Diversity und Hochschule − von der Notwendigkeit einer ambivalenten Haltung

Rezension von Inga Nüthen, Heike Pantelmann

Saskia-Fee Bender, Marianne Schmidbaur, Anja Wolde (Hg.):

Diversity ent-decken.

Reichweiten und Grenzen von Diversity Policies an Hochschulen.

Weinheim: Beltz Juventa Verlag 2013.

210 Seiten, ISBN 978-3-7799-2894-2, € 29,95

Abstract: Das Schlagwort Diversity wird immer populärer und hat mittlerweile auch die Hochschulpolitik erreicht. Damit verbundene Maßnahmen und Politiken stellen an deutschsprachigen Hochschulen aber ein noch relativ neues Unterfangen dar, und deren Potentiale und Auswirkungen sind umstritten, gerade im Hinblick auf den Abbau sozialer Ungleichheit und den Aufbau einer geschlechtergerechten Hochschule. Für eine ernstzunehmende Inklusionspolitik, die im Kontext der unternehmerischen Hochschule bestehen kann, ist eine kritische Reflexion von Diversity-Konzepten und -Praktiken unbedingte Voraussetzung. Der vorliegende Sammelband ist ein begrüßenswertes Handbuch für alle, die an Diversity-Politiken an der Hochschule beteiligt sind, und eine gute Grundlage für eine informierte, kritisch-reflexive Praxis.

DOI: http://doi.org/10.14766/1119

Zwischen Inklusion und Imagepflege – ‚Buntheit‘ allein ist kein Konzept

Dass Diversity an Hochschulen ein weit komplexeres Handlungsfeld darstellt, als die leicht geführte Rede von Vielfalt oft suggerieren mag, ist Ausgangspunkt des Bandes. In ihm werden Fragestellungen aufgegriffen, die sowohl theoretischer Natur als auch praxisbezogen sind und deutlich machen, dass „Buntheit“ allein kein Konzept ist (S. 8). Wesentliches Anliegen der Herausgeberinnen ist es, das Spannungsfeld zweier zentraler, gegenläufiger Diskussionsstränge in der Debatte um Diversity-Programme und -Politiken herauszuarbeiten: einerseits Diversity im Sinne einer Öffnung der Hochschulen für gesellschaftliche Gruppen und auch Perspektiven, die bislang unterrepräsentiert waren/sind, und einer Orientierung an Inklusion, andererseits Diversity als Imagefaktor für Hochschulen im internationalen Wettbewerb. Die mit den jeweiligen Diskussionssträngen verbundenen emanzipatorischen oder neoliberalen Zielsetzungen der Hochschulen fügen sich in der Diskussion scheinbar mühelos ineinander und legen damit die Widersprüchlichkeit des Anliegens offen, so die Herausgeberinnen. Greifbar wird dieses Spannungsfeld in einigen der praxisbezogenen Beiträge des Bandes in ihrer Thematisierung von ‚Migration‘/,Migrationshintergrund‘ im Kontext von Internationalisierung. Die Vermengung von Inklusion und Imagepflege der Institutionen in der politischen Praxis sowie die Ambivalenz, die sich daraus ergibt, werden in dem vorliegenden Band auch in den theoretischen Beiträgen auf gewinnbringende Weise nachvollzogen.

Die ersten vier, eher theoretisch gelagerten Artikel von Helma Lutz, Gudrun-Axeli Knapp, Gertraude Krell und Uta Klein bewegen sich dementsprechend entlang des aufgerufenen Spannungsfeldes; die Autorinnen plädieren letztlich alle für eine Politisierung von Diversity sowie für einen Mittelweg zwischen dem, wie Gertraude Krell es formuliert, „Versinken im neoliberalen Sumpf“ und dem „Ödland der Totalkritik“ (S. 63). In diesen ersten Beiträgen wird deutlich, dass einzelne Diversity-Maßnahmen wenig hilfreich sind und es hingegen für das komplexe Handlungsfeld ‚Diversity an Hochschulen‘ umfassenderer Konzepte bedarf. Helma Lutz benennt diesbezüglich die Erhebung qualitativer und quantitativer Daten, Sensibilisierung und Schulungen auf allen Ebenen sowie die Notwendigkeit einer die Maßnahmen begleitenden Forschung (vgl. S. 27 f.). Gudrun-Axeli Knapps Beitrag sticht mit seiner kritischen Einforderung der Verbindung von Theorie und Praxis besonders hervor. In ihrem Plädoyer „‚Diversity‘ and Beyond. Vom praktischen Nutzen feministischer Theorie“ fordert sie vor allem mehr kritischen Bezug auf feministische Theorien und gerade auch für die Praxis eine nicht vorschnell pragmatisch verengte kritische Reflexion von Diversity-Politiken. Die Rede von Diversity sei keinesfalls einstimmig, denn, so Knapp, das „hohe Lied der Vielfalt wird von einem dissonanten Chor gesungen“ (S. 37), wichtig sei der Fokus auf herrschaftskritische Stimmen. Sie hebt hervor, dass eine feministisch-theoretische Reflexion das Bewusstsein für Paradoxien, Dilemmata sowie Grenzen und Möglichkeiten von Diversity-Politiken schaffe: „Auch wenn davon auszugehen ist, dass sich unter gegebenen Bedingungen Spannungen nicht auflösen und Paradoxien nicht vermeiden lassen werden, so lassen sich die Knoten doch im Kopf entwirren, um klarer erkennen zu können, was in Kauf zu nehmen ist oder vielleicht auch nicht.“ (S. 36) Es geht ihr um eine fragende Bewegung zwischen Theorie und Praxis. Dieser Anspruch einer suchenden, immer wieder kritisch reflektierten Entwicklung wird im vorliegenden Band aufgegriffen und ist zugleich sein zentraler Verdienst.

