Frauenöffentlichkeit Mode

Rezension von Julia Bertschik

Mila Ganeva:

Women in Weimar Fashion.

Discourses and Displays in German Culture, 1918–1933.

Rochester: Camden House 2008.

240 Seiten, ISBN 978-1-57113-205-5, $ 75,00

Abstract: Die klischeehafte Verbindung von Weiblichkeit und Mode wird am Beispiel der Weimarer Republik einer kulturwissenschaftlichen Relektüre unterworfen. Dabei zeigt sich an bislang wenig bekanntem Quellenmaterial aus Modejournalismus, Konfektionsfilm und Angestelltenroman, dass im Modebereich engagierte Frauen nicht nur als massenmediale Objekte dienten, sondern selbst im Bereich der modernen Weimarer Attraktionskultur aktiv waren.

Akteurinnen Weimarer Modernität

‚Frauen‘ und ‚Mode‘ scheinen wie von selbst auf einander zu verweisen. Katharina Rutschky hat 1991 in der Kulturzeitschrift Merkur darauf aufmerksam gemacht, dass das Sprechen über Mode eigentlich ein verdecktes Sprechen über Frauen bzw. Frauenbilder sei. Und dies häufig in abwertender Form: „Unecht, zwecklos, albern“, lauten die gängigen, bei Rutschky titelgebenden Stereotypen, die sich bei der meist weiblichen Beschäftigung mit Mode aufdrängen. In der Mode sah Rutschky zugleich ein „Medium weiblicher Identitätsbildung“ (S. 812). Mila Ganeva untersucht nun in ihrer kulturwissenschaftlichen Monographie dieses Phänomen in historischer Perspektive – fokussiert auf den Zeitraum der Weimarer Republik. Am Beispiel der weiblichen „practitioners of fashion“ (S. 11) in Journalismus, Literatur und Film, also der Modejournalistinnen, -zeichnerinnen, Mannequins und Filmstars, stellt sie diese primär als Subjekte, weniger als Objekte in Modediskurs und visueller Attraktionskultur zwischen 1918 und 1933 heraus. Gerade der massenmedial verbreitete Idealtyp der geistig, finanziell und sexuell unabhängigen, wahlberechtigten, emanzipierten und berufstätigen, sportlichen und modebewussten ‚Neuen Frau‘ ist auf ideengeschichtlicher wie ikonologischer Ebene bekanntlich als Symbol für die Fortschrittlichkeit der Republik, ihre Urbanität und Technikbegeisterung, ihre Sachlichkeit und ihr demokratisches Profil gesehen und daher zum „Inbegriff Weimarer Modernität“ (Ute Frevert) stilisiert worden. Vor dem Hintergrund US-amerikanischer Studien von Andreas Huyssen, Patrice Petro und Janet Ward zur Verbindung von Weiblichkeit, Oberflächenästhetik, Massen- und Konsumkultur sieht Ganeva in der mode-involvierten Frau der Weimarer Zeit darüber hinaus einen „agent[ ] of Weimar modernity […] who is not only being observed but is an insightful observer and commentator herself, who is not only a media representation but an influential producer of opinions and shaper of experience as well“ (S. 6). Herausgearbeitet werden soll daher eine aktive weibliche Position im zeitgenössischen, insbesondere von männlichen Theoretikern der Moderne wie Walter Benjamin, Franz Hessel und Siegfried Kracauer kulturphysiognomisch und sozialphilosophisch aufgeladenen Modediskurs der Weimarer Republik.

Weibliche Mode in Text und Bild

Dazu stellt Ganeva im ersten, den Modejournalismus dokumentierenden Teil ihrer Studie – betitelt „Discourses on Fashion“ – dem modernetypischen Phänomen des männlich-müßiggängerischen Dandy-Flaneurs die weiblich-urbane Modereporterin als adäquate Reflexionsfigur großstädtischer Attraktions- und Konsumkultur gegenüber. Als prominentes Fallbeispiel dienen hier die Mode- und Reiseartikel Helen Grunds, insbesondere für die Frauenbeilage der Frankfurter Zeitung.  Mit ihren zeitsignatorischen Modereflexionen in der ästhetisch ambitionierten Form feuilletonistischer Erzählskizzen (über die von Ganeva in diesem Zusammenhang betonte „surrealist experimentation“ [S. 12 u. S. 84] hätte man gerne mehr erfahren) beeindruckte Grund nicht nur ihren Ehemann Franz Hessel, sondern beeinflusste auch die Mode-Abhandlung von Benjamins Passagen-Werk. Einen weiteren Beleg für ihre These liefert Ganeva der populäre Modejournalismus des Ullstein-Verlags. Seine Ausrichtung an US-amerikanischen Marketingstrategien führte dazu, dass der Text als gut verkäufliche Ware über Gesinnung, Ausbildung und Geschlecht der Autor/-innen dominierte. Dies bedeutete eine Chance gerade für Frauen, denen traditionell bürgerliche Tageszeitungen, etwa die Frankfurter Zeitung, eine Redaktionsmitgliedschaft weiterhin vorenthielten. Im Segment der Mode lavierten dabei auch die Ullstein-Frauen zwischen „Frauenöffentlichkeit“ (S. 51, im Anschluss an Sigrid Weigel) und „ghettoization“ (S. 58, in Anlehnung an Almut Todorow). Im Vergleich zu den männlichen Kollegen der renommierten Zeitschrift Die Dame, wie z. B. Ernst Dryden, sieht Ganeva in den Modevorschlägen weiblicher Beiträger allerdings eine größere Alltagsbezogenheit und Individualisierung. Weibliche Urheberschaft für Text und Bild wurde bei Ullstein im Unterschied zu den Modejournalen anderer Verlage überdies explizit gekennzeichnet. Dem trägt verdienstvollerweise auch Ganevas Studie Rechnung, indem sie im Anhang die Biographien der wichtigsten, heute vergessenen Modejournalistinnen und -zeichnerinnen rekonstruiert.

