Amadeu Antonio Stiftung, Heike Radvan (Hg.):
Gender und Rechtsextremismusprävention.
Berlin: Metropol Verlag 2013.
296 Seiten, ISBN 978-3-86331-043-1, € 19,00
Abstract: Gender ist als relevanter Eckpunkt einer präventiven Arbeit gegen Rechtsextremismus bislang allemal in der Theorie angelangt, an praktischen Ansätzen fehlt es gänzlich. Im Sammelband wird die Zentralität der Kategorie Geschlecht für rechtsextreme Weltbilder diskutiert und erstmalig der aktuelle Stand der akademischen Diskussion um geschlechterreflektierte Präventionsarbeit zusammengefasst. Der Versuch, die Transformation in praktische Arbeitsgebiete durch konzeptionelle Rahmungen zu ebnen, gelingt in Ansätzen, lässt dabei jedoch einige Fragen offen.
Nachdem die Kategorie Gender in den vergangenen Jahren stetig wachsende Beachtung in Forschungen zum Thema Rechtsextremismus gewann (vgl. Birsl 2011, Bitzan 1997, Claus, Lehnert & Müller 2010, Möller & Schuhmacher 2007), folgt nun der nächste Schritt in der Debatte. Die zentrale Frage dabei lautet, wie die Erkenntnisse über Geschlechterkonstruktionen im Rechtsextremismus sowie die Einsichten über deren Spannungen zwischen individuellen Praxen und stets hohem Homogenisierungsdruck für präventive Ansätze der Arbeit gegen Rechtsextremismus fruchtbar gemacht werden können.
Um sich den Antworten zu nähern, untergliedert Heike Radvan den Band der Amadeo-Antonio-Stiftung in drei Abschnitte. Dabei folgen den „Allgemeinen Überlegungen“ mit zwei Beiträgen zur Verortung von Frauenpolitiken in Ost- und Westdeutschland die „Innenansichten“ zu Konstruktionen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten im Rechtsextremismus. Den größten Umfang nimmt der abschließende Abschnitt mit dem Titel „Pädagogische und zivilgesellschaftliche Praxis“ ein, in dem sowohl der Status Quo der Landschaft präventiver Arbeit analysiert als auch Rahmenbedingungen und Ansätze geschlechterreflektierender sowie dekonstruktivistischer Pädagogik skizziert werden.
Dabei sind sich alle Autor/-innen des Bandes in zwei Punkten einig: Zum einen ist der Einbezug der Kategorie Gender elementar für ein tiefgründiges Verständnis von rechtsextremen Phänomenen, zugleich jedoch nicht als Alternative, sondern als notwendige Ergänzung existierender Präventionsprogramme zu denken. Zum anderen wird der inhaltliche Aufschlag im Rahmen primärer und sekundärer Prävention gedacht, also auf Arbeit mit jugendlichen Sympathisant/-innen und Mitläufer/-innen fokussiert, die noch kein manifestes rechtsextremes Weltbild aufweisen und keine Funktion in den entsprechenden Strukturen als Aktivist/-innen oder Kader ausfüllen (vgl. Verein für demokratische Kultur 2006).
Wie die Autor/-innen im zweiten Buchabschnitt herausarbeiten, basieren rechtsextreme Weltbilder auf einer strikten Geschlechterdichotomie, welche deutliche Zuweisungen von ‚weiblichen‘ und ‚männlichen‘ Charakterzügen als auch gesellschaftlichen sowie familiären Aufgaben umfasst. Dementsprechend gelten die Ideale einer fürsorgenden Mutter wie auch des soldatischen Mannes als hegemonial, welche im Rechtsextremismus als von modernen Phänomenen wie dem Feminismus oder internationaler Migration gefährdet erscheinen: „Wo geschlechtliche Identitäten als offen verhandelbar dargelegt werden, erscheinen auch Kultur, Volk, Heimat als unverbindliche Begriffe. Grundpfeiler eines rechtsextremen Weltbildes werden damit ihrer vorgeblichen Naturgegebenheit entrissen“ (Lang, S. 97). Geschlecht trete somit als strukturgebende Kategorie der inneren, volksgemeinschaftlichen Ordnung in Erscheinung (S. 98).
