalb der Ehe ein Minderheitsdiskurs ist, lässt sich auch ersehen, dass seine Aufspürung und Darlegung relevant und daher berechtigt ist, insbesondere da die Autorin für das Spätmittelalter juristische Gestaltungen nachweist, die diese soziale Hilfeleistung in konkrete wirtschaftliche Bahnen leiteten.
Von den meisten Schriften wird diese Art der Hilfeleistung als eine von der Frau zum Mann verstanden. Die Untersuchung der Autorin weist einige wenige Quellen nach (so z. B. den bereits erwähnten Johannes Purgolt), die diese Hilfeleistung als eine gegenseitige begriffen haben. Als herausragendes Beispiel für die Annahme, dass das Institut der Ehe zu einer gegenseitigen Hilfestellung verpflichte, zitiert die Autorin die Etymologien des Isidor von Sevilla (gest. 636). Dieser nennt darin (IX, VII, 27, zitiert S. 19 f.) unter Verweis auf Genesis 2,18 die causa adiutorij als den zweiten Ehegrund nach der Fortpflanzung. Liest man Genesis 2,18 und damit auch die genannte Textstelle bei Isidor in der Bedeutung von mutuum adiutorium, d. h. als Beistandsverpflichtung für den Mann und die Frau gleichermaßen, dann ist der Autorin zuzustimmen. Neben Genesis 2,18 stützt sich der Diskurs um die Annahme einer gegenseitigen sozialen Hilfestellung innerhalb der Ehe auch auf die Rezeption des Aristotelischen mutuum obsequium (gegenseitige Hilfe) (S. 25). Danach besteht innerhalb jeder Gemeinschaft, also auch innerhalb der Ehegemeinschaft, eine Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfeleistung. Jedoch haben, wenn man von den philosophischen Gelehrten absieht, sowohl die Stimmen, die die gegenseitige Hilfe aus Genesis 2,18 ableiten, als auch diejenigen, die das Aristotelische mutuum obsequium bemühen, ihre Diskussion letztlich (d. h. auch wenn über Freundschaft und den Gleichheitsgedanken gesprochen wird) auf die Rechte und Pflichten innerhalb der Haus-Wirtschaft und in der Fortführung dieses Topos auf die Haus-Herrschaft begrenzt.
Es gelingt Signori im ersten Teil ihrer Arbeit das Institut der Ehe − über den sehr langen Zeitraum von 1000 Jahren hinweg − anhand von Textsorten in einen theoretischen Rahmen einzuordnen. Diese Einordnung hat jedoch auch eine praktische, d. h. auf eine gesellschaftliche Wirklichkeit bezogene Komponente, da die einzelnen Textsorten meist mit bestimmten Berufsständen korrespondieren und somit auch die Meinungen von gesellschaftlichen Gruppen deutlich werden, die im Hinblick auf das Institut der Ehe etwas zu sagen hatten. Wann bestimmte Vorstellungen über die Ehe in das Schrifttum eingingen, ist − wie die Autorin selbst sagt − bisweilen schwer zu erkennen. Die Untersuchungen der Autorin weisen jedoch im Spätmittelalter Quellen nach, die das adiutorium offensichtlich als gegenseitige Hilfeleistung im Sinne der ehelichen Gütergemeinschaft begreifen.
Im zweiten Teil ihrer Forschungsarbeit untersucht die Autorin, inwiefern sich der im ersten Teil geführte Diskurs um die Interpretation und Konkretisierung des adiutorium bzw. mutuum obsequium in der Ehe in einer gesellschaftlichen Realität nachweisen lässt. Signori hat diesbezüglich eine Vielzahl von Primärquellen gesichtet, die das Funktionieren der Gerichtsbarkeit sichtbar machen, und zwar sowohl dann, wenn mit einem Urteil entschieden wurde, als auch dann, wenn es sich um nichtstreitige Angelegenheiten wie das Aufsetzen schriftlicher Verträge und dergleichen handelte. Im Einzelnen hat sie untersucht, mit welchen rechtlichen Gestaltungen und in welchem Medium das Stadtbürgertum einerseits und der Stadtadel andererseits wirtschaftliche Sachverhalte, die sich im Zusammenhang mit dem Institut der Ehe ergeben, regelten.