Der zweite, „Displays of Fashion“ überschriebene Teil ist dem visuellen Aspekt der Mode gewidmet. Am Beispiel des vergessenen filmischen Subgenres von Komödien über die Konfektionsbranche, der Star-Biographie Brigitte Helms sowie in Auseinandersetzung mit der ambivalenten Situation weiblicher Mannequins zwischen idealen Lebensvorstellungen und konkreten Arbeitsbedingungen, Voyeurismus und Narzissmus, Individualität und Uniformität arbeitet Ganeva Strukturhomologien zwischen Modenschau, Film und Schaufensterdekoration heraus. Für den Unterhaltungsfilm der Weimarer Republik zeigt sie dabei die zeittypisch enge Verbindung zwischen Kunst und Kommerz, Kino- und Modeindustrie. Beide Industriezweige bewarben sich durch Product Placement gegenseitig, indem sie mit ihren (nicht nur!) weiblichen Filmstars gleichzeitig massenmedial wirksame Models präsentierten. Deren Filmposen zwischen Modewettbewerb und Striptease (so Brigitte Helm in Metropolis und Alraune) ließen die Designerkleidung ebenso wie den Körper zum Spektakel werden. Dabei erhalte der genreübergreifende und häufig sogar die Handlung unterbrechende filmische Einsatz von Modenschauen und Kleidungsdetails einen cineastischen Eigenwert als reine Schaukultur. Durch diese Unterbrechung vermittele sich insbesondere den auf Identifikation eingestellten weiblichen Zuschauern „the experience of modernity, which was in essence the experience of an environment becoming increasingly distracting, disjunctive, and fragmented“ (S. 141).

Den Abschluss dieses Teils bildet eine Interpretation von Irmgard Keuns Angestelltenroman Gilgi – eine von uns (1931). Diese Anordnung mag zunächst überraschen, handelt es sich doch bei diesem Text um ein dem ersten Teil der Studie zuzuordnendes Beispiel für einen Modediskurs, diesmal in fiktionaler Form. Für Ganeva schließt sich aber gerade mit diesem Text der Kreis ihrer Untersuchung. Denn anhand der problematischen Figurenkonstellation von Gilgi und Martin kann sie hier noch einmal ihre anfängliche Gegenüberstellung von passiv-anachronistischem Flaneur und aktiv-moderner ‚Neuer Frau‘ zuspitzen. Mit zwei kurzen Seitenblicken auf Erzählungen von Hermynia Zur Mühlen und Dinah Nelken wird dem Bereich der Beschäftigung mit Mode in Texten zeitgenössischer Autorinnen überdies eine (nach Silvia Bovenschen) ‚prä-ästhetische‘ Nischenfunktion zugewiesen.

Fazit

Mit ihrer Studie über Women in Weimar Fashion hat Mila Ganeva die besondere Bedeutung von Mode für den Modernediskurs zwischen 1918 und 1933 unterstrichen und insbesondere die intrikate Rolle von Frauen zwischen Selbstermächtigung und Objektifizierung herausgearbeitet. Neben einer Relektüre bekannter Texte (vor allem Keuns Gilgi) erschließt sie damit neues Quellenmaterial zu Modejournalismus und -film in kulturhistorischer, genderspezifischer wie intermedialer Perspektive. Wünschenswert wäre gerade im dafür symptomatischen Feld der Mode allerdings ein deutlicheres Geschlechter-, Medien- und Kanon-Crossover binärer Oppositionsmuster (Frauen/Männer, Discourse/Display, Hoch-/Unterhaltungskultur), als es Ganevas Studie leistet. So, wie es die Autorin am Ende auch selbst für weitere Forschungen auf diesem Gebiet vorschlägt, zu dem sie mit ihrer eigenen Arbeit bereits einen unverzichtbaren Beitrag vorgelegt hat.

URN urn:nbn:de:0114-qn102041

PD Dr. Julia Bertschik

Freie Universität Berlin

Privatdozentin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie

Homepage: http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/we04/mitarbeiter/bertschik/index.html

E-Mail: bertschik@germanistik.fu-berlin.de

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