Geschlechterordnung und Arbeitskultur: Wissenschaftler/-in mit Leib und Seele?

Rezension von Daniela Heitzmann

Yvonne Haffner, Beate Krais:

Arbeit als Lebensform?

Beruflicher Erfolg, private Lebensführung und Chancengleichheit in akademischen Berufsfeldern.

Frankfurt am Main u.a.: Campus Verlag 2008.

215 Seiten, ISBN 978-3-593-38736-9, € 29,90

Abstract: Nachdem der Mythos des unerbittlich arbeitenden Wissenschaftlers, der sich mit Haut und Haar ‚seiner‘ Forschung verschrieben hat, langsam zu bröckeln beginnt, stellt sich aus der Genderperspektive die Frage nach der Bedeutung der Arbeitskultur für die fortbestehende Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft, besonders in leitenden Positionen. Gleichzeitig trägt die allmähliche ‚Entdeckung‘ des Privaten für Männer, die nun auch Väter und Lebenspartner sein sollen (können), zur Entmythologisierung bei. Der vorliegende Sammelband widmet sich dem Balance-Akt zwischen Arbeits- und Privatleben, den Frauen und Männer zu leisten haben. Auf Grundlage zahlreicher empirischer Untersuchungen wird ein umfassendes und erkenntnisreiches Panorama über die Verquickungen individueller und struktureller Anforderungen an berufstätige Akademikerinnen und Akademiker vorgelegt.

Bereits im Jahr 1975 markierte die US-amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem autobiographischen Essay Inside the clockwork of male careers das traditionelle Karrieremodell des männlichen Wissenschaftlers, hinter dem eine fürsorgliche und von den häuslichen Unwägbarkeiten entlastende Ehefrau steht, als eine der Ursachen für die asymmetrische Geschlechterkultur der Wissenschaft. Über 30 Jahre später ist Hochschilds Beobachtung weiterhin hochaktuell. Immer noch wird die ‚weibliche‘ Leistungsfähigkeit angezweifelt, insbesondere wenn es um reputationsträchtige Machtpositionen geht, obgleich inzwischen die ‚Denkfähigkeit‘ der Frauen prinzipiell nicht mehr zur Disposition steht. Auch positionieren sich immer mehr Frauen im Erwerbsleben, doch um den Preis eklatant geringerer Einkommen und schlechterer betrieblicher Stellung.

Nachdem die Gründe für die deutliche Benachteiligung von Frauen im wissenschaftlichen Feld in den letzten Jahrzehnten häufig auf der individuellen Ebene bei den Frauen und insbesondere als deren Defizite gesucht wurden, erfolgt inzwischen eine Ausrichtung auf die „Strukturen und Bedingungen der Arbeitswelt und auf die unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten der Arbeitskultur“ (S. 8). Damit wird die grundsätzliche Frage von Arlie Hochschild erneut gestellt: Was macht eigentlich einen „full professor“, oder allgemeiner formuliert: eine beruflich erfolgreiche Persönlichkeit aus?

Bedingungen wissenschaftlicher Karrieren

Ausgehend von den Bedingungen für eine erfolgreiche akademische Laufbahn, die Beate Krais in ihrem Beitrag benennt, kann die thematische Ausrichtung des Sammelbandes näher bestimmt werden. Zwar unterliegen Frauen und Männer denselben Konditionen, jedoch ergeben sich geschlechtsspezifische Problemlagen.

In der Wissenschaft als sozialem „Kampffeld“ geht es um die Distribution von Anerkennung für die eigenen Leistungen sowie der eigenen Person; damit handelt es sich zugleich um ein Konkurrenzfeld. Die Frage nach dem Phänomen der Konkurrenz ist nicht expliziter Gegenstand des Buches, jedoch wird die Relevanz der Persönlichkeit in den Aufsätzen von Yvonne Haffner und Beate Krais sowie von Maria Harde und Lilian Streblow herausgestellt. Einschlägige Untersuchungen im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogrammes „Professionalisierung, Organisation, Geschlecht“ haben die notwendige Voraussetzung der Aneignung des wissenschaftlichen Habitus und dessen glaubhafte Verkörperung bereits aufgezeigt (etwa die Analysen von Sandra Beaufaÿs und Steffanie Engler). Als weitere Bedingung benennt Krais den „Umgang mit der Zeit“ mit einem besonderen Gewicht auf den symbolischen „Praktiken der Zeitverwendung“ (S. 198). Hierin liegt auch der Schwerpunkt eines großen Teils der Beiträge, die nach der „alltagspraktischen Seite“ (S. 177) akademischer Karrieren fragen – in Anbetracht der unumstößlichen Faktizität, dass ein Tag genau 24 Stunden hat.