Als rechtliche Gestaltungsinstrumente erörtert die Autorin vor allem den beurkundeten Ehevertrag und die mündliche Eheberedung. Bei der Eheberedung handelt es sich um ein prozesshaftes Geschehen, das mit informellen Gesprächen zwischen Familien anfing und in einer Situation endete, die wirtschaftliche Sachverhalte für die Zukunft regelte. Die Analyse dieses juristischen Gestaltungsinstruments, das nach Angaben der Autorin eine Einrichtung ist, „die in der Forschung bislang kaum Beachtung gefunden hat“ (S. 68), bildet sicherlich den interessantesten Teil von Gabriela Signoris Forschungsarbeit. Die Befunde zur Eheberedung zeigen, wie innerhalb des vorgegebenen Rahmens von aufgeschriebenem Stadtrecht, rezipiertem römischen Recht und Gewohnheit im Medium der Mündlichkeit vertragliche Gestaltungen gefunden und umgesetzt wurden, die allen Beteiligten gerecht wurden, d. h. mit denen ein Interessenausgleich erreicht wurde. Die mündliche Eheberedung war nach den Befunden der Autorin das bevorzugte Gestaltungsinstrument des von ihr untersuchten Stadtbürgertums, während der Stadtadel den beurkundeten Ehevertrag bevorzugte. Ein eindeutiger Medienwechsel von der mündlichen zur schriftlichen Vertragsform lässt sich zu Beginn der Frühen Neuzeit nicht feststellen. Jedoch zeigen manche von der Autorin erörterten Fälle, dass die Ausschließlichkeit der mündlichen Form der Eheberedung in den Kreisen des Stadtbürgertums sich abschwächte.
Der Autorin gelingt es auf sehr profunde Weise, eine gesellschaftliche Praxis zu beleuchten und dabei aufzuzeigen, wie die Ehe in Verbindung mit wirtschaftlichen Vorstellungen, die an sie geknüpft wurden, als produktives Institut funktionierte und wie vor allem die betroffenen Familien und Angehörigen im weitesten Sinne, nicht notwendigerweise die Eheleute selbst, sich darin zu bewegen wussten. Was die gegenseitige Hilfeleistung in der Ehe betrifft, vermitteln die Befunde der Autorin bisweilen den Eindruck, dass die Theorie von der Praxis eingeholt wurde, da die gefundenen und realisierten Gestaltungen manchmal fortschrittlicher erscheinen als die geistesgeschichtlichen Quellen.
Nach den Ausführungen der Autorin lässt sich die Eheberedung als eine mündliche Vereinbarung einstufen, zu deren Wirksamkeit mindestens zwei Zeugen notwendig waren, die nicht nur den Inhalt der Beredung zu bezeugen hatten, sondern auch die Öffentlichkeit repräsentierten. Regelungsgegenstände der Eheberedung stammten aus dem ehelichen Güter- und Erbschaftsrecht sowie Kindschaftsrecht. Ganz offensichtlich konnten mit der mündlichen Eheberedung Ansprüche abgewehrt (S. 72) wie auch aktiv aus ihr geklagt werden (S. 75, 85). An dieser Stelle wäre es sicher hilfreich gewesen, den Vertragstypus, unter den die Eheberedung fiel, expressis verbis zu benennen und auf das Zusammenspiel zwischen rezipiertem römischen Recht und Stadtrecht näher einzugehen, denn auch wenn die Eheberedung innovativ war, musste sie sich doch, vor allem wenn ihr Inhalt gerichtlich verhandelt wurde, in einem gesetzlichen Rahmen bewegen.
Im dritten Teil ihrer Untersuchung widmet sich Signori der Gestaltung von Formen der Erinnerungskultur. Insbesondere analysiert sie die bildliche Darstellung von Ehepaaren auf Doppelgrabmälern in unterschiedlichen Kontexten im Hinblick darauf, wie sie „Zusammengehörigkeit“ (S. 140) darstellen und wie damit Rückschlüsse auf die Ordnung der Geschlechter in der Ehegemeinschaft möglich werden. In diesem sehr sorgfältig recherchierten Teil werden über die Erörterung insbesondere der Platzierung der Ehefrau zur rechten oder linken Seite des Mannes wertvolle Zusammenhänge und Anschlüsse zum ersten und zweiten Untersuchungsteil sichtbar.
In der Forschungsarbeit von Gabriela Signori wird unter mehreren Perspektiven ein Blick auf das Institut der Ehegemeinschaft geworfen, die in der Zusammenschau ein höchst differenziertes Bild von der Ehe und den wirtschaftlichen und sozialen Vorstellungen ergeben, die innerhalb des von der Autorin untersuchten geographischen und zeitlichen Rahmens an sie geknüpft wurden. Aufgrund der Sichtung und Auswertung von historischen Dokumenten, die alle in einen Zusammenhang mit dem Institut der Ehe als einer Versorgungseinrichtung zu bringen sind, konnte die Autorin darlegen, dass die von ihr untersuchte bürgerliche Stadtkultur des Spätmittelalters das Institut der Ehe innovativ einsetzte. Hierdurch wurde es Frauen wie Männern möglich, ihre Angelegenheiten auch im Sinne eines mutuum adiutorium, d. h. einer gegenseitigen Hilfeleistung vom Mann zur Frau und umgekehrt, zu regeln beziehungsweise durch die betroffenen Familien aushandeln zu lassen. Dass diese gesellschaftliche Entwicklung insgesamt zu einer Stärkung des Instituts der Ehe geführt hat, darf man annehmen.
Claudia Daiber
Universität von Amsterdam
Bachelor Deutsche Sprache und Kultur; Studentin Research Master Literary Studies
E-Mail: claudia.daiber@gmail.com
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