Anna Buschmeyer:
Zwischen Vorbild und Verdacht.
Wie Männer im Erzieherberuf Männlichkeit konstruieren.
Wiesbaden: Springer VS 2013.
291 Seiten, ISBN 978-3-658-00989-2, € 39,95
Abstract: In dieser spannenden Dissertation werden Männlichkeitskonstruktionen von zehn Erziehern, die in der außerhäuslichen Kinderbetreuung tätig sind, empirisch analysiert. Die qualitativ orientierte Studie wird durch einen umfassenden Überblick über die theoretischen Annahmen der sozialkonstruktivistischen Geschlechterforschung eingeleitet, welcher einen Schwerpunkt auf interaktionistische Akzentuierungen des ‚doing gender/doing masculinity‘ legt. Aufgrund dessen ist das Buch auch besonders für Leser/-innen geeignet, die über geringe soziologische Vorkenntnisse der Geschlechterforschung verfügen. Eine ausführlichere Analyse und Interpretation des Untersuchungsmaterials hätte allerdings den kritischen Blick auf aktuelle Maßnahmen der Familien- und Arbeitsmarktpolitik im Feld der außerhäuslichen frühkindlichen Betreuung schärfen können.
Anna Buschmeyers Ausgangsfrage „Wie konstruieren Männer im Erzieherberuf Männlichkeit?“ (S. 11) ist vor dem Hintergrund des gesetzlich verankerten bundesweiten Ausbaus der Krippen- und Kita-Plätze so aktuell wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Denn wenn mehr Kinder außerhäuslich betreut werden müssen, werden auch mehr Erzieher/-innen benötigt. Zusammen mit der eindringlichen Werbung des Bundesfamilienministeriums „MEHR Männer in Kitas“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2010) und flankierenden Maßnahmen konstituiert sich zunehmend ein gesellschaftliches Klima, welches die Geschlechtersegregation im Erziehungswesen aufzuheben versucht. Dennoch kommt der Vorstellung, die Frau sei qua Natürlichkeit für die Aufzucht und Pflege des Nachwuchses qualifiziert, weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Buschmeyer reflektiert bereits in ihrer Einleitung die unterschiedlichen Anrufungen, welche an (potentielle) Erzieher ergehen und skizziert mögliche Spannungsmomente. So stellt sie dar, dass eine quantitative Erhöhung des Männeranteils in Kitas nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Erhöhung der Qualität außerhäuslicher Betreuung steht, und macht deutlich, dass die häufig proklamierte „Vorbildfunktion“ der Männer so lange inhaltsleer bleibt, bis geklärt ist, für was die Männer eigentlich Vorbild sein sollen. Daneben lenkt sie die Aufmerksamkeit auf den „Generalverdacht“ (S. 13) der Pädophilie, mit dem sich die Männer konfrontiert sehen, die sich für die Arbeit mit zum Teil sehr jungen Kindern entscheiden. Eine Erklärungshilfe für diese individuellen Spannungsmomente, welche mit der gesellschaftlich relevanten Frage, „welche Männer für den Erzieherberuf geeignet sind und ausgewählt werden sollen“ (S. 14), zusammenspielt, sieht die Autorin in der Männer- und Männlichkeitsforschung, in welcher sie ihre Studie letztlich verortet.
Zunächst wird das Feld der außerhäuslichen Kinderbetreuung und -erziehung umrissen. Dabei zeichnet die Autorin die verschiedenen Bewegungen nach, welche der Berufszweig geschichtlich hinter sich gebracht hat. Diese Beschreibung ist inhaltlich lehrreich, weist jedoch die Schwäche auf, dass nicht benannt wird, welcher Feldlogik sie folgt. Indem Buschmeyer unreflektiert die Entwicklung des Erzieherberufs auf dem Territorium der heutigen Bundesrepublik nachzeichnet, entwirft sie eine nationale Kontinuität, welche die Diversität unterschiedlicher Betreuungsformen unterschlägt. Dadurch vergibt sie von vorherein die Möglichkeit, Kinderbetreuung im Rahmen einer gesellschaftsverändernden Pädagogik zu situieren. Der Feldbeschreibung folgt eine Vorstellung einschlägiger Konzepte der geschlechtersoziologischen Forschung zum Zusammenhang zwischen Arbeit und Geschlecht. Sie diskutiert aktuelle Studien, Forschungs- und Modellprojekte und macht von diesen ausgehend deutlich, inwiefern Geschlecht eine wesentliche Rolle sowohl für die Entscheidung, Erzieher zu werden, aber auch für die Arbeit als Erzieher spielt.