In der Praxis ein ambivalentes Verhältnis

Weitere Beiträge nehmen die konkrete Praxis von Diversity an Hochschulen in den Blick. Mechthild Bereswill reflektiert in einem Interview über die Reichweiten und Grenzen von sozialem und politischem Lernen in Trainings. Auch sie plädiert für eine herrschaftskritische Perspektive auf Diversity und verweist – in gewisser Weise analog zu Knapp – auf die notwendige Reflexion in der Dauerkonfrontation zwischen Selbsterfahrung und institutionellen Strukturen sowie auf die Frage, mit welchen Zuschreibungen von ‚Differenz‘ in Diversity-Konzepten gearbeitet wird. Ziel müsse sein, Widersprüche auszuhalten, anstatt Vielfalt harmonisieren zu wollen. Für Bereswill ergibt sich aus der Praxisreflexion eine Position der Ambivalenz zu Diversity-Politiken (vgl. S. 115).

Diese ambivalente Haltung spiegelt sich (leider nur) in einigen der Praxisbeispiele des Bandes wider. Besonders der Beitrag der beiden Herausgeberinnen Bender und Wolde wird dem Anspruch aber gerecht. In ihrem Artikel „Diversity Policies: Implentation mit Brüchen“ zeichnen sie die Implementierung von Diversity-Politiken an der Universität Frankfurt in ihren Widersprüchen und Brüchen nach und machen deutlich, dass individuelle und strukturelle Ebene zusammengedacht werden müssen. Individuelle Förderung sei notwendig, aber nicht ohne strukturelle Veränderungen denkbar. Sie skizzieren Diversity-Politiken an Hochschulen eingebettet in ein Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und Ziele: Hochschulen seien zum einen den an sie gestellten ökonomischen Anforderungen unterworfen und zum anderen als öffentliche Bildungseinrichtungen dem gesellschaftlichen Auftrag der Herstellung von Chancengleichheit verpflichtet. In der konkreten Umsetzung würden Diversity-Politiken zudem je nach Fachkultur unterschiedlich interpretiert, aufgegriffen und übersetzt, so dass ein konkurrierendes Nebeneinander entstehe, das konstruktiv gewendet werden müsse. Die Notwendigkeit einer Kombination von individueller Förderung und Veränderungen auf struktureller Ebene greift Minna-Kristina Ruokonen-Engler in ihrem Beitrag „Chancengleichheit durch gezielte Förderung? Zur Bedeutung diversitätsgerechter Förderangebote im Bildungssystem am Beispiel Studierender mit Migrationshintergrund“ auf.

Wenig über Ambivalenzen informiert, dafür aber mit harmonisierter Vielfalt konfrontiert werden die Leser*innen von den letzten beiden praxisbezogenen Texten. Der Beitrag von Ayla Satilmis, Anneliese Niehoff und Margit E. Kaufmann sowie der Beitrag von Shadell Permanand kommen eher im Stile eines Antrags für die Gewinnung eines Diversity-Siegels daher, womit die möglicherweise vorhandene kritische Selbstreflexion der eigenen Praxis verdeckt wird. Besonders der Text von Permanand mit dem Titel „Jenseits der Richtlinien: Herstellung einer Kultur der Gleichstellung, Diversität und Exzellenz“ hinterlässt den Leseeindruck eines Werbeprospekts. Die kritische Reflexion der Praxis bleibt hier ganz aus und löst damit das Spannungsverhältnis zwischen Inklusion und Imagepflege, das dem Sammelband zugrunde liegt, einseitig auf: Hier scheint es nur um eine gute Außendarstellung der Hochschule zu gehen. Das ist nicht nur politisch fragwürdig, sondern auch wenig erkenntnisbringend.

Fazit

Den Autorinnen des Bandes gelingt ganz überwiegend, was der Untertitel des Buches verspricht: Reichweiten und Grenzen von Diversity-Politiken an Hochschulen auszuloten und die vor allem im Artikel von Knapp geforderten theoretischen Reflexionen, die Bewusstsein für Paradoxien, Dilemmata, Grenzen und Möglichkeiten von Diversity-Politiken schaffen, überzeugend zu leisten. Nur zwei der Praxisbeiträge werden diesem Anspruch nicht gerecht − Ambivalenzen werden hier nicht betont, sondern geglättet, was einer reflektierten Praxis wenig dienlich ist und eher an den Stil einer ‚exzellenten‘ Hochglanzbroschüre erinnert. Dieses Buch sei dennoch allen Akteur*innen der Diversity-Politiken an Hochschulen nachdrücklich zur Lektüre empfohlen; es ist ein Anstoß für weitere kritisch-ambivalente Diskussionen. Angeraten zur Lektüre sei es auch den Präsidien der Hochschulen – allerdings werden in diesem Vorschlag die im Titel benannten Grenzen deutlich: Eine Orientierung an Inklusion bisher nicht repräsentierter gesellschaftlicher Gruppen und Perspektiven jenseits der Imagepflege ist von dieser Seite eher selten zu erwarten. Dies macht einmal mehr deutlich, dass die Herausforderungen für Diversity-Politiken besondere sind – vor allem auch, weil der Arbeitskontext Hochschule für viele Akteur*innen ein zeitlich wie finanziell prekärer ist.

Inga Nüthen

Freie Universität Berlin

Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung

Homepage: http://www.zefg.fu-berlin.de/mitarbeiter_innen/nuethen/index.html

E-Mail: inganue@zedat.fu-berlin.de

(Die Angaben zur Person beziehen sich auf den Stand zum Veröffentlichungsdatum.)

Heike Pantelmann

Freie Universität Berlin

Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung

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