Doch erweist sich der moderne Rechtsextremismus in der Umsetzung seiner ideologischen Prämissen in konkrete politische Praxis als wandelbar. So weist Juliane Lang nach, wie sich die Positionen rechtsextremer Frauenorganisationen seit den 1950er Jahren verändert haben. Fragen nach der Gewichtung zwischen Familie, beruflichem Werdegang und politischem Aktivismus haben rechtsextreme Frauen stets beschäftigt, so wurde noch 1967 im Sonderdruck Frau und Familie der NPD vehement die Vereinbarkeit aller drei Bereiche gefordert. Der heutige Ring Nationaler Frauen, ebenfalls ein Organ der NPD, hingegen grenzt sich vor dem Hintergrund einer diagnostizierten demographischen Krise strikt von derlei Positionen ab.
Zudem richten die Autor/-innen ihren Blick nicht nur auf die Ebene der Konstruktionen von Geschlecht, sondern ebenso auf die Subjekte, um sich deutlich abzeichnende Widersprüche zu beleuchten. Andrea Röpke schildert, dass auch Mädchen in der 1952 gegründeten und 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ durch „die Schule von Führerprinzip, soldatischer Härte und körperlicher Züchtigung gegangen“ seien. „Auch die Mädchen absolvierten im Alter von etwa 14 Jahren eine Mutprobe. Auch sie beteiligten sich an Geländeübungen, Ausmärschen und Volkstanz.“ (S. 80). Dennoch, so hält sie anhand mehrerer prägnanter Fallbeispiele fest, übten rechtsextreme Familien einen starken Druck der Homogenisierung auf ihre Kinder aus, und sich ergebende Vielfältigkeiten seien spätestens mit dem Ende der Jugend passé. Somit entstünden auch im Rechtsextremismus Momente nicht-klassischer Geschlechterpolitik, die so lange und partiell funktionierten, wie sie entweder der Jugendphase zugeordnet werden könnten oder sich dem Diktat nationaler Überhöhung unterordneten. Renate Bitzan differenziert in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Selbstbilder extrem rechter Mädchen und Frauen“ zudem, dass Geschlechterpolitik nicht einzig ausschlaggebend für rechtsextreme Frauen sei, sich zu politisieren. Vielmehr würden rassistische Positionen auf ideologischer Ebene aus Interviews mit rechtsextremen Frauen hervorstechen, und das Spektrum an weiblichem Aktivismus reiche bis zu einem öffentlichkeitsorientierten ‚nationalen Feminismus‘ (S. 159), womit sich die „Unhaltbarkeit einer einheitlichen ‚Heimchen-am-Herd‘-Praxis“ (S. 158) beweise.
Zugleich konstatiert Ulrich Overdieck in seiner Untersuchung rechtsextremer Internetforen, dass Männlichkeit „nicht (nur) als biologische Eigenschaft, sondern vor allem als tätiges Handeln verstanden“ (S. 112) werde. Dieses Handeln zeichne sich durch ‚Kameradschaft‘ und politischen Kampf aus. Interessanterweise führt der ansonsten der Kategorie Gender als ‚theoretischem Phantasma‘ abgeneigte Rechtsextremismus hier durch die Hintertür selber seine Definition von doing gender ein und postuliert Geschlecht als Tat. Darüber hinaus bemerkt Overdieck, dass der generelle Anti-Individualismus rechtsextremer Geschlechterkonstruktionen mit konkreten Verlusten „individueller Handlungsfreiheit“ sowie mit „(Selbst-)Unterwerfung unter äußere Anforderungen“ (S. 130) einhergehe. Männlichkeit stehe unter dem konstanten Druck des Beweises und übe permanent homogenisierenden Zwang auf einzelne Subjekte aus.