An dieser Stelle werden aktuelle Entwicklungen in der sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft aufgegriffen: die Wiederentdeckung des Privaten als komplexer Untersuchungsgegenstand. Die mit der modernen Geschlechterordnung einhergehende, hierarchisierte Trennung von Öffentlichem und Privatem, von Erwerbsarbeit und Familie hat auch zu einer wissenschaftlichen Marginalisierung bzw. Abwertung des Privaten (als den Frauen qua Geschlecht zugewiesener Bereich) geführt. Der 2008 erschienene Sammelband von Karin Jurczyk und Mechtild Oechsle formuliert den daher notwendigen nächsten Schritt: Das Private neu denken.

Die „Familienernährer“-Arbeitskultur

Der erste Beitrag von Franziska Schreyer beginnt mit einer Entlarvung des derzeit allseits beliebten Arguments der sehr guten Berufsaussichten für Frauen in den so genannten MINT-Fächern. Auf Grundlage einer breit angelegten statistischen Erhebung zeigt Schreyer, dass die von vielen Seiten behaupteten Erfolgschancen für Frauen im technischen Feld zumindest gegenwärtig empirisch nicht haltbar sind. Zwar bestehen bessere Arbeitsbedingungen, etwa unbefristete Verträge, doch sind Frauen deutlich häufiger arbeitslos und weniger erfolgreich als ihre männlichen Kollegen.

An diese empirischen Ergebnisse unmittelbar anknüpfend, verdeutlicht Yvonne Haffner den Zusammenhang zwischen strukturellen Barrieren für Frauen im Berufsfeld der Ingenieur- und Naturwissenschaften und einem bestimmten Typus der Arbeitskultur mit dem „konventionellen Modell des männlichen Alleinverdieners“ (S. 52) als impliziter Voraussetzung. Ein zentraler Erfolgsindikator jener Arbeitskultur ist Zeit oder genauer: die „Sichtbarkeit der Arbeitszeit“ (S. 54), im Zuge dessen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit einem „Totalitätsanspruch“ (S. 52) auf ihre ganze Person konfrontiert werden.

Friederike Maier und Claudia Koppetsch wählen einen professionssoziologischen Zugang und kommen zu ähnlichen Resultaten für die Berufssituation von Frauen in den Bereichen der Wirtschaft und der Werbeindustrie. Beide Felder sind durch ein relativ paritätisches Geschlechterverhältnis gekennzeichnet, doch gleichzeitig gibt es eine „professionsinterne Hierarchisierung“ (S. 115). Das heißt, das Beschäftigungsniveau der Frauen und ihre Aufstiegschancen bleiben deutlich hinter denen der Männer zurück.

Darüber hinaus kann Koppetsch zeigen, dass die allseits bejubelte flexible Arbeitszeitgestaltung durch überwiegende Projektarbeit „gerade keine bessere Vereinbarkeit“ (S. 98) bietet. Von daher ist der Einstieg von Frauen „in die meist geringer bezahlte Selbständigkeit und die Familiengründung nicht die Ursache für den Ausschluss von Frauen aus Führungspositionen, sondern deren Folge.“ (S. 101)

Wenn zwei das Gleiche tun (wollen)

Die alltagspraktischen Auswirkungen einer „männlich geprägten Arbeitskultur“ (S. 52) auf der Ebene der Privatheit werden von Ulrike Schraps und Ernst-H. Hoff sowie Susanne Dettmer dargestellt.