Im vierten und fünften Kapitel nähert sich die Autorin der Forschungsfrage schließlich aus der theoretischen Richtung. Auf den insgesamt mehr als siebzig Seiten beweist Buschmeyer eine solide Kenntnis der sozialkonstruktivistischen Geschlechterforschung. Eigenständige Unterkapitel widmen sich zudem spezifischen Aspekten von Geschlecht, wenn sie etwa das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu und seinen Zusammenhang zu dessen Praxeologie oder Erving Goffmans Studien zur Herstellung von Geschlecht darstellt. Ausgehend von diesen beiden Autoren konkretisiert Buschmeyer ihren methodologischen Fokus mit Hilfe der körperorientierten theoretischen Perspektive Hirschauers und Villas. Dieser elaborierte Forschungsansatz wird schließlich mit Gramscis und R. Connells Forschungen zusammengebracht und auf den Analysefokus der „Typisierung von Männlichkeiten“ (S. 94) zugeschnitten. Das fünfte Kapitel behandelt ausgehend von dieser Verengung spezifische diskursive Momente der Herstellung von Männlichkeit. Buschmeyer nennt hier etwa erhöhte Risikobereitschaft in der Adoleszenz sowie die triebhaft und als unkontrolliert beschriebene männliche Sexualität und greift in diesem Zusammenhang die Pädophiliedebatte kritisch auf. Das sechste Kapitel ist der Beschreibung verschiedener qualitativer Methoden gewidmet, die im Analyseteil zur Anwendung gelangen.
Auch wenn die ausführlichen theoretischen Betrachtungen einen guten Überblick über Geschlechtersoziologie vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Arbeit und Geschlecht sowie interessante Einblicke in die Männerforschung gewähren, fehlt es den Textexegesen teilweise an Orientierung auf die übergeordnete Forschungsfrage. Die Darstellung der theoretischen Texte ist dennoch sehr lesenswert und bietet eine gute Einführung in die vorgestellten Themen etwa für angehende Erzieher/-innen.
Erst im siebten Kapitel werden die Einzelfalldarstellungen gegeben, die teils hier, teils im achten Kapitel thematisch zugeordnet und untersucht werden. Während das Material hochspannend ist, bleiben die Analysen leider hinter diesem zurück, denn Buschmeyer gelingt es nicht, alle im Theorieteil offerierten Facetten geschlechtersoziologischer Forschung auf ihre Untersuchung anzuwenden. Ihre Analysen kreisen hauptsächlich um die ausgehend von R. Connell entwickelten Kategorien ‚komplizenhafter‘ und ‚alternativer‘ Männlichkeit. Komplizenhafte Männlichkeitsformen stützen „das hegemoniale Modell“ (S. 94), leben aber „keine hegemoniale Form von Männlichkeit“ (S. 94), wobei Männer, die Buschmeyer schließlich dem alternativen Männlichkeitstyp zuschlägt, „sich in einem ablehnend-kritischen Verhältnis zur hegemonialen Männlichkeit befinden“ (S. 101). Schon in diesen Typisierungen deuten sich Probleme bezüglich der Abgrenzung voneinander an. Denn welche Form der Männlichkeit genau – nicht hegemonial, aber auch nicht alternativ – performieren die Männer, die Buschmeyer dem komplizenhaften Typus zuordnet? Es zeigt sich hier, dass die Verflechtung von Identitäten und antihegemonial orientierten Widerstandspraxen nicht präzise herausgearbeitet ist. Die Autorin untersucht in ihrer Studie schließlich keine radikalen Gesellschaftsgegner, sondern in die Gesellschaft integrierte Subjekte. Wenig überraschend ist daher ihr Ergebnis, dass die Typen offen betrachtet werden müssen. Mehr überrascht vor dieser Erkenntnis das Fehlen einer Präzisierung des analytischen Potentials dieser wirkmächtigen Analysekategorien, welches sie, wie in der Studie deutlich wird, durchaus entfalten.