Im dritten Block des Sammelbandes beschäftigen sich die Autor/-innen mit Präventionsarbeit. Diese dürfe Tendenzen zur Homogenisierung keinesfalls fördern oder auch nur in Kauf nehmen, wenn ihr grundlegend am Abbau von Macht- und Diskriminierungsverhältnissen gelegen ist, damit sie im besten Sinne geschlechterreflektierend wirke, so der Tenor des gesamten Bandes. Dies beinhalte, Räume ambivalenter Erfahrungen sowie Verhandlungen zu eröffnen und gängige Zuschreibungen sowie hegemoniale Bilder zu hinterfragen, um männliche wie weibliche Subjekte in die Lage zu versetzen, mit Aushandlung und Widersprüchlichkeit konstruktiv umgehen zu können. Darüber hinaus dürfe auch das Subjekt pädagogischer Arbeit in seiner Konzeption nicht homogenisiert werden, wie es oftmals durch eine Fixierung auf gewalttätige Phänomene und eine daraus folgende unsichtbare Fokussierung auf männliche Täter (Stützel, S. 223) in der Jugendsozialarbeit geschehen ist.
Zwei Beiträge stechen dadurch hervor, dass in ihnen versucht wird, dekonstruktivistische Überlegungen und pädagogische Praxis zu verbinden. Katharina Debus und Olaf Stuve vom Berliner Institut Dissens e.V. präsentieren eine Konzeption von Männlichkeit als Anforderung, mit der „sich alle auseinandersetzen müssen, die als Jungen oder Männer eingeordnet werden oder eingeordnet werden wollen“ (S. 172). An der Schnittstelle zwischen Männlichkeit und rechtsextremen Ideologien und Praktiken ansetzend, verstehen sie „geschlechterreflektierende Arbeit mit Jungen, die bereits die Aufforderung zur Männlichkeit unterläuft, [als] im besten Sinne präventiv gegen Rechtsextremismus“ (S. 172). Denn sie wirke der normativen, zweigeschlechtlichen Grundlage rechtsextremer Gemeinschaftsideale sowie der rechtsextremen Anforderung von männlicher Härte generell entgegen. Hierzu konturieren sie Jungenarbeit in einem zehn Punkte umfassenden Programm als intersektional, kontextorientiert, anti-homogenisierend, geschlechterreflektierend, subjekt-orientiert, konfliktfähig, freiraumschaffend, kleinschrittig, (selbst-)kritisch, gewaltlos und phantasievoll. Vivien Laumann fügt an, dass dekonstruktivistische Pädagogik durch ihren anti-identitären und anti-normativen Charakter fähig sei, „eine differenzierte Perspektive auf Gesellschaft und ihre Subjekte zu entfalten“ (S. 236), so dass Ideale von Homogenität, soliden Ordnungen und starren Identitäten irritiert würden. Die Autorin macht sogleich den ersten Schritt einer Konzeptionalisierung für Präventionsarbeit, wenn sie festhält, dass die Enttarnung rechtsextremer Deutungsangebote als pseudo-funktional für einzelne Subjekte ein vielversprechender Ansatz ist. So könne z. B. die Entwicklung eines sensiblen Zugangs zu individuellen körperlichen Bedürfnissen entgegen einem Ideal soldatischer Härte produktiv in der Pädagogik fokussiert werden (S. 246). Es bestehe die Hoffnung, dass solch ein sensibilisiertes Verständnis eigener Körperlichkeit nicht allein die eigene geschlechtliche Identität flexibilisiere, sondern ebenso generelle Konstruktionen von kultureller, nationaler oder auch sexueller Reinheit und Eindeutigkeit in Zweifel ziehe.
Heike Weinbach greift den Gedanken der Irritation und Hinterfragung in ihrem einleitenden Text zu feministischer Geschichte in der BRD auf und plädiert letztlich für ein Training von pluralen Denkstrukturen und Metakognition: „Plurales Denken, Verstehen von Vielfalt, Multiperspektivität, Fähigkeiten der Selbstdistanzierung und Selbstironisierung können neue Haltungen und Perspektiven erzeugen, mit deren Hilfe Menschen Totalitätskonstruktionen, Wahrheiten und Generalisierungen gegenüber skeptisch bleiben“ (S. 70). Inwiefern dies als funktionaler Ansatz präventiver Arbeit mit Gruppen hohen rechtsextremen Einstellungspotentials der „Misstrauischen und Autoritären“ auf Seiten der Frauen sowie „Selbstsicheren und Autoritären“ auf Seiten der Männer (Brähler & Decker 2006, zit. von Birsl, S. 138 ff.) taugt und in mögliche Praxen zu übersetzen ist, bleibt weiteren Forschungen und (Modell-)Projekten vorbehalten zu konturieren.