Schraps und Hoff untersuchten im Rahmen einer qualitativen Längsschnittstudie in IT-Start-Ups verschiedene (idealtypische) Formen der Lebensgestaltung von Frauen und Männern. Dabei wird deutlich, dass unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit Beschäftigte durchaus bereit sind, für kurz- und mittelfristige Ziele „eine extreme Arbeitszentrierung und Entgrenzung in bestimmten Lebensphasen“ (S. 65) zuzulassen. Kommt es zu einem Rückgang der Entgrenzung, treten jedoch zwei unterschiedliche Entwicklungen ein: während die weiblichen Befragten „überwiegend eher unkonventionelle Arrangements zwischen Berufs- und Privatleben“ (ebd.) herstellen, findet bei den männlichen Kollegen häufig eine Re-Traditionalisierung der Lebensgestaltung statt.

Vervollständigt wird diese Perspektive durch Dettmers Beitrag zu Typen dyadischer Lebensgestaltung. Mittels leidfadengestützter biographischer Paarinterviews mit Mediziner/-innen und Psycholog/-innen werden die Aushandlungsprozesse innerhalb der Beziehung und deren Konsequenzen in den Fokus gerückt. Je ähnlicher die individuellen und gemeinsamen Zielvorstellungen sind, desto wahrscheinlicher gelingt eine Doppelkarriere. Wie in der jüngeren Forschung inzwischen mehrfach gezeigt, kommt auch Dettmer zu dem Resultat, dass das Gleichberechtigungsideal in der Selbstwahrnehmung der Paare sich häufig nicht in deren Alltagspraxis widerspiegelt. So bleibt die männliche Normalbiographie als Norm und die Reproduktion geschlechtsstereotyper Muster bestehen.

Der akademische Habitus: strukturelle Bedingungen in praxi

Problematisch ist einzig der Beitrag von Maria E. Harde und Lilian Streblow. Für die Betrachtung des Zusammenhangs von individuellen und strukturellen Barrieren ziehen die Autorinnen das akademische Selbstkonzept und die Abbruchneigung als Indikatoren heran. Vor allem für Frauen konstatieren sie einen negativen Einfluss des Selbstkonzeptes auf die Karriereplanung und gelangen zu Schlussfolgerungen, in denen letztlich die individuelle Kategorie des Selbstkonzeptes als Ursache und nicht als Folge struktureller Rahmenbedingungen erscheint. Abgesehen von der begrifflichen Unschärfe verharren Harde und Streblow damit – auch entgegen dem eigenen Anspruch – in der überwunden geglaubten Frauendefizitanalyse.

Im deutlichen Gegensatz dazu steht der abschließende, sehr umfassende und empfehlenswerte Aufsatz von Beate Krais. Durch die Verknüpfung von historischen, wissenschaftstheoretischen und empirischen Erkenntnissen entwirft Krais ein Gesamtbild des „ganzheitlichen Lebensmodells des Wissenschaftlers“ (S. 196) als männliches Modell, das auf dem „verborgenen Stützpfeiler in Gestalt einer spezifischen, Männern vorbehaltenen Organisation des privaten Lebens und der Familie“ (S. 180) ruht und zugleich – mit Bourdieuschen Kategorien gesprochen – als Kern der illusio von Frauen und Männern gleichermaßen geteilt wird.

Mit dem vorliegenden Sammelband greifen die Autorinnen und Autoren das Berufsbild Wissenschaftler(-in) als Untersuchungsgegenstand auf und entfalten eine „ganzheitliche Sicht“ (S. 9) auf die Arbeits- und Lebenssituation von Frauen und Männern – was in fast allen Aufsätzen überzeugend gelingt und dieses Buch absolut lesenswert macht.

Das einzige Manko liegt in der Auswahl der untersuchten Fachkulturen. So kommen die Geistes- und Sozialwissenschaften überhaupt nicht vor. Diese gegenwärtige Fixierung auf die MINT-Fächer in der Forschungs- und Förderungslandschaft macht vergessen, dass die Geschlechterquoten bei den Studierenden und Promotionen im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften zwar recht nah beieinanderliegen, es allerdings noch lange keine Selbstverständlichkeit ist, dass beispielsweise jede/-r Soziologie-Absolvent/-in die Möglichkeit hatte, bei Soziologie-Professorinnen zu studieren.

URN urn:nbn:de:0114-qn102264

Dipl.-Soz. Daniela Heitzmann

Technische Universität Dresden

Beauftragte für Gleichstellungsmanagement beim Rektor an der Technischen Universität Dresden

E-Mail: danielaheitzmann@web.de


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