Buschmeyer untersucht zunächst die Einzelfälle in vergleichender Perspektive zu den Punkten: „Biographie und Berufswahl“, „Berufsverständnis“, „Geschlechter-Wissen“ und „Männlichkeitstypen“. Anschließend zieht sie daraus Schlüsse für das doing masculinity durch Geschlechtsattribution. Sie beobachtet Zuschreibungen, welche an die Erzieher gemacht werden, wie, etwas ‚Besonderes‘ oder ein ‚Hahn im Korb‘ zu sein oder zu Hausmeistertätigkeiten und Sportaktivitäten herangezogen zu werden. Ein anderes Mal beschreibt die Autorin den Umgang mit Nähe und Zärtlichkeit. Sie kann hier herausarbeiten, dass Männer, welche sie zuvor dem Typus der ‚komplizenhaften‘ Männlichkeit zugeordnet hat, vorsichtiger mit Körperkontakt umgehen als Männer, die in ihren Augen eher eine ‚alternative‘ Männlichkeit anstreben. Darüber hinaus kommt Buschmeyer zu dem Ergebnis, dass „Erzieher, die den Anforderungen und Zuschreibungen des Feldes entsprechen, ohne sie kritisch zu hinterfragen, […] möglicherweise stärker zu geschlechterstereotyper Erziehung bei[tragen]“ (S. 272). Obwohl diese Ergebnisse durchaus Rückschlüsse auf die Frage, welche Männer/Männlichkeiten sich für die Erziehertätigkeit eignen, zulassen, weicht Buschmeyer einer Antwort aus, wenn sie abschließend feststellt, dass die „Möglichkeit, mehrere Männlichkeiten und mehrere Weiblichkeiten in der frühkindlichen Erziehung kennenzulernen, […] keinem Kind schaden [dürfte]“ (S. 279). Sie plädiert daher dafür, in einer Kita immer mehr als nur einen Mann einzustellen.
Diese Forderung steht jedoch den Ergebnissen der Studie eher entgegen. Beispielsweise stellt die Autorin fest, dass die Erzieher, die sie der ‚alternativen‘ Männlichkeit zugeordnet hat, mit erheblichen Legitimationsproblemen in den Kitas zu kämpfen haben: „Sie [die Männer] können nicht ‚einfach‘ wie ihre Kollegen die Zuschreibungen annehmen und sich damit als männlich darstellen. Sie müssen, um eine eigene Position zu entwickeln, ihre alternative Männlichkeit erst einmal selbst als Männlichkeit anerkennen, um sie dann auch gegen Anforderungen, die an sie auf der Grundlage ihres Geschlechts gestellt werden, durchsetzen zu können“ (S. 267). Zudem weist Buschmeyer darauf hin, dass Männer, deren Männlichkeit ‚komplizenhaft‘ organisiert ist, sich häufig abwertend gegenüber den ‚weiblich‘ konnotierten Eigenschaften ihrer Kolleg/-innen äußern und größere Probleme haben, Nähe und Körperlichkeit mit den Kindern einzugehen, wenn sie diese nicht patriarchisch rahmen, wie etwa durch die Imagination einer väterlichen Rolle. Buschmeyers Forderung, (einfach) mehrere Männer pro Kita einzustellen, entspricht nicht dem von ihr herausgearbeiteten Punkt, dass die unterschiedlichen Männlichkeiten (wie auch die Weiblichkeiten) in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen und diese Hierarchie normativ legitimiert ist (vgl. S. 97). Es besteht daher die Gefahr, dass eine zahlenmäßige Erhöhung des Männeranteils an Erzieher/-innen dazu führt, die Norm der ‚komplizenhaften‘ Männlichkeit im Feld der außerhäuslichen Kinderbetreuung (erneut) zu manifestieren. Die Einstellung gerade solcher Männer, die den hegemonialen ‚männlichen‘ Zuschreibungen am besten genügen, kann gerade nicht im Interesse einer emanzipativen Pädagogik sein. Dazu kommt, dass die Männer, deren Männlichkeit (eher) ‚alternativ‘ organisiert ist, in einer Kita, die von ‚komplizenhaften‘ Männern dominiert wird, mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen hätten, Anerkennung für ihre der Norm weniger entsprechende Männlichkeit zu finden.
Zuletzt ist zu kritisieren, dass die Erzieherinnen in der Studie vollkommen unbeleuchtet bleiben. Buschmeyer tut in ihrer Untersuchung so, als ließen sich die Männlichkeiten der Männer ohne die Weiblichkeiten der Frauen analysieren. Sie blendet auch ihre eigenen Befunde aus, die deutlich machen, wie ungestört sich die Herrschaft der Männer über die Frauen in den Kitas reproduziert. Immerhin sind drei der zehn untersuchten Erzieher in Leitungspositionen beschäftigt, andere Erzieher berichten von Bevorzugungen aufgrund ihres Geschlechts, sowohl was die Aufgabenverteilung bei der Betreuung von Kindern als auch was die Beförderungspolitik angeht. Hier zeigt sich das Grundproblem der Studie: Buschmeyer situiert die außerhäusliche Kinderbetreuung innerhalb seiner aktuellen gesellschaftlichen Diskursivierung. Sie fragt weder nach konkurrierenden Konzepten noch nach der Feldlogik der Kinderbetreuung selbst. Wird Kinderbetreuung hingegen innerhalb einer gesellschaftsverändernden Pädagogik situiert, wie es etwa Gaya von Sychowski (vgl. Sychowski, 2011) oder Norbert Ricken (vgl. Ricken & Balzer, 2012) vorschlagen, dann wird deutlich, dass Buschmeyers Forderung nach mehr Vielfalt von Männlichkeiten in der Kinderbetreuung lediglich die politische Forderung nach mehr Männern in Kitas in ein anderes Gewand kleidet. Ihre Untersuchung macht aber etwas ganz anderes deutlich: Kinderbetreuung, die einen gesellschaftsverändernden Anspruch folgt, kann es sich nicht leisten, ‚komplizenhaften‘ Männlichkeiten die Herrschaft auf dem Spielfeld der Geschlechterkonstruktion zu überlassen (vgl. Dölling & Krais, 1997).
Die Dissertation, welche 2012 mit dem Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) ausgezeichnet wurde, bietet eine gute Einführung in die sozialkonstruktivistische Geschlechterforschung anhand einer aktuellen Fragestellung. Einschlägige Texte der Geschlechtersoziologie und der Männerforschung werden gewinnbringend vorgestellt. Die analytischen Schwächen sind zwar ärgerlich, wirken sich jedoch nicht schwerwiegend auf die Erfassung des empirischen Materials aus, denn Buschmeyers Präsentationen geben genug Raum, eigene Überlegungen anhand der Materialien anzustellen. Für ein Publikum, das mit der Geschlechtersoziologie wenig vertraut ist, kann die theoretisch fundierte Studie vor allem hinsichtlich des kompakten Überblicks über verschiedene theoretische Ansätze empfohlen werden. Aber auch die Leser/-innen, die sich für die empirische Realität der Erzieher in Kitas interessieren, kommen nicht zu kurz. Trotz der kritisierten Engführung liefert das Buch spannende Einblicke in die vergeschlechtlichte Arbeitswelt der außerhäuslichen Kinderbetreuung. Ein feministisch orientiertes Publikum hätte sich indes eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Interviewmaterial gewünscht.
Dölling, Irene & Krais, Beate. (1997). Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Ricken, Norbert & Balzer, Nicole (Hrsg.). (2012). Judith Butler: Pädagogische Lektüren. Wiesbaden: Springer VS.
Sychowsky, Gaya von. (2011). Geschlecht und Bildung. Beiträge der Gender-Theorie zur Grundlegung einer Allgemeinen Pädagogik im Anschluss an Judith Butler und Richard Hönigswald. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Sahra Dornick
Universität Potsdam
M.A. Soziologie/Germanistik; Promovendin am Institut für Germanistik der Universität Potsdam; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Technische Universität Berlin
E-Mail: sahra.dornick@googlemail.com
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