Den Ergebnissen des Bandes entsprechend eröffnet sich ein breiter Katalog an möglichen Perspektiven. Weitere Forschungen zur „Funktion rigider Frauenbilder innerhalb rechter Ideologie für Mädchen“ (Radvan, S. 28) drängen sich auf. Hinzu kommt die Frage, ob junge Frauen in der Organisation von ‚Kameradschaft‘ und ‚Volksgemeinschaft‘ einen letztendlich romantisierten und von Seiten rechtsextremer Szenen dennoch verweigerten Schutzraum vor sexualisierter Gewalt suchen könnten (Lehnert, S. 207). Ebenso sollte den Wirkungsweisen von Überlegenheitsversprechungen an rechtsextreme Männer nachgegangen sowie die Rolle von „Gewalterfahrungen, die Männer in der rechten Szene als Täter, aber auch als Opfer machen“ (Radvan, S. 29), im Einstiegs- und Konsolidierungsprozess fokussiert werden. Sie alle besitzen direkten praktischen Bezug, insbesondere was die Begleitung und Analyse von Ausstiegsprozessen anbelangt (Sigl, S. 289).
Letztlich gelingt es der Herausgeberin mit diesem Band, den aktuellen Stand der größtenteils theoretisch geführten Diskussion zu geschlechterreflektierenden Ansätzen in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus kompakt zusammenzuführen. In vielfältigen Analysen werden Ideen geschlechterpolitischer Verunsicherung, Flexibilisierung, Ent-Tradionationalisierung und Selbstkritik gegen einen starken Homogenisierungsdruck rechtsextremer Konstruktionen diskutiert. Nur bleiben fruchtbare Beispiele des Weges in die Praxis rar gesät. Das Modellprojekt „Lola für Lulu“ postuliert den Anspruch, Frauenförderung und Rechtsextremismusprävention zusammenzudenken (Lehnert, S. 253). Jedoch muss auch die Projektleiterin Anne-Rose Wergin festhalten, dass kaum Praxiserfahrung existiert, und präsentiert das „Peer Leader Training“ für Jugendliche gegen Rassismus und Antisemitismus mitsamt einem Fokus auf sexuelle und geschlechtliche Gleichstellung als vielversprechenden Versuch (S. 259). Demnach muss geschlechterreflektierte Arbeit gegen Rechtsextremismus weniger als ein eigenes Methodenset verstanden werden. Vielmehr ist sie als zu stärkender, schärfer zu konturierender und intersektional zu denkender Schwerpunkt einer Bildungsarbeit gegen ‚gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘ zu konzeptionieren.
Somit zeigt der Band vor allem den großen Bedarf am praktischen Testen, den ambivalenten Erfahrungen alltäglicher Pädagogik und den suchenden Schritten der Übersetzung in konkrete pädagogische Settings auf. Es besteht die Hoffnung, dass er genügend Anreize für pädagogisch arbeitende Projekte und innovative Praktiker/-innen enthält, die Anregungen aufzugreifen. Um die Frage, wie diese Transformationsleistung erleichtert werden kann, sollte sich die Debatte weiter drehen.
Birsl, Ursula. (2011). Rechtsextremismus und Gender. Leverkusen: Barbara Budrich.
Bitzan, Renate. (1997). Rechte Frauen. Berlin: Espresso.
Brähler, Elmar/Decker, Oliver. (2006). Vom Rand zur Mitte. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
Claus, Robert/Lehnert, Esther/Müller, Yves. (2010). ‚Was ein rechter Mann ist …‘. Berlin: Karl-Dietz-Verlag.
Möller, Kurt/Schuhmacher, Nils. (2007). Rechte Glatzen. Rechtsextreme Orientierungs- und Szenezusammenhänge. Einstiegs-, Verbleibs- und Ausstiegsprozesse von Skinheads. Wiesbaden: VS.
Verein für Demokratische Kultur in Berlin e. V. (2006). Integrierte Handlungsstrategien zur Rechtsextremismusprävention und -intervention bei Jugendlichen. Berlin.
Robert Claus
Der Autor, M.A. der Europäischen Ethnologie sowie der Gender Studies, arbeitet beim Berliner Fußballverein Türkiyemspor.
E-Mail: robert_claus@web.de
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