Die erste hauptberufliche Bibliothekarin Deutschlands

Rezension von Ulrike Koch

Frauke Mahrt-Thomsen:

Bona Peiser.

Die erste deutsche Bibliothekarin.

Berlin: Verlag BibSpider 2013.

275 Seiten, ISBN 978-3-936960-56-3, € 32,00

Abstract: Bona Peiser (1864–1929), die erste Bibliothekarin Deutschlands, hat nicht nur ein neues Ausleihsystem für Bibliotheken entwickelt, sie hat sich auch intensiv mit Fragen zur Ausbildung von Bibliothekarinnen und allgemeiner mit Frauen im Beruf beschäftigt. Welche große Rolle ihr dabei bei der Entstehung der Lesehallen in Deutschland zuzuschreiben ist, dem geht Frauke Mahrt-Thomsen in der vorliegenden Biographie nach und liefert damit, neben einem Einblick in Bona Peisers Arbeiten und Wirken, eine fundierte Übersicht in die Entstehung des Bibliothekswesen in Deutschland.

Obwohl der Bibliotheksberuf an sich sehr stark weiblich konnotiert ist, sind Darstellungen der Bibliotheksgeschichte überwiegend androzentristisch ausgerichtet, fokussieren also auf die Leistungen von Männern, und das sowohl im Hinblick auf die Berufsgeschichte als auch auf deren Errungenschaften für die Bibliothek. Leistungen, die hingegen von Frauen erbracht worden sind, wurden und werden zum Teil weiterhin ausgeklammert oder nur in wenigen Zeilen abgehandelt. Neben einigen Einzelarbeiten ist vor allem seit den 1990er Jahren ein verstärktes Interesse an dem Themenfeld Frau und Bibliothek zu beobachten, das stark durch Dagmar Janks Arbeiten geprägt ist. Ausschlaggebend für eine intensivere Beschäftigung ist jedoch der von Helga Lüdtke herausgegebene Reader Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken (1992), in dem sie sich ausführlich mit Frauen im Bibliothekdienst auseinandersetzt und über die hier im Zentrum stehende Bibliothekarin Bona Peiser berichtet sowie Originaltexte von ihr abdruckt. Bereits hier sind auch erste Anmerkungen zu deren Leben und Wirken zu finden, die nun von Frauke Mahrt-Thomsen ausführlich aufgearbeitet wurden.

Die Bibliothekarin Mahrt-Thomsen verfolgt dabei einen historisch-biographischen Zugang, erarbeitet also sowohl die persönliche Lebensgeschichte von Bona Peiser, die von 1864 bis 1929 in Berlin lebte, als auch die Entwicklung der Bücher- und Lesehallenbewegung in Deutschland ab 1895. Die biographische (Re-)Konstruktion ist dabei als ein Beitrag zur Aufarbeitung der Ersten Frauenbewegung zu klassifizieren, wobei sowohl die Forderung nach Bildung und Berufstätigkeit von Frauen betrachtet als auch die damit einhergehende Organisation in Form von Vereinen in den Blick genommen werden – alles Bereiche, in denen auch Peiser aktiv mitgewirkt hat. Primäres Anliegen dabei ist, deutlich zu machen, wie sehr Frauen am Aufbau und der Entwicklung von Bibliotheken beteiligt waren und für deren öffentliche Sichtbarmachung einzutreten bereit waren. Zur Verdeutlichung von Peisers Bedeutung seien hier zwei Beispiele herausgegriffen: erstens das von ihr entwickelte Ausleihsystem und zweitens ihr Engagement bei der Nachwuchsförderung.

Bibliothekarische Leistungen

Zu einem der wesentlichsten Fachbeiträge von Bona Peiser zählt wohl die Entwicklung eines Ausleihsystems, das in Form von Buchkarten abgewickelt wird. Für jedes Buch wird eine Karte angelegt, die in Kästen aufgestellt sind und entnommen werden, sobald ein Buch entlehnt wird. Diese innovative wie auch praktische Vorgehensweise kann als eine kleine Revolution im Bibliothekswesen gedeutet werden, schließlich sorgt sie nicht nur für Übersicht über die verliehenen Werke, sondern erleichtert den Bibliotheksangestellten auch die Arbeit. Für Peiser erfüllt das Buchkartensystem jedoch noch einen weiteren Zweck: Als Bibliothekarin ist sie der Überzeugung, dass nur eine persönliche Beratung den Lesenden zum ‚richtigen‘ Buch verhilft, das sie mit Hilfe des Buchkartensystems auch schnell auffinden kann. Die damit einher gehende psychologische Deutung der Lesenden führt dabei auch zu dem Anspruch, die Lesenden gegebenenfalls zum ‚richtigen‘ Buch und Lesen zu erziehen. Dabei verkennt sie jedoch, dass ein freier Zugang zu den Büchern den Lesenden mehr Möglichkeiten und auch Autonomie ermöglicht.

In zahlreichen Publikationen und Vorträgen setzt sich Peiser mit der Ausbildung von Bibliothekarinnen auseinander und äußert sich auch zu Fragen nach der Stellung im Berufsleben sowie der finanziellen Vergütung. Seit 1900 werden vermehrt Frauen in Bibliotheken angestellt, und Christlieb Gotthold Hottinger eröffnet auch die erste Schule für Bibliothekarinnen. Während ersteres von Peiser begrüßt wird, äußert sie sich zur Schule kritisch, da Frauen dort eine wesentlich kürzere Ausbildung erfahren, die noch dazu auf ‚typisch weibliche‘ Eigenschaften und Fähigkeiten reduziert wird, wohingegen für Männer im Bibliotheksdienst eine höhere Ausbildung, ja zum Teil sogar ein Studium verlangt wird. Im Gegensatz dazu fordert Peiser die gleiche Ausbildung sowie Bezahlung, leistet hier auch wesentliche Impulse, die aber im Schatten der Wirtschaftskrise schnell in Vergessenheit geraten. Wesentlich erfolgreicher ist sie hingegen als Ausbildnerin für angehende Bibliothekarinnen, und „es gilt weit über Berlin hinaus als Empfehlung, bei Bona Peiser gelernt zu haben.“ (S. 104) Sie führt zudem eine Stellenvermittlung ein, um jungen Bibliothekarinnen die Möglichkeit zu bieten, eigenständig nach einer Anstellung zu suchen. Den fachlichen Austausch fördert sie dabei durch die Initiierung regelmäßiger Treffen von Bibliothekarinnen, die 1907 zur Vereinigung bibliothekarisch arbeitender Frauen führt, die allerdings 1920 wieder aufgelöst wird.

Zweifache Herangehensweise

Mahrt-Thomsen verbindet in ihrer Untersuchung sowohl individual- als auch sozialgeschichtliche Elemente, wenn sie den Fokus auf das Wirken Bona Peisers richtet. Das verschwommene Bild einer Frau, das das Cover ziert und von dem vermutet wird, dass hier Peiser abgelichtet ist, kann dabei als Metapher für die geringe Anzahl biographischer Daten gelesen werden. Die Privatperson Bona Peiser eröffnet sich den Lesenden nur über wenige Quellen, die – von Mahrt-Thomsen vorsichtig interpretiert – das Bild einer wissbegierigen und autonom agierenden Frau hervorrufen, die dank ihrer Bildung und vermutlich gefördert durch ihre Familie neben einer Ausbildung auch die Möglichkeit zu reisen hatte, was zu einigen Anregungen für ihre spätere Bibliotheksarbeit geführt hat.

Wesentlich besser dokumentiert sind hingegen Daten und Fakten zur Entstehung der Lesehallenbewegung in Deutschland, deren Ziele Zugang zu Büchern sowie Bildung für alle Schichten umfassten. Überliefert sind hier vor allem Berichte mit umfassenden Jahreszahlen, die den die Lesehallen fördernden Stellen vorgelegt werden mussten. Ebenfalls gut dokumentiert sind die zahlreichen Publikationen Peisers, die neben Äußerungen zur Stellung der Frau im Bibliothekswesen sowie zu deren Ausbildung auch Bücherverzeichnisse und -kataloge umfasst. Gestützt durch weitere Werke, die sich der Aufarbeitung von Frauen im Bibliothekswesen widmen, arbeitet Mahrt-Thomsen möglichst detailgenau das Leben und Wirken Peisers heraus, wobei hier durch die geringe Quellenlage keine chronologische Vorgehensweise möglich ist. Daher setzt die Autorin inhaltliche Schwerpunkte, beschäftigt sich also in den einzelnen Kapiteln mit der Entstehung der Lesehallenbewegung oder dem auch hier vorgestellten berufspolitischen Engagement der Bibliothekarin.

Fazit

„Als erste Frau im Bibliotheksfach hat Fräulein Bona Peiser bahnbrechend gewirkt, und es ist ganz besonders ihrer anerkannt hervorragenden Berufstätigkeit zu verdanken, daß sich den Frauen dieses Arbeitsfeld erschloß.“ (S. 171) So schreibt Martha Schwenke, Vorsitzende der Vereinigung bibliothekarisch arbeitender Frauen e.V., als Würdigung Bona Peisers und zum 25jährigen Jubiläum der ersten Lesehalle, und unter diesen Vorzeichen ist auch Mahrt-Thomsens Werk zu fassen, die durch ihre Herangehensweise nicht nur Peisers Leben biographisch aufarbeitet, sondern auch einen Überblick über die Entstehung des Berufs der Bibliothekarin sowie der Bücher- und Lesehallenbewegung in Deutschland liefert. Als fehlend muss jedoch kritisiert werden, dass die Relevanz für den heutigen Berufsstand ‚Bibliothekarin‘ bzw. allgemeiner das Bibliothekswesen nicht erörtert wird. Die Relevanzherstellung wird nur durch ein kurzes Kapitel zu Frauen und Gender in Bibliotheken angeschnitten, jedoch nicht weiter ausgeführt. Daher verbleibt das Werk trotz vieler positiver Aspekte unter den Labeln ‚Sichtbarmachung‘ und ‚Aufarbeitung‘, was aber zum Teil auch auf die geringe Anzahl bisheriger Forschungen zurückzuführen ist. Die Studie zu Peisers Leben und Wirken kann daher als ein Anstoß für weitere Forschungstätigkeiten gelesen werden.

Literatur

Lüdtke, Helga (Hg.). (1992). Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken. Berlin: Orlanda-Frauenverlag.

MMag.a Ulrike Koch

Literaturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Gender Studies

Homepage: http://ullikoch.wordpress.com

E-Mail: ulrike_koch@gmx.